Sonntag, 20. Oktober 2013

Lobbyaufwallung



 Sollte es zu einer rotschwarzen Bundesregierung kommen, wird es zu vielen von mir als „unverzichtbar“ angesehenen Änderungen in der Politik NICHT kommen, weil die SPD-Parteispitze sie nicht unter den „zehn Essentials“ auflistet, die in Koalitionsverhandlungen mit der CDU als unverzichtbar angesehen werden.
Da kann ich mich wohl von der doppelten Staatsbürgerschaft verabschieden und muß weiterhin die Bildungsfernhalteprämie akzeptieren.
Und dafür hat man die SPD nach Kräften unterstützt. Es ist zum Heulen.
Allerdings gehört auch zur Wahrheit, daß weit über 50 % der Wähler (nämlich die der CDU, CSU, FDP, Linken, AfD und Piraten) für eine Kanzlerin Merkel votierten und die SPD-Verhandlungsposition schwächten. Mit 25% kann man sich nun einmal schlecht gegen 50%+ durchsetzen.
85% Zustimmung für Koalitionsverhandlungen mit der CDU gab es heute beim SPD-Konvent. Gabriel formuliert das weitere Vorgehen an die Parteimitglieder:

Dabei werden wir für unsere Ziele hart kämpfen. Klar ist: Nicht alles werden wir durchsetzen können, Koalitionsverhandlungen erfordern immer auch Kompromisse. Was für uns aber unverzichtbar sein wird in einem möglichen Koalitionsvertrag, hat der Konvent der Verhandlungsdelegation als Auftrag mitgegeben: der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro, die abschlagsfreie Rente nach 45 Versicherungsjahren, Verbesserungen bei der Pflege, die Gleichstellung von Frauen und Männern, die Reform des Staatsbürgerschaftsrechts, mehr Geld für die Kommunen, für Infrastruktur und Bildung, die Spekulantensteuer, Impulse für mehr Wachstum und Arbeitsplätze in Europa, eine erfolgreiche Energiewende.
(Sigmar Gabriel, Mitgliederbrief 20.10.13)

Die großen Lobbyorganisationen bekommen aber schon mit dieser schwachen SPD weiche Knie.
Der alten schwarzgelben Regierung mußte man gar nicht erst drohen. In vorauseilendem Gehorsam formulierten Kanzlerin und Vizekanzler die Gesetze ganz nach den Wünschen der Großindustrie. Gesetzesinitiativen der Regierungsfraktionen wurden teilweise im gleichen Layout mit denselben Rechtschreibfehlern wie die Positionspapiere der Lobbyisten in den Bundestag eingebracht. Die rückgratlose Merkel und das Industrieflittchen Rösler waren nur allzu willige Erfüllungsgehilfen der Umverteilung von unten nach oben.
Ganz so einfach dürfte es zukünftig dann doch nicht mehr gehen, wenn immerhin einige Sozis auf wichtigen Kabinettsposten sitzen.
Über Merkels Mangelprogrammatik machen sich die Leitartikler immer noch lustig.

Es wäre interessant zu wissen, ob CDU und CSU eigentlich zehn Punkte zusammenbekämen, die ihnen in Koalitionsverhandlungen wirklich wichtig sind. Mal versuchen: Die Union möchte Investitionen in erstens Bildung, zweitens Forschung und drittens Infrastruktur. Was noch? Die Mütterrente. Und? Grübel, grübel, ach ja, die Maut. Zählen wir mal als halben Punkt. Macht viereinhalb. Moment! Weil es sich um Konservative handelt, muss man auch mitzählen, was bleiben soll: Keine Steuererhöhung, keine Änderung beim Betreuungsgeld, keine Bürgerversicherung, keine Euro-Bonds, keine Gleichstellung von Homosexuellen. Macht 9,5. Gerade so.
Die SPD hat nun locker zehn Ziele vorgelegt, die sie in den Koalitionsverhandlungen erreichen will. Zugegeben, da ist manches noch sehr vage, andererseits haben die Sozialdemokraten auch schon vieles weggelassen. Und manches von dem, was die Union gerne ändern möchte, findet die SPD ja auch gut, vor allem das, wofür Geld ausgegeben werden soll.
Alles in allem kann man also sagen, die Union hat zwar fast doppelt so viele Stimmen bekommen, die SPD hat dafür doppelt so viel vor - ausgleichende Gerechtigkeit.

Eine konzeptionslose CDU ist ideal für die milliardenschweren Lobbyisten.
Relativ unvorstellbar, daß ein SPD-Umweltminister so billig zu haben wäre, wie Herr Altmaier, der für das Taschengeld von 690.000 Euro der Quandtfamilie eine BMW-konformes EU-Regelung durchdrückte.
Im Jahr 2012 hatten die drei Quandts ohne einen Finger zu rühren 700 Millionen Euro Kapitalerträge nur aus ihrer BMW-Beteiligung kassiert und mußten dank der CDU-FDP-Regierung dafür weit weniger Steuern als auf Arbeitseinkommen zahlen.
Das knapp eine Promille, daß Stefan, Susanne und Johanna aus ihren BMW-Einkünften (und sie haben noch weit mehr Einkünfte!) an die CDU weiterleiteten, war also sehr gut angelegt.
Das neue Kabinett ist noch nicht bestimmt. Aber eine der mächtigsten Großkapital-Lobbyorganisation beginnt sich bereits in die Hose zu machen. Ihr Homunculus Angela könnte dem neuen Regierungspartner durchaus das ein oder andere Zuckerstück überlassen, welches die Reichsten nicht gerne hergeben.
„Chance 2020“ nennt sich verschleiernd die bundesweite Mega-Kampagne der schwerreichen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM), die 2000 zur Unterstützung der eiskalten neoliberalen Politik gegründet wurde und von der Metall- und Elektroindustrie finanziert wird. Ihr Jahresbudget für Imagekampagnen beträgt sieben Millionen Euro.
Merkel hatte man damals sehr schnell im Sack. Bereitwillig ließ sich die damals neue CDU-Chefin Konzepte der INSM diktieren und warm öffentlich massiv für die Arbeitgeberlobby. Sinnlos, diese Zustände zu beklagen. Das ist seit vielen Jahren bekannt und Angela Merkel ist beliebter denn je.

[….] Das Neue an der Neuen Sozialen Marktwirtschaft, die die INSM propagiert, besteht darin, dass die sozialen Bestandteile eliminiert werden, da sie den Interessen der Arbeitgeber widersprechen. Der Staat soll sich aus dem wirtschaftlichen und sozialen Geschehen zurückziehen, d. h. auf soziale Korrekturen und Sicherungsmaßnahmen verzichten, auch wenn die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter auseinanderklafft. Umschrieben wird dieser Grundgedanke auf der Website der INSM („Was will die INSM konkret“) als „konsequente und konsistente wettbewerbliche Ausrichtung unserer Wirtschafts- und Sozialordnung“, „Beschränkung des Staates auf seine Kernkompetenzen“ sowie „Stärkung des Prinzips 'Hilfe durch Selbsthilfe'“. In ihren Kampagnen, Auftragsstudien und Unterrichtsmaterialien werden Privatisierungen, Deregulierungen, Steuersenkungen, der Abbau von Subventionen, eine Senkung der Arbeitskosten, die Flexibilisierung des Arbeitsmarktes (Abbau des Kündigungsschutzes, flexible Arbeitszeiten), mehr Eigenvorsorge im Gesundheitssystem und die kontinuierliche Erhöhung des Renteneintrittsalters gefordert. Mindestlöhne und die Finanztransaktionssteuer werden abgelehnt. Rechte der Arbeitnehmer stellt die INSM ausschließlich als Hemmnis für die wirtschaftliche Entwicklung und die Schaffung von Arbeitsplätzen dar. Die gesetzliche Renten- und Pflegeversicherung wird schlecht geredet und stattdessen die Einführung von kapitalgedeckten Versicherungen gefordert, deren Probleme (hohe Verwaltungskosten, Risiken aufgrund von Finanzmarktkrisen, Unerschwinglichkeit für Niedrigverdiener) unerwähnt bleiben. [….]

Daß INSM-Kanzlerin Merkel nun mit Sozis (und zuvor den Grünen) sondiert, gefällt ihren Finanziers aber nicht wirklich und so bringen sie ihre Kanzlerin mit bundesweit 117 Großplakaten und neun riesigen Anzeigen in überregionalen Tageszeitungen auf Kurs.
Man darf annehmen, mit Erfolg. Steuererhöhungen für die Reichsten lehnt die CDU-Chefin, die sonst so flexibel ist, kategorisch ab.
Die INSM will aber auf Nummer sicher gehen.

»Verfluchte Wahlversprechen« stand auf dem bizarren Geschenk, das die »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« (INSM) zu Jahresbeginn an einflussreiche Menschen in Berlin schickte. Eine Voodoo-Puppe lag in dem Päckchen, das Bundestagsabgeordnete und politische Multiplikatoren bekamen – samt blau befahnten Nadeln mit Begriffen wie »Mindestlohn«, »Frauenquote« und »Vermögensteuer«. Die Voodoo-Puppen sollten die Wähler darstellen. […Die INSM] ist sehr einflussreich, auch weil sie sich gerne als eine Art unparteiliche intellektuelle Bürgerwehr ausgibt. Doch sie ist nichts anderes als eine Vorfeldorganisation der Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie. Im Jahr 2013 stecken diese nach eigenen Angaben fast sieben Millionen Euro in die Organisation. Das Geld fließt in aggressive Öffentlichkeitsarbeit. Zurzeit überschwemmt die Initiative Berlin mit Plakaten sowie das Internet und Zeitungen mit Anzeigen. Die Wochen nach der Bundestagswahl sind für Lobbyisten die wichtigsten der Legislaturperiode. […]
Die INSM fordert ein »marktwirtschaftliches Reformpaket«. In Anlehnung an die Agenda 2010 des ehemaligen SPD-Bundeskanzlers Gerhard Schröder nennt sie es »Chance 2020«. [….]
Unter falscher Flagge zu segeln, hat bei der »Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft« Tradition. Schließlich sollen Leser und Zuschauer glauben, sie bekämen die industriefreundlichen Botschaften von unabhängigen Experten präsentiert. Ohne zu kennzeichnen, wer dahinter steckt, haben sie 2007 das Portal unicheck.de ins Internet gestellt, und zwar als Website »von Studenten für Studenten«. Auf den Seiten sollten Studierende Universitäten danach bewerten, wie gut oder schlecht sie Studiengebühren einsetzen. Studiengebühren sollten positiv und als Form der Mitbestimmung erscheinen. In der ARD-Serie »Marienhof« kaufte sich die Initiative für rund 58700 Euro Dialoge in sieben Folgen. Eine der Botschaften war, Zeitarbeit sei toll. »Die Werbung für die Zeitarbeit im Marienhof muss im Kontext der Forderung nach einer weitgehenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes gesehen werden«, stellte die NGO Lobbycontrol damals fest. […]
Ihr Meisterstück abgeliefert hat die Arbeitgeberinitiative nach der Bundestagswahl 2009. Damals hat sie eine ihrer zentralen Positionen im Koalitionsvertrag von Union und FDP untergebracht, und zwar zur gesetzlichen Pflegeversicherung. […]






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