Mittwoch, 2. September 2015

Radikale Spitzen.

Gestern Nacht hatte ich wieder meine masochistische Phase und sah mir auf BR die „Münchner Runde“ zum Thema „100 Jahre FJS  an.
Gästin Franziska Augstein, eine der intelligentesten Journalisten Deutschlands, brachte mich dazu die glühenden Strauß-Fans Gauweiler, Hohlmeier und Gottlieb zu ertragen. Über die Politikerin Monika Hohlmeier habe ich in meinem ganzen Leben nur Schlechtes gehört, aber als Privatperson tut sie mir irgendwie Leid, weil sie mit ihren inzwischen 53 Jahren ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten aussieht – und das in dem Fall kein Kompliment.
Aber das nur am Rande.

Pseudo-Moderator Gottlieb, der es nach wie vor nicht versteht auch nur den Hauch von Neutralität zu erwecken, sondern immer völlig ungeniert und sabbernd die CSU lobpreist, wollte einmal ganz forsch sein und bat Augstein, die er sichtlich empört als Strauß-Kritikerin empfand, aufzulisten was sie an FJS schätze.

Sie entgegnete, FJS sei es vermutlich zu verdanken, „uns die Nazis vom Hals gehalten zu haben“. Ende der 1960er hätte die NPD kurz vor dem Einzug in den Bundestag gestanden, aber da Strauß dermaßen offensiv selbst rechte Themen ausposaunte, hätten viele NDP-Sympathisanten gleich CDU/CSU gewählt.
Allerdings habe er sich damit gleichzeitig die Kanzlerschaft 1980 versaut. Denn so einer sei bundesweit eben nicht mehrheitsfähig gewesen.

Bis heute gibt es bei CDU/CSUlern den Impetus immer mal wieder etwas nicht nur schwarzes, sondern braunschwarzes zu sagen, weil das den Wählern gefiele.
Das bliebe in Erinnerung, das nähme den ganz Braunen die Themen weg und zahle sich an der Wahlurne aus.

Edmund Stoiber, der angesichts der Asylanten vor einer „durchmischten und durchrassten Gesellschaft“ warnte, mußte nicht etwa sofort zurück treten, sondern erhielt sogar eine Zweidrittel-Mehrheit der Sitze im Bayerischen Landtag.

[…] Bayerns Ministerpräsident Horst Seehofer kann, 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs, öffentlich über Lager für bestimmte Volksgruppen auf deutschem Boden nachdenken, ohne sofort zurücktreten zu müssen. […]

Mit einer dezidiert ausländerfeindlichen Politik wurde Roland Koch vier Mal zum Ministerpräsidenten gewählt, obwohl er durch seine schlimmen Lügen (Stichwort „jüdische Vermächtnisse“) bei einem moralisch funktionierendem Volk eigentlich unwählbar gewesen sein müßte.

Ähnliches gilt für die Sachsen-CDU, die immer wieder klar NPD-Positionen übernahm und damit große Mehrheiten errang. Im bräunlichen Sachsen klappt das.

Möglicherweise gibt es aber doch Grenzen dieser strategischen Rechtslastigkeit der Unionisten.
So sind die Anwohner vieler Heimatvertriebenen-Unterkünfte weit freundlicher und hilfsbereiter, als die alarmistischen de Maizière und Co, die immer von den „Grenzen der Aufnahmefähigkeit“ schwadronieren, glauben machen wollen.


Es stößt doch eher ab, wenn Merkel eiskalt ein Flüchtlingsmädchen zum Weinen bringt, indem sie ihr an den Kopf schleudert, Deutschland könne halt nicht alle Flüchtlinge aufnehmen  - als ob das irgendwer vorgeschlagen hätte.

Sogar mitten in Bayern, in der Hauptstadt München, erleben wir gerade eine große Hilfsbereitschaft der Bevölkerung.

Die Züge aus Ungarn mit Tausenden Flüchtlingen haben in München eine Welle der Hilfsbereitschaft ausgelöst. Hunderte Spender brachten Lebensmittel, Kleidung, Zahnbürsten, Windeln und andere Geschenke für die Asylbewerber zum Hauptbahnhof. «Wir danken sehr herzlich dafür, können das alles aber gar nicht mehr verarbeiten», sagte ein Polizeisprecher am Abend. Wer weiter helfen wolle, solle die Sachspenden zu den Erstaufnahmeeinrichtungen bringen.
(STERN 01.09.2015)

Man glaubt es kaum, aber wenn man sich nicht gerade in der Sächsischen Schweiz befindet, sind die Normalo-Deutschen weit weniger antihumanistisch, als es ihre Führer erahnen lassen.

Das gilt sogar für das seit einigen Jahren stramm rechts, antizigan, homophob und antisemitisch tickende Ungarn.

"Infektionsgefahr", "aggressive Belagerer", "Tsunami": So hetzt die ungarische Regierung gegen Flüchtlinge. Staatliche Hilfe? Fehlanzeige. Doch viele Bürger engagieren sich gegen Fremdenhass und für Mitmenschlichkeit.
Es war ein eisiger Abend Ende Januar, als Balázs Szalai heißen Tee in Thermoskannen füllte, Kekspackungen im Dutzend kaufte und zusammen mit Freunden an die Grenze fuhr. Sie verteilten die Lebensmittel an Flüchtlinge, die dort in der Kälte ausharrten, von der Polizei festgehalten. Szalai hatte die Bilder im Internet gesehen, verzweifelte Familien mit frierenden Kindern. "Da dachte ich, dass ich etwas tun muss", sagt Szalai. Seit damals verbringt er einen Großteil seiner Freizeit damit, Flüchtlingen zu helfen.
Der 34-Jährige lebt im südungarischen Szeged, ist Programmierer und hat eine kleine IT-Firma. Von seiner Heimatstadt aus sind es nur wenige Kilometer bis zur serbischen Grenze. Dort kommen seit Monaten immer mehr Flüchtlinge an, ihre nächste Station ist meistens der Bahnhof in Szeged.
Balázs Szalai kauft für sie Fahrkarten, übersetzt Formulare von Behörden oder organisiert medizinische Versorgung - ehrenamtlich. Im Juni gründete er zusammen mit Freunden die Initiative MigSzol, zu Deutsch Migranten-Solidarität, nachdem Szegeds Bahnhofsverwaltung Flüchtlinge abends aus dem Wartesaal des Bahnhofs herausgeworfen hatte. MigSzol betreibt seitdem vor dem Gebäude eine Anlaufstelle für Flüchtlinge. Es gibt Verpflegung, Decken, einen Internetzugang, Rechtsberatung und mobile Toiletten - finanziert großteils aus privaten Spenden.
Das Verhalten der Bahnhofsverwaltung in Szeged sei nur eines von zahlreichen Beispielen dafür, wie Regierung, Behörden und viele öffentliche Einrichtungen in Ungarn mit Flüchtlingen umgingen. "Es ist eine Schande", sagt Balázs Szalai.[…]

Richtig übel verhalten sich gegenüber den Vertriebenen außer den konservativen Politikern vor allem die Kirchen, die mit Abschiebe-Forderungen gegen Menschen agitieren.

Dietmar Metzner bot dem Freistaat Sachsen eine Halle in Großröhrsdorf als Asylbewerberheim an. Doch nach Widerstand aus Rathaus und Kirche machte er einen Rückzieher.
Bis zu 700 Asylbewerber hätten hier nach Auskunft der Landesdirektion unterkommen können: Eine Halle der Firma MB-Portatec im sächsischen Großröhrsdorf sollte in diesen Tagen zur Erstunterkunft umgebaut werden. Viele im Ort wehrten sich dagegen. Für Mittwochabend ist eine Einwohnerversammlung geplant, für Donnerstag eine Demonstration vor der Halle. Selbst der Pfarrer und die Bürgermeisterin waren mit der neuen Unterkunft nicht einverstanden. Nun hat die Firma, der das Gebäude gehört, ihr Angebot zurückgezogen.

In die abscheuliche Ecke stellte sich heute auch Bayerns Sozialministerin, die aus Merkels peinlicher Reem Sahwil-Affäre nichts gelernt hat.

Die Mitglieder der Hamburger Landesregierung – insbesondere  Bürgermeister, Zweite Bürgermeisterin und Sozialsenator – haben schon viele Flüchtlingsunterkünfte besucht.
Sie tun das hier aber grundsätzlich unangekündigt und ohne Presse, weil sie sich wirklich ein Bild verschaffen und helfen wollen; weil sie es mit der Menschenwürde nicht vereinbar finden das Schicksal einzelner auszunutzen, sie vor die Kamera zu zerren, um sich als Politiker zu inszenieren.
BRAVO.
Das Gegenteil in Bayern. Emilia Müller schert sich einen Dreck um den einzelnen Flüchtling, sieht in ihm nicht den Menschen, sondern nutzt den Termin nur zur billigen Eigenwerbung, um den vermeidlich rechten Wählern zu zeigen, wie hart sie rangeht.

"Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?"
Bayerns Sozialministerin Emilia Müller spricht mit einem Mann aus dem Kosovo - mit dem Einfühlungsvermögen eines Eisklotzes. Sie bleibt damit der Parteilinie treu.
Der verbale Ausrutscher des bayerischen Innenministers ist noch keine 24 Stunden her, als eine andere CSU-Ministerin vor die Kameras tritt und mit ihren Äußerungen für Frösteln sorgt. Anders als Joachim Herrmann, dessen Lob für "den wunderbaren Neger" Roberto Blanco man durchaus als Affäre betrachten darf, leistet sich Emilia Müller eigentlich nichts Ungewöhnliches. Eher etwas sehr CSU-Typisches: völlige Empathielosigkeit gegenüber flüchtenden Menschen.  […]
"Sie sind gut untergebracht? Gut. Sie wissen aber, dass Sie zurück müssen?", fragt Müller einen Mann im Abschiebezentrum. Das Gespräch vor laufender Kamera dauert zwar nur wenige Sekunden, aber Müller schafft es, dabei wie ein Eisklotz rüberzukommen. "Die Situation im Kosovo ist schwierig", sagt sie zu ihrem Gegenüber - einem Mann, der aus Kosovo stammt. […]

Die CSU ist und bleibt eine abscheuliche Partei, die völlig herzlos agiert.
Bitte nicht wiederwählen!

[…] 2015 = 1992 + Internet? Die Situation von heute gemahnt an die vor 23 Jahren, an Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, als sich die Nachrichten anhörten wie ein Bericht vom Krieg des Mobs gegen Flüchtlinge. Damals wurden in Hoyerswerda die Asylbewerber unter Gejohle aus der Stadt gekarrt. Der Terror gegen Ausländer müsse sein, sagte ein Bewohner dem TV-Reporter, "bis wir frei sind von dem Viehzeug".  […] Die Zahl der Flüchtlinge in Deutschland lag damals bei einem Viertel der Zahl, die für 2015 erwartet wird.
[…] Damals hat die Politik dem Druck der Straße, den sie selbst miterzeugt hatte, nachgegeben: Das alte Asylgrundrecht wurde abgeschaltet; man meinte, man könne so auch das Flüchtlingsproblem ausschalten. Es war der untaugliche Versuch einer paragrafengestützten Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Politik. Deren Untauglichkeit zeigt sich heute im Mittelmeer und in Lastwagen.
[…] Die überfallenen Flüchtlinge wurden nicht als Opfer, sondern als Störer betrachtet; die Offensive gegen das Asylrecht wurde als Offensive gegen ausländerfeindliche Gewalt ausgegeben. Das ist lange her, muss aber Lehre sein. Damals meinte man, man könne mit einem zerknüllten Grundrechtsartikel den Rechtsextremen den Mund stopfen. Es war der wohl folgenschwerste Irrtum in der politischen Geschichte der Bundesrepublik.
Damals begannen braune Kameradschaften, sich zu radikalisieren. Eine davon ist der NSU, die Bande, die zehn Menschen ermordet hat. Es ist bitter, dass der alltägliche, gewaltbereite Rassismus seit der Aufdeckung dieser Morde kein großes Thema geworden ist. Bürger, die sich Neonazis entgegenstellen, erhalten nach wie vor wenig Hilfe.
[…] Und: Man sollte die Asylpolitik nicht, wie bei den Roma, zur Diskriminierungspolitik machen; die Debatte über sichere Herkunftsländer erinnert ein wenig an die über die Änderung des Asylgrundrechts.
Per Definition werden Probleme nicht bewältigt. Es braucht eine gewaltige Anstrengung, die Humanität und Ökonomie verbindet und die Kraft des Guten weckt. Das ist nicht nur Gutmenschentum, das ist praktische Vernunft. Und das ist zugleich der Aufstand der Anständigen.



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