Montag, 3. Februar 2014

Lass uns mal von Sex reden.


Da ich aus einer Familie von Spätgebärenden mit extrem langer Generationsfolge stamme, kam mir als Teenager zunächst gar nicht wirklich in den Sinn, daß man beim praktischen Geschlechtsverkehr auch Kinder zeugt.
(Zum Glück bin ich diskret und beschreibe einige persönliche Lerneffekte diesbezüglich nicht öffentlich in einem Blog)
Meine Großeltern wurden allesamt noch im 19. Jahrhundert geboren und erlebten den ERSTEN Weltkrieg als Erwachsene.
Ein Cousin, der nur eine Straße weit weg wohnt, wurde mit 59 Vater von Zwillingen. Seine Mutter, also meine Tante, war damals genau 90 und freute sich sehr über ihre ersten Enkel.
So alte Eltern und Großeltern zu haben, bringt Vor- und Nachteile mit sich.
„Alte“ Eltern gehen in der Regel nicht unvorbereitet in das Abenteuer Kind.
Die Frau meines Cousins, bei der Geburt 45 Jahre alt, ist das Paradebeispiel dafür. Wer in dem Alter das erste mal Mutter wird, ist extrem gut vorbereitet, hat mindestens 20 Bücher über Schwangerschaften gelesen, das zukünftige Kinderzimmer perfekt ausgestattet und sich sämtliche denkbare Hilfe organisiert.
Solche Kinder haben in vielerlei Hinsicht optimale Startchancen.
Die Eltern haben weniger Flausen und Kopf und lesen tatsächlich abends dem Balg vor, statt noch mal in die Diskothek zu gehen. Sie haben auch in der Regel gesichertere Lebensverhältnisse, so daß sie in einer besseren Gegend wohnen und den schönere Kindergarten bezahlen können. Sie kennen interessantere Leute, haben gefestigtere soziale Strukturen.
Die Kehrseite ist auch offensichtlich. Man verliert die Großeltern viel früher (als ich geboren wurde, waren drei meiner Großelternteile schon tot) und wird eher mit Siechtum und Vergänglichkeit der Eltern konfrontiert.

Als meine Sandkastenfreundin mit 19 (gewollt!) Mutter wurde, war das die absurdeste Geschichte, die ich mir als Student vorstellen konnte.
Wozu das denn? Warum sich total einschränken in dem Alter?
Natürlich traten auch all meine Prognosen ein: Sie trennte sich bald von dem Erzeuger ihres Görs und bekam spätestens damit genau die enormen finanziellen Schwierigkeiten, die den Kindern Gesundheit und Chancen ruinieren – wie wir aus zahlreichen soziologischen Studien wissen.
Als ich 16 Jahre später immer noch viel zu jung war, um selbst Kinder zu wollen, erzählte mir besagte Sandkastenfreundin einmal, sie wäre immer so unausgeschlafen, weil im Nebenzimmer die ganze Nacht Lärm sei.
Naiverweise fragte ich, ob sie das nicht einfach verbieten könne.
Nein, das ginge nun wirklich nicht, wurde mir beschieden. Es sei die erste große Liebe und da könne man als Mutter nicht reinplatzen.
Erst da begriff ich, WAS da im Nebenzimmer vor sich ging und stammelte so irritiert vor mich hin, daß meine Bekannte lachend sagte „jaja, poppen kann sie wie eine Große!“.
Ich war tatsächlich irgendwie entsetzt. Muß man das dulden?
„Wie alt ist deine Tochter jetzt genau, 16?“
Wieder mußte sie lachen und warf mir schnippisch entgegen sie wissen genau, daß ich damals noch jünger gewesen wäre, als ich damit angefangen hätte und was ich denn wohl damals davon gehalten hätte, wenn mir das hätte jemand verbieten wollen.

Tatsächlich war das der wunde Punkt.
Als ich selbst Teenager war, betrachtete ich mich natürlich als sehr erwachsen und hielt mich für durchaus in der Lage selbstständige Entscheidungen zu treffen. Verbote diesbezüglich hätte ich mir gar nicht bieten lassen.
Knappe 20 Jahre später erachtete ich Teenager als Kleinkinder, die viel zu unreif sind, um irgendetwas zu entscheiden. Und daß sie schon Sex haben, ekelte mich regelrecht.

Woher kommt das eigentlich, daß man dieses hysterische Verhältnis zu Teenagern im Zusammenhang mit Sex hat?
Meine Einstellung zu Sex ist ganz simpel: Ich persönlich bin streng zölibatär, um Gott mit meiner Keuschheit zu erfreuen, aber für andere gilt:
Es ist erlaubt, was gefällt – so lange alles freiwillig geschieht.
(Freiwilligkeit schließt natürlich ein keinen Sex mit Personen zu haben, die sich in einem Abhängigkeitsverhältnis zu einem befinden und natürlich auch Minderjährige, da sie noch nicht beurteilen können, was sie wollen und Erwachsenen nicht gleichberechtigt gegenübertreten können)

Um auf der sicheren Seite zu sein, plädiere ich dafür, daß Sex generell erst ab 18, bzw besser ab 21 möglich sein dürfte.

So, oder so ähnlich denken gegenwärtig immer mehr Menschen.
Sex wird grundsätzlich als etwas potentiell Gefährliches betrachtet, von dem man Jugendliche möglichst lange fern halten muß.


Gerade verbreitet sich in den sozialen Netzwerken ein bizarres Wichs-Bekämpfungsvideo, welches den Widerstand gegen den unanständigen Onanie-Drang mit kriegerischen Metaphern heroisiert.

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Hartnäckig wuchert die Vorstellung von dem verderblichen frühen Sex in den Köpfen der Moralapostel.
Das Internet macht es endgültig zur unerfüllbaren Mission die lieben Kleinen bis zu ihrem 30. Geburtstag in einer aseptisch-asexuellen Umgebung groß zu ziehen.
Der im Youporn-Zeitalter auflebende Puritanismus wird inzwischen selbst zum Gegenstand von Sexualforschung.

Bücher wie zum Beispiel "Deutschlands sexuelle Tragödie: Wenn Kinder nicht mehr lernen, was Liebe ist" der Autoren Bernd Siggelkow und Wolfgang Büscher rennen mit der These offene Türen ein, wonach Teenager Liebe, Geborgenheit und Werte verlören und stattdessen wie Drogenabhängige gefühllosen, beliebigen Sex praktizierten. [….]
Scheinbar lässt die Sexualität Heranwachsender die Öffentlichkeit zuverlässig verkrampfen. "Die zyklisch auftretenden Diskussionen über jugendsexuelle Katastrophen spiegeln eher Ängste der Erwachsenen als reale Verhältnisse bei den Jugendlichen wider", sagt Silja Matthiesen vom Institut für Sexualforschung und Forensische Psychiatrie des Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Selbst die Wissenschaft blickt durch einen seltsamen Filter auf das Thema. Die Forschung zeige ein nahezu obsessives Interesse dafür, in welchem Alter Jugendliche welche sexuellen Handlungen ausübten, schreibt zum Beispiel der amerikanische Jugendmediziner Dennis Fortenberry in einer Überblicksarbeit zu Pubertät und adoleszenter Sexualität im Fachmagazin Hormones and Behaviour. Betont würden dabei fast ausschließlich Risiken und Gefahren.
Der Katastrophismus erlebt ständige Revivals. "Die Angst vor den Folgen der Onanie und die Kampagnen gegen Masturbation im 18. Jahrhundert sind Vorläufer aller moralischen Paniken zur Jugendsexualität", sagt Matthiesen. […]

Albern?
Das hält aber fromme Baden-Württemberger nicht davon ab zu Hunderttausenden Petitionen zu unterschreiben, welche die Landesregierung dazu zwingen soll die Ekelthemen aus der Schule raus zu halten.

Sie befürchten offenbar, die bloße Erwähnung von Homosexualität könnte ihre Söhne schwul machen und die Töchter zu Kampflesben mutieren lassen.
Und wieder einmal gelingt es den Religioten mich zu erstaunen. Wer hätte gedacht, daß noch im Jahr 2014 binnen kürzester Zeit Hunderttausende auf so einen völligen Unsinn anspringen?

Selbst im sexuell so liberalen Frankreich gelang es jüngst den Hardcore-Religioten mit Rudolf-Gehrig’scher Energie die sozialistische Regierung einknicken zu lassen und die Homosexuellen weiterhin rechtlich schlechter zu stellen. Nach konservativer Religioten-Logik – CDU und CSU sind genauso ewig gestrig – wird nämlich die Ehe abgewertet und die Familie zerstört, wenn jemand Ehen eingehen darf und Familien gründet.

Die Massenproteste gegen die Regierungspläne zeigen Wirkung: Frankreichs Premier Jean-Marc Ayrault hat die Pläne für ein neues Familiengesetz vorerst gekippt. Die Konservativen feiern den Schritt der Regierung als ihren Sieg.
[….]  Ayraults grüner Koalitionspartner, dessen Stimmen für die Mehrheit nicht notwendig sind, erklärte, der Verzicht sei "erschreckend".
Am Sonntag waren in Paris etwa hunderttausend Menschen gegen eine in ihren Augen "familienfeindliche" Politik der regierenden Sozialisten auf die Straße gegangen. Zu den Protesten aufgerufen hatte das konservative Bündnis "Demo für alle", das bereits die treibende Kraft hinter den Massenprotesten gegen die Einführung der Homo-Ehe in Frankreich war.
[…]  Die Demonstranten hatten am Sonntag unter anderem dagegen protestiert, lesbischen Frauen ein Recht auf künstliche Befruchtung einzuräumen oder die Leihmutterschaft zu legalisieren, wie es einige sozialistische Abgeordnete wollen. Im bisherigen Entwurf für das neue Familiengesetz war dies allerdings gar nicht vorgesehen.
Geplant war vielmehr unter anderem, die rechtliche Stellung von Stiefeltern bei der Erziehung der Kinder ihrer Lebenspartner zu stärken.

Hier bäumen sich die europäischen Teebeutler noch ein letztes Mal gegen den Lauf der Zeit auf. Sie setzen sich begeistert selbst Scheuklappen auf und wollen ihre Brut vor etwas beschützten, das sie gar nicht bedroht.
Am Liebsten würde die Generation, die das Internet erschaffen hat, nun die Geister für immer von ihrer Brut fern halten.
Offenbar wünschen sie sich eine Priesterseminar-artige Atmosphäre der maximalen Heuchelei und Verlogenheit für ihre Kinder.
Wenn man es nur intensiv genug verbietet, verdrängt und verschiebt, werden ihre Kinder ohne irgendeinen Kontakt mit Sexualität oder gar Masturbation aufwachsen.
Ein erstaunlicher Fall von Kollektiv-Verdummung.
Genauso erfolgreich wird mein Kampf zum Verbot der Schwerkraft sein.
Auch wenn ich in meinem greisen Alter Sex unter Jugendlichen ebenfalls widerlich finde und damit nichts zu tun haben möchte, so befürchte ich, daß sie es trotzdem „tun“.
Und wir wissen auch wie ungeheuer erfolgreich Zensursulas Vorhaben war Internet-Pornographie zu verbieten.
Es gibt ohnehin keinerlei Hinweise darauf, daß durch Redtube und Co die Jugendlichen der Welt allesamt zu gewalttätigen Sexzombis werden, die mit 13 Jahren schon jede erdenkliche Perversion ausprobiert haben. Solche Vorstellungen brüten einfältige Bischofshirne und die Showminister des Schlages von der Leyen aus.
Mit der Realität hat das allerdings nichts zu tun! Pornoskonsum ist nicht gleichbedeutend mit seelischer Verwrackung der Kinder.

Für den Mainstream der Heranwachsenden ziehen Wissenschaftler um Lotta Löfgren-Mårtenson von der Universität Malmö in einer Studie im Journal of Sex Research ein ganz anderes Fazit: Jugendliche trennen ihr eigenes Erleben und den Inhalt von Pornografie. Auch die Online-Welt teilen Heranwachsende in zwei Welten, haben Forscher beobachtet. Jene, die sie erregend finden. Und eine abstoßende, die in Gruppen als eine Art Mutprobe angesehen wird. "Der Konsum dieser krassen Pornos ist kein sexuelles oder erotisches Ereignis, sie werden gelegentlich als spektakuläre Unterhaltung und als Witz, meistens aber als abseitige, gelegentlich auch als verstörende Erfahrung verbucht", schreibt Matthiesen. […]
Auch Zahlen aus der letzten Studie zur Jugendsexualität der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung passen nicht zur These einer triebgesteuerten, gefühllosen Jugend. Die meisten Jugendlichen erleben das erste Mal in einer Paarbeziehung, heute sogar eher als noch vor 30 Jahren. Auch das Alter, in dem Jugendliche das erste Mal Geschlechtsverkehr haben, liegt seit Jahren auf konstantem Niveau. Die Zahl der 14-Jährigen mit Koituserfahrungen ist über die Jahre demnach sogar minimal gesunken. Die Jugendlichen sind im Durchschnitt sehr gut aufgeklärt, sie wissen, was sie tun.
"Ganz unvorbereitet trifft kein Jugendlicher auf Sexualität", sagt der Sexualwissenschaftler Konrad Weller von der Hochschule Merseburg. Aber die Erwachsenen scheinen mehrheitlich genau das anzunehmen, und daraus speist sich die öffentliche Aufregung: Das Kind wird als asexuelles Wesen betrachtet und Aufklärung als plötzlich auftretende, einmalige Notwendigkeit angesehen, die dann ansteht, wenn die Biologie das Startsignal setzt. Das jedoch ist Unsinn. "Das Grundlage der individuellen Sexualität bildet sich bereits in der frühen Kindheit", sagt Matthiesen, die auch als Leiterin der Sexualpädagogischen Abteilung von Pro Familia in Hamburg arbeitet. Kinder wissen nicht, dass sich etwas Sexualität nennt, wenn sie sich selbst erforschen und sich etwas gut anfühlt. Sie machen es einfach. Vorlieben und sexuelle Orientierungen werden nicht an einen herangetragen - weder im Sexualkundeunterricht noch im Internet. Ihre Grundlagen entwickeln sich lange bevor Kinder erfahren, was Youporn sein könnte.
[….]  Statt sich nur zu sorgen, sollten Eltern lieber an einem Vertrauensverhältnis arbeiten. "Pornos zu verbieten, ist sinnlos", sagt Weller, "die Jugendlichen sollten aber wissen, dass sie zu ihren Eltern kommen können, wenn sie etwas Verstörendes gesehen haben." Frühe Aufklärung bestärke Kinder, ihre Sorgen tatsächlich zu äußern.

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