Freitag, 20. April 2018

Das rechte Auge ist immer noch schwer sehgestört.

Seit meiner Teenagerzeit, seit unsäglichen Diskussionen im Politik-Unterricht mit den JU-Mitgliedern meiner Klasse, höre ich mir an, es wäre nun aber wirklich mal Schluß mit Deutschlands gebückter Haltung. „Wir“ wären ja nicht verantwortlich für die Naziverbrechen, man müsse wieder ganz normal sagen dürfen wie stolz man auf diese Nation wäre.

So ging das kontinuierlich über die folgenden Dekaden weiter. Immer wieder kamen feuilletonistische Diskussionen darüber auf, ob Deutschland nun ein Land wie jedes andere wäre.
Ob wir uns noch „aufgrund unserer besonderen Geschichte“ außenpolitisch und militärisch zurückhalten müssten, bzw dürften.
Immer wieder versuchten Rechte von NPD bis FDP ihr nationalistisches Süppchen zu kochen. Schon als Generalsekretär gefiel sich Guido Westerwelle darin scheinbar provokant zu erklären, er sei stolz ein Deutscher zu sein.
Und mit seiner Unterstützung trat Jürgen Möllemann im Jahr 2002 die zutiefst antisemitische „Man wird doch wohl noch Israel kritisieren dürfen“-Debatte los.
Der rechte Pöbel war begeistert. Die letzten echten Liberalen wie Hildegard Hamm-Brücher traten aus der FDP aus.
In schöner Regelmäßigkeit versuchten sich CDU-Generäle an der Postulierung von „deutscher Leitkultur“ und inszenierten sich als mutige Tabubrecher eines in Wahrheit nicht existierenden Tabus.
Schon 30 Jahre vor Möllemann hatte es Friktionen zwischen der deutschen und israelischen Regierung gegeben, weil Bundeskanzler Schmidt immer wieder Teile der Israelischen Politik kritisiert hatte.
Ob diese Beschäftigung mit der Vergangenheit nicht mal ein Ende haben solle, fragten in schöner Regelmäßigkeit auch Juristen angesichts des § 130 Volksverhetzung.
Brauchen wir noch ein besonderes Gesetz, welches es verbietet Unsinn zu reden?
Immer wieder poppten Schlussstrich-Forderungen auf.
Beim sogenannten Historikerstreit 1986/87 um die Singularität des Holocausts, bei Ausstrahlungen großer Fernsehereignisse wie „Holocaust – Die Geschichte der Familie Weiss“ ausgestrahlt im Jahr 1979, der großartigen Dokumentation „Der Tod ist ein Meister aus Deutschland. Der Mord an den europäischen Juden“ – ausgestrahlt in vier Folgen à 90 Minuten im Jahr 1990 folgten die obligatorischen großen TV-Runden mit verhärmten Rechtsaußen der C-Parteien, die forderten, es müsse nun mal Schluss damit sein.
Es geschah wieder bei der ersten Wehrmachtsausstellung im Jahr 1995 in der Hamburger Kampnagelfabrik. Meine Mutter, meine Tante und ich gehörten zu den ersten Besuchern und erlebten eine beeindruckende stille, zahlreiche und sehr interessierte Besucherschar.
Die Ausstellung ging Jahre auf Tour, wurde komplett überarbeitet, ging erneut auf Tour bis 2004. Während man bei mir vor der Tür friedlich und unaufgeregt diese Aufklärung begrüßte, kochte in Bayern die CSU ihr Nazi-Süppchen, blockierte und Demonstrierte die Ausstellung in München. Teile der CSU marschierten zusammen mit Neonazis auf.

[…..] Bayerns Kultusminister Hans Zehetmair (CSU) empfahl, die Ausstellung nicht zu besuchen. Florian Stumfall schrieb unter dem Titel „Wie Deutsche diffamiert werden“ am 22. Februar 1997 im Bayernkurier:
    „Die Ausstellung verallgemeinert tatsächliche Verbrechen durch Einheiten und Soldaten der Wehrmacht zum Pauschalvorwurf gegen alle ehemaligen Soldaten. Es geht also den Veranstaltern darum, Millionen von Deutschen die Ehre abzusprechen.“
Sie sei daher eine „Verschärfung der Strafmaßnahmen des Nürnberger Gerichtshofes“, deren Macher einen „moralischen Vernichtungsfeldzug gegen das deutsche Volk“ inszenierten.
Peter Gauweiler (CSU) sagte am 14. Februar 1997 beim traditionellen Fischessen der Schwabinger CSU, „Tabakmillionär Reemtsma“ habe „durch die jahrelange Finanzierung des Mobs aus der Hafenstraße sein demokratisches Grundbewußtsein nicht unter Beweis gestellt“. Er solle „einmal eine Ausstellung machen über die Toten und Verletzten von den Milliarden seiner Zigaretten, die er verkauft hat und denen er sein Vermögen verdankt.“ [….]

[….] Hunderte von Metern lange Besucherschlangen vor dem Münchner Rathaus, Mahnwachen auf dem Marienplatz, Nazis und Lokalpolitiker der CSU, die gemeinsam die Ehre des deutschen Soldaten verteidigten - als vor fünf Jahren die Wehrmachtsausstellung erstmals in München gastierte, hielt sie die bayerische Landeshauptstadt monatelang in Atem. Die Proteste gegen die »Schandausstellung« gipfelten schließlich in einem der größten Aufmärsche von Neonazis in der Geschichte der Bundesrepublik. Über 5 000 Rechtsextreme, mobilisiert von der Jugendorganisation der NPD, den Jungen Nationaldemokraten, demonstrierten am 1. März 1997 in der Münchner Innenstadt.
Fünf Jahre später ist die Wehrmachtsausstellung wieder in der Stadt, und wieder haben die Nazis mobilisiert. Keine 5 000, aber immerhin noch 500 aus dem Spektrum der Freien Kameradschaften marschierten am vergangenen Samstag durch München. Doch wie vor fünf Jahren kamen sie nicht weit. Mehrere Tausend Münchner stellten sich ihnen in den Weg und stoppten den braunen Protestzug. […..]

Ich nenne insbesondere die 1999 erschienenen „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten.“ Tagebücher Viktor Klemperers und das 1996 herausgebrachte "Hitler's Willing Executioners" (Hitlers willige Vollstrecker) des Harvard-Professors Daniel Jonah Goldhagen, den ich das Vergnügen hatte am 04.09.1996 persönlich die Hand geben zu können.

Dazu habe ich drei Bemerkungen:

1.)

Für mich sind all diese Debatten ein gutes Zeichen und das Auftauchen der immer gleichen rechten Typen vorzugsweise aus den C-Parteien zeigt wie notwendig sie noch immer sind.

2.)

Wer oder was sollte denn so einen „Schlussstrich“ ziehen und für wen sollte der gelten? Das rechte Fußvolk beschäftigt sich ohnehin nicht mit Feuilletondebatten.

(….)  In einer der unendlich vielen Talkshowrunden zu Martin Walsers Holokaust-Keulen-Gejammer von 2002 saß Prof. Eberhard Jäckel und sagte zu einem der Protagonisten der „Schlussstrich“-Fraktion, die Beschäftigung mit dem Thema „Nationalsozialismus in Deutschland“ sei schließlich freiwillig.
Keiner sei dazu gezwungen sich damit zu beschäftigen, keiner könne einen „Schlussstrich“ verfügen und niemand könne ihn, Prof Jäckel, daran hindern weiter zu dem Thema zu forschen.

Damit war die Phantomdiskussion sehr schön entlarvt.

Es gibt selbstverständlich in Deutschland keinen einheitlichen Wissensstand.
Immer mal wieder zeigen Studien; insbesondere in der ehemaligen DDR; ein dramatisches historisches Unwissen. Breite Schichten der Jugend wissen rein gar nichts über den Zweiten Weltkrieg und das Hitler-Regime.
Andererseits gibt es natürlich eine ganze Reihe Forscher und Interessierte, die immer wieder neue Forschungsergebnisse begierig aufnehmen.
Verblüffender Weise verlangen also diejenigen einen „Schlußstrich“, bei denen bisher ohnehin noch keinerlei Informationen zu dem Thema angekommen sind, während die Personen, die überdurchschnittlich gut über jene Ereignissen informiert sind, umso mehr nach weiteren Informationen gieren.

Das erinnert mich ein wenig an Bundestagsdebatten, die ich immer wieder spannend finde.
Wer am lautesten behauptet „diese Politiker kann ich nicht mehr sehen“, ist in der Regel jemand, der ohnehin nie eine Bundestagsdebatte guckt und gar nicht weiß, daß es den Sender Phoenix gibt.

Wissen geriert Interesse, Nichtwissen geriert Desinteresse.

Je mehr Bücher man liest, desto bewußter wird einem wie wenige Bücher man bisher gelesen hat, wie viel man bisher verpasst hat. (…..)

3.)

Seit Jahrzehnten und auch über einer Dekade in diesem Blog beklage ich antisemitische Vorfälle in Deutschland.
Allein, es interessiert niemand, die Bundesregierung und insbesondere die ostdeutschen Landesregierungen tun alles dafür, um diese Vorfälle runterzuspielen und zu ignorieren. Sie schadeten dem Ansehen Deutschlands, den Einnahmen der Tourismusindustrie und überhaupt, was hätten Juden eigentlich da zu suchen, wo es bekanntermaßen gefährlich ist für sie?

(…..) Deutschland ist kein normales Land, solange sich Juden hier nicht frei bewegen können, wenn sie als solche zu erkennen sind.
Tatsächlich können Menschen aber in weiten Teilen Deutschlands nicht mit Kipa oder Schläfenlocken spazieren oder im Bus fahren, ohne gewalttätige Attacken zu erleben. Jüdische Einrichtungen müssen besonders geschützt und bewacht werden.

Wird ein deutscher Jude oder Israelischer Staatsbürger in Deutschland missbraucht, verletzt, oder verprügelt, wirft man ihm mitunter sogar vor, er habe selbst schuld. Was habe er auch ausgerechnet in Sachsen, ausgerechnet im Fussballverein zu suchen?

Immer wieder ungern erinnere ich mich an den Fall Lutz Battke, den NPD-Stadtrat, Fussballtrainer im 3000-Seelen-Städtchen Laucha an der Unstrut. 
Der Rechtsextreme Battke trainiert nicht nur die Kinder der Stadt, sondern ist außerdem Lauchas Schornsteinfeger, so daß jeder ihn kennt.

Im April 2010 geschah das Ungeheuerliche. Ein 17-Jähriger, der ebenfalls beim Lauchaer Fußballklub BSC 99 mitmachen wollte, wurde von Rechtsradikalen mit der Absicht das „Judenschwein platt zumachen“ schwer verletzt.
Angestiftet waren sie offensichtlich von ihrem Hitler-verehrenden Trainer Battke, der den Neuen aus vollem Herzen hasste, da dessen Mutter aus Israel stammt.

Als der Fall Schlagzeilen macht, stellen sich der  Präsident des BSC 99, Klaus Wege und Lauchas Bürgermeister Michael Bilstein nicht etwa vor das Opfer, sondern geben zu bedenken, was denn ein Jude ausgerechnet im Fussballverein zu suchen habe. 
Jeder wisse doch wie aktiv Trainer Battke in der rechtsradikalen Szene sei.
Einen Grund Battke zu entlassen konnten sie nicht erkennen. 
Er sei schließlich beliebt und ein guter Trainer.
Erst massiver Druck der überregionalen Presse sorgte schließlich dafür, daß Verein und Bürgermeister einknickten und Battke Ende August 2010 doch noch als Trainer entließen. 

Nicht allen Lauchanern gefiel das, Hunderte solidarisierten sich mit dem Geschassten.
Ende 2010 geht Battke sogar in das Rennen um das Bürgermeisteramt. Bei den Kommunalwahlen 2009 hatte die NPD in Laucha 13,5 % erreicht. Kandidat Battke konnte das Ergebnis verdoppeln. (…..)

Solange Deutschland nicht in der Lage oder nicht willens ist die körperliche Unversehrtheit von Schwulen, Dunkelhäutigen oder Juden überall zu garantieren, ist Deutschland kein Land, welches anderen Ländern Vorhaltungen machen darf.

Selbst im liberalen Hamburg wird jüdischen Schülern dringend empfohlen auf dem Weg zu Schule keine Kipa zu tragen, weil dies zu gefährlich wäre.

In Berlin-Friedenau mußte jetzt ein 14-Jähriger die Schule verlassen, weil er Jude ist. Seine Großeltern hatten knapp den Holokaust überlebt und nun ist es wieder nicht sicher für ihren Enkel in Deutschland.
Wo leben wir denn?(….)

Kein C-Politiker fühlte sich jemals bemüßigt deswegen irgendetwas zu unternehmen. Im Gegenteil, die CSU kuschelt öffentlich und demonstrativ mit dem großen Antisemiten Viktor Orban.

Und nun passiert etwas Erstaunliches:
Ein Teil der antisemitischen Attacken wird von Muslims oder Flüchtlingen aus dem Nahen Osten begangen, die extreme Vorbehalte gegenüber der Israelischen Politik von zu Hause mitbringen.

Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen:
Auch ich erachte die Politik der derzeitigen konservativ-rechtsextremen israelischen Regierung unter dem korrupten Trump-Fan Bibi Netanjahu als grundfalsch und spektakulär amoralisch.
Dafür ist aber weder jeder einzelne Jude noch jeder einzelne Israeli verantwortlich und schon gar nicht ist das eine Rechtfertigung dafür Israelis oder Juden tätlich anzugreifen.

Wie viele der antisemitischen Straftaten in Deutschland von Migranten mit Muslimischen Hintergrund begangen werden ist unklar.
Ganz offensichtlich handelt es sich aber um eine kleine Minderheit.

[….] Antisemitische und antiisraelische Straftaten nehmen in Deutschland wieder zu. Wie aus einer am Freitag veröffentlichten Antwort der Bundesregierung auf eine schriftliche Anfrage der Grünen-Fraktion hervorgeht, wurden in diesem Jahr bis zum 28. August 681 Straftaten gemeldet. Im Vorjahr waren es im selben Zeitraum 654 entsprechende Straftaten. Der Grünen-Politiker Volker Beck geht allerdings von einer deutlich höheren Dunkelziffer aus. Bundesfamilienministerin Katarina Barley (SPD) forderte einen entschiedenen Einsatz gegen Antisemitismus.
Den Angaben der Bundesregierung zufolge wurden unter anderem 434 Fälle von Volksverhetzung, 15 Gewaltdelikte sowie 70 Fälle, die Sachbeschädigung betreffen, gezählt. Weitere Delikte betreffen etwa die Störung der Totenruhe oder Nötigung. Mehr als 90 Prozent der Straftaten wurden von deutschen Staatsangehörigen verübt. 312 von 339 Tatverdächtigen waren Deutsche. Andere Straftäter kamen aus der Türkei, aus Tunesien, aus Algerien, Afghanistan oder Polen. [….]

[….] Pro Tag im Schnitt vier antisemitische Straftaten
Im vergangenen Jahr stellte die Polizei insgesamt 1453 antisemitische Delikte fest. "Die Dunkelziffer dürfte beträchtlich höher sein", sagt Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau. […]

Die Auseinandersetzung mit Rechtsradikalen und deren Enablern in CSU, AfD, PI, PP, JF und Co bleibt weiterhin aus.
Das interessiert immer noch keinen.
Aber die rund zehn Prozent der Täter, die islamischen Glaubens oder orientalischer Herkunft sind, kommen uns wie gerufen.
Endlich ist mal jemand anders Schuld.
Da kann man so wunderbar sein Maul aufreißen, nach harten Strafen und Ausweisungen schreien.
Da werden gleich mutige Leitartikel verfasst und Daumen in die Wunden gelegt.

[….] Schmeißt den Gürtelschläger aus dem Land! [….]
Bei uns werden Menschen, die jüdische Symbole tragen, bepöbelt oder geschlagen. Bei uns werden in vielen Moscheen antisemitische Klischees gepredigt. Bei uns brauchen alle jüdischen Einrichtungen Polizeischutz. Bei uns ist an vielen Schulen mit hohem muslimischen Anteil „Jude“ ein Schimpfwort.
[….] Wer aber gegen Juden hetzt, sie bedroht oder angreift, ist in diesem Land nicht willkommen! Konsequenterweise heißt das: Wer sich so verhält und – wie der mutmaßliche Täter von Berlin – keinen deutschen Pass hat, gehört ausgewiesen! [….]

Die anderen 1453 antisemitischen Vorfälle allein im Jahr 2017 waren ihr egal, aber nachdem ein 19-jähriger Syrer der mutmaßliche Täter ist, meldet sich sogar Merkel zu Wort.

[….] Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat nach dem Angriff auf zwei Kippa tragende junge Menschen in Berlin ihre Entschlossenheit im Kampf gegen Antisemitismus bekräftigt. Es sei ein "schrecklicher Vorfall", sagte die Kanzlerin am Mittwoch in Bad Schmiedeberg nach einem Treffen mit den Ministerpräsidenten der ostdeutschen Bundesländer. "Der Kampf gegen antisemitische Ausschreitungen muss gewonnen werden."
[….] Dagegen müsse "mit aller Härte und Entschlossenheit" vorgegangen werden. [….]

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