Mittwoch, 24. September 2014

Risiko-Management

Gestern Nacht habe ich, ganz gegen meine eigenen Regeln mal wieder „Maischberger“ gesehen.
Ich blieb hängen, weil ich Werner Bartens sehr gut kenne und bekanntlich erklärtermaßen Karl Lauterbach-Fan bin.
Und auch diesmal beim Thema „gesunde Ernährung und die Auswüchse derselben“ gefiel er mir gut. Naja, bis er seine salzlose Ernährung beschrieb. Das ist seit zig Jahren bekannt, daß er da einen echten Tick hat. Er kann kein gekauftes Brot essen und verlangt im Restaurant Nudeln, die extra für ihn in Wasser ohne Salz gekocht wurden. Andererseits liebe ich ja Exzentriker. Also gönne ich ihm seinen Spleen.
Wie immer versuchen die Redakteure solcher Sendungen die Runde aufzupeppen, indem sie irgendwelche ahnungslosen „Promis“ dazu stecken; in diesem Fall Ursula Karven, die man nach diesem Auftritt offiziell als verblödet auslachen darf.

Wenn man die Frage stellt, ob man mit vernünftigen Verhalten und guter Ernährung Krankheiten vermeiden oder gar ganz verhindern kann, öffnet sich ein ganzer Politacker von Fragen.
„Die Politik“ kann beispielsweise direkt eingreifen, indem sie Trinkwasser iodieren lässt, bestimmte Lebensmittelzusätze verbietet, oder aber durch Aufklärungskampagnen gezielt versucht die dummen Bürgerchen zu Vorsorge zu bewegen. Niemand soll mehr eine Packung Zigaretten kaufen, ohne vom Nanny-Staat auf die möglicherweise schlimmen Folgen aufmerksam gemacht zu werden.
In den USA gibt es schon seit den Tagen GWBs große Anstrengungen die Menschen von ihrer Fettleibigkeit abzuhalten.
Die Erfolge sind mäßig.
Meistens werden die ohnehin Schlanken und Gesunden animiert noch viel gesünder zu werden.
Wenn man sich die amerikanischen und britischen „Youtuber“ ansieht, also diejenigen jungen Leute, die aus unerfindlichen Gründen fünf oder sieben Millionen Abonnenten haben, meint man, die wären alle aus einer Fitness-Zeitschrift entsprungen. Alle haben makellose Haut, beeindruckende Bauchmuskeln und scheinen in jeder Sportart das Zeug zum Olympioniken zu haben.
Ihre pickeligen Bewunderer fressen aber doch lieber bei McDoof.
Die gutgemeinten Ratschläge kommen offenbar immer da an, wo sie nicht gebraucht werden und verhallen in den Ohren derer, die es nötig hätten.

Der nächste denkbare politische Schritt ist eine finanzielle Sanktion. Bei Tabak und Alkohol ist es längst soweit, da sie enorm besteuert sind und Herr Schäuble mit jeder verkauften Zigarette glücklicher wird.

Es gibt Überlegungen das Prinzip weiter auf die Spitze zu treiben; indem man beispielsweise Risikopatienten mit Strafaufschlägen für ihre Krankenversicherung belastet.
Einen Prozentpunkt mehr gesetzlicher Krankenkassenbeitrag für jede zehn Punkte im BM-Index.
Doppelter Beitrag für Raucher und dreifaches Zahlen für Alkis?

So nachvollziehbar der Gedanke ist, so sehr halte ich ihn für nicht umsetzbar.
Er impliziert nämlich, daß es in des Bürgers freier Entscheidung läge fit, schlank und vernünftig zu sein.
Das stimmt aber nicht! Suchtverhalten beispielsweise wird von einem komplexen Bündel Ursachen bestimmt.
Genetische Prädisposition, die Potenz des Suchtmittels, das soziale Umfeld, finanzielle Verhältnisse, Intelligenz und vieles mehr.
Der eine trinkt sein Leben lang jeden Abend zwei Glas Rotwein, verspürt nie den Drang zum Bindge-Drinking und wird glücklich 98 Jahre alt.
Der nächste ist nach zwei Monaten Alkoholiker und kann den Wein nicht mehr weglassen, bis er mit 30 Jahren an Leberzirrhose stirbt.
Es gibt Menschen, die ihr ganzes Leben extrem darunter leiden gegen ihre Adipositas-Disposition ankämpfen zu müssen. Sie müssen sich alles verkneifen oder sie werden ganz schnell ganz dick. Andere sind von Haus aus die klassischen Leptosomen und werden nie fett, obwohl sie alles essen wozu sie Lust haben.
Zigaretten und diverse chemische Partydrogen, die ich gar nicht kenne, weil es die zu meiner Jugendzeit noch gar nicht gab, sind ganz offenbar umso attraktiver je niedriger der Bildungsstand und das Haushaltseinkommen der Eltern ist.
Arme Kinder rauchen.
Soll man etwa Menschen, die ohnehin benachteiligt sind zusätzlich finanziell dafür bestrafen?
Und wo ist die Grenze?
Müßte nicht auch ein Krankenversicherungsbeitrags-Faktor für Fahrradfahrer ohne Helm, Kondom-Muffel, Skifahrer, Giftschlangenhalter, Taucher, Bungeejumper und Reeperbahnbesucher eingeführt werden?
Dieses Risikoabwägungsspiel kann man so weit ins Absurde treiben, daß es schon wieder sinnvoll wird.
Wer meint unbedingt in irgendwelchen Gletscherspalten oder der Riesending-Schachthöhle rumkriechen zu müssen, soll dafür gefälligst eine spezifische Versicherung abschließen, oder aber den anschließenden Rettungseinsatz selbst bezahlen.
Besonders ärgerlich ist das verantwortungslose Verhalten einiger Touristen, die den Adrenalinkick suchen, indem sie in Bürgerkriegsgebieten umherstromern.
Die werden vermutlich entführt und legen dadurch für Monate oder Jahre Dutzende Mitarbeiter im Außenministerium lahm.

Die Apotheose des Irrsinns sind aber christlich-evangelikale Fanatiker, die mit Kind und Kegel aufbrechen, um beispielsweise Muslimen die Bibel nahe zu bringen.

Sabine und Johannes Hentschel reisten 2009 mit dem einjährigen (sic!!!) Sohn Simon und ihren Töchtern Lydia (10) und Anna (8) in den Jemen, um dort „zu helfen“. Sie stammten aus Meschwitz in der Nähe von Bautzen. Die Familie gehörte zu einer Gruppe evangelikaler Entwicklungshelfer, die meinten es sei eine gute Idee mit ihren drei kleinen Kindern in das radikal christenfeindlichste Gebiet der Erde zu fahren und dort das Evangelium bekannt zu machen.

Es kam, wie es kommen mußte. Nein, in nordjemenitischen Provinz Saada konvertierten nicht alle begeistert zum Christentum, sondern die Hentschels wurden entführt und abgemurxt.

Vor fünf Jahren wurde die sächsische Familie Hentschel im Jemen entführt. Das Auswärtige Amt gibt die Hoffnung auf, die Familie lebend wiederzufinden.
Fünf Jahre Hoffen und Bangen sind vorbei. Nun herrscht Gewissheit in Sachsen: Sabine und Johannes Hentschel sind tot. Ermordet irgendwo, irgendwann in der Geiselhaft jemenitischer Extremisten oder Verbrecher. Genau wird man es wohl nie wissen. Ein Schreiben des Auswärtigen Amtes beendete jüngst die Tragödie: „Gemäß hier vorliegendem zuverlässigen nachrichtendienstlichen Aufkommen wurden Johannes, Sabine und Simon Hentschel im Verlauf ihrer Entführung im Jemen getötet bzw. verstarben.“[…]
Lydia und Anna kamen 2010 unter immer noch unklaren Umständen frei. Gerüchten nach soll ein Spezialkommando des saudischen Geheimdienstes sie freigekauft oder befreit haben. Die beiden Mädchen wurden nach der Entführung wohl vom Rest der Familie getrennt. Bei ihrer Freilassung waren sie angeblich „herausgeputzt wie Prinzessinnen“, nannten sich Sarah und Fatima und sprachen Arabisch. Sie leben heute in der Familie eines Onkels in Sachsen.

Es ist ärgerlich, daß die Arbeitskraft des deutschen Außenministeriums und die Mittel des Steuerzahlers für religiotischen Schwachsinn dieser Art verplempert werden mußte.

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