Dienstag, 8. August 2017

Wissenslücken und Interessenlücken.

Deutsche Christen wissen wenig über ihre Privilegien; die weitgehend staatliche Finanzierung ihrer Ideologie interessiert sie nicht.
Der Staat bezahlt sie dennoch üppig, weil auch Konfessionslose und Atheisten in der Mehrzahl desinteressiert sind.

Auf meine Anti-Kirchen-Buttons am Revers angesprochen höre ich oft:
„Also ich bin ja auch ungläubig, aber was haben sie denn gegen die Kirchen; die tun doch so viel Gutes!“

(….) Es entwickelte sich der Standard-Dialog, den ich so ähnlich schon oft führte.

„Du kannst gern weiter Christin bleiben, ich würde mich sogar dafür stark machen, daß Du Dein Christentum frei ausleben kannst, weil ich für Religionsfreiheit bin!“
-      Und wieso interessiert dich das denn so?
-      „weil ich von euch Christen in Ruhe gelassen werden möchte, ich will euch nicht finanzieren und außerdem gehören die staatlichen Privilegien abgeschafft. Das verlangt schon die Weimarer Reichsverfassung seit 100 Jahren!“
-      So ein Unsinn; ich bin bald neun Jahrzehnte Christin in Deutschland. Wir haben doch keine Privilegien!
-      „Na klar habt ihr die! Ich bezahle eure Bischofsgehälter mit und darf zB am Karfreitag nicht tanzen, obwohl ich ungläubig bin!“
-      Hm, also das habe ich ja noch nie gehört, aber sonst treffe ich ja auch keine Ungläubigen.

Darum kreißt es halt immer wieder. Da lebt man Tür an Tür und spricht nicht über diese Dinge. Politiker und Kirchenvertreter sprechen natürlich von sich aus nie über Kirchenprivilegien und so glauben selbst viele Atheisten, daß alles ganz OK ist, weil die Kirche ihre vielen sozialen Wohltaten mit der Kirchensteuer bezahle.

Die Ansicht, Kirche wäre gut und „gottlos“ sei schlecht ist so tief im kollektiven Konnotationsbewußtsein verankert, daß man ohnehin nur mäßig interessiert an nackten Zahlen ist.

Pro Tag werden werden in Deutschland 25 Millionen Euro in „Kirchensteuer“ bezahlt. In Wahrheit ist das natürlich keine Steuer, sondern Mitgliedsbeiträge, die der  Staat als Inkassounternehmen für Katholen und Evangelen eintreibt.
Eine feine Sache. 
Die christlichen Kirchen kassieren also allein in Deutschland über eine MILLION EURO PRO STUNDE!
Damit werden aber nicht etwa die „sozialen Leistungen“ finanziert. [….] Von den allein in Deutschland über eine MILLION EURO PRO STUNDE an die Kirchen gezahlten Mittel werden aber auch nicht Bischofsgehälter oder Theologenausbildung bezahlt.
Auch das stopft der Steuerzahler – von denen eine relative Mehrheit nicht Mitglied einer Kirche ist – RKK und EKD noch zusätzlich in den Allerwertesten. 
[….] Offensichtlich werden wir aber von Volksvertretern bestimmt, die in ihrer überwältigenden Mehrheit die Mehrheit der Konfessionslosen ignorieren und die darüber hinaus auch noch die Verfassung ignorieren.

Gerade 40 Sekunden benötigte der Bundestag, um den lästigen Tagesordnungspunkt abzuhandeln. Im Schnellverfahren votierten am frühen Freitagmorgen die wenigen noch im Plenum anwesenden Abgeordneten um 0.26 Uhr ohne Aussprache, aber mit großer Mehrheit dafür, weiterhin das Grundgesetz zu ignorieren. Wenn es um das gute Verhältnis zu den beiden Großkirchen geht, kommt es für die Fraktionen von CDU, CSU, FDP, SPD und Grünen nicht so drauf an. Gemeinsam stimmte die ganz große Koalition gegen einen Gesetzentwurf der Linkspartei, der den Einstieg in den Ausstieg aus den historisch begründeten Staatsleistungen an die Kirchen bedeutet hätte.
Unglaublich, aber wahr: Damit bleibt ein seit 94 Jahren bestehender Verfassungsauftrag nach wie vor unerfüllt. Dabei ist der Auftrag eindeutig: "Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst“. […]

Man stelle sich vor irgendeine andere Organisation, die seit Jahrzehnten systematisch Kinderficker in ihren Reihen vor der Staatsanwaltschaft schützt, würde in ähnlich unverfrorener Weise die Hand beim Steuerzahler aufhalten! (…)

In Amerika ist das Vorurteil gegen Atheisten so weit ausgeprägt, daß laut der allerdings stramm religiösen Tempelton-Stiftung sogar Atheisten Gläubige für bessere Menschen halten – so verbreitet es die konservative WELT:

Selbst Atheisten halten Gläubige für bessere Menschen
Eine Umfrage (John Templeton Foundation)  unter Gläubigen und Ungläubigen bringt Erstaunliches zutage. Menschen trauen einem Atheisten eher einen Mord und andere Straftaten zu als einem Gläubigen – wegen der Strafe Gottes. [….]

Verrückt, Gläubige sind demnach so schlechte Menschen, daß sie nur durch Androhung der Höllenstrafe von ihren Missetaten absehen.

Der Unsinn, daß Gläubige bessere Menschen wären, ist wissenschaftlich nicht zu verifizieren; im Gegenteil.
Eine internationale Studie von Prof. Dr. Tatjana Schnell liefert Hinweise.

[…] Wenn Sie so etwas wie Wertorientierung meinen, dann gibt es keinen Grund zur Sorge. Sie ist bei den Konfessionsfreien in unserer Studie überdurchschnittlich hoch ausgeprägt. Dabei geht es um Toleranz, um eine gütige und freundliche Haltung anderen gegenüber, um die Bereitschaft, Einschränkungen des Lebensstandards in Kauf zu nehmen, wenn dadurch das Leid anderer gemildert wird, sowie um die Bereitschaft, Hilfsbedürftige zu unterstützen.
[…] Humanistinnen bzw. Humanisten berichteten die höchsten Werte in Bezug auf Toleranz, soziale Gerechtigkeit und achtsamen Umgang mit anderen Menschen. Sie litten am seltensten unter Sinnkrisen und erlebten etwas häufiger als andere Konfessionsfreie angenehme, positive Gefühle. Insgesamt wiesen alle Gruppen jedoch mehr Ähnlichkeiten als Unterschiede auf; die Unterschiede waren gering. [….]

Die in 2000 Jahren tradierten positiven Vorurteile gegenüber der Kirche sind so stark, daß auch die widerlichsten und offensichtlichen Missetaten kaum etwas ausrichten.
Auch tausende gequälte und misshandelte, vergewaltigte und gefolterte Kinder bringen 1,3 Milliarden Menschen nicht dazu aus der Kirche auszutreten.
Dabei beharrt die RKK bis zum heutigen Tag auf den Strukturen, die den myriadenfachen Kindesmissbrauch begünstigen.

Der extrem fakenphobische Weihbischof Laun entblödete sich nicht 2010 in einer TV-Runde zu erklären, die RKK habe vorher gar nichts gegen sexuellen Missbrauch unternehmen KÖNNEN, weil sie davon ja gar nichts geahnt hätte.
Daß ganz normale kleine Blogger und ganz normale Mainstreammedien schon seit vielen Jahren über übergriffige Priester berichteten, die anschließend einfach vom Bischof zu den nächsten Opfern versetzt wurden, sollen also die katholischen Bischöfe selbst gar nicht gewußt haben können?
Bischof Müllers persönlicher Pädosexskandal datiert im Jahr 3 v. C. (2007, drei Jahre „vor Canisius“). Er vertuschte Kindersex, zwang die Opfer mit einem Anwalt zum Schweigen, den er später als „Aufklärer“ einsetzte und führte dem „stark auf Buben fixierten“ Päderasten Kaplan K. neue Jungs zu, die dieser auch gleich wieder vergewaltigte. Entschuldigen wollte sich Abschaumbischof Müller nicht und wurde zur Belohnung zum drittmächtigsten Mann des Vatikans befördert. Unfassbare Zustände, die es aber Jahrelang nicht zu einer Welle der Empörung und Kirchenaustritte schafften.

Es geht nicht amoralischer als kirchlich.
Nahezu sämtliche moralischen und gesellschaftlichen Fortschritte des Humanismus mußten gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft werden. Kirchen, die mit weltlicher Macht ausgestattet, Genozide, Massenmorde, Auto-Dafés, Missionierung, Hexenverbrennung, Kreuzzüge, Sklaverei, Inquisition und Pogrome veranstalteten.

Gestern mußte ich mal wieder an den stets gut gelaunten Seth McFarlane denken, der immer mal wieder bei Bill Maher zu Gast ist und dort einst einen schlauen Satz über den kirchlichen Widerstand gegen die Homoehe tat.

Seine These lautete, daß die Kirchen mit ihrem Widerstand gegen Aufklärung ihre Zeit verschwenden.
Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit, Pressefreiheit, Rechtsstaat, Frauenemanzipation, Folterverbot, Abschaffung der Sklaverei, Abschaffung der Todesstrafe, Freiheit der Kunst, Abschaffung der Prügelstrafe, Tierrechte, Ächtung von Antisemitismus, Schwulenrechte, Abschaffung des Verbots gemischtrassiger Ehen, Abschaffung des Verbots gemischtkonfessioneller Ehen, Verbot von Vergewaltigungen in der Ehe, etc pp - all das mußte gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft werden.

Die Kirchen waren dagegen und verschwendeten damit sinnlos über Dekaden ihre Kraft.
Glücklicherweise hat sich der kirchliche Widerstand üblicherweise als Mißerfolg erwiesen, weswegen Seth Macfarlane es als Zeitverschwendung betrachtet auf Seiten der Kirche zu stehen:

It is a huge waste of time; if you look back in history every civil rights-movement; the blacks or woman, they always lose. Anyone who tries to fight the advance on any particular minority-group is going to lose - whether it is now, whether it is 20 years from now.
They are wasting their time.

Kirche ist ekelhaft. Wieso wird das nicht erkannt?

Ist es nicht offensichtlich, daß 99% der Nazis Christen waren? Daß in den Kirchen für Hitler gebetet wurde, daß Kirchen Waffen segnen, daß Militärbischöfe noch heute Soldaten auf den Krieg einstimmen, daß Luther der Stammvater aller protestantischen Antisemiten ist, daß sich gerade die "C"-Parteien immer mit ausländerfeindlichen Parolen ins Gespräch bringen, daß christlich erzogene Jugendliche mehr Vorurteile haben und weniger teilen, daß Christen weit überdurchschnittlich Prügelstrafe, Folter und Militäreinsätze befürworten, daß alle gesellschaftlichen Liberalisierungen wie Frauenwahlrecht oder das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe gegen den erbitterten Widerstand der Kirchen erkämpft werden mußten, daß Kirchen die eifrigsten Unterstützer von faschistischen Mörderregimen in Südamerika waren, daß die katholische Kirche bis 1975 fest an der Seite der Franco-Diktatur stand, daß es die Kirchen sind, die massiv in Osteuropa und Russland gegen Schwule und Lesben hetzen, daß in christlichen Kinderheimen Hundertausende Kinder verprügelt, ausgebeutet und missbraucht wurden, daß deutsche Bistümer noch heute an den Börsen Geld mit Waffenproduzenten verdienen, daß Kardinal Woelki und Bischof Bohl als erstes von Ausweisungen sprachen, daß die evangelische Kirche in Sachsen Pegida in Schutz nimmt, daß Petrys Ex-Ehemann Pfarrer ist. Daß Beatrix von Storch bibeltreue Christin ist. Daß Christen vier Kontinente kolonialisiert und ausgebeutet haben, daß Christen den Tod von 100 Millionen indigenen Menschen in Nord- und Südamerika anzettelten, daß die Päpste das bis heute als „glückliche Schuld“ schönreden, daß Kirchen die Welt mit Konfessionskriegen, Inquisition und Kreuzzügen überzogen haben, daß Religionen die Hautursache für Gewalt in der Geschichte der Menschheit sind.
Daß die katholische Kirche nach 1945 die KZ-Schlächter vor der alliierten Justiz in Sicherheit brachte, daß sich die Kirchen in Argentinien bemüßigt fühlte Adolf Eichmann zu beschützen, daß Papst Pius XII pauschal alle Angehörigen der Armee, die Auschwitz BEFREITE exkommunizierte, aber hingegen für Hitler nach seinem Tod noch ein Requiem veranstaltete, ihn bis heute nicht exkommunizierte.
Daß der Vatikan bis heute die UN-Menschenrechtskonvention nicht akzeptiert, daß Kirchen in Afrika für die Todesstrafe auf Homosexualität kämpfen, daß Kirchen den sexuellen Missbrauch von Kindern in der ganzen Welt vertuschten.

Nein, auch im Jahr 2017 sind „die Kirchen“ gut und Atheisten werden laufend als moralisch zweifelhaft dargestellt.


Atheisten müssen auf dem Gebiet der PR noch sehr viel dazu lernen, viel besser werden.
Sie müssen nicht nur aufklären und informieren, sie müssen insbesondere auch das religiöse Phlegma der Gesellschaft überwinden, endlich mehr Interesse an ihren Themen wecken.

[….] Wer nicht religiös ist, wird häufiger eines grausigen Verbrechens verdächtigt als Gläubige. Das gilt selbst in säkular geprägten Ländern.
[….] Manche Ideen sind unsterblich. So zum Beispiel die populäre Vorstellung, wonach nur der Glaube an einen Gott den Menschen zu gutem Handeln befähige und Atheisten ohne Moral seien. Der chinesische Philosoph Mozi räsonierte schon vor etwa 2500 Jahren darüber, dass der Glaube an Geister nötig sei, um das Böse im Menschen im Zaum zu halten. Der Grieche Platon verwies auf göttliche Instanzen als Quelle der Moral, und auch der russische Schriftsteller Fjodor Dostojewski führte in seinen Texte ähnliche Gedanken aus. Die Vorstellung vom gewissenlosen Ungläubigen lebt bis heute, und offenbar neigen sogar Atheisten selbst der Meinung zu, dass fehlender Glaube die dunklen Seiten des Menschen an die Oberfläche locke. Das berichten Psychologen um Will Gervais von der University of Kentucky im Fachmagazin Nature Human Behaviour, die für ihre Studie fast 3500 Probanden aus 13 Ländern untersucht haben.
Sogar in säkularen Gesellschaften lebt das Vorurteil, dass der Glaube an Gott Ursprung von Moral sei.
[….] Sogar in säkular geprägten Ländern wie Australien, China, Tschechien, den Niederlanden oder Neuseeland trauten die Probaden Atheisten eher Untaten zu. Lediglich in Finnland stellten die Forscher kaum einen Unterschied fest. Um auszuschließen, dass das Stereotyp vom amoralischen Atheisten nur bei Kapitalverbrechen zutrifft, wiederholten die Forscher den Versuch mit Schilderungen geringerer Verfehlungen - zum Beispiel mit der Geschichte eines Zechprellers oder eines Priesters, der sich an Kindern vergeht. Auch in diesen Varianten offenbarten sich Vorurteile gegen Atheisten. Einen Priester, der des Missbrauchs schuldig ist, betrachteten die Probanden etwa als ungläubigen Geistlichen.[…..]

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