Sonntag, 2. Juni 2019

Frauenkarte wegschmeißen


Um 09.55 Uhr hatte ich heute Morgen die Nahles-Bombe in meiner Mail-Box.
Immerhin, als SPD-Mitglied erfuhr man es als Erstes.

Zwei positive Sätze über Andrea Nahles will ich ausdrücken:

1.
Ich respektiere ihr Engagement. Die SPD liegt ihr wirklich am Herzen. Sie wollte die Partei wieder aufrichten.

2.
Ich respektiere ihre Konsequenz. Nahles läßt diesmal kein Hintertürchen offen. Parteivorsitz, Fraktionsvorsitz und Bundestagsmandat legt sie nieder, also ist Schluss mit aktiver Politik.

Und ja, natürlich tut sie mir persönlich Leid, wie es mir immer Leid tut, wenn eine öffentliche Figur total scheitert und ihr gesamtes Lebenswerk atomisiert am Boden liegt. Theresa May erwischte es erst vor einer Woche.

[…..] Ich wäre ein schlechter Richter, weil ich viel zu viel Mitleid empfinde.
Mir tat sogar Saddam Hussein leid, als er bärtig und halbverhungert aus seinem Erdloch gezerrt und später zu Tode gefoltert wurde. Oder Gaddafi, der von seinen Häschern gepfählt wurde, bis es ihm den Darm zerriss.
Natürlich will ich nicht sagen, daß einer der beiden Ex-Diktatoren ein netter Mensch war. Beide haben noch Schlimmeres veranlasst, als das was ihnen final widerfuhr.
Ich mag mich dennoch nicht an Leid und Folter alter Leute erfreuen.
Die weinende May, die ihren Lebensinhalt – den Vorsitz der Tories – aufgibt und gerade noch trotzig rausbrachte, sie liebe das Land, erlitt heute auch die maximale Folterstrafe.
Sie wird in die Geschichte eingehen als größte Versagerin aller britischen Regierungschefs, die in drei Jahren nicht einen einzigen politischen Erfolg vorzuweisen hatte, ihre stolze Nation zum internationalen Gespött machte, ihre heißgeliebte Partei, für die sie einst mit absoluter Mehrheit Premierministerin wurde bei den gestrigen Europawahlen in die Einstelligkeit führte und als Krönung auch noch auf der menschlichen Ebene jedes einzelne Stück Porzellan zerschlug.
In ihrer eigenen Partei schlägt ihr blanker Hass entgegen, niemand weint ihr eine Träne nach, jeder ist froh sie loszuwerden und hält diesen Schritt für weit überfällig.
Was für ein bitteres Ende. [….]

Kevin Kühnert schämt sich sogar öffentlich dafür immerfort an Nahles‘ Stuhl gesägt zu haben.


Und Lars Klingbeil, der für mich völlig unverständlich immer noch als „Lichtblick“ eingeschätzt wird…

[….] Die SPD-Parteispitze ist ein Sammelsurium von Menschen, die es immer weniger schaffen, den Nerv der Zeit zu treffen. Oder ihn nie getroffen haben wie der notorische Wahlverlierer Ralf Stegner. Einzig Malu Dreyer und natürlich der Generalsekretär Lars Klingbeil sind Lichtblicke. [….]

… übertrifft sich mal wieder selbst mit seinen hohlen Phrasen.

[….] "Es muss ein Ruck durch diese Partei gehen"
Das fordert SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil anlässlich des Rücktritts von Andrea Nahles – und wohl auch angesichts der desaströsen Wahl- und Umfrageergebnisse. [….]

Klingbeil hatte am 26.05.2019 ex cathedra erklärt, nun dürfe es keine Personaldiskussionen geben – eine Stunde bevor seine Chefin eine riesige Personaldiskussion anzettelte.

Viele Sozialdemokraten streuen nun Asche auf ihr Haupt. Das wäre doch irgendwie unfair, wie man mit Nahles verfahren wäre.

[…..] "Es macht mich fassungslos und sagt vieles aus über den Zustand einer Partei und den Charakter handelnder Akteure wie man mit Andrea Nahles umgegangen ist", sagte Harald Christ, Präsidiumsmitglied des SPD-Wirtschaftsforums, dem SPIEGEL. "Es darf jetzt keine Gewinner geben die hinter diesem Angriff stehen, es wäre grotesk wenn diese Methoden noch belohnt würden."
Auch der Europa-Staatsminister im Auswärtigen Amt, Michael Roth (SPD), zeigte sich erschüttert über schlechten Stil in seiner Partei: "Liebe Andrea Nahles! Der öffentliche Umgang mit Dir war schändlich. Einige in der SPD sollten sich schämen. Du hast Dich nach Kräften bemüht, manche Wunde der Vergangenheit endlich zu heilen. Danke für Deinen Einsatz! Respekt für diese Entscheidung." […..]

Der Anstand gebietet es einer so tief Gefallenen noch nachzutreten.
Das ist schon richtig so. Im Augenblick der größten Qual einer Vollblutpolitikerin soll man nicht gehässig sein und natürlich stinkt es, wenn gerade die eifrigsten Nahles-Kritiker jetzt Krokodiltränen vergießen.
Den Angehörigen der Nahles-Kamarilla nehme ich ihre ehrliche Trauer ab.

Häme zieht ihr Vorvorgänger und Hauptkritiker Sigmar Gabriel auf sich, weil er nun einen sachlichen Diskurs anmahnt.

[….] Zuvor hatte sich bereits Ex-SPD-Chef Sigmar Gabriel zu Wort gemeldet und eine "Entgiftung" der SPD gefordert. "Solange die SPD sich nur mit sich selbst beschäftigt, solange es nur um das Durchsetzen oder Verhindern von innerparteilichen Machtpositionen geht, werden die Menschen sich weiter von uns abwenden", sagte er der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" (HAZ). Auch künftig dürfe in der Partei hart über inhaltliche Differenzen gestritten werden, sagte Gabriel, der in seiner Zeit häufig mit Nahles über Kreuz lag. Nötig sei aber ein ehrliches Interesse an Menschen und ein freundlicher und solidarischer Umgang "nach innen und außen". [….]

Ich finde allerdings seine Einlassungen geradezu milde. Schließlich hatte er mit offenen Visier Nahles kritisiert und hat allen Grund sich über sie zu ärgern.
Gabriel wurde immerhin als beliebtester Politiker Deutschlands und gegen seinen Willen von Nahles als Außenminister zu Gunsten eines typischen Nahles-Hinterzimmerdeals abgesägt. Sie verkündete Schulz werde neuer Außenminister und beendete Gabriels politische Karriere.
Es war nur einer der unzähligen brutalen Nahles-Mauscheleien, bei denen sie sich auf Kosten Anderer Macht sichern wollte und dabei ob ihrer grandiosen Tölpelhaftigkeit der Partei schwer schadete und verbrannte Erde hinterließ.

Auch wenn mir Nahles als Privatmensch Leid tut, gehe ich nicht so weit wie Kühnert und schäme mich dafür wie böse ich ihr immer zusetzte.
Ich nehme für mich in Anspruch kein Opportunist zu sein und kritisiere die extrem fromme Katholikin schon öffentlich seit sie Juso-Vorsitzende wurde.
Ich habe sie auch scharf kritisiert als die SPD Ende der 1990er im Zenit ihrer Macht war. Sie geht mir aus vielen Gründen, politisch Relevanten und auch gänzlich Irrelevanten auf die Nerven.
Ich teile aber insbesondere ihr religiöses Weltbild, ihre Papst-Verehrung, das Verbot säkularer Gruppen in der SPD, ihre Eintreten gegen umfassende Patientenverfügungen und Sterbehilfe nicht.
Und ich halte sie für eine erbärmlich schlechte Strategin, die der SPD unterm Strich immer mehr schadete als half.
Ihr Agieren in demn letzten Tagen war ein Paradebeispiel dafür.
Selbst ihre wohlmeinendsten Freunde in der Fraktion schlugen nur noch die Hände über dem Kopf zusammen angesichts der völlig realitätsentkoppelten und beratungsresistenten Chefin.

[…..] Dann sprechen die Abgeordneten wieder über Nahles' Plan. Viele sind dagegen, sie fürchten, dass die Vorsitzende mit ihrem Vorstoß die Fraktion erst recht spalten wird. Manche sind regelrecht verzweifelt angesichts der Sturheit ihrer Chefin.
"Ich halte die Entscheidung, nächste Woche die Entscheidung herbeizuführen, für falsch", sagt Fraktionsvize Sören Bartol aus Hessen nach übereinstimmenden Angaben. "Machtpolitisch entspricht das dem Lehrbuch. Ich glaube aber, dass das Ergebnis uns alle umbringt." [….]
(DER SPIEGEL, 01.06.2019)

Genau das ist das Problem mit Nahles. Sie ist eine absolute Instinktpolitikerin, die nur aus dem Bauch heraus entscheidet.
Leider hat sie aber einen sehr schlechten Instinkt und irrt sich meistens.
Sie müsste die Optionen, die sich ergeben zu Ende durchdenken, aber dazu fehlt ihr ganz offensichtlich die Intelligenz. Und so führte sie auch diesmal ihre Partei in die Sackgasse.

Natürlich kann die SPD in dieser Megakrise keine handfeste Führungskrise, die auch noch die gesamte Bundesregierung an den Abgrund führt, gebrauchen.
Es wäre schön gewesen, wenn Nahles uns das erspart hätte.
Sie konnte es aber nicht, weil sie einfach eine schlechte Politikerin ist. Sie machte so viel falsch, daß die Option sie zu halten nicht mehr blieb.

Als einfaches Parteimitglied fühle ich mich bei Nahles-Auftritten immer wie Uwe Schmidt.

[….MdB] Uwe Schmidt, gelernter Hafenfacharbeiter aus Bremerhaven, erzählt, er habe neulich bei einem missglückten Wahlkampfauftritt hinter Nahles gesessen. Er habe seine Sonnenbrille nicht abgenommen – "weil ich nicht erkannt werden wollte". [….]
(DER SPIEGEL, 01.06.2019)

Nahles mag fleißig sein und sich Mühe geben, aber man kann nicht Parteichefin sein, wenn sich die Mitglieder für sie schämen müssen und immer nur bangen nicht auf die Peinlichkeiten aus dem Willy-Brandt-Haus angesprochen zu werden.

Sie ist nicht an den Intrigen und Lügen und Kabalen und Durchstechereien gescheitert, denn darin ist sie selbst Meisterin. Sie ist die Königin des Apparates, das Strippenziehen ist ihre erste Natur.
Sie ist nicht der arme Martin Schulz, der aus dem edlen, aber fernen Brüssel in die Berliner Schlangengrube geworfen wurde, sondern sie ist diejenige, die seit 30 Jahren Schlangen züchtet.

Wolfgang Thierse, der zweite Top-Katholiban der SPD, der auch schon so viel dafür tat die Wähler von der Partei wegzutreiben, sprang seiner Glaubensgenossin natürlich bei.

[….]  Der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse hat seine Parteimitglieder nun davor gewarnt, die SPD-Chefin zu stürzen. "Nachdem die SPD in ihrer großen und langen Geschichte mit Andrea Nahles zum ersten Mal eine Frau an ihre Spitze gewählt hat – welches Zeichen ist es, wenn diese Frau nach einem Jahr wieder gestürzt wird?", schrieb Thierse laut einem Bericht des Tagesspiegels in einem Appell an die SPD-Bundestagsabgeordneten.
"So sehr es menschlich verständlich ist, nach einer furchtbaren Wahlniederlage Personalfragen zu diskutieren – es ist der falsche Weg." In den vergangenen drei Jahrzehnten seiner SPD-Mitgliedschaft habe die Partei 13 Vorsitzende verschlissen "und damit den Niedergang der SPD nicht aufgehalten, sondern vielmehr befördert". [….]

Auch Thierse, wie die meisten Religioten mit sicherem Instinkt für den größtmöglichen Fehlschluss.
Natürlich möchte man nicht gern dauernd den Zug wechseln, aber wenn dieser Kurs auf die Wand nimmt, muss man leider abspringen.

Ekelhaft finde ich allerdings, wenn so ein eifriger Unterstützer der frauenfeindlichsten Großorganisation der Welt, ZdK-Mitglied Thierse nun die Frauenkarte spielt. Was für ein Heuchler!

In diesem Blog gibt es hunderte Artikel mit scharfen Angriffen gegen Andrea Nahles, weil sie immer wieder so viel falsch macht.
Das Einzige, das ich ihr genauso wenig wie andere ihr jemals vorwarfen, ist es eine Frau zu sein.
Sie ist Politikerin und für ihre Rolle als Partei- und Fraktionsvorsitzende spielt ihr Geschlecht keine Rolle.
England hatte schon zwei konservative Premierministerinnen, Deutschland eine Kanzlerin, zwei CDU-Chefinnen. Es amtieren deutsche Ministerpräsidentinnen, die Grünen haben seit Jahrzehnten weibliche Sprecher.
Jetzt soll ausgerechnet die SPD milder mit Nahles umgehen, weil sie kein Mann ist?

Bei Thierse wundert mich gar nichts mehr, aber wieso kommt der von mir hochgeschätzte MdB Lauterbach, Mitglied der Parlamentarischen Linken (PL) ebenfalls mit diesem Argument? Er fragte öffentlich, ob man auch so unfair mit Nahles umgegangen wäre, wenn sie ein Mann gewesen wäre?
Ja, wäre man. Als Beleg gelten all die Männer, mit denen Nahles unfair umging und sie brutal wegmobbte – Müntefering, Schulz, Scharping, Gabriel.

[…..] Für Fraktionsvize Karl Lauterbach brachte das Thema Frauenfeindlichkeit ins Gespräch: „Da hat auch Frauenfeindlichkeit eine Rolle gespielt“, sagte Lauterbach der Welt. In der SPD müsse man sich nun überlegen, in welchem Stil man in Zukunft miteinander umgehen wolle. [….]
(RND, 02.06.19)

Nein, das weise ich empört zurück.
Man kann mir Katholikenfeindlichkeit oder vielleicht auch Eifel-Feindlichkeit, ganz sicher sogar Karnevals-Feindlichkeit unterstellen.
Aber daß Nahles eine Frau ist, spielt keine Rolle.
Sie ist einfach eine ganz schlechte Politikerin. Unabhängig davon ob sie XX- oder XY-Chromosomen hat.

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