Freitag, 31. Mai 2019

Talking Points

Früher warf man den Regierenden gern die umständlichen, ungebräuchlichen langen Namen der Gesetze vor.
Es störe das deutsche Rechtsempfinden, wenn man die Bandwurmbezeichnungen nicht verstehe.
Alternative Investment Fund Manager – Umsetzungsgesetz, Verkehrswegeplanungsbeschleunigungsgesetz, Umsatzsteuerschlüsselzahlenfestsetzungsverordnung, Rindfleischetikettierungsüberwachungsaufgabenübertragungsgesetz,  "Gesetz zur Neuregelung des Verbots der Vereinbarung von Erfolgshonoraren" oder Finanzmarktstabilisierungsfortentwicklungsgesetz. Das zeige doch nur die Abgehobenheit der Politiker, wenn die sich solche Wortungetüme ausdenken.

Als Hippopotomonstrosesquippedaliophilist, abgekürzt  Sesquipedalianist, also jemand, der lange Worte mag und der Chemie studiert hat, ein Fach, in dem die Nomenklatur organischer Verbindungen ein eigenes großes Forschungsgebiet ist, können mich die Juristen kaum ins Bockshorn jagen.
Jahrelang wurde ich in jedem Kolloquium nach den korrekten IUPAC-Bezeichnungen (International Union of Pure and Applied Chemistry) komplizierter Moleküle ausgequetscht und muss zugeben, daß ich als einer der wenigen so pervers bin echten Gefallen an den Feinheiten der IUPAC-Bezeichnungen zu finden. Histidin ist für mich immer noch (S)-2-Amino-3-(1H-imidazol-4-yl) propansäure.

Seit einigen Jahren bemüht sich die SPD-Bundestagsfraktion darum absurd komplizierte Substantiv-Aneinanderreihungen bei Gesetzen zu vermeiden und ihnen Namen zu verpassen, die jeder versteht. Endlich Transparenz und Bürgernähe.
Daher gibt es nun das "Gute-Kita-Gesetz" oder das "Starke-Familie-Gesetz" aus dem Hause Giffey.

Selbstverständlich wird das den Sozis nicht gedankt, sondern erst Recht als „Volksverarsche“ diffamiert.
„Die Politiker“ nähmen die Bevölkerung nicht mehr ernst, ätzt insbesondere die von Juristen durchsetzte FDP.

[….] FDP-Haushälter Otto Fricke kritisierte diese Haltung. Die Empfehlungen im entsprechenden Handbuch des Bundesjustizministeriums sähen vor, dass die Überschriften von Gesetzen und Rechtsvorschriften "redlich" und damit sachlich zu formulieren seien, erklärte der Jurist in der "NOZ". "Durch die vom tatsächlichen Namen abweichende und in der Bezeichnung enthaltende normative Wertung unterläuft die Bundesregierung diesen Grundsatz", kritisierte FDP-Vorstand Fricke, der auch Rechtsanwalt ist.
"Die Strategie der Bundesregierung, die Bewertung eines Gesetzes gleich in dessen Vermarktungsnamen mitzuliefern, ist für eine Demokratie sehr gefährlich", fügte Fricke hinzu. "Sie sorgt dafür, dass man beim Gute-Kita- oder Starke-Familien-Gesetz automatisch den Vorwurf bekommt, man sei gegen das Ziel des Gesetzes, also gute Kitas oder starke Familien, wenn man eigentlich nur die konkreten Gesetzesinhalte hinterfragt." Das erschwere eine offene und faire Debatte, so der Abgeordnete. [….]

Während die FDP politisch und kleinkariert argumentiert, ist der schwerere Vorwurf soziologischer Art: Die SPD betreibe „framing.“
Da wird man schon eher hellhörig, denn kaum ein neuer Begriff wird so negativ konnotiert wie „framing“ – da assoziiert man sofort üble Propaganda, Goebbels und Riefenstahl-artige Manipulationen. Damit könne man hinterhältig den Menschen üble Dinge schmackhaft machen.


Wenn man von “Asylantenflut” oder “Flüchtlingswelle” oder „Migrationskatastrophe“ spricht, assoziieren die Zuhörer ganz anders, als wenn man von „Hilfesuchenden“ oder „Heimatvertriebenen“ spricht – obwohl faktisch dasselbe gemeint ist.

Die Hoffnung der SPD ist es durch einfachere „talking points“ wie „Gute-Kita-Gesetz“ effektiver als bisher „Agenda-Setting“ zu betreiben.
Viele englische, bzw denglishe Begriffe.
Gemeint ist, daß man andere Themen in das Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit rücken möchte.
Tatsächlich gab es 2015-2018 viele andere wichtige politische Probleme, die aber insbesondere in der veröffentlichten Meinung kaum vorkamen, da das Megathema „Flüchtlinge“ zwei von drei Talkshows dominierte.
Offenkundig verstehen die Groko-Parteien CDU und SPD nicht die Mechanismen des Agendasettings. Die populistischere CSU ist fähiger, nutzt ihre Möglichkeiten aber nur negativ.
Versteht man es gute Talking Points zu kreieren, kann man wie im Europawahlkampf 2019 Klimaschutz und Digitalisierung zu Megathemen zu machen, die den Grünen zu einem Rekordwahlergebnis verhalfen.
Das Grüne Agendasetting war diesmal sogar besser als das Braune. Die AfD blieb hinter ihren Erwartungen zurück, konnte nicht mehr so effektiv wie vor zwei Jahren Xenophobie, Panik und Antiislamismus schüren.
Es ist erfreulich, wenn Grüne es schaffen ihre Themen zu pushen, aber man reibt sich auch die Augen, wenn Sozis wie begossene Pudel dastehen und beklagen, sie wären „mit ihren Themen nicht durchgedrungen.“
Es stimmt auch; soziale Gerechtigkeit, Respektrente, Altersarmut waren für die meisten Wähler offenbar nicht wichtig genug.

Generell sind Rechte und Rechtsextreme oft mit Hilfe ihrer Skrupellosigkeit Erfinder besonders mächtiger Talkingpoints.
„Bevölkerungsaustausch“ und „Islamisierung“ erregen Aufmerksamkeit.
Meister dieses Fachs sind natürlich die US-Republikaner, die es vermochten das Wort „tax“ so zu verdammen, daß sich kein Politiker mehr daran traut und das Dummvolk begeistert dafür stimmt die 1% der Superreichen von allen Steuern zu befreien.
„Socialism“ ist auch so ein Todschlagtalking-point, mit dem Teebeutler und GOPer es schafften dem Volk einzureden, eine allgemeine Krankenversicherung sei Teufelszeug.
Mit ihren Talkingpoints schaffen sie es sogar gleichzeitig für extrem strenge Regulierungen (Abtreibung, Gaymarriage) und das Gegenteil davon (Waffenrecht, Umweltschutz) zu argumentieren.

Ein Geniestreich ist der Slogan „pro-Life“ in der Debatte um legale Schwangerschaftsunterbrechungen, weil damit immer suggeriert wird, die anderen wären gegen das Leben an sich.

Bill Maher beklagt schon lange, daß seine Demokraten bei Vorwürfen aus dem rechten Spektrum sofort in den Hühnerhaufenmodus verfallen, statt sich mal unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu treffen und sich ihrerseits gute Talking Points auszudenken, die dann von allen demokratischen Politikern verwendet werden.


So wäre es an der Zeit Trumps Einfuhrzoll-Wahn nicht mehr mit der Unwirksamkeit der „TARIFFS“ zu kontern, sondern knallhart ausschließlich von „new Trump-Taxes“ zu sprechen.
Schließlich hassen GOPer nichts so sehr wie neue Steuern.
Ich halte so ein Agendasetting für möglich und wirksam.
Das würde dem Weißen Haus gar nicht gefallen, wenn bis zum November pausenlos von „Trump-Taxes“ gesprochen würde.
Leider sind aber die Demokraten ganz mies in der Kunst des Generierens von „Talking Points“.
Dabei bietet Trump so viel Angriffsfläche.

[….]  Trotzdem versucht Trump seit Monaten, die Zahl der Zuwanderer zu drosseln, um seiner nationalistischen Basis zu gefallen. Nichts aber zog bisher, weder Kinderhaft noch Mauerbau. Nun schwingt Trump seine härteste Keule: Strafzölle.
Bis jede illegale Einwanderung "gestoppt" sei, donnerte Trump, werde er alle Importe aus dem Durchgangsland Mexiko mit Zöllen belegen: Ab 10. Juni fünf Prozent, dann, ab 1. Juli, je fünf weitere Prozent pro Monat - bis im Oktober 25 Prozent erreicht wären. "Die USA sind ein tolles Land", begründete Trump die brachiale Drohung gegen den südlichen Nachbarn und engen Partner, "das sich nicht länger ausnutzen lässt".
Klartext: Trump macht Mexiko dafür haftbar, ein vertracktes Problem zu lösen, das die USA selbst in ihrer gesamten Geschichte noch nie lösen konnten.
Beiderseits der Grenze löste Trumps drastische Drohung Kopfschütteln, Befremden, sogar Panik aus. Was genau will Trump von Mexiko? Und was haben Zölle mit Migranten zu tun - zumal die dadurch entstehenden Mehrkosten bei den verzollten Waren dann von den Amerikanern getragen würden? [….] Die "New York Times" fasste die Irritation in einem Leitartikel zusammen: "Also besteuern wir die Amerikaner, bis Mexiko nicht länger zulässt, dass Menschen aus Zentralamerika von ihrem Recht Gebrauch machen, Zutritt zu den USA zu suchen?"
[….] Wie auch im Handelskrieg gegen China wäre das eine verheerende Entwicklung. Mexiko ist einer der wichtigsten US-Handelspartner, letztes Jahr flossen Waren im Wert von 671 Milliarden Dollar über die Grenze, davon mehr als die Hälfte Importe - Autos und Autoteile, Maschinen, Brennstoffe, medizinische Instrumente. Auch viele internationale Fertigungsketten kreuzen diese Grenze, vor allem in der Kfz-Branche. Kein Land exportiert außerdem mehr Agrarprodukte in die USA als Mexiko. [….]

Donnerstag, 30. Mai 2019

Die Tölpelkönigin – Teil II

Unglaublich, heute wurde mir auf Facebook unterstellt, ich möge Andrea Nahles gar nicht richtig, nur weil ich sie gestern ein ganz kleines bißchen kritisiert hatte.
Vielleicht bin ich ihr aber wirklich nicht völlig gerecht geworden, weil ich mich zu sehr auf ihre Rolle im Willy-Brandt-Haus, als langjährige SPD-Top-Funktionärin und als Parteivorsitzende konzentriert hatte.
Das ist schon etwas kurz gegriffen.
Die Persönlichkeit Nahles bietet weitaus mehr Facetten.

Da ist auch die exekutive Nahles, die als Sozialministerin brillierte.

Da ist die katholische Nahles, die als Jesus-Expertin beeindruckt.

Schließlich gibt es auch noch die Parlamentarierin Nahles, die als Bundestagsfraktionsvorsitzende einer Regierungspartei das wichtigste legislative Amt ausübt, welches die Bundesrepublik zu verteilen hat.
Die SPD-Fraktion kann auf eine stolze Tradition mit bis heute legendären Vorsitzenden zurückweisen.
Wehner, Vogel, Struck sind bis heute klingende Namen. Das waren geniale Allroundpolitiker und Taktiker, die ihre Hauptrolle im Parlament als Redner und Themensetzer ausfüllten.

Nun sitzt Andrea Nahles auf dem Thron und vermochte es nach nur anderthalb Jahren im Chefsessel nicht nur das Image ihrer Partei zu ruinieren, den parlamentarischen Prozess insgesamt zu diskreditieren, sondern auch bei ihren eigenen Abgeordneten jeden Rückhalt zu verlieren.
Ihr vermeidlicher Coup, mit dem sie ihrem „keine Personaldebatten“-Klingbeil in den Rücken fiel, nämlich sich selbst schon in fünf Tagen als Fraktionsvorsitzende wiederwählen zu lassen, geht gerade gründlich schief.
Sie zieht damit so viel Unmut auf sich, daß selbst ohne Gegenkandidaten bei Probeabstimmungen der Seeheimer und der Parlamentarischen Linken keinerlei Mehrheit für sie in Sicht ist. Damit ruft Nahles nun Gegner auf den Plan, die dank ihr wissen wie gut die Chancen sind die Chefin wegzumobben.

[….] SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles hat laut einem Medienbericht bei Probeabstimmungen in den drei wichtigsten Gruppen der Bundestagsfraktion keine Mehrheit bekommen. Wie die Zeitungen der VRM-Gruppe, zum Beispiel die Mainzer Allgemeine Zeitung, unter Berufung auf Parteikreise berichten, habe es am Mittwoch sowohl im konservativen Seeheimer Kreis als auch bei den "Netzwerkern" und den Parteilinken "nicht annähernd eine Mehrheit für Nahles gegeben".
[….] Die Zeitungen der VRM-Gruppe berichten weiterhin, dass Nahles, wenn sie ohne Gegenkandidaten ein sehr schwaches Ergebnis erhalte, wohl nicht länger als Fraktionsvorsitzende zu halten sei. Es sei wahrscheinlich, dass sich bis zur festgesetzten Frist am Montag noch Konkurrenten um die Position des Fraktionsvorsitzes melden.
[….] Im Falle einer Niederlage würde Andrea Nahles wahrscheinlich auch als SPD-Vorsitzende zurücktreten. Das meldet die Bild-Zeitung unter Berufung auf Vertraute von Nahles. Beide Ämter seien eindeutig miteinander verbunden. Als Parteichefin habe sie ohne den Vorsitz in der Fraktion "keinen Machthebel, kann nichts bewirken". Mehrere Teilnehmer der Fraktionssitzung am Mittwoch hatten sich entsprechend geäußert, ebenso Nahles selbst in kleinerer Runde. [….]

Das muss man erst mal schaffen!
Als Fraktionsvorsitzende steht man immer im Zentrum der parlamentarischen Berichterstattung, hat als Regierungsfraktion kontinuierlichen Zugang zur Macht und echte Hebel, um die Regierungschefin zu beeinflussen.
Angesichts der desolaten Lage der Bundespartei, ist der Fraktionsvorsitz einer der letzten verbliebenen wirklich mächtigen Posten, auf dem man glänzen könnte.
Atemberaubend wie die Chefin auch diese Bastion schleift.

[….]  Nahles ging in die Offensive, das müsse jetzt geklärt werden, sagte sie. Wer einen anderen Kurs wolle, solle doch bitte kandidieren.
Doch geklärt wird bei der SPD gerade gar nichts. Einen Gegenkandidaten zu Nahles gibt es bislang nicht. Breite Unterstützung für sie aber auch nicht. Viele Abgeordnete fühlen sich erpresst. Nahles habe sich und die Fraktion in eine Sackgasse manövriert, sagen ihre Kritiker. Die SPD steuert auf eine Lage zu, in der es keine Gewinner geben könnte.
Schon vor der Fraktionssitzung gab es am Mittwoch massive Unmutsäußerungen über Nahles. [….] Bis zur Sitzung am Dienstag haben Nahles' Gegner Zeit, sich auf einen Kandidaten zu verständigen. Das Horrorszenario wäre, heißt es aus der Fraktion, wenn niemand antrete und Nahles trotzdem keine Mehrheit bekomme. Dann wäre die Selbstzerstörung komplett. [….]

Nicht nur taktiert sich Nahles selbst in Grund und Boden, sie reißt auch noch neroesk den wichtigsten Machtfaktor der Partei, die Fraktion, in den Abgrund.
Ich stimme Kühnert und Platzeck zu; erneute Personaldiskussionen und Austausch des Spitzenpersonals allein, kann nicht die Rettung der Partei sein.
Aber was bleibt einem übrig, wenn die jetzige Doppelamtsinhaberin so dermaßen versagt?
Unerträglich ist die Situation deswegen, weil wir sehenden Auges in dieses Desaster rutschten. Genau das was jetzt passiert, habe ich immer prophezeit, wenn man Nahles ans Ruder lässt.
Wer nicht hören will, muss fühlen. Arme SPD.

Mittwoch, 29. Mai 2019

Tölpelkönigin

Man kann meiner Partei wirklich nicht nachsagen, sie wäre unzuverlässig!
Wenn es gilt klug zu taktieren, ist es immer die SPD, die mit sicherem Griff ins Klo ihre miese Lage noch maximal verschlimmert.
Königin dieser besonderen Disziplin, bei der man sich in einem tiefen Loch sitzend in ein noch Tieferes hineintölpelt, ist Andrea Nahles.

[….]1995 zog sie als Juso-Vorsitzende hochaufgeregt begleitet von einem WDR-Kamerateam in den Mannheimer SPD-Bundesparteitag ein, polterte laut, es gehe nun darum den Rudolf wieder zu wählen.
Dabei brodelte es schon lange in der Partei, man wollte Scharpings Kopf rollen sehen. Es brauchte nur einen mitreißende Rede Lafontaines und weg war der Vorsitzende Rudolf.
Nur Nahles hatte nichts gemerkt.

Zehn Jahre später grätschte sie zum Schlechtesten aller schlechtesten Zeitpunkte – mitten während der hochemotionalen und schwierigen Koalitionsverhandlungen mit Frau Merkel ihrem eigenen Vorsitzenden Müntefering in die Beine.
Tölpelhafter und parteischädigender geht es gar nicht. Gerade hatten wir eine Wahl knapp und das Bundeskanzleramt ganz verloren und brauchten und bedingt einen starkten Verhandlungsführer, um zu retten, was zu retten ist, da beschädigte Nahles den Chef so schwer, daß dieser entnervt hinwarf.

 Keinerlei Gespür für die Seele der Partei entwickelte sie in den vier Jahren als Generalsekretärin, als sie gar nicht bemerkte, welcher Kanzlerkandidat ausgekreißt wurde und dann völlig übertölpelt ohne Wahlkampfstrategie dastand.


Keinerlei Gespür brachte sie für die Peinlichkeit  Thilo Sarrazin auf und scheiterte erbärmlich dabei ihn aus der Partei zu werfen.

Keinerlei Gespür kann sie für die säkulare Majorität der Wähler aufbringen, ließ als Generalin den säkularen Arbeitskreis der SPD verbieten.

Keinerlei Gespür für humanistische Anliegen im Allgemeinen. Hardcore Katholikin Nahles bejubelte den Kinderfickerförderer Ratzinger im Bundestag und blamierte sich anschließend mit dem Lob seiner „Naturrechtsposition“, ohne zu verstehen, daß damit aus theologischer Sicht eine scharfe Verdammung von LGBTI und Frauengleichberechtigung gemeint ist. [….]

[….] In jüngster Zeit bewies sie das noch, als sie nach dem Ja zu Groko noch eben per order di mufti ansagte Martin Schulz würde neuer Außenminister und sich anschließend zum Feiern in die Eifel zurückzog.

Da wurde sie dann völlig überrascht von dem Partei-internen Shitstorm gegen Schulz und die Parteispitze ob dieser radikalen Wortbruchs.
Sie hatte eben keinerlei Gespür dafür was sie in der Situation der Partei noch zumuten konnte und was nicht.

(….) Binnen einer Woche zeigt sich erneut wie erodiert das Vertrauen in die Parteispitze ist.
Vor sechs Tagen hatten Schulz, Nahles und die Stellvertreter so schön ausbaldovert, daß Schulz den Job als Partiechef gegen das Außenamt eintauscht und Gabriel abserviert wird.
Die fanatisch fromme Närrin Nahles war sich ihrer Sache so sicher, daß sie beruhigt nach Hause fuhr, beim Möhnenumzug in ihrem Heimatort Weiler in der Eifel feierte. Und sich zur Weiberfastnacht auch äußerlich zur Lächerlichkeit preisgab

Wie so oft in ihren 23 Jahren in der Parteispitze unterlag sie aber einer katastrophalen parteipolitischen Fehleinschätzung.
Die Basis nahm nämlich gewaltig übel:

·        Daß das Amt als Parteichef offensichtlich als minderwertig und dem schönen Außenministerjob nachranging eingeordnet wurde.
·        Daß wieder in einem Hinterzimmerdeal entschieden wurde.
·        Daß der beliebteste deutsche Minister gefeuert werden sollte.
·        Daß Schulz das gerade erst erfolgte 82% Vertrauensvotum des Parteitages in die Tonne trat.
·        Daß Schulz sein ausdrückliches Versprechen (erneut) brach.

Binnen Stunden brach ein Shitstorm der Basis über die Abgeordneten herein. Schulz mußte die Notbremse ziehen, weil selbst er, der Mann mit der längsten Leitung, begriff wie es um das Groko-Votum stand. (….)

Anschließend glaubte Nahles sich in einem Hinterzimmerdeal per Akklamation zur kommissarischen SPD-Vorsitzenden bestimmen lassen zu können.
Auch das scheiterte, weil sie die Statuten offenbar gar nicht kannte und nicht wußte, daß den kommissarischen Vorsitz nur ein regulärer Stellvertreter übernehmen kann. Wieder schätzt Nahles die Partei völlig falsch ein.

(….) In Rekordzeit meldeten mehrere Landesverbände (Berlin, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein) Nahles nicht unterstützen zu wollen.
Sofort fand sich eine Gegenkandidatin, mit der – wie zu erwarten – im Parteivorstand niemand gerechnet hatte.
Das Parteipräsidium entwickelt sich unter Schulz und Nahles zum Dresden der SPD, dem Tal der Ahnungslosen.

[….] In der SPD regt sich Widerstand gegen einen schnellen Wechsel an der Parteispitze - ohne Beteiligung der Basis. Die Flensburger Oberbürgermeisterin Simone Lange hat in einem Brief ihre Kandidatur für den Bundesvorsitz der Sozialdemokraten angekündigt. [….]  [….]

Was für ein kapitaler Fehlstart der Partei nach dem Schulz-Aus.
Ein erneuter Hinterzimmerdeal, den die Vorständler gestern noch ganz selbstverständlich planten, ist erst mal vom Tisch.
Scholz muss einspringen. […..]

Nach ihren großartigen Führungserfolgen in der Causa Maaßen, beim EU-Urheberrecht und der Neufassung des §219a, spürte die Doppelvorsitzende etwas. Schon im Februar 2018 hatte sie das Gefühl die Groko werde besser als viele erwarteten.
Ende 2018 beim Debattencamp in Berlin, packte Nahles, die vor lauter Glück Tsipras küsste wieder das Gespür.

[….]„Die SPD ist lebendig! Das haben wir gezeigt. Die SPD ist diskussionsfreudig! Das haben wir gezeigt. Die SPD ist aber vor allem das, was wir draus machen!“, fasste Nahles zum Abschluss des Debattencamps zusammen. [….]

Nun ginge es wieder aufwärts mit der SPD; raus aus dem 20,5%-Tief der Bundestagswahl 2017.
Das hat ja toll geklappt am 26.05.2019: Nach 73 Jahren an der Spitze der Bremer Regierung rutschte die SPD hinter die CDU und errang bei der Europawahl 15,8%
Nahles versagt so ungeheuerlich, daß sie an der SPD-Basis derzeit so beliebt wie Fußpilz ist. Allein die fehlenden personellen und strategischen Alternativen retten sie davor wie die beiden anderen extrem unbeliebten Pfälzer an der Parteispitzen – Scharping und Beck – brutal gegangen zu werden.

Das blinde Lars-Huhn fand sogar wenige Minuten nach Schließung der Wahllokale dieses eine Erkenntnis-Korn und erklärte, nun dürfe es keine vorschnellen Personaldebatten geben.

Die Parteichefin reagierte auf ihren Generalsekretär, indem sie sogleich eine Personaldebatte in eigener Sache lostrat: Ihre Wiederwahl zur Fraktionsvorsitzenden wurde vom geplanten September 2019 auf nächste Woche vorgezogen.

Klingbeil und Nahles an der Parteispitze sind für die SPD ungefähr genauso hilfreich wie ein Benzinkanister zum Feuerlöschen.

Nahles Motiv war einzig und allein wieder einmal das Hinterzimmergemauschel – sie will Kritiker Schulz ausmanövrieren, der nicht so schnell seine Truppen sammeln kann. Nahles stellt damit wie üblich ihre eigene Karriere und ihre Machtgeilheit deutlich über das Wohl der Partei.

[….] Stimmt schon, Andrea Nahles hat ein untrügliches Gespür für Fettnäpfchen. Gut in Erinnerung: das Pippi-Langstrumpf-Lied am Rednerpult des Bundestages. Oder die Drohung, der Regierung "auf die Fresse" zu geben, als sie SPD-Fraktionschefin wurde. Und jetzt, politisch ernster, das offensichtlich unkoordinierte Vorziehen der Wahlen zur Fraktionschefin.
Bloß: Eine Nahles-Debatte lenkt vom eigentlichen Problem ab. Die Partei bietet, unabhängig von Personen, den Bürgern kaum Gründe an, weshalb sie SPD wählen sollten. […..]

Nun macht die CDU-Parteichefin den Sozis schon das große Geschenk sich selbst immer wieder ins Knie zu schießen, so daß die SPD in Ruhe zusehen könnte, wie sich die CDU blamiert.
Nahles könnte das einfach genießen, so lange es anhält, oder wenn es optimal liefe, die CDU noch weiter unter die Wasseroberfläche drücken und sich als die viel bessere Alternative verkaufen.
Aber das wäre so gar nicht Nahles.
Lieber befreit sie die arme AKK vom grellen Scheinwerferlicht und zieht selbst Shitstorms auf sich.

„Es muss doch irgendeine Möglichkeit geben die Partei noch mehr zu beschädigen“ scheint Nahles‘ konsequent umgesetztes Motto zu sein.

  […..]  In der SPD sorgt der überraschende Schritt von Andrea Nahles, am kommenden Dienstag in der Bundestagsfraktion die Vertrauensfrage zu stellen, für Irritationen. Mit diesem Alleingang konterkariere Nahles alle Beratungen und Festlegungen der Parteigremien, nach dem Absturz bei der Europa- und Bremen-Wahl keine Personaldebatten zu führen, sagten mehrere Abgeordnete unserer Redaktion.
Der nordrhein-westfälische SPD-Chef Sebastian Hartmann erklärte, er habe von der vorgezogenen Wahl aus den Medien erfahren. Statt nach den Wahlniederlagen Demut zu zeigen und eigene Fehler aufzuarbeiten, führe die Partei machttaktische Spielchen auf.
Auch der ehemalige SPD-Vorsitzende Martin Schulz kritisierte das Vorziehen der Abstimmung von September. „Wir sollten Ruhe bewahren und die richtigen Entscheidungen zur richtigen Zeit treffen“, sagte Schulz der „Zeit“. […..]

Dienstag, 28. Mai 2019

AKK-Lob


Als gestern eine beleidigte CDU-Chefin vor die Kameras trat, sich um Kopf und Kragen redete, war mir wie so vielen anderen sofort klar, was nach diesem Rezo-tripling-down käme: Ein massiverer Shitstorm als all die anderen Shitstorms (#Gendertoilette, #verkrampftesvolk, #homoehe-inzest, #Intersexuellenwitze #gretabashing), die Kramp-Karrenbauer in ihrer kurzen Zeit als Parteivorsitzende ausgelöst hatte.





Es schwirrten schon gehässige Bosheiten in meinem Kopf, die ich gegen AKK loslassen wollte.
Heute erübrigt sich das allerdings, weil nicht nur die Online- und #Hashtag-Welt der U30-Generation mit Anti-AKK-Stellungnähmchen geflutet ist, sondern auch die „herkömmlichen Medien“ bis in den konservativen Bereich hinein den erbärmlichen Auftritt der Saarländerin brutal unter Feuer nahmen. „Kann sie überhaupt Kanzlerin?

[…..]  Selbst wenn man es darauf anlegen wollte, man könnte wohl gar nicht so viel falsch machen wie Kramp-Karrenbauer in dieser Situation. Oder sagen wir so: Die CDU hat endlich eine Antwort auf den Zorn der YouTuber gefunden. Es ist ein Videoclip in der Länge von einer Minute und 7 Sekunden: die Selbstentblößung der @AKK.
Auffällig zunächst der beleidigte Tonfall der Wahlverliererin: "Lassen Sie mich an der einen Stelle mal etwas sagen", spricht Kramp-Karrenbauer, als sei sie nicht Vorsitzende der Regierungspartei mit allen denkbaren Möglichkeiten zur Kommunikation, sondern die Stimme einer  
unterdrückten Minderheit, die endlich auch mal zu Wort kommen möchte. Und von da an geht es rapide bergab.
Als sie von der Anti-CDU/SPD-Wahlempfehlung der YouTuber gehört habe, da habe sie sich gefragt, was eigentlich los wäre in diesem Land, wenn 70 Zeitungsredaktionen zwei Tage vor der Wahl einen ähnlichen Aufruf gestartet hätten. Das wäre "klare Meinungsmache" gewesen, sprach Kramp-Karrenbauer. […..]  "Ja oder nein", wie bitte? Na gut, im Zweifel ja. Soweit an dieser Stelle bekannt, gibt es da durchaus eine Regel, analog und digital. Sie gilt für Redaktionen, YouTuber und auch für alle anderen. Sie steht im Artikel 5 unseres jüngst gefeierten Grundgesetzes: Die Verfassung garantiert das Recht eines jeden, "seine Meinung in Wort, Schrift und Bild frei zu äußern und zu verbreiten".
Selbstverständlich kann das auch bedeuten, dass sich zwei, drei, dreißig oder dreihundert Menschen in freier Entscheidung zusammentun und gemeinsam zum Beispiel feststellen, dass die Regierungspolitik der Koalition etwa beim Klimaschutz vollkommen unzureichend ist und die Regierungsparteien deshalb unwählbar sind. Ob es der CDU-Vorsitzenden nun passt oder nicht.
[…..]  Wie man es auch dreht: Es bleibt erschreckender Unsinn. Es bleibt der verheerende Eindruck, die CDU-Vorsitzende wolle den Bürgern den Mund verbieten. Es bleibt die bittere Erkenntnis, dass die Frau mit der Ambition auf das mächtigste Amt des Landes keine Widerrede vertragen kann. […..] 

Wie ist nur so ein schlechtes Krisenmanagement möglich? Die Chefin war ja nicht etwa heimlich betrunken in einer Oligarchen-Suite gefilmt worden, sondern trat gebrieft und vorbereitet vor die Presse.
Nur um wenige Stunden später klarzustellen, daß sie das was sie eben gesagt hatte, gar nicht gesagt, aber jedenfalls nicht so gemeint hätte, es aber auch nicht zurücknehmen werde, weil es „absurd“ wäre ihr zu unterstellen, das gemeint zu haben, was sie gesagt hätte.

Sogar konservative, sehr CDU-freundliche Autoren wenden sich gruselnd ab.

[…..]  Nach einem miesen Wahlergebnis eine Regulierung von Meinungen im Internet zu fordern, zeigt, dass Annegret Kramp-Karrenbauer wie eine Amateurin von vorvorgestern agiert. Die Frau soll Kanzlerin werden? Besser nicht.
Manchmal fällt das Kind in den Brunnen: Pech gehabt, passiert halt. Aber man kann es auch mit voller Wucht in die Wassergrube hinein schubsen und noch ein paar Mühlsteine hinterher kippen. So macht es Annegret Kramp-Karrenbauer im Falle des Youtubers Rezo. Erst schnappte sie ein und ließ ein "Gegenvideo" mit dem jungen CDU-Abgeordneten Philipp Amthor drehen, das zum Glück nie veröffentlicht wurde, weil es sicher mega-peinlich gewesen wäre.
 Dann versuchte es Kramp-Karrenbauer mit einem missratenen Witz: "Ich habe mich gefragt, warum wir nicht eigentlich auch noch verantwortlich sind für die sieben Plagen, die es damals in Ägypten gab." Und blamierte sich als Vorsitzende einer Christen-Partei, weil Ägypten laut Bibel von zehn Plagen heimgesucht wurde. Jemandem das Verdrehen von Fakten vorzuwerfen, aber selbst Fehler zu machen, ist nicht sehr glaubhaft.
[…..]  Doch einen Tag nach einem wenig glorreichen Ergebnis bei der Europawahl eine Diskussion über "Meinungsmache" im Internet anzustoßen - das schlägt dem Fass den Boden aus. Denn das kann nur so rüberkommen wie: Wer gegen uns stänkert, muss an die Kette gelegt werden. […..]  […..] 
Ihren ganzen provinziellen Dilettantismus zeigt Kramp-Karrenbauer, als sie nach Kritik wiederum einschnappte und weiter Öl ins Feuer goss: "Es ist absurd, mir zu unterstellen, Meinungsäußerungen regulieren zu wollen. Meinungsfreiheit ist hohes Gut in der Demokratie. Worüber wir aber sprechen müssen, sind Regeln, die im Wahlkampf gelten."
Wir "müssen" gar nichts. […..]  Die besondere Tragik dabei ist: Das war garantiert kein Ausrutscher, kein Verplappern, sondern voller Ernst. Der Vorstoß ist utopisch, sinnlos und antidemokratisch. Und man muss sagen: So etwas wäre Angela Merkel niemals passiert. […..] 

[….] Die unglücklichen Aussagen zu Internet-Regeln und der ungelenke Umgang mit der Kritik des Youtubers Rezo sind nur die Fortsetzung einer Fehlerkette von Kramp-Karrenbauer.
Die Folge: Angela Merkels scheinbar geregelte Nachfolge könnte doch noch Sprengkraft für die Christdemokraten bekommen. Politikberater Michael Spreng sagte dazu am Montagabend bei "Hart aber fair": „Die CDU bekommt ein massives AKK-Problem. Sie ist ein Malus für die CDU. Die CDU sollte darauf achten, ob sie mit AKK auf das richtige Pferd setzt.“
In der Bevölkerung ist das Vertrauen in Kramp-Karrenbauers Kanzler-Eignung zuletzt stark gesunken. Anfang Mai wünschten sich nur noch 11 Prozent der Deutschen AKK als Kanzlerin. Womöglich hat sich die CDU-Chefin schon zu viele Fehltritte geleistet. […..]



Nach ihrem ersten Shitstorm zum Karneval, den sie mit ihrer „verkrampftetes Volk“-Pöbelei down doublete, wurde sie noch insbesondere vom rechten CDU-Parteiflügel für ihre Standhaftigkeit gefeiert. Man war froh, daß sie endlich mal die erzkonservative Merkel-müde Basis bauchpinselt und nicht vor der Multikulti-Political Correctness einknickt. Schließlich würden die Intersexuellen-freundlichen Linksgrünversifften ohnehin nicht CDU wählen. Mit knackigen Minderheitenbashing könne AKK aber Nicht- und AfD-Wähler zur Union zurückholen.

Die Wahlergebnisse, das dramatische Wegbrechen der demoskopischen Werte für die Parteichefin widersprechen aber dieser Sicht. Mal einen Shitstorm durchzustehen mag für Rückgrat sprechen; deswegen ist es aber noch lange keine Erfolgsstrategie immer mehr und heftigere Shitstorms auszulösen und auf die CDU-Wahlkämpfer niederregnen zu lassen.

Ich halte AKKs Patzer-Parade aus SPD-Sicht natürlich für angenehm. So macht sie von innen heraus die CDU klein, ähnlich wie auch Ratzinger die Menschen aus der RKK trieb.

Aber auch grundsätzlich ist Kramp-Karrenbauers gestriger Auftritt zu begrüßen, weil er ehrlich war.
Sie hat eben NICHT aus Versehen etwas gesagt, das sie gar nicht so meinte.
Sie hat aus Versehen etwas gesagt, das sie genau so meinte.
Die CDU ist tatsächlich verärgert wieso diese jungen Youtuber, die von nichts eine Ahnung haben so frech agieren und ihre schönen Wahlergebnisse ruinieren.
Das ist tatsächlich ein ur-konservativer Impuls, den AKK da losließ: Die Jugendlichen sollen die Klappe halten und alles was der CDU irgendwie nicht gefällt, wird verboten.
 Genau das tun auch andere Konservative, wenn sie die Macht dazu haben. In Polen, Ungarn, Russland, der USA, in Israel und in der Türkei wird massiv in die Pressefreiheit eingegriffen. Sobald Konservative an der Regierung mächtig genug sind, verfallen sie antidemokratischen Trieben und verbitten sich Kritik.
Auch in der Bundesrepublik und in der CDU/CSU hat das lange Tradition. Man erinnere sich nur an den Fall des ZDF-Chefredakteurs Nikolas Brender, der es gewagt hatte CDU-Politikern kritische Fragen zu stellen. Sofort wurden erzkonservative CDUler wie Roland Koch, aber auch Angela Merkel aktiv in den Fernsehräten, um Brender entfernen zu lassen. Erfolgreich! Für die CSU ist es ganz selbstverständlich den BR als Haussender zu verstehen, deren Redakteure sofort in die Staatskanzlei einbestellt werden, wenn sie die CSU kritisieren.
Das ZDF und auch die Sat1/Kirch-Sendergruppe wurden ausdrücklich von CDU-Regierungsmitgliedern auf den Weg gebracht, um konservativophil zu berichten. Viktor Orban, der in Ungarn alle regierungskritischen Journalisten mundtot machte, wird von der CSU immer wieder als Vorbild und Ehrengast geladen; galt bis zum Schluss als engster politischer Freund Helmut Kohls.

Angela Merkels enge persönliche Freundschaften mit den beiden mächtigsten Medienmachern Deutschlands – Friede Springer und Liz Mohn – sind legendär.
Die konservative Unions-Basis ist da völlig auf Kurs und johlt vor Vergnügen laut auf, wenn ihre Bosse gegen Schwule, Transgender, Flüchtlinge oder kritische Schreiberlingen hetzen.

Die im Volk beliebtesten CDU/CSU-Politiker poltern in geschlossenen Runden wie Parteitagen, Bierzeltevents oder Wahlkampfauftritten ebenso rabiat, können aber bei offiziellen Statements endlose wolkige, wohlklingende Nicht-Aussagen verbreiten.
Dieses schwammige Nicht-Festlegen, also viel reden, ohne etwas zu sagen, wird gern von frustrierten Journalisten kritisiert. „Die Wähler“ wünschten sich angeblich alle Klartext!
Ja, möglicherweise glauben die meisten Wähler selbst, sie wollten Klartext.
Sie wählen aber nicht so, sondern wenden sich immer lieber den wolkigen Blabla-Nichtssager, weil sie sich vor Klartext à la Steinbrück gruseln.
Spätestens bei der Bundestagswahl 1990 wurde das eindeutig bewiesen. Kandidat Lafontaine sprach klar die gewaltigen finanziellen Folgen der deutschen Einheit an, schwor das Volk auf schwere Zeiten ein. Man ahnte auch, daß der SPD-Spitzenkandidat Recht hat. Gewählt wurde aber mit haushoher Mehrheit Kohl, der pauschal „blühende Landschaften“ versprach, es werden keine Steuererhöhungen geben, alles sei „aus der Portokasse“ zu bezahlen.
Lafontaine sprach Klartext und verlor.  Kohl log, entzog sich den Fakten und gewann.

Die Königin des schwammigen Sowohlalsauch ist natürlich Angela Merkel. Nach fast drei Jahrzehnten an der absoluten Spitze der Bundespolitik rätseln die allermeisten Analytiker immer noch was sie eigentlich denkt, welche Agenda sie verfolgt.
Über Merkels wahre Haltung weiß man nur, daß sie volatil ist.
AKK ist auf dem Weg zur totalen Merkel-Kommunikation weit fortgeschritten und kann fast wie eine Große stundenlang reden, ohne sich auf irgendetwas festzulegen.

Statt #AKK sollte ihr Hashtag lieber #Blablabla lauten.

[…..]   "Wir sind, die CDU ist die große Volkspartei in Deutschland. Und hier geht es, das haben ja auch alle Medien in Deutschland deutlich gemacht, um das große Thema der Zeit. Und es kann nicht sein, dass die CDU an dieser Debatte nicht teilnimmt und vor allen Dingen keine eigenen, konstruktiven Vorschläge macht. Und das genau ist der Ausgangspunkt unseres Konzepts.
    Es ist so, dass die Vorsitzende der CDU natürlich immer auch die Verantwortung hat, den Prozess natürlich bei einer nächsten Wahl vor allen Dingen so zu steuern, dass die CDU in der bestmöglichen Startformation aufsteht. Und diese Verantwortung werde ich auch wahrnehmen.
    Wir wollen mit eigenen Vorschlägen deutlich machen, dass jeder Vorschlag auch die wirtschaftliche Situation berücksichtigen muss und sie auch stärken muss. Es ist so, und das habe ich auch klar gesagt, dass es hier um eine große und wichtige Frage geht, die nicht nur uns, sondern auch unsere Kinder und Enkelkinder betrifft, gerade auch in Hinblick auf Europa, das uns unsere Eltern und Großeltern als Auftrag und Aufgabe und auch als Geschenk hinterlassen haben. Geschichte wiederholt sich nicht. Wer war denn von Ihnen vor Kurzem mal in Berlin, da seht ihr doch die Latte-Macchiato-Fraktion, die die Toiletten für das dritte Geschlecht einführen. Und auch darüber denken wir nach.
    Und da sind wir im Moment mit aller Leidenschaft dabei. Deswegen ist ja genau der Punkt, dass wir gesagt haben, was zum Beispiel immer auch ein Merksatz war, was wir genau wissen. Die Frage ist nur, was ist das beste System, und wenn wir darüber reden, dann reden wir über verschiedene Ansätze, im Übrigen auch in Anwesenheit von Armin Laschet und von Ralph Brinkhaus.
    Das heißt, wir setzen gerade keine Denkverbote, sondern freuen uns über eine spannende Debatte, auf die ich mich besonders freue, weil wir auch nicht vorschnell zu einem scheinbar einfachen Mittel greifen wollen.
    Um es ganz deutlich zu sagen: Das gehört zur Wahrheit dazu und diese Wahrheit haben wir auch immer sehr deutlich ausgesprochen. Das, worüber wir reden müssen, ist in einem Gesamtsystem wirklich die Frage, was tun wir und wie kommen unsere Taten an. Und es ist die Frage, was tun wir am besten.
    Darauf konzentrieren wir uns jetzt in der Diskussion, und am Ende des Tages wird es, wenn wir zurückblicken auf diese Zeit der lebendigen Diskussionen, zumindest in den Eckpunkten genau um die Frage gehen, welches Gesamtkonzept liegt auf dem Tisch.
    Sich darüber auch in einem demokratischen Streit wirklich den Kopf zu zerbrechen, das ist Aufgabe von Politik, und der stellen wir uns und an der Stelle gibt es auch überhaupt keinen Widerspruch innerhalb der CDU. Das ist überhaupt ganz unbestritten." [….]

Da ist kein Satz dabei, der absolut falsch klingt. Dieses BlablaKK-Sprech ist darauf ausgelegt möglichst vielen zu gefallen und die Rednerin unangreifbar zu machen, weil man sich ohnehin an keine sachliche Aussage erinnert.

Selbstverständlich versuchte AKK auch in der Post-Rezo-Phase ähnlich sinnfreie Sprechblasen abzulassen, um sich bloß nicht auf irgendetwas festzulegen.

[…..]  Annegret Kramp-Karrenbauer ist bekanntlich nicht mit der Fähigkeit zum klaren Ausdruck gesegnet, darauf ist Rücksicht zu nehmen bei jeder Bewertung ihrer Einlassungen. Zwar schlimm für eine Parteivorsitzende und Anwärterin aufs Kanzleramt, aber im Zweifel gilt bei Kramp-Karrenbauer stets die Unsinnsvermutung: Vielleicht hat sie ja alles ganz anders gemeint.  […..] 

Kramp-Karrenbauer ist nur noch nicht so professionell wie Merkel und so rutschte ihr versehentlich bei all der Faselei zwischendurch auch ihre tatsächliche Meinung raus, die immerhin ehrlich und aufschlussreich war:
Da ist eine Frau sehr verletzt, empört sich über einen 26-Jährigen mit blauen Haaren und träumt davon wie Erdogan oder Orban solchen Flegeln den Mund stopfen zu können.

Für den Wähler sind solche klare Haltungen sehr positiv, wirken gegen Politverdrossenheit und kurbeln die pluralistische Diskussion an.

Der Groß-Shitstrom wird allerdings wohl dafür sorgen, daß AKK sich zukünftig noch mehr kontrolliert. Sie wird drauf achten nie wieder ihre Meinung zu sagen, sondern stets konsequent beim blubberigen Merkel-Blabla zu bleiben.
Vielleicht wird sie dann auch eines Tages so beliebt wie die beliebteste Politikerin Deutschlands: Merkel, die keine Angriffspunkte liefert.

Montag, 27. Mai 2019

Was schief geht im Willy-Brandt-Haus

Wie ich schon gestern darlegte, wird es bei der SPD offensichtlich gar keine Veränderungen geben, weil alle strategischen Alternativen noch schlechter sind und sich auch bei den personellen Alternativen zu Frau Nahles niemand anbietet.
Heute lese ich außer Schwesig noch die Namen Weil und Dreyer.
Beide sind integre, freundliche Ministerpräsidenten. Aber beide sind auch völlig Charisma-befreite Provinzpolitiker, die auf der nationalen und erst recht auf der internationalen Bühne nichts verloren haben. Ausgeschlossen, daß sie die SPD wiederbeleben könnten.

2,1 Millionen Stimmen ließ die SPD im Vergleich zur Europawahl vom 25.05.2014 liegen (bei deutlich gestiegener Wahlbeteiligung); die kommen nicht sofort zurück, wenn statt der proletigen Pfälzerin Nahles, die pragmatischere Pfälzerin Dreyer der Partei vorsitzt.

SPD-Stimmen Europawahl.
07.06.2009: 5.472.566 = 20,8%
25.05.2014: 8.003.628 = 27,3%
26.05.2019: 5.914.953 = 15,8%

Es gibt keinen schnellen Ausweg aus der SPD-Superkrise.
Die Grünen zeigen aber, wie man Politik frischer verpacken und sympathischer kommunizieren kann. Die Grünen, die immerhin entschieden und enthusiastisch die Agenda-Politik mittrugen und durchsetzten und nun der U30-Generation als moralisch makellos erscheinen.
Offenbar kann man also mit den richtigen Personen und wirksamen Methoden das Image einer unhippen Verbotspartei, die mit Veggiday und hohen Spritpreisen droht, grundsätzlich zum Positiven wandeln.
Den Grünen fällt dieser Wahrnehmungswandel leichter, weil sie in der Opposition sind. Aber wieso fängt die SPD nicht endlich damit an a) ihre Erfolge in der Groko zu kommunizieren und b) der Union den Schwarzen Peter zu zuschieben?
Wieso lässt sich das Willy-Brandt-Haus ohne Gegenwehr für alle Schweinereien in Haftung nehmen, die sich die CDU auf Kosten der „kleinen Leute“ und der Umwelt leistet?
Weshalb lassen sich die Hobbystrategen des WBH mit dem Slogan „raus aus der Groko“ so sehr ins Bockshorn jagen?

Das ist unnötig.
Man kann sehr einfach erklären, weshalb alle Alternativen zur Groko schlechter für das SPD-Klientel sind und man kann grundsätzlich erklären, daß man als 20%-Partei eben nicht 100% der Regierungspolitik bestimmt.
Koalitionen sind vernünftig und bedeuten leider immer, daß man ein paar Schweinereien der anderen mittragen muss, die man ablehnt.
Man kann das aber rechtfertigen, wenn man mehr bekommt, als man gibt. Wenn also die politischen Gegner in der Koalition mehr Kröten schlucken müssen als man selbst.
Das ist in den Merkel-Grokos leicht, da man nur das Gejammere der CDU darüber, daß „reine SPD-Politik umgesetzt“ würde, aufschreiben muss.
Insbesondere in der Groko Merkel II von 2013 bis 2017 stöhnten Unionsparlamentarier, da die SPD-Minister in Windeseile ihre Projekte durchsetzten, während die CDU-Ressorts kaum wahrnehmbar waren. „Die Sozialdemokratisierung der CDU“ wurde zum Kampfbegriff, der gegen Merkel verwendet wurde.
Wieso schlachtete das WBH das nicht als ihren Erfolg aus?
In der gegenwärtigen Groko ist das relative Ungleichgewicht sogar noch günstiger für die SPD, weil die Sozen die deutlich wichtigeren Ressorts besetzen (die CDU hat sich immer noch nicht von dem Schock erholt das mächtige Finanzressort gegen das schwache Wirtschaftsministerium getauscht zu haben) und zudem auch die Unionsministerien personell extrem schwach sind.
Klöckner, Seehofer, von der Leyen, Karliczek und Altmaier sind allesamt Totalausfälle. Spahn ist außerordentlich umtriebig, aber auch ebenso unbeliebt. Das Netteste, das man über Kanzleramtsminister Braun sagen kann, ist daß er vollkommen unbekannt ist.
Die sechs Sozen arbeiten devot ihre Projekte ab und hoffen still und leise, man möge sie irgendwann dafür mögen.
Bis auf Frau Schulze haben sich alle SPD-Minister als Stützen des Kabinetts gezeigt.
Das WBH muss nicht nur mit dem Pfund wuchern, sondern sollte dringend damit anfangen angesichts der dramatischen demoskopischen Lage Klöckner, Spahn, Seehofer, von der Leyen, Karliczek und Altmaier unter Feuer zu nehmen.
Es wäre ja schön, wenn geräuschlose, funktionierende Regierungsarbeit honoriert würde. Das ist aber nicht so; daher muss der SPD-General kontinuierlich auf CDU und CSU schießen, um auch dem letzten potentiellen Wähler einzuhämmern, daß CDU/CSU und SPD eben nicht „irgendwie das Gleiche“ sind, wie es Rezo so primitiv vereinfachend darstellte.

Erinnert sich noch jemand wie während der Schröder/Fischer-Regierung (1998-2005) wegen der Verpackungsverordnung und des Trittinschen Dosenpfands gegen die SPD gehetzt wurde?

2004 waren 33,7% der Verpackungen Einweg und 66,3% Mehrweg.
Dann kam Merkel.

2016 wurden in Deutschland 34 Plastikkaffeebecher pro Person verbraucht. 2,8 Milliarden Wegwerfplastikbecher plus 1,3 Milliarden zusätzlicher Kunststoffdeckel. Insgesamt 28.000 Tonnen Plastikgetränkeverpackungen.

Unter CDU-Ägide drehte die Bundesrepublik das Rad zurück. Im Lichte der Meeresvermüllung und Klimakatastrophe wurde Deutschland schlimmer als je zuvor.
Das sind knackige Zahlen, für die man sich in Grund und Boden schämen sollte.
Umweltministerin Schulze sollte nicht mit Starbucksfilialen sprechen, sondern ein radikales Gesetz einbringen, während das WBH ununterbrochen die Lobbyisten-hörigen Klöckner und Altmaier und attackiert und jedem einzelnen Wähler klar macht, welche Folgen die CDU-Politik hat.

Ein weiteres Beispiel, das für das Megathema Klima besonders relevant ist: Der Benzinverbrauch.
Schon vor dem Antritt der Schröder-Regierung gab es dazu auf rotgrüner Seite drastische Vorschläge („Fünf Mark der Liter Benzin“); Umweltminister Trittin machte gewaltigen Druck und setzte auf Betreiben Gerd Schröders die ökologische Steuerreform durch, um hohen Energhieverbrauch zu sanktionieren.
Genau der richtige Ansatz. Genauso hätten wir heute auch die deutschen Klimaziele erreicht.
Soweit kam es aber nicht, weil die Deutschen schon nach wenigen Monaten Rotgrün im Januar 1999 den Bundesrat wieder auf Schwarzgelb drehten und Merkel jedes zustimmungspflichtige Gesetz blockierte. Wir reißen alle Klimaziele, weil seit 2005 die CDU im Kanzleramt sitzt.
Man kann das sehr eindrucksvoll belegen – sogar auf Video, so daß es auch Rezo verstehen müsste.

[…..]  Das für die Union peinlichste Social-Media-Video der vergangenen Woche ist nur 37 Sekunden lang. Es handelt vom Thema Klimaschutz.
Es geht darin um die Frage, ob in Deutschland endlich eine CO2-Steuer eingeführt wird. Der Umweltsachverständigenrat hat eine vorgeschlagen, damit das Land seine Klimaschutzziele erreicht. Angela Merkel will keine. Sie wird mit den Worten zitiert, sie sei zuversichtlich, dass die Automobilindustrie demnächst das "Drei-Liter-Auto" auf den Markt bringen werde. Die Firmen wüssten ja, "dass ansonsten härtere Maßnahmen auf sie zukämen".
Der Clip stammt aus der "Tagesschau" vom 2. April 1998. Jetzt kursiert er auf Twitter, als Zeugnis eines historischen Irrwegs.
Merkel war damals Bundesumweltministerin. Drei-Liter-Auto kam exakt eins, aber das wollte kaum jemand haben. Warum auch, der Sprit war ja weiterhin schön billig. Bis heute hat sich folgerichtig eher das Modell Vorstadtpanzer durchgesetzt auf Deutschlands Straßen. Als bereiteten sich all die Pendler unbewusst schon mal auf eine postapokalyptische "Mad Max"-Zukunft vor, aber bitte mit allen Annehmlichkeiten, die die Extraliste so hergibt.
Am 6. Mai 2019, gut 21 Jahre nach dem zitierten "Tagesschau"-Bericht, twitterte Nico Lange, Vertrauter und Chefstratege der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer, zum Thema #CO2Steuer: "Wir wollen nicht vorschnell zu einem scheinbar einfachen Mittel greifen."
"Vorschnell". "Scheinbar". Langes Tweet ist nur eines von zahllosen Beispielen, in denen Unionspolitiker jetzt, im Jahr 2019, so tun, als sei das Thema Klimawandel gerade erst aufgetaucht. Als sei jetzt erst mal in Ruhe zu überlegen, was da zu tun sei. […..]

Hallo Nahles und Klingbeil, Ihr Schlafmützen! Wieso ist das Video nicht im Europawahlkampf in Endlosschleife gelaufen?

Mai 2019

Wieso wird nicht täglich auf die Quandtschen Großspenden an die CDU verwiesen, die engsten Merkel-Mitarbeiter, die nun wie von Klaeden Autolobbyisten sind?
Wieso prangert die SPD nicht jeden Tag Matthias Wissmann, CDU-Großzampano und Minister im Kabinett Kohl/Merkel, der jetzt Europas mächtigster Agitator gegen die Drosselung von klimaschädlichen Gasen ist?

(….) Gut möglich, daß sich die international inzwischen technisch abgehängte deutsche Autoindustrie nicht mehr erholt.

Möglich wurde das durch eine beispiellose Verflechtung von Merkel-Regierung und PKW-Lobby.

Matthias Wissmann, CDU, Bundesverkehrsminister 1993-1998 und Kabinettskollege Merkels wurde 2007 Präsident des Verbandes der Automobilindustrie.
Eckart van Klaeden, CDU, Merkels Kanzleramts-Staatsminister von 2009-2013 wurde nachdem er zu Gunsten Daimlers und BMWs in Brüssel gegen CO2-Abgaben intervenierte, sofort 2013 als Daimler-Cheflobbyist eingestellt.
Thomas Steg, SPD-Berater, 2002-2009 Merkels Vizeregierungssprecher dient seit 2012 als VW-Cheflobbyist.
Martin Jäger, Staatssekretär bei CDU-Vizeministerpräsident, CDU-Vizebundesvorsitzender und Schäuble-Schwiegersohn Thomas Strobl, wurde nach Stationen im Bundeskanzleramt und Außenministerium von 2008 – 2013: Daimler AG/Mercedes Benz, Leiter „Global External Affairs and Public Policy”, wechselte 2014 – 2016 Bundesministerium der Finanzen, Leiter des Leitungsstabs und Sprecher Schäubles.
Michael Jansen, CDU, 2006-2009 Merkels Büroleiter im Konrad-Adenauer-Haus, fungiert seit 2015 als Chef der Berliner VW-Vertretung.
Maximilian Schröberl, CSU, 1992-1998 Pressesprecher der Christsozialen amtiert seit 2006 als BMW-Cheflobbyist.
Joachim Koschnicke, CDU, 2005-2011 Planungschef der CDU, arbeitete von 2013-2017 als Politik-Vizepräsident bei Opel, wurde aber soeben von Merkel als CDU-Wahlkampfmanager zurückgeholt. (…..)

Vom Willy-Brandt-Haus erwarte ich, daß solche Fakten dem Volk eingehämmert werden. Die klimaschädliche Politik Deutschlands ist umso erbärmlicher, weil wir vor 20 Jahren unter einer SPD-Kanzlerschaft schon mal viel weiter waren.
Die Wähler – und da insbesondere die apathischen Nichtwähler aus Rezos Generation – haben aber dafür gesorgt, daß die CDU ins Kanzleramt kam.

Sonntag, 26. Mai 2019

War viel Wahl.

Hat jetzt etwa wirklich Rezo der SPD den Rest gegeben?
Die Wahlergebnisse sehen in der Tat so aus. Die Groko-Parteien aus dem Bund drastisch abgestraft, Rekordergebnis für die Grünen, bundesweit über 20% und dazu noch in der Altersgruppe der unter 30-Jährigen mit Abstand stärkste Kraft.

Die Grünen sind meine zweitliebste Partei, sind klar proeuropäisch ausgerichtet – also Gratulation von meiner Seite.

Wie groß der Rezo-Effekt war, vermag ich nicht zu sagen. Möglicherweise wäre es ohne sein Video ähnlich gekommen.
Die Groko war schon vorher historisch unbeliebt, die Top-Figuren im Willy-Brandt-Haus (WBH) katastrophal unfähig. Es gibt keinen Tag, an dem ich mich nicht für das ungeschickte Agieren von Nahles und Klingbeil schäme.

Die Grünen profitieren von vielen Effekten.

1.) Sie sind seit 2005 in der Bundestagsopposition und werden nicht mit dem schlechten Image der Regierung in Verbindung gebracht.
2.) Greta Thunberg und eine europaweite Demonstrationsbewegung haben das Thema „Klima“ ganz weit nach vorn auf die Themenagenda geschoben.
3.) Die Grünen werden von der veröffentlichten Meinung auf Händen getragen und stets gelobt, während man der SPD zwar durchaus zubilligt „das Richtige“ zu sagen, aber sofort dazu schreibt, sie habe ohnehin keine Glaubwürdigkeit mehr.
4.) Die beiden Realos Annalena Baerbock und Robert Habeck sind hervorragende Chefs; in jeder Hinsicht der Nahles-Crew meilenweit überlegen. Er ist der Strahlemann nach Außen, der die Massen beeindruckt und kann fordern was er will. 30 Milliarden für ein Grundeinkommen? Hurra, tolle Idee. Heils Pläne nach einer bloß sechs Milliarden teuren „Respektsrente“ werden sofort als unfinanzierbar kritisiert, jetzt, da „die Konjunktur abschmiert“.
Baerbock zieht hingegen im Hintergrund die Fäden und findet rechtzeitig  strenge Sprachregelungen, die ihr erlauben in der SZ rechtspopulistisch „schnellere Abschiebungen für straffällige Flüchtlinge“ zu fordern oder aus Rücksicht auf MP Kretschmann vor der Autoindustrie zu buckeln und jeden Klimaschutzgedanken zu vergessen. Die SPD würde sofort in einen lautstarken Hühnerhaufenmodus verfallen, weil Nahles nicht kommunizieren kann. Ober-Reala Baerbock hingegen kann alles durchsetzen.

Die SPD ist eine Konzeptpartei, die sich seit Generationen viele Gedanken über Europa macht, genaue Vorstellungen davon hat wie man mehr soziale Gerechtigkeit und Arbeitnehmerrechte gestalten müsste.
Das ist aber derzeit irrelevant, da die Sozis unter der Führung Schulz-Nahles medial unter „Generalverschiss“ geraten sind, wie es FDP-Vize Kubicki 2010 über seine Partei schon mal diagnostizierte.
Katharina Barley hat alles richtig gemacht, war fleißig, sympathisch, engagiert und konzeptionell ausgereift. Die Wähler mögen sie auch, aber sie mögen derzeit nicht ihr Kreuz bei der SPD machen, weil sie so out ist.

Der hoffnungslos überforderte Lars Klingbeil zeigte es heute wieder überdeutlich, als er nach der 18 Uhr-Prognose die seit Jahrzehnten ausgelutschten Phrasen von sich gab. Jetzt müsse sich wirklich was ändern, aber bitte keine Personaldiskussionen, es gehe um Inhalte und erst müsse ja auch das Wahlergebnis analysiert werden.

Sagenhaft. Das hören wir schon seit zehn Jahren aus dem WBH. Insbesondere die Generalsekretärin Nahles redete ab 2009 so. Herausgekommen ist nichts. Es ging immer nur weiter bergab.
Immer noch glauben Menschen in der Parteispitze, die Misere der Partei wäre mit neuen Programmen und Sozialstaatskonzeptionen zu überwinden. Man müsse nur genug Papier produzieren, das dann sorgsam von 80 Millionen Deutschen analysiert werde, einen rationalen Denkprozess in Gang setze und schließlich dazu führe wieder mehr Prozente zu bekommen.
Das ist leider Bullshit. Martin Schulz lag zum Anfang seiner Spitzenkandidatur ganz ohne Konzepte mit 33% vor der CDU/CSU, schmierte genauso konzeptlos auf 20% ab. Die außerparlamentarische Opposition FDP legte ohne irgendein inhaltliches Konzept um über 100% zu.
Die AfD ist ohne Parteiprogramm heute in Brandenburg und Sachsen stärkste Partei geworden.
Eine Partei braucht, um gewählt zu werden entweder

1.)
Grundvertrauen (das aber derzeit keine Partei mehr genießt)
oder

2.)
Eine sie tragende mediale Stimmung (zB „gegen Flüchtlinge“, „Fukushima“ oder „skolstrejk för klimatet“)
Oder

3.)
Richtig gute Leute an der Spitze, wie es 1998 Gerhard Schröder war, wie es der extrem beliebte Kretschmann ist, wie es Habeck ist.
So wie man Olaf Scholz in Hamburg vertraute oder gar Helmut Schmidt verehrte.

Leider hat die SPD nicht solche Leute an der Spitze, sondern nur Andrea Nahles, die immer zu laut, zu proletig, zu albern ist.
Die den Ton nicht trifft, für die man sich immer nur schämt.
Das ist durchaus tragisch, weil sie inhaltlich durchaus auch vieles richtig macht, aber sie ist als Person so abstoßend und gleichzeitig vollkommen beratungsresistent, daß sie die Partei immer mehr in den Abgrund reißen wird.


In der Opposition ist es so viel leichter, da kann man alles fordern, gegen alles sein und muss sich nicht um die lästige Realpolitik der Finanzierungszwänge kümmern.

Groko ist so unbeliebt? Dann geht doch endlich raus da!
Nahles ist eine Versagerin als Parteichefin? Dann soll sie doch abtreten!

So reden Irrealos. In der echten Welt folgt man aber nicht nur seinem ersten Impuls, sondern denkt noch über die Folgen nach.

Was passiert, wenn die SPD die Groko verlässt?
Es gibt drei Möglichkeiten:

1.) Merkel einigt sich auf Jamaika, die sechs SPD-Minister Maas, Scholz, Barley, Giffey, Schulze und Heil werden durch drei FDPler und drei Grüne ersetzt.
Dann wäre Oberlobbyisten und Porschefahrer Lindner Vizekanzler und würde gewaltig die Sozialleistungen zusammenstreichen. Also wäre es eine klare Verschlechterung zum Ist-Zustand. Allerdings ist die Variante unwahrscheinlich, da Jamaika schon einmal scheiterte und die 20%-Grünen von heute sicher keine Lust haben mit weniger Macht als die FDP (BTW 10,7%), nämlich ihren mickrigen 8,9% in die Regierung einzutreten.

2.) Neuwahlen. Dafür gibt es aber hohe Hürden. Sie können nicht einfach so vom Bundestag angesetzt werden, sondern setzt eine gescheiterte Vertrauensabstimmung und entsprechendes Handeln des Bundespräsidenten voraus. Warum sollte Merkel so ein blamables Ende ihrer Kanzlerschaft mutwillig herbeiführen und damit auch auf die glanzvolle EU-Ratspräsidentschaft im Jahre 2020 verzichten? Zumal ein schlechteres CDUCSU-Ergebnis als 2017 zu erwarten ist. Warum sollte die SPD das in sicherer Erwartung dramatischer weiterer Sitzverluste mitmachen? Diese Option ist also auch sehr unwahrscheinlich.

3.) Da man Kanzler nur mit einem konstruktiven Misstrauensvotum abwählen kann, es weit und breit keine Mehrheit für einen anderen Kanzler gibt und sich Frau Merkel zudem in einem persönlichen Umfrage-Hoch befindet – sie ist die beliebteste Politikerin Deutschlands, eine übergroße Mehrheit möchte, daß sie bis 2021 im Amt bleibt – wird sie  mit einer Minderheitsregierung Kanzlerin bleiben und sich hauptsächlich von FDP und AfD aushelfen lassen.
Das ist die mit Abstand wahrscheinlichste Variante.
Die sechs SPD-Minister Maas, Scholz, Barley, Giffey, Schulze und Heil werden arbeitslos, die SPD verliert jeden Regierungseinfluss, stattdessen sucht sich Merkel sechs möglichst weit rechts stehende neue Unionsminister à la Spahn, Klöckner, Seehofer, die mit nationalistischer, xenophober, antieuropäischer, homophober und antiökologischer Politik um die Zustimmung der über 90 AfD-Parlamentarier buhlen. Die Rechtsaußen Merz, Ziemiak, Linnemann scharren schon mit den Hufen.

Alle drei Varianten sind aus linker Sicht eine klare Verschlechterung zur Groko.
Die wahrscheinlichste Variante (3) ist die Allerschlechteste.

SPD-Romantiker wie Kevin Kühnert glauben an die Erneuerung der SPD in der Opposition. Das ist erstens Humbug und hat schon 2009 bis 2013 unter Nahles‘ Führung nicht funktioniert. Außerdem geht das nur um den Preis einer rechten Regierung. Das Klientel der SPD, die ärmsten in der Bevölkerung und das Klima  hätten am meisten zu leiden. Es gäbe drastische Rüstungsexportzunahmen, Umverteilung von unten nach oben, sowieso den totalen Durchmarsch von Pharma- und Versicherungslobbyisten auf Kosten der Patienten.

Der Fortschreitende Niedergang der SPD liegt hauptsächlich an Führungsfiguren.
Nahles und Klingbeil müssen durch dynamische, intelligente und sympathische Figuren, die in der Bevölkerung beliebt sind, ausgetauscht werden.
Wer soll das machen?

1.) Kühnert. Liebling der Linken, aber mit sehr wenig Faktenkenntnis gesegnet. Verursachte mit seinen missglückten Enteignungsphantasien, die von 90% der Bevölkerung kategorisch abgelehnt werden mitten im Europawahlkampf einen schweren Schaden für die SPD, weiß keine Alternative zur Groko und ist garantiert unfähig mit Merkel auf Augenhöhe zu verhandeln.

2.) Scholz. Liebling der Seeheimer und mir. Der Vizekanzler ist intellektuell absolut dazu in der Lage die SPD zu führen, hat schon oft die CDU ausmanövriert. Er ist sicher der klügste Kopf für den Job, aber andererseits bei Basis und Wählern hoffnungslos unbeliebt. Wie schon als SPD-General könnte er die Seele der Partei nicht erwärmen und würde nicht zur Verbesserung der Wahlergebnisse führen.

3.) Maas. Einer der beliebtesten deutschen Politikern, der sich seit Beginn von PEGIDA wie kein anderer Sozi dem Rechtsextremismus entgegen stellt und dementsprechend auch Lieblingsfeind der Identitären und AfD ist. Maas ist zweifellos intelligent und kann immer bella figura machen – schon mal zwei große Vorteile gegenüber Nahles.
Aber er hat kein Alpha-Mann-Gen, bringt aus dem Saarland keine Hausmacht mit und hat im Gegensatz zu zum Beispiel Scholz nie Wahlen gewinnen können. Er „zieht“ nicht, ist eher eine Nummer Zwei.

4.) Manuela Schwesig. Sie würde gern, bringt mit den Attributen „Frau, Jung, Osten“ Modernität mit. Aber ihre Regierung in Schwerin läuft nicht rund. Offenbar ist sie eine unangenehme Chefin, vor der gerade erst Mecklenburg-Vorpommerns Finanzminister Mathias Brodkorb (SPD) weglief, sein Amt hinwarf, weil er mit ihr nicht zusammenarbeiten könne. Zudem fungiert Schwesig als Schirmherrin für einen Homöopathie-Kongress und macht sich damit in den Agen aller rationalen SPD-Mitglieder lächerlich.

Alle anderen Namen, die mir einfallen sind noch unwahrscheinlicher.
Kein Wunder, daß sich sogar Sigmar Gabriel und Martin Schulz wieder Hoffnung auf den SPD-Bundesvorsitz machen. Es gibt leider niemand, der sich anbietet.

Damit genug zu meinen armen Sozen. Morgen geht es um Bremen und Europa.