Samstag, 19. September 2015

Irre Christen, die sich von Fakten nicht verwirren lassen.

Bekanntlich bin ich der festen Überzeugung, daß weder Staat noch Religion noch sonst irgendwer in persönliche Entscheidungen eingreifen darf – sofern man a) erwachsen ist und b) niemand anders dadurch verletzt.
Über viele Jahrhunderte wurden diese nur die eigene Person betreffenden Dinge von Staat und Kirche brutal sanktioniert. Bei einigen Aspekten bröckelt es aber gewaltig. Daß ein Mann mit einem anderen Mann Sex haben darf oder daß man Marihuana rauchen kann, wird in Deutschland die Mehrheit der Menschen nicht mehr bestreiten, auch wenn es an der Homofront noch kirchliche und an der Haschisch-Front noch staatliche Widerstände gibt.
Andere „Freiheiten,“ die Jahrhunderte nicht existierten, sind heute sogar noch unumstrittener.
Für das Onanie-Verbot oder den Glaubenszwang (wie er immerhin noch in der Bibel in den zehn Geboten steht), die Gleichberechtigung von Mann und Frau oder die Regel, daß Frauen keine Hosen tragen dürfen, wird man nur noch in homöopathischen Dosen Befürworter finden.
Gut so.
Es gibt aber auch Freiheiten, die ich für selbstverständlich halte, die immer noch hochumstritten sind, bzw sogar von großen Mehrheiten negiert werden.
Unter den beiden genannten Bedingungen (Volljährigkeit und niemand Dritten zu schaden) befürworte ich Mehrstaatlichkeit, die vollständige Drogenfreigabe, Ehe zu Dritt oder unter Geschwistern, jede Form der Selbsttötung, die weit gefasstesten Patientenverfügungen, Organtransplantationen, Präimplantationsdiagnostik, Leihmutterschaften und die Forschung an humanen Stammzellen.

Wenn ich viel Phantasie bemühe, kann ich mir vorstellen, daß ein konservativer Christ die Sache mit den Schwangerschaftsunterbrechungen anders sieht.
Er argumentiert gegen die Freiheit eines Menschen, indem er behauptet dies würde einen anderen Menschen umbringen.
Das ist zunächst einmal nicht völlig von der Hand zu weisen.
Allerdings ist ein Zellklumpen im Uterus kein Mensch.
Und es ist auch keineswegs unüblich, daß diese Embryonen absterben. Im Gegenteil; das ist das Urprinzip der Natur: Trial and Error. Alle Tiere produzieren zu viel Nachwuchs, weil einige von ihnen wieder absterben. Das können beim Mondfisch auch schon mal 300 Millionen Eier sein, von denen so gut wie alle Larven gefressen werden. Es gibt Kröten, die befruchtete Embryonen als Nahrung für die älteren Babys produzieren.

Kannibalen im Mutterleib […]  Der Sandtigerhai
[…] Zurzeit leben noch weniger als 1000, einigen Schätzungen zufolge sogar weniger als 300 Sandtigerhaie vor der Ostküste Australiens. Angesichts ihrer Bedrohung ist es nicht gerade hilfreich, dass sich diese Haiart einer auf den ersten Blick ausgesprochen unvorteilhaften Fortpflanzungsstrategie bedient.  "In den beiden Gebärmuttern des Weibchens wachsen jeweils etwa 40 Embryonen heran. Aber sobald sich die Zähne der Kleinen entwickelt haben, fangen sie an, ihre Geschwister im Mutterleib aufzufressen."  Am Ende der Schwangerschaft bleibt pro Gebärmutter nur ein Junges übrig. So bringt ein Weibchen bestenfalls alle zwei Jahre ein oder zwei Junge zur Welt. […]

Den Christen sei an dieser Stelle ins Stammbuch geschrieben, daß auch die meisten menschlichen Embryonen ganz natürlich absterben, bevor sie geboren werden. Das hat Gott so eingerichtet.
Gott ist somit der größte Abtreiber überhaupt. Letztendlich läßt er 9 Embryos absterben, um ein Kind zu erzeugen

How many embryos and fetuses never make it to birth?  How many babies die in natural childbirth?  How many infants die before reaching age five?  The statistics are not good.  The most hazardous journey of life is the first few months. According to the calculations of Gregory Paul (see his published articles here), who used the best figures from embryology and neonatal doctors, as few as one-quarter of all conceptions avoid reabsorption or miscarriage, and of those fetuses that do make it to full-term, another large percentage die during natural childbirth.  It’s obvious that embryos are not well-designed for making it to infancy.
The female body was not well-designed for childbirth, either, since the ratio of fetal skull size to female hip size doesn’t make for great odds for the mother.  Every year, more than half a million women die in pregnancy or childbirth.  Natural evolution, not religion, explains the tough compromises forced on the human body, and why few embryos make it to infancy and so many mothers die in the process.
Although the odds of a fertilized egg making it to a live birth are less than 1 in 5, another hazardous journey through infancy lies ahead.  Before modern medicine, around 20% of children in England and the United States died before the age of five, and that number was much higher in pre-industrial societies.  For most of the existence of our human species, over the past one hundred thousand years or so, probably only around half of all born babies reached the age of five.
All these poor odds add up to the fact that for most of human existence there had to be 10 pregnancies or more to guarantee the life of a single five year old child.

Der Christ des Tages - Teil LXII, Rudolf Gehrig, der mittlerweile 21-jährige glühende Ratzinger-Fan, der beim ultrakonservativen Christensender EWTN untergekommen ist, denkt nicht besonders klar:

Der Kampf für das menschliche Leben – aussichtslos?
Ich bin im September 2014 wieder in Berlin beim „Marsch fürs Leben“ gewesen. Unter der Organisation des Bundesverbandes für Lebensrecht (BvL) hatten sich dort etwa 6.000 Menschen versammelt, um in einem Schweigemarsch friedlich für den Schutz des menschlichen Lebens vom Mutterleib bis zu seinem natürlichen Ende zu demonstrieren. Die große Anzahl der jungen und motivierten Gesichter war beeindruckend. Und dennoch war es nicht ungefährlich. In geplanten Störaktionen beleidigten hauptsächlich linksradikale Gruppen die Teilnehmer mit Sprechchören, warfen vereinzelt mit Farbbeuteln, zerstörten Transparente oder sorgten mit Sitzblockaden für Verzögerungen. Ich fragte mich: Warum tue ich mir das an? Ich kann die verbreitete Abtreibungspraxis nicht stoppen, kann keine Gesetze ändern und wenn ich für meine Meinung auf die Straße gehe, werde ich behandelt wie der letzte Idiot und Schwerverbrecher. Warum lasse ich das nicht einfach bleiben?
Es ist eine feste Überzeugung, die mich immer wieder aufrichtet und stärker ist als jede Resignation: Diese Gesellschaft, die ihre eigenen Kinder tötet, weil sie behindert sind, nicht in den Zeitplan passen oder einfach nicht gewollt waren, die ihre Alten umbringt, weil sie lästig oder teuer werden und in der der Rest ratlos danebensteht und zusieht, wie die Humanität vor die Hunde geht, diese Gesellschaft frisst sich selbst. Das kann nicht lange gut gehen. Aber wenn die Menschheit eines Tages aufwacht und sich entsetzt fragt: „Wie konnte das nur passieren?“, dann möchte ich nicht derjenige sein, den man in der Rückschau als „Mitläufer“ oder gar als „Mittäter“ einstufen wird. Doch bis dieser Zeitpunkt da ist, werde ich mit meinen wenigen Mitstreitern diesen scheinbar aussichtslosen Windmühlenkampf für das Leben weiterführen müssen, damit das Erwachen umso schneller kommt. Am besten, bevor noch mehr Menschen sterben müssen.

Besonders erstaunlich an diesen engstirnigen Christen ist aber, daß sie zur Abtreibungsverhinderung auf ein bewiesenermaßen untaugliches Mittel setzten. Das Strafrecht.
Dabei kann man mit absoluter Sicherheit sagen, daß so Abtreibungen nicht verhindert werden.
In der Nazi-Zeit wurde Abtreibung sogar mit der Todesstrafe belegt. Dennoch haben verzweifelte Frauen abgetrieben – mit dem einzigen Unterschied, daß es nicht legal möglich war und somit viele von ihnen bei irgendwelchen Quacksalbern im Hinterhof verreckten.

Wir wissen aber darüber hinaus, daß in den Ländern mit liberaleren Abtreibungsrecht – Holland zB – die Zahl der Schwangerschaftsunterbrechungen sogar deutlich zurückgeht, weil die Frauen nicht mehr unter dem Druck stehen sich schnell entscheiden zu müssen und sich ggf. eine illegale Möglichkeit zu suchen.
Es ist schwer genaue Zahlen für Deutschland zu finden, aber man geht davon aus, daß es in den 1960er Jahren rund 400.000 Abtreibungen im Jahr gab. Heute sind es aufgrund der liberaleren Gesetze und der Sexualaufklärung nur noch 100.000.
Und es könnten noch weniger sein, wenn Schwangere nicht zu den absurden kirchlichen Beratungen gezwungen würden, sondern sich wirklich Zeit nehmen könnten selbstständig zu entscheiden.

Vollständig absurd wird aber die Position der verklemmten „Christdemokraten für das Leben“ und anderen sogenannten „kirchlichen Lebensschützern“ dadurch, daß sie die wirksamsten Methoden, um es gar nicht erst zu ungewollten Schwangerschaften kommen zu lassen, ebenfalls mit allen Mitteln bekämpfen:
Frühe Sexualaufklärung und freien, unkomplizierten Zugang zu allen Verhütungsmitteln.

Die Rudi Gehrigs dieser Welt sorgen also selbst für immer mehr Abtreibungen, während sie sich unter ihresgleichen dafür rühmen Abtreibungsgegner zu sein.

Heute haben sich die Schwachsinnigen wieder ordentlich in Szene gesetzt.

[…] Etwa 5000 Menschen haben am Samstag in Berlin mit dem sogenannten "Marsch für das Leben" gegen Abtreibungen demonstriert. […] Der "Marsch für das Leben" findet seit 2008 jährlich in Berlin statt - in diesem Jahr unter dem Motto "Ja zum Leben - für ein Europa ohne Abtreibung und Euthanasie!". Die Teilnehmer demonstrierten schweigend. Ihr Protest richtete sich gegen Abtreibungen, aber auch gegen Sterbehilfe und Präimplantationsdiagnostik.
[…] "Töten ist keine ärztliche Kunst" stand beispielsweise auf dem Schild der Teilnehmerin Madeleine Stahl. "Ich bin hier, weil ich für das Leben bin und gegen die Tötung von unschuldigen Lebewesen", sagte die 27-Jährige. "Ich bin gegen jede Art der Abtreibung, für mich ist das eindeutig Mord. Die Entscheidungsfreiheit von Frauen kann nicht so weit gehen, Lebenwesen zu töten."
[…] Grußworte zum "Marsch für das Leben" sendeten diverse Prominente wie Erzbischof Reinhard Kardinal Marx oder die Bundestags-Politiker Volker Kauder (CDU) und Johannes Singhammer (CSU). Auch Grünen-Politiker Volker Beck zählt das Bündnis in der Liste der Grußwort-Sendenden auf. […]


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