Sonntag, 17. September 2017

Wahlkampfmacher.

Mehr und mehr komme ich zu dem Schluss, dass Deutschland die Politiker zur Auswahl bekommt, die es verdient.

Die Beliebtheitsrankings zeigen eine Korrelation aus Bekanntheit und Wohlwollen.
Man mag den, den man kennt.

Bei einer vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und von der Bundeszentrale für Politische Bildung durchgeführten Probebundestagswahl für unter 18-Jährige stimmten die 215.000 Kinder und Jugendlichen mehrheitlich für Merkel und die CDU.

Jeder kennt Merkel; sie wiegt einen in der (trügerischen) Hoffnung, daß sich nichts ändern werde.

Die CDU gibt für dieses Image Millionen aus, spannt eine der hippsten und bekanntesten deutschen Werbeagenturen, nämlich Jung von Matt ein.
Was kommt also raus, wenn man die kreativsten Köpfe Deutschlands mit siebenstelligen Etats füttert?

[….] #fedidwgugl [….] "Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben". Dieser Spruch steht auf großen und kleinen Plakaten der CDU, er ziert vor allem das kleine und das große Porträt der Bundeskanzlerin, ist aber gleichzeitig so erfreulich inhaltsfrei, dass er sich ohne Verlust auf die Buchstabenballung fedidwgugl eindampfen lässt. [….]
(Willy Winkler, SZ vom 16.09.2017)

Was für eine subtile Rache an allen, die noch von deutscher Leitkultur sprechen! 
 #fedidwgugl – gehört auf den Anamnesebogen des Demokratie-Patienten Deutschlands.
Man fragt sich welche Partei #fedidwgugl widersprechen würde.
FDP, für ein Deutschland, in dem wir schlecht leben?
Die LINKE, für ein Deutschland, in dem man nur äußerst ungern existiert?

Tatsächlich passt #fedidwgugl als perfekter Resonanzbogen zum Gedankenphlegma des Urnenpöbels, der schon ungern wählt, aber noch viel weniger gern eine Parteimitgliedschaft bezahlt und am wenigsten gern selbst für ein Amt kandidiert.

Nichtwählen ist das einfachste.
Desinteresse ist kommod.
Unwissen ist bequem.
Nicht beurteilen ist faul.
Kritik ist wohlfeil.
Moralisieren ist billig.

Dagegen-sein ist wirklich kein Problem. Dafür-sein erfordert Mut und Widerstandskraft.
Wer sich wie ich halbanonym im Internet vor Wahlen zu einer Partei bekennt, kassiert schon reichlich Häme.
Als reale Person in der Öffentlichkeit mit einem SPD-Abzeichen am Sakko und einem SPD-Aufkleber am Auto sein Bekenntnis abzugeben, ist noch viel seltener und führt zu noch unangenehmeren Attacken.

Den nächsten Schritt, nämlich im Straßenwahlkampf einen SPD-Stand aufzubauen, gehe ich schon nicht mehr mit, schiebe es vor mir selbst auf meine Sozialphobie.

An den übernächsten Schritt, nämlich selbst kandidieren, sein eigenes Gesicht plakatieren zu lassen, um sich zur Zielscheibe zu machen, kann ich noch nicht mal denken. In dem Fall rechtfertige ich mich damit, ohnehin in Deutschland kein aktives und passives Wahlrecht zu haben.

Es braucht aber die Klasse der parteipolitischen Rampensäue, um die Demokratie zu erhalten, um die Millionen im Phlegma Verharrenden zur Stimmabgabe zu animieren.

Das ist umso schwieriger, wenn man nicht zu den „Schönen“, wie Lindner und Suding gehört, die neben ihrem Aussehen auch noch Inhalte transportieren müssen.

Martin Schulz spielt nicht in der Beau-Liga Guttenbergs mit und muss daher auch Konzepte präsentieren, die Gegenwart analysieren und allgemein verständliche Lösungen kommunizieren.
Allein steht er dabei nicht, sondern baut auf die Hilfe aus dem Willy-Brand-Haus.

Unglücklicherweise sitzen dort scheinbar keine begnadeten Wahlkampfgestalter.
Man kann dort keine Themen setzen und, schlimmer noch, nicht einmal überzeugende Argumente für die gesetzten Themen präsentieren.

Das (bisher) schlechteste SPD-Bundestagswahlergebnis von 2009 verantwortete als Generalsekretär Hubertus Heil.
Es bleibt ein Würselener Geheimnis, weshalb Schulz auf den Gedanken verfiel, genau diesen Mann, der seine völlige Unfähigkeit als Wahlkampfleiter bereits bewiesen hatte, zum Chef seiner 2017ner Kampagne zu berufen.

(….) Hier verließ die Genossen leider das Händchen. Ausgerechnet während ihr „Schulzzug“ auf das Abstellgleis rattert, holt sich Herr Schulz dreieinhalb Monate vor der Bundestagswahl den denkbar ödesten Kandidaten, der zudem auch noch bewiesenermaßen Wahlkampf nicht kann.
Hubertus Heil, der niedersächsische Phlegmat, der schon für die trüben Bärtigen (Beck und Platzeck) Wahlen verlor, wird jetzt die neue Barely.

[….] Als Generalsekretär kehrt Heil zurück ins Willy-Brandt-Haus. In die Parteizentrale hatte ihn 2005 der SPD-Chef Matthias Platzeck schon einmal geholt. [….]  Die Aufregung war bis zum Parteitag nicht verflogen: Heil hielt eine denkwürdig schlechte Rede und fuhr mit 61,7 Prozent ein ebenso denkwürdig mieses Ergebnis ein.
[….] Nach Gabriels Wechsel ins Auswärtige Amt wäre Heil ein möglicher Nachfolger im Wirtschaftsministerium gewesen - und wurde wieder nichts.
[….] Immerhin ist jetzt überhaupt mal jemand an führender Stelle in der SPD, der Erfahrung mit einem Bundestagswahlkampf hat. Auch wenn es bei Heil der von 2009 war. An dessen Ende landete die SPD bei 23 Prozent. […]

23% also. Offensichtlich ist das die Zielmarke, die #Chulz anstrebt.
So ist das als SPD-Mitglied. Kaum macht die Partei mal etwas halbwegs Vernünftiges, haut irgendein Spitzengenosse was richtig Kontraproduktives raus. (…..)

Als er berufen wurde, erklärte Heil, er habe aus seinen 2009er Fehlern gelernt und werde es besser machen.
Seitdem habe ich nie wieder was vom ihm gehört. Offensichtlich suchte er sich im Willy-Brandt-Haus ein gemütliches Plätzchen und schlummerte in einen tiefen vorgezogenen Winterschlaf – wohlwissend, daß er als Sündenbock nach der Wahl ohnehin gefeuert wird. Aber das macht nichts, denn über einen sicheren Listenplatz wird er weiterhin Bundestagsabgeordneter sein und mutmaßlich SPD-Wahlkampfmanager 2021 oder 2025 werden.
Es sind jetzt nur noch gut sechs Tage bis zur Bundestagswahl und Herr Heil scheint immer noch friedlich zu dösen. Ein Generalsekretär soll eigentlich zu den Mitgliedern sprechen, aber als SPD-Mitglied habe ich nie etwas von ihm gehört. Sein zweiter Job ist die Abteilung Attacke gegen die anderen Parteien, aber auch das ist noch nicht zu ihm durchgedrungen.
Schließlich ist er noch für Programmatik und Themensetzung zuständig.
Und auch hier präsentiert er sich als Totalausfall.
Schulz stolpert durch den Wahlkampf und seine Parteimanager Heil bekommt es gar nicht mit.

[….]  Schulz konnte sich nie erkennbar von der Kanzlerin absetzen, die mit seiner SPD vier Jahre in einer großen Koalition verbunden war.
Die Linken-Politikerin Sahra Wagenknecht kanzelte ihn auf dem Parteitag der Linken ab. Schulz hatte keinen Kommentar dazu. Im sogenannten Kanzlerduell wollte Schulz Merkel vor lauter Anständigkeit nicht angreifen und hatte keine Chance gegen die gusseiserne Kanzlerin. Hatte er doch, meint ein langjähriger Wahlhelfer der Partei. "Schulz hätte seine Kompetenz nach vorne spielen, einen großen Plan für Europa vorlegen müssen." Was wird aus dem Euro, wie weiter mit Griechenland, mit dem Brexit, mit Russland? Mit dem Schulz-Plan wäre er durch Europa gereist und hätte ihn den Regierenden von Frankreich, Italien, Spanien vorgestellt. "Er wäre jeden Tag in der 'Tagesschau' gewesen!"
Stattdessen habe er sich auf die Innenpolitik festlegen lassen und sich mit einer wenig kleidsamen Hygienehaube in der Fischfabrik in Rendsburg gezeigt. "Willy Brandt, Helmut Schmidt und Gerhard Schröder hätten das nie gemacht", sagt der Sympathisant. "Schulz kämpft nicht, er hat keinen Ehrgeiz." [….]
(Willy Winkler, SZ vom 16.09.2017)

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