Heute bin ich öde. Aber als Teenager und Twen war ich längere Zeit damit beschäftigt, verschiedene Spielarten des Lebens auszuprobieren. Man muss einige Dinge mal gemacht haben, um zu wissen, daß sie einem nicht gefallen.
Rauchen, Trinken, Drogen kam sehr früh und dann musste ich natürlich auch meinen Kleidungsstil finden.
Wie ich schon mehrfach schrieb gefallen mir a posteriori die 1980er Jahre am besten, weil sie so divers waren.
(….) In meiner Jugend war es ein großer Fauxpas Frisuren von Mitschülern nachzumachen und die gleichen Moonboots zu tragen.
„Wenn all von einer Klippe springen, tust du das dann etwa auch?“
Individualität war gefragt.
In der Abi-Zeitung gab es Bilder von Individuen, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Mods, Popper, Punks, Ökos, Langhaarige, Grufties, Edel-Punks, Goths, Müslis und auch die zwei, drei Anzugsträger aus der JU.
Heute sind die Abi-Zeitungen meiner ehemaligen Schule online. Sie haben sich alle hübsch zusammen zu einem Gruppenfoto vor der Aula aufgestellt. (Schon das wäre vor 30 Jahren unmöglich gewesen, weil sich die meisten so einem Massenbild verweigert hätten).
Der nivellierende Effekt der sozialen Medien ist sagenhaft: Alle Mädchen tragen die gleiche Jennifer Aniston-Frisur und alle Jungs tragen streng einheitlichen Dreitage-Bart und Anzug.
Die Jugend wurde sanft gehirngewaschen und vermutlich ohne es selbst zu bemerken optisch in eine Lemming-Armee verwandelt. (….)
(Pimmel-Problematik 10.02.2019)
Die männlichen Twens der Gegenwart sehen hingegen alle gleich aus. Und alle eint der Wahn rund um die Uhr am Klugtelefon kleben zu müssen. (….)
Ich konnte, anders als die Jugend von heute, weder Internet, noch Klugtelefon vermissen, weil sie nicht erfunden waren und bei niemanden die Vorstellung existierte, man könne so etwas benötigen. Auf der Suche nach „abgefahrenen Klamotten“ stöberte man also zunächst einmal im elterlichen Kleiderschrank – in meinem Fall dem Mütterlichen, da ich ohne Vater aufwuchs. Zum Glück mochte sie schwarze Unisex-Mode, so daß ich mit etwa 15 Jahren einen ihrer Blazer klaute. Ein ganz gerade und schmal geschnittenes Ding ohne Revers. Ich war damals schon einen guten Kopf größer, als meine Mutter, aber extrem schmal. Dadurch passte das Ding perfekt und ich war begeistert, weil so ein Sakko im Gegensatz zu „Jugendmode“ jede Menge Taschen besaß. Ein enormer Vorteil in den Zeiten, als noch kein Junge auf die Idee gekommen wäre, wie heute mit Louis Vuitton-Handtäschchen rumzulaufen, man aber durchaus allerlei Zeug immer „bei der Hand“ haben musste: Portemonnaie, Monatskarte, Labello, Schlüsselbund, Zigaretten, Feuerzeug, ein Döschen mit Gras, noch eine Packung Zigaretten.
Wie praktisch. Der einzige Nachteil war beim Ausgehen, daß meine Freundin mir immer ihr Geld und ihre Zigaretten auch noch in die Hand drückte „du hast doch Taschen“. Ich bemerkte schnell weitere Vorteile: So ein Sakko kann man tagelang anziehen; niemand bemerkt es und spricht einen drauf an, immer dasselbe zu tragen. Ich erinnere mich immer noch an einen Morgen im Deutsch-LK, als mein damaliger bester Freund, der neben mir saß, plötzlich sagte: „das ist eine coole Jacke, hast du die neu?“, obwohl ich das Sakko da schon mindestens ein Jahr fast jeden Tag trug. 1. Praktisch, 2. unauffällig und der dritte Vorteil eines schwarzen Sakkos lautet: Man ist automatisch immer schick, muss sich nicht erst verkleiden, wenn man mal zu einem offizielleren Anlass muss.
Durch puren Zufall hatte ich also schon mit 15 meinen Kleidungsstil gefunden und blieb ihm bis heute treu. Wenn man jung und dünn ist, sieht es natürlich besonders gut aus, wenn solche Dinger eng auf Figur geschnitten sind. Als Twen besaß ich auch Varianten, die zwar uni schwarz waren, aber mit verschiedenen Stoffen, Mustern und Schnitten aufwarteten. Gehröcke liebte ich sehr. Im Alter sind die Dinger wieder unauffälliger, weiter, sollen kaschieren, statt betonen. Aber die schwarzen Sakkos sind meine tägliche Uniform geblieben, weil sie neben all den genannten Vorteilen auch meiner Bequemlichkeit entsprechen. Ich musste in den letzten Jahrzehnten nicht eine Minute Zeit verschenken, um zu überlegen, was ich anziehe, was zusammen passt; sondern kann immer einfach das Erstbeste aus dem Schrank nehmen. Dabei bekleide ich kein öffentliches Amt und treffe beruflich kaum jemals auf Menschen, bei denen ich auf eine bestimmte Weise gekleidet sein müsste. Eine der wenigen Ausnahmen ist mein Schöffenamt. Da gibt es sogar eine Broschüre, die darauf verweist, welche Klamotten ungeeignet sind, wenn man auf der Richterbank sitzt. Aber auch da bin ich selbstverständlich fein raus. Ein schlichtes schwarzes Sakko geht immer.
Das diametrale Gegenteil von mir ist Angela Merkel, die nicht nur einen Job hat(te), bei dem sie immer von der halben Welt gesehen wird, sondern auch noch als Frau der Ungerechtigkeit unterliegt, anhand ihrer Kleidung und äußerlichen Erscheinung bewertet zu werden.
Das kann sicher brutal sein, wie „Kohls Mädel“ Claudia Nolte (ab 1994) und Angela Merkel (ab 1990) erlebten, als Ossi-Frau der CDU ins Bundeskabinett eintraten und ganz offensichtlich noch von niemanden beraten wurden. Noch nach 30 Jahren erinnert man sich an Noltes grausame weiße Rüschenbluse, die sie zur Amtseinführung als Familienministerin trug. Merkel erging es noch schlimmer, weil sich ihr eigener Kabinetts- und Parteichef Kohl gern öffentlich über ihr Erscheinungsbild mokierte.
Er habe ihr erst mal beibringen müssen, ordentlich mit Messer und Gabel zu essen, erklärte der dicke Pfälzer feixend über Ministerin Merkel.
Ein ungeheuerlich sexistisches und misogynes Verhalten, das natürlich nicht nur die CDU-Frauen aus der DDR über sich ergehen lassen mussten. Insbesondere die Grünen Frauen, die 1980 in die Bundespolitik kamen, wurden mit sexistischer Häme aus den Reihen der CDUCSU überschüttet.
Nolte vertrieb es vollständig aus der Politik. Nach dem Ende der Kohl-Regierung 1998 bekam sie nie wieder ein wichtiges Amt. Bei Merkel verlief es bekanntlich ganz anders. Nach acht Jahren schlechter Witze über ihr Ministerinnen-Outfit, beschloss sie offenbar, sich nicht davon runtermachen zu lassen, sondern nach Kohls Ende umso entschlossener weiter an ihrer Karriere zu arbeiten. Allerdings schleppte sie drei Nachteile in der Andenpakt-CDU von 1998 mit sich herum. Sie ist 1. eine Frau, 2. unfotogen und 3. mit einer kompakt-pyknischen Figur versehen. Für alle drei Punkte kann sie nichts. Es ist grob unanständig, sie für einen dieser Punkte zu kritisieren. Insbesondere wenn man bedenkt, daß häßliche Fettsäcke wie Kohl oder Strauß nie ob dieser Äußerlichkeiten beurteilt wurden.
Merkel war aber klug genug, um zu wissen, daß sie dieses Thema in der ersten Reihe der Politik nie loswerden würde und unternahm mit ihrem Machtzuwachs um 1999 auch ein großes Makeover. Schminke und Frisur wurden ein für alle Mal festgelegt und nie mehr verändert. Sie legte sich die Raute zu, um ihre Haltung vor den Mikrofonen zu stabilisieren und fand zu ihren inzwischen so bekannten bunten Hosenanzügen. Ein zugegeben genialer Schachzug. Denn durch die unterschiedlichen Farben konnte sie ihr Outfit täglich verändern, ohne aber der Presse Anlass zu geben, ihre Kleiderwahl zum Thema zu machen, weil es immer die gleiche Kombination war. Es wurde ihre Uniform.
Die Hamburger Schneiderin Bettina Schoenbach aus der ABC-Straße machte ab Anfang der 20zehner Jahre alle Kanzlerinnen-Kostüme. Vorher ließ Merkel bei der Berliner Designerin Anna von Griesheim anfertigen, aber dort gab es offenbar Indiskretionen. Es wurde über ihre berühmteste Kundin getratscht und Merkel kam nie wieder. Schoenbach hingegen verlor nie ein Wort über Merkel.
Ähnlich soll Merkel auch mit Friseuren und Visagisten verfahren. Sie ist eine unkomplizierte Kundin, die selbst den Termin macht, kaum Extrawünsche hat, aber nie wieder kommt, sobald irgendetwas Privates von ihr ausgeplaudert wird.
Als Hamburger ist mir das sympathisch, aber mutmaßlich ist es einfach knallhartes Kalkül Merkels: Sie weiß, daß ihre solche Storys nur schaden und sie unnötig Angriffsfläche böte. Also würgt sie alles im Keim ab, was Boulevard-tauglich sein könnte.
Ich habe selbstverständlich keine Ahnung, welchen Kleidungsstil Merkel rein privat bevorzugt, halte es aber ihre Methode, sich optisch zu präsentieren, für intelligent. Sie akzeptiert die Gegebenheiten und macht das Beste draus. Es ist ihre individuelle Uniformität.
Brigitte Macron ist ein ganz anderer Fall. Sie kann als Französin ohnehin schlecht Modefragen komplett ignorieren. Glücklicherweise hat sie eine phantastische Figur, ist hochgradig fotogen und hat einen legendär guten Modegeschmack. Die Frau sieht immer perfekt aus und kann sich so gut kleiden, daß sie auch in extravagantesten Outfits nicht kritisiert wird. Dieser Stil, diese Klasse, ist offensichtlich vielen Französinnen „angeboren“ und nicht erlernbar, wie das Beispiel Melania Trump zeigt, die als Ex-Model natürlich ebenfalls eine perfekte Figur hat und bei der Wahl ihrer Kleidung über unendliche Mittel verfügt. Anders als Macron, ist sie aber eine im Grunde ihres Wesens eine Proletin, sieht oft verkleidet aus, greift schwer daneben. Ihre Umdekorierungen im Weißen Haus sind allesamt legendär misslungen. Sie ruinierte Jacky Kennedys Rosengarten und ließ grotesk scheußlichen Weihnachtsdekorationen aufstellen.
Melania Trump fehlt es an der Merkelschen Selbsterkenntnis „Mode nicht zu können“ und entsprechend ihre Finger davon zu lassen. Das beweisen auch ihre übertriebenen Plastic Surgerys die inzwischen für alle Frauen des Mar A Lago-Universums Pflicht sind: Aufgespritzte Lippen, kleine Nase, Schlitzaugen, boob-job.
Donald Trump liebt offensichtlich diesen Typ und so lassen sich Laura Loomer, Kristie Noem, Lara Trump, Ronna Romney McDaniel oder Kimberly Guilfoyle alle einheitlich umoperieren. Gut für Merkel, daß sie nie in den OP-Wettkampf einstieg und rational blieb.
So nachvollziehbar ich Merkels äußerliche Entscheidungen finde, so unverständlich bleibt mir, wieso Bettina Schoenbach die Kanzlerinnen-Kostüme nie in der richtigen Größe anfertigt. Immer sind die Oberteile zu kurz und zu eng. Das konterkariert leider Merkels Bemühungen, ihre Mode nicht zum Thema zu machen.
Als dicker Mensch ist es schwierig, Anzüge, bzw Kostüme „von der Stange“ zu finden, die gut sitzen. Das Problem entfällt aber, wenn man über die Mittel verfügt, maßschneidern zu lassen. Dann kann man auch als Moppel ausgezeichnet angezogen sein. Der genau vor 20 Jahren ermordete Rudolf Moshammer bewies es mit seinem enormen Wanst: Trotzdem saßen seine Hemden und Blazer immer absolut perfekt, waren aus schicken hochwertigen Stoffen gefertigt. Andere bekannte Dickerchen, wie Helmut Kohl, der natürlich auch einen privaten Schneider beschäftigte, mangelte es einfach grundsätzlich an Stil. Seine Anzüge saßen immer schlecht und waren peinlich schlabberig. In diese Kategorie fielen auch seine Minister Rühe und Kinkel, die mit sagenhaft zerknitterten und zerlotterten Klamotten auftraten.
Das muss nicht sein! Joschka Fischer (in allen Körperformen), Gerd Schröder, Heiko Maas, von Dohnanyi oder auch, ganz aktuell Felix Banaszak sind stets in auffällig perfekt sitzenden Klamotten zu sehen, auch wenn Letzterer durchaus mal legerer daherkommt, kaum Krawatten trägt und unter dem Sakko nur ein krangenloses Shirt oder einen Rolli anzieht. Es passt aber immer gut zusammen und sitzt richtig.
Gegenbeispiel Donald Trump, der sich sicher auch Schneider und beste Materialien leisten kann, aber in den letzten zehn Jahren noch nie mit passenden Hosen gesehen wurde. Es sind eher viel zu lange Hosenröcke mit grotesk überlangen Krawatten. Der Mann ist eben auch in der Hinsicht geschmacklos.
Generell haben es leptosome Typen wie Merz einfacher. Ein Anzug in seiner Größe findet sich leicht.
Möglicherweise ist die in dem letzten halben Jahr auffällig schlanker werdende Ozempic-Bitch Söder trotz seiner auf Instagram inszenierten Dauerfresserei daher auch erpicht, so dünn wie Merz zu werden. Es nützt nur nichts, da Söder noch geschmackloser als Trump ist und in unfassbar ausgebeulter, teilweise regelrecht schlampiger Rentner-Funktionskleidung auftritt. Offenkundig ist das bei dem Kamera-verliebten MP Strategie. Er will sich beim Wahlvolk als einer der ihren einschmeicheln. Einer, der genauso verlumpt und haltungslos in Opas Kord-Janker auf dem Sofa rumlungert. Als Söders Altersgenosse frage ich mich, was bei dem Mann schief gelaufen ist. Ich mag ein Sozi und zwar ein linker Sozi sein, aber ich bin zu konservativ, um zu akzeptieren, daß Spitzenpolitiker so peinlich angezogen öffentlich rumstolpern.