Mittwoch, 6. Juli 2016

Stimmungssache Europa.



Nach dem Brexit kommt es nun auf Deutschland an, wie es in der EU weitergeht.
Merkel ist am Zug.
Das ist ganz großer Mist, denn kaum ein Regierungschef wäre ungeeigneter für die Rolle des Mutmachers, Strategen und Ideengebers Europas.

Tiefer als in Merkels Hand kann Europa nicht mehr fallen. Das ist keine beruhigende Aussicht. Jetzt hängt das Schicksal des Kontinents von der Kanzlerin ab. Ausgerechnet. Denn Angela Merkel ist die Meisterin des Wartens. Sie wartet. Und wartet. Und wartet. Bis es zu spät ist. Schon die Finanzkrise hat Angela Merkel nicht genutzt, um Europa neu zu gründen. Sonst stünde uns der Brexshit nicht bis zum Hals. Wenn Merkel auch jetzt die Hände zur Raute in den Schoss legt, dann ist Europa erledigt.
Die Briten haben recht. Das undemokratische Europa stinkt. Aber wenn einem das Essen nicht geschmeckt hat, sollte man nicht das Restaurant anzünden und dann draußen Selbstmord begehen. Ja, das Referendum vom 23. Juni war ein vorbildloser Akt der Selbstvernichtung.

Merkel ist selbst die ewige Bremserin und tat sich am Post-Brexit-Wochenende mit ihrem Intimfeind Seehofer zusammen, um die Proeuropäer Juncker, Hollande, Gabriel und Schulz zu stoppen.
Eine Vertiefung der EU, eine Machtverlagerung nach Brüssel dürfe es jetzt nicht geben.
Konvente, Änderungen am europäischen Vertragswerk?
Nicht mit Merkel.
„Das ist jetzt nicht das Gebot der Stunde!“ stellte die Kanzlerin zur Freude ihrer EU-skeptischen Schwesterpartei in Brüssel fest.

Nachdem die zweitstärkste Volkswirtschaft England sich selbst aus der EU kegelte, ist Deutschland in Relation noch dominanter und mächtiger.
Die südeuropäischen Staaten, die bisher schon unter germanischer Dominanz litten, haben noch mehr Grund sich zu fürchten.
Allerdings ist Merkel mit London auch ihren wichtigsten Partner wider Bankenregulierung und Investitionsprogrammen los.
Die teutonische Sparwut ist der eigentliche Totengräber der proeuropäischen Stimmung.
Merkel steht in dieser Frage nun allein gegen Renzi, Hollande und Gabriel, kann nicht mehr ihren britischen Wadenbeißer vorschicken.

Frankreich ist hingegen von der ökonomischen Nummer 3 zur Nummer 2 aufgerückt. Zudem ist Frankreich jetzt die einzige Atommacht und die einzige UN-Vetomacht der Union.
Ohne den Sozialisten François Hollande, 62, geht gar nichts mehr in Europa.
Glücklicherweise ist er im Gegensatz zu Merkel ein großer Freund einer stärkeren EU und steht auch ganz offensichtlich für eine weniger ideologische und dafür effektivere Wirtschaftspolitik.
Paris sollte also zum ganz großen Spieler Europas werden und damit der EU sehr hilfreich sein.
Unglücklicherweise ist Hollande politisch sagenhaft ungeschickt und vermochte es in Rekordzeit sich zum unbeliebtesten Präsidenten aller Zeiten zu wandeln.
Ihm klebt die Seuche an den Händen; was er anpackt, geht schief.
Obwohl die oppositionellen Republikaner in einem Korruptionssumpf untergangen sind, stehen seine Chancen wiedergewählt zu werden extrem schlecht; es ist sogar höchst unklar, ob er von seiner Partei überhaupt noch mal ins Rennen geschickt wird.
Gewählt wird im April 2017 und die winzigen Chancen, die die Sozialisten überhaupt noch haben, könnte wenn überhaupt wohl nur François Hollandes Parteifreund Emmanuel Macron, 38, ergreifen.
Gegenwärtig liegt aber die rechtsradikale Kandidatin Marine Le Pen in allen Umfragen weit vorn.
Das ist das Problem bei Plebisziten wie dem Brexshit oder der österreichischen Präsidentenwahl, die jetzt wiederholt werden muß, weil die Alpenrepublik leider nicht in der Lage war ganze 4,4 Millionen Stimmen richtig auszuzählen.
Plebiszite sind die Stunde der Populisten.
Hier haben Desinformation und Angstkampagnen ihre Chance.
Bei einer direkten Demokratie können sich die Demagogen besser als bei einer indirekten Demokratie durchsetzen.
Norbert Hofer, Marine Le Pen, Donald Trump, Boris Johnson und Nigel Farage sind die besten Beispiele dafür.
Wer will schon auf Argumente und Fakten hören, wenn Springer oder Murdoch xenophobe Ressentiments schüren und die Spitzenkandidaten ebenfalls lügen wie gedruckt?
Direkte Demokratie ist die Diktatur der Inkompetenz.
Es ist nur folgerichtig, daß nach der blamablen Selbstdemontage der Chaos-Piraten nun Seehofer und seine populistische ausländerskeptische CSU für mehr Plebiszite eintreten.

Wesentliche und komplizierte Entscheidungen überlasse man lieber den Fachleuten, den professionellen Volksvertretern.

Zöge 2017 Le Pen in den Elysee ein, betriebe sie den Austritt Frankreichs aus der EU und das Projekt Europa wäre tot.
Ob es soweit kommt, hängt von der Stimmung in Frankreich ab.
 Plebiszite wie der Brexshit sind reine Stimmungssache. Rationalität und hat da keinen Platz.
Dem Front National spielt gegenwärtig eine starke antideutsche Stimmung in die Hände. Dieselbe Stimmung, die vermutlich auch in England den Ausschlag zu Gunsten des Leave-Lagers gab.
Perfiderweise kommen die starken Ängste vor deutscher Dominanz in der EU gleichermaßen von der ganz linken und der ganz rechten Seite.
Die einen hassen Merkel dafür, weil sie vermeintlich die Grenzen für Millionen Muslime öffnete und die anderen hassen sie für ihre Austeritätspolitik, die die Wirtschaft abwürgt.

Was erlaubt sich Allemagne!
In Frankreich blühen zur Griechen-Krise die tollsten antideutschen Ressentiments. Gemäßigte Kreise loben zwar Merkel, radikale empfehlen aber einen „Germexit“.

Es ist also auch eine Stimmungssache, wer in Frankreich während einer gewaltigen EU-Krise Präsident wird.
Um die wirklich miese Stimmung in Frankreich und die nach dem Britischen EU-Aus noch angestiegenen Ängste vor deutscher Dominanz zu dämpfen, wäre es äußerst wünschenswert, wenn Berlin mehr auf Hollande hörte.

Besonders unglücklich wäre es aus französischer Sicht wenn der überdominante Fußball-Weltmeister bei der EM im eigenen Lande auch noch Frankreich schlüge und womöglich auch Europameister würde.

Sport ist mir völlig egal, aber nationale Stimmungen sind auch politische Stimmungen und die können gerade sehr gefährlich sein.

Daher bete ich intensiv dafür, daß Frankreich morgen im EM-Halbfinale Deutschland deutlich schlägt und nach Hause schickt, daß Frankreich möglichst das Turnier gewinnt.
Möge sich die Stimmung bessern, so daß nicht dumpfe Nationalisten à la Le Pen eine miese Stimmung ausnutzen können.

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