Dienstag, 21. Januar 2020

Das Leben schwer machen


Wenn ein chinesischer Arbeiter nach einer gemütlichen 14-Stunden-Schicht auf dem Bau nach Hause gehen kann, hat er Glück. Ein paar Hundert Millionen von ihnen sind nur Wanderarbeiter und müssen neben den Baustellen im Dreck übernachten.
Aber an der Haustür kann ein Zettel hängen, auf dem ihm lapidar mitgeteilt wird, er habe sechs Tage Zeit auszuziehen; dann werde an der Stelle wo sein Haus steht eine Schnellstraße gebaut.
Aus europäischer Sicht ist die Fatalität, mit der solche Enteignungen hingenommen werden verblüffend.
Aber die Idee persönlicher Rechte gegenüber des Staates gab es lange Zeit gar nicht und keimt erst langsam auf.
Die Schnellstraße komme ja auch allen zu Gute und nicht nur einem wie das alte Haus der Familie.
So eine marktradikale kommunistische Zentraldiktatur ist natürlich ein Traum für Wachstumsfetischisten.
Da geht es voran.
Wenn eine ZK-Provinzgröße gern ein neues Hochhaus, ein Sperrwerk, einen Flughafen oder auch eine neue Stadt haben möchte, wird das eben gemacht. In Windeseile.
Bauzeiten in China sind schon beendet, bevor man in Deutschland einen Termin bei der Genehmigungsbehörde hätte.
Die innovative Firma Broad Group in China stellte im Jahr 2012 ein Hochhaus mit 57 Stockwerken in unter drei Wochen fertig. Drei Stockwerke an einem Tag. Am 20. Tag konnten die Menschen einziehen.


[…..] Das jüngst auf diese Art und Weise entstandene Hochhaus in Changsha, Hauptstadt der chinesischen Provinz Hunan sowie die Stadt, in der Mao Tse Tung seine Karriere begann, hat viel Aufmerksamkeit erregt. Ein auf YouTube eingestelltes Video wurde mehr als drei Millionen Mal aufgerufen. Zeitungen in allen Kontinenten berichteten über die revolutionäre Leistung: Höchstgeschwindigkeit par excellence, 57 Stockwerke nebst Inneneinrichtung in 19 Tagen. 19 Atriums, 800 Apartments und 4.000 neue Arbeitsplätze verteilen sich auf 180.000  Quadratmetern Fläche. [….]

Ein 15-Stöckiges Wohnhaus war schon zuvor in 90 Stunden komplett erbaut worden.

Mit deutschen Arbeits- und Umweltschutzgesetzen, mit Bauvorschriften und Klimaschutzregeln dauern Großprojekte wie Stuttgart 21, der BER, die Elbphilharmonie statt 19 Tagen eher 19 Jahre.

Seit Jahren ist eine der wichtigsten Elbquerungen Hamburgs, das Wahrzeichen Köhlbrandbrücke marode und überlastet. Die 1974 für schlappe 160 Millionen gebaute 3618 m lange Brücke lohnt keine Reparatur mehr.
Ein Neubau kostet zwei bis vier Milliarden. Daher wird überlegt lieber gleich einen Tunnel zu bauen. Der wäre zwar noch teurer, hält aber deutlich länger als eine Brücke.

[…..] Für einen Ersatz der maroden Köhlbrandbrücke rechnet die Hamburger Hafenverwaltung Hamburg Port Authority (HPA) mit deutlich höheren Kosten als bisher bekannt. Nach Informationen von NDR 90,3 würde schon eine neue Brücke mehr als 2,5 Milliarden Euro kosten. Die Kosten für einen Tunnel, wie ihn viele im Hafen für sinnvoll halten, übersteigen sogar die Grenze von drei Milliarden Euro. Nach einer Berechnung der HPA, die bereits seit mehr als einem Jahr in den Schubladen schlummern, liegen die Kosten bei rund 3,2 Milliarden. Diese Summen beinhalten nicht nur den eigentlichen Tunnel beziehungsweise die Brücke, sondern auch den Anschluss an die Autobahn sowie den Abriss der alten Köhlbrandbrücke. [….]

In Hamburg plant man schon seit Jahren, aber so einfach ist das nicht zu entscheiden. Zur Finanzierung sind auch Bauexperten wie die bayerische Blitzbirne Andi Scheuer notwendig; denn der sitzt auf den Milliarden-Fördertöpfen des Bundes.

Die Zeit wird knapp, denn schon im Jahr 2030, spätestens 2035 wird die alte Köhlbrandbrücke kaum noch zu benutzen sein. Ob man so ein Projekt in 15 Jahren fertig bekommt, steht in den Sternen. Die Fertigstellung der Elbphilharmonie – ein wesentlich einfacherer und kleinerer Bau – dauerte von 2007 bis 2017. Ob der Berliner Flughafen jemals in Betrieb geht, weiß niemand.
Dort war 2006 der Spatenstich. Die Pläne für Stuttgart21 waren 1995 fertig. Baubeginn war 2010 und mit der Fertigstellung rechnet man frühestens 2025.

Vielleicht lohnt sich die Planung eines Tunnels unter dem Köhlbrand auch gar nicht mehr. Bei dem Tempo der gegenwärtigen Weltwirtschaftsentwicklung und der unfassbaren finanziellen Potenz Chinas ist es gut möglich, daß bis 2030 oder 2035 der Hamburger Hafen längst einem Pekinger Staatskonzern gehört.
Seit Jahren kaufen Xis Jungs Hochseehäfen in aller Welt und nebenher noch das halbe Ackerland Afrikas.
Wenn der chinesische Präsident eine neue Elbquerung anordnet, wäre das vermutlich in einem Monat erledigt.

Die asiatischen Großbaufähigkeiten ernsthaft zu bewundern – das tue ich – bedeutet allerdings nicht, sich das System auch für Westeuropa zu wünschen.
Es lässt sich trefflich lästern, wenn wieder einmal eine seltene Schneckenart oder dubiose Wasserpflanze endlose Bauverzögerungen in Deutschland verursachen.
Aber Umwelt- und Naturschutz sind Werte, die nachhaltiger als Wachstum sind.
Wollen wir wirklich in einer Welt leben, in der individuelle Rechte irrelevant sind? In der Menschenleben bloß nachgeordnete Rechengrößen sind?
Und was ist eigentlich der Vorteil für die Gesellschaft, wenn man einen Bahnhof 100 mal so schnell baut?
Solange man es sich aussuchen kann, präferiere ich allerdings das westeuropäische Demokratiemodell. Ich präferiere auch deutsche Arbeitsschutzregeln statt der nicht vorhandenen Japanischen, die zu einer derartigen chronischen Erschöpfung führen, daß kein Privatleben mehr existiert und immer mehr Angestellte ihren einzigen Ausweg im Suizid sehen.

Blöderweise können wird nicht wie in der primitiven Gedankenwelt eines Donald Trumps Mauern hochziehen und abgeschottet vom Rest der Welt sein.
Die Globalisierung ist Realität und mehr als jedes andere Land ist Deutschland vom Außenhandel abhängig.
Also muss sich Berlin schon ein wenig anstrengen.
Deutschland kann garantiert nicht in jeder Hinsicht mit Asien konkurrieren, sollte aber durch Bildung und Infrastruktur die Bedingungen für Innovationen und Spezialistentum schaffen.
Wenn wir dabei nicht frühzeitig die Umwelt endgültig zerstören, wäre es auch ganz schön.
Da können wir uns keine Lahmarschigkeit mehr leisten und müssen chinesischer werden. Einst der wirtschaftlich stärksten Bundesländer, Hessen, hat ausgerechnet unter der Regentschaft superstarker Grüner im letzten Jahr gerade mal vier Windräder fertiggestellt.
Das geht nicht! Die Individualrechte, Einspruchsmöglichkeiten und Baurechtsexzesse dürfen nicht dazu führen, daß eine entscheidenden Branche wie die der regenerativen Energie gestoppt wird.

[…..] In einem kleinen Ort in Hessen zeigt sich, warum der Ausbau der Windkraft in Deutschland ins Stocken geraten ist. Der neue Windpark wird bekämpft - von Naturschützern, von AfD-Politikern und mit Angstmacherei. [….]

Das ist Grünes Totalversagen an der Regierung. Wie in Hamburg, so auch in Hessen.

[…..] Ganze vier Windräder sind 2019 in Hessen aufgestellt worden, was Wirtschaftsminister Al-Wazir auf die windradfeindlichen Bundesregelungen zurückführt - andere Länder kommen aber mit ihnen deutlich besser zurecht. Überhaupt sind die hessischen Anstrengungen gegen die Erderwärmung zwar ordentlich, aber auch nicht ehrgeiziger als die des bayerischen CSU-Ministerpräsidenten Markus Söder.
Dass es in der hessischen Polizei rechtsradikale Vorfälle gab, müsste die Grünen zutiefst regierungskritisch werden lassen - nur sind sie halt selber in der Regierung. Beim Skandal um die keimbelastete Wurst des nordhessischen Herstellers Wilke machte ausgerechnet die grüne Verbraucher- und Umweltministerin Priska Hinz keine gute Figur. Ein Gesetzentwurf zur Neustrukturierung der Ausländerbeiräte bringt viele Migrationsfachleute gegen die Grünen auf; im Rhein-Main-Gebiet drängen Wohnungsnot und Verkehrskrise, auf dem Land herrscht digitale Steppe. […..]

Finanzminister Olaf Scholz weiß als ehemaliger Landesregierungschef wie man Projekte zügig umsetzt. Nach dem totalen Wohnungsbaustopp unter Schwarzgrün bis zum Jahr 2011 begann er mit seinem Amtsantritt 2011 eine massive Bautätigkeit. Seither sind in Hamburg 89.000 Wohnungen, viele davon sozial gefördert, fertiggestellt worden, die zu einem klaren Rückgang des Mietanstieges führten. Scholz trat auch allen Elphi-Verantwortlichen so in den Hintern, daß der Bau endlich fertiggestellt wurde.
Und so müht er sich nun verzweifelt darum seinerseits Fördermittel unter die Bundesländer zu bringen, so daß diese auch Bauprojekte, Investitionen in die Infrastruktur und Schulsanierungen durchführen.


[…..] Im September 2019 hatte Scholz von 15 Milliarden Euro nicht abgerufenem Fördergeld gesprochen, Mittel für Klimaschutz, Schulen, Straßen und sozialen Wohnungsbau, die ungenutzt liegen blieben, was Scholz zu einer für einen Finanzminister sehr ungewöhnlichen und natürlich öffentlichkeitswirksamen Bitte an Städte und Gemeinden inspirierte: "Bitte nehmt das Geld." […..]

Die Gründe sind komplex. Oft sind es gerade die finanzschwachen Gemeinden, die Fördermittel nicht ausgeben, weil sie den Eigenanteil nicht aufbringen können.

Außerdem kranken Projekte an Langsamkeit und komplizierten Bauvorschriften.
Richtig zu planen bindet viel Personal in Ämtern und Rathäusern. Personal, das nicht da ist, da um die Jahrtausendwende alle deutschen Gliederungen im McKinsey- und Roland-Berger-Wahn ihre Mitarbeiter gefeuert haben. Verschlankung und Entbürokratisierungen lauteten die Zauberworte, mit denen CDU und FDP getrieben von Springer und INSM auf Wählerjagd gingen.
Herzlichen Glückwunsch. Das hat geklappt. Nun sind wir so schlank, daß keine Innovationen mehr möglich sind.
Und wenn sich doch mal findige städtische Angestellte finden, um einen Bau auszuschreiben, winken die Bauunternehmer ab, die gar keine Lust haben mit komplizierten öffentlichen Auftraggebern zu arbeiten.

[…..] Auch der Personalmangel in den Städten führt dazu, dass Geld nicht abgerufen wird, Projekte stillstehen. […..]  Selbst Boomstädte wie München oder Köln, die inzwischen wieder bei Kasse sind, suchen beinahe verzweifelt Mitarbeiter. In Köln fehlen selbst den berühmten Museen die Leute, Gemälde zu restaurieren oder gar Schenkungen zu begutachten. Besonders hart ist das Bauwesen betroffen, wo Planstellen zu Dutzenden frei sind und sich Baugenehmigungen, die viel Arbeit bedeuten, lange hinziehen können. Das Problem sei leider, heißt es dort, erneut die private Konkurrenz: "Dort wird besser gezahlt, als wir es können, uns setzen schon die Tarife Grenzen."
Wenn aber "Planungskapazitäten fehlen", sagt Städte- und Gemeindebundchef Landsberg, trägt dies dazu bei, "dass bestimmte Förderprojekte nicht bearbeitet werden können", schon gar nicht innerhalb der Fristen, die oft recht kurz sind. […..] Ein dritter Grund für liegengelassenes Fördergeld betrifft vor allem arme Kommunen: Oftmals müssen sie, um an die Mittel zu kommen, einen Eigenanteil bezahlen, der je nach Land und Projekt zwischen zehn und 30 Prozent liegt. Wenn sie den nicht stemmen, ist auch die Fördersumme perdu. […..] Ein vierter Grund, warum die Kämmerer das Fördergeld eben nicht so einfach nehmen, wie es der Finanzminister empfiehlt, wiegt wesentlich schwerer: Es ist die ausgeuferte Bürokratie und die Regelungswut. Lange Planungsverfahren, endlose Rechtswege. "Wer den Bauauftrag für eine Kommune übernimmt", sagt Gemeindebund-Experte Portz, "muss erst mal Dutzende Seiten Vorschriften des komplexen Vergaberechtes studieren. Und man kann sich vorstellen, dass er einen privaten Bauherren vorzieht, der ihm weit weniger Mühe macht."
Teil dieser Bürokratie sind die oft sehr knappen Fristen für Fördermittel. [….]

Also bitte keine chinesischen Verhältnisse in Deutschland!
Aber daß wir uns dermaßen in Bauvorschriften und Zuständigkeitsgewirr verstricken, daß hier gar nichts mehr gebaut wird, kann ja nicht die Alternative sein.

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