Mittwoch, 14. Juni 2017

Grundkonservativ.

Es gibt gewisse Dinge, die widerstreben einem schon lange bevor darüber nachdenkt, ob man sich selbst als konservativ oder eher progressiv einschätzt.

Als Kleinkind mochte ich schon keine Konformität. Wenn wir neue Winterschuhe kaufen gingen, zog ich gleich ein langes Gesicht, wenn die Verkäuferin sagte „die werden dieses Jahr sehr gern genommen!“
Ich konnte es auch nicht leiden, wenn andere ausgegrenzt wurden.
Man spielte nicht mit Christoph, weil der stotterte und auch nicht mit Jan, weil der ja noch mit seinen Eltern in diesen „Nissenhütten“ wohnte.
(Nicht, daß ich als Minigör gewußt hätte was eine „Nisse“ ist, oder weswegen es nach dem Krieg notwendig war solche eher primitiven Häuser zu bauen, aber man begriff den abfälligen Ton.)
Als etwas älterer Schüler verabscheute ich dann die Typen, die in steter Sorge um ihre Abiturnoten nach jeder Stunde zum Lehrer gingen, um sich selbst ins beste Licht zu rücken, oder als Helferling dem Erdkundelehrer die Karten zu tragen.
Damals kam es mir gar nicht in den Sinn an meine eigenen Noten zu denken.
Noch etwas später, an der Uni, beobachtete ich denselben Typ Mensch. Die Geschniegelten, die Anzug trugen und nach jeder Vorlesung zum Prof rasten, um ihn anzulächeln.
Einmal fragte ich einen, was er eigentlich nach jeder einzelnen Vorlesungsstunde dem Prof noch privat zu sagen hätte, weil ich das während des gesamten Studiums genau Null mal tat.
Ach, er sage dem immer wieder, daß dies seine Lieblingsvorlesung wäre. Man müsse schließlich an seine Note beim abschließenden Kolloquium denken. Da habe man doch viel schlechtere Chancen, wenn einen der Prof noch nie bewußt gesehen hätte.
Ich war zwar damals schon erwachsen, aber ich glaubte nicht an den Erfolg des affirmativen Schleimens, stellte mir vor, wie ich als Prof solche Streber verachten würde.
Offenbar steckte da noch eine Portion irrationale Philanthropie in mir.
Jetzt, in alt und abgeklärt, glaube ich auch, daß die meisten Menschen, die es in der Hierarchie bis in eine hohe Position gebracht haben, für Schmeicheleien und Lobpreisungen empfänglich sind.
Das liegt in der Natur der Sache. Da diese Methoden angewendet werden, ist es wahrscheinlich, daß Menschen am oberen Ende der Karriereleiter ebenfalls das Fahrradfahrer-Prinzip verinnerlichten:
Nach oben buckeln, nach unten treten. Das funktioniert.

Nun wissen es Preet Bharara und James Comey genau:
Wenn man unter Trump seinen Job behalten will, muß man nicht den politischen Regeln folgen, braucht sich nicht an Gesetze oder die Verfassung halten, sondern man hat sich Trump unterzuordnen.
Loyalität  und Dankbarkeit zu bekunden reicht aber nicht.
Vor Trump muß man kriechen, man hat sich auf den Boden zu werfen und ihm coram publico ausführlich den Hintern zu küssen.

Das Trumpsche Kabinett führte gestern eindrücklich vor, wie professionelles Speichellecken nach einer vollständigen Rückgratentfernung aussieht. (….)

Ich glaube nicht, daß Trumps Minister die sprichwörtlichen Probleme haben, sich noch im Spiegel anzusehen.
Vermutlich sind sie stolz auf ihr Verhalten, weil es den gewünschten Erfolg hatte.
Menschen, die auch nur über Rudimente von Schamgefühl verfügen, können ohnehin nicht Minister unter Trump werden.
Obrigkeitsdenken ist der Kern des Konservatismus.
Deswegen nennt man CDU-Parteitage „Kanzlerwahlverein“. Da wird nicht aufgemuckt, da wird gemacht, was die Chefs wollen. Nicht konservative Menschen haben erheblich mehr Probleme sich derart zu verbiegen. Sie legen Wert auf Augenhöhe. Deswegen duzen sich Sozialdemokraten, deswegen sind Parteitage der linkeren Parteien auch sehr viel ungemütlicher für die Führung.
Konservativ zu sein, bedeutet den Wunsch zu haben vor jemand das Haupt zu beugen und gleichzeitig möglichst viele Menschen dazu zu bringen, daß Haupt vor einem zu beugen.
Genau das was mich als Linken am Verhalten der Trump-Minister abstößt, ist für diese ein Hochamt ihrer Weltsicht. Sich vor Gott/König/Trump klein machen, um den noch weiter unten Stehenden zu demonstrieren, wie sie sich vor ihnen klein machen sollen.
Wir kennen dieses Prinzip aus den abrahamitischen Religionen, die nicht zufällig politisch so gut wie immer auf der Seite der Herrschenden und Konservativen stehen.
Muslimen und Christen fällt es gar nicht schwer vor ihrem imaginären Oberhaupt zu kriechen, zu buckeln, zu knien. Sie tun das gern, weil der Akt der Unterwerfung an sich das Symbol für eine ungleiche Gesellschaft ist.
Eine Gesellschaft mit denen oben und den vielen unteren Ausgegrenzten: Kinder, Frauen, Schwule, Schwarze, Sklaven, Diener, Ausländer – möglichst viele sollen ganz unten stehen, weniger Rechte und Ehre haben.
Ein evolutionärer Humanist lehnt genau wie ein Kommunist diese grundsätzlichen Klassenunterschiede ab.
Trump-Fans hingegen wollen mehr Klassenunterschiede.
Wenn Außen- und Justizminister coram publico dem Gottkönig in den Hintern kriechen, umso besser.

[….] Um Donald Trumps erste Kabinettssitzung zu beschreiben, braucht die US-Presse bloß ein Wort, so scheint es: weird. Also seltsam, bizarr, schräg. [….] Die Minister taten wie ihnen geheißen und stellten sich vor - und nutzten ihre kurze Redezeit allesamt dazu, Trump überschwänglich zu loben. Jeder Minister äußerte vor den Kameras der Journalisten, wie großartig es doch sei, diesem Präsidenten dienen zu dürfen. Vizepräsident Mike Pence nannte seinen Job an Trumps Seite "das größte Privileg in meinem Leben", Stabschef Reince Priebus sagte zur Überraschung aller: "Danke für die Möglichkeit, Ihnen zu dienen." Und Justizminister Jeff Sessions säuselte Trump offenbar ganz ironiefrei zu: "Sie haben die exakt richtigen Botschaften gesetzt, die Reaktionen überall im Land sind fabelhaft."

[….] Die US-Medien sind verblüfft, so etwas hatte dann doch niemand erwartet. Der New York Times-Politik-Redakteur Glenn Thrush schreibt auf Twitter über die Sitzung, sie sei "eine der peinlichsten öffentlichen Veranstaltungen, die ich je gesehen habe".  Washington-Korrespondent des Senders CNBC, John Harwood, beschreibt die Szenen im Weißen Haus "wie eine Szene aus der Dritten Welt". Das Portal  Vox.com schreibt gar von Gemeinsamkeiten der Szene zu Shakespeares "King Lear", und tatsächlich erinnert die Eröffnung der Kabinettssitzung an das Drama, in dem alle Töchter (hier: Minister) dem König (Präsidenten) ihre Liebe (ja: Liebe) bekunden müssen, um nicht enterbt (gefeuert) zu werden. […..]

Die spinnen, die Amis.
Das ist sicher richtig. Aber sie spinnen nicht allein. Auch in anderen Gesellschaften wird Selbstbewußtsein und Egalität eher in Sonntagsreden beschworen. Dem Chef gegenüber zeigt man sich aber lieber devot und servil. So erreicht man etwas im Leben.

[….] Schleimer kommen weiter. [….] In jedem steckt ein kleiner Donald Trump: Menschen finden es schön, wenn ihnen geschmeichelt wird. Für ein bisschen Zuneigung sehen sie auch darüber hinweg, dass der Schmeichler ein egoistisches Ziel verfolgen könnte. Wer Karriere machen will, kann sich deshalb ein Beispiel an Trumps Ministerrunde nehmen.
Schmeicheln und Loben gehören zu den erfolgreichsten Strategien, um andere zu beeinflussen. Für das Berufsleben erforscht das die Wirtschaftspsychologie. Verschiedene Studien zeigen: Menschen, die Vorgesetzten und Personalern interessiert zuhören, zustimmend zunicken und zeigen, dass sie sie wertschätzen, werden eher eingestellt, bekommen ein höheres Gehalt und bessere Beurteilungen.
Natürlich zahlt kein Chef bewusst für Komplimente. Doch wenn der Arbeitnehmer ihm angenehm auffalle, ihn bestärke und so seine Stimmung erhelle, vergrößere das dessen Bereitschaft, von den eigenen Vorstellungen abzuweichen, sagt Gerhard Blickle. Als Professor leitet er die Abteilung für Arbeits-, Organisations- und Wirtschaftspsychologie der Universität Bonn. Vorschläge eines schmeichelnden Angestellten werden demnach weniger kritisch beäugt, die ein oder andere unerfüllte Voraussetzung in einer Stellenbeschreibung sieht der Entscheider nicht mehr als großes Problem an.
Ob die Wertschätzung durch den Bewerber oder Arbeitnehmer ernst gemeint oder geheuchelt ist, spiele für den Erfolg keine Rolle, sagt Blickle: "Hauptsache, es kommt authentisch rüber." Entscheidend ist dafür die Sicht des Betrachters, und der sei bei der Bewertung besonders großzügig. Das heißt: Während der unbeteiligte Zuhörer eine Lobeshymne schon als peinlich empfindet, fühlt sich der Adressat dabei noch wohl. "Aus der Perspektive desjenigen, der im Mittelpunkt steht, kann man nicht viel falsch machen - die meisten Leute sind ziemlich empfänglich dafür, gelobt zu werden", sagt Blickle. [….]

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