Dienstag, 20. Mai 2025

Naiv

Nun ist es nun einmal so – die mächtigsten Männer der Welt; Putin, Xi, Trump; sind genau die Art Männer, die man keinesfalls auf solchen Posten sehen möchte.

Aber natürlich kommen solche Alpha-Males nicht zufällig in dorthin; sie sind am besten dafür ausgerüstet, sich nach oben zu boxen. Das politische System des Reichs der Mitte ist aus europäischer Sicht undurchsichtig. In den USA und Russland handelt sich formal aber noch um so etwas wie Demokratien; ihre Präsidenten wurden gewählt. Auch wenn von fairen Wahlchancen nicht die Rede sein kann. Putin und Trump wurden jeweils grotesk bevorzugt, mit Milliarden Dollar krimineller Oligarchen gepampert. Beide drangsalieren die Gewaltenteilung, attackieren Presse und Justiz.

Man kann zweifelsfrei sagen; die beiden Ü70er ähneln sich in vieler Hinsicht: Amoralität, Korruption, Sadismus, Skrupellosigkeit, Verachtung von Schwäche, Hass auf Minderheiten.

Es gibt aber auch bedeutende Unterschiede. Trump ist senil, dumm wie Bohnenstroh, borniert, ungebildet, einfältig, manipulierbar und faul. Putin ist all das nicht. Bei direkten Treffen, bzw Telefonaten, kann der Russe den Amerikaner daher nahezu beliebig einwickeln, weil dieser ihm intellektuell nicht mal ansatzweise gewachsen ist.

Natürlich lief ihr gestriges Zweistunden-Gespräch genauso so: Anschließend prahlte Trump von seinen Erfolgen, glaubte, er habe sich durchgesetzt, während er in Wahrheit keinen Millimeter voran kam, von Putin mit Scheiße gefüttert wurde. Der Champagner-Verbrauch des Kremls muss enorm sein; so oft wie dort die Sektkorken knallen, weil Dummerle Trump den Russen auf den Leim geht.

[….] Wenn es nicht ganz so großartig läuft, dann kann Donald Trump, sowohl der 45. als auch der 47. Präsident der Vereinigten Staaten, es immer noch unter »großartig« verbuchen.  Ein Beispiel dafür ist sein Bemühen, im Krieg zwischen Russland und der Ukraine zu vermitteln. Ein Konflikt, den er eigentlich bereits »an Tag eins« seiner zweiten Amtszeit gelöst haben wollte. Es hat nicht geklappt, Moskau bombardiert weiter ukrainische Ziele, vor allem nachts – aber Trumps Ego ficht das nicht an. Er findet, es läuft bei ihm als Vermittler für Frieden oder zumindest für eine Waffenruhe zwischen Moskau und Kyjiw. Dabei gibt es weder Frieden noch eine Waffenruhe. Und Trump ist bereits vier Monate im Amt. [….] Trump hat mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin telefoniert – offiziell bereits zum dritten Mal seit seinem Amtsantritt Ende Januar. [….] Das Ergebnis fasste Trump in einem Post auf Truth Social  zusammen: Das Gespräch mit Putin sei »sehr gut« verlaufen – nun sei es an den beiden Kriegsparteien, alles Weitere auszuhandeln. [….] Trump übernimmt damit Pi mal Daumen die Position Putins, der zwar nicht aufhören will zu kämpfen, aber immer anbietet, zu verhandeln.

Kurz: Ein Durchbruch sieht anders aus. [….]

(SPON, 20.05.2025)

Man wußte es selbstverständlich schon im Wahlkampf; Trump behauptet, den Ukrainekrieg schon am Tag nach seinem Wahlsieg in 24 Stunden beenden zu können, weil er ein pathologischer Lügner ist und die Komplexität des Themas nicht ansatzweise versteht.

Nach vier Monaten „Trump im Amt“, eskaliert Putin die Gewalt sogar noch mehr.

Es ist offensichtlich, dass Trump nicht nur völlig amoralisch denkt, sondern immer noch kein bißchen die Hintergründe des Krieges versteht. Washington reagiert zunehmend, wie ein garstiges Kind, das seinen Willen nicht bekommt.

Möglicherweise begreift Vance bereits, sich bei der Russland/Ukraine-Politik auf dem Holzweg zu befinden. Trump hingegen ist immer noch absolut ahnungslos, hat keinen Schimmer davon, wie kunstvoll er von Putin mit Scheiße gefüttert wird.

[….] Trump und Putin am Telefon: Nichts als Floskeln

Putin schmeichelt Trump. Er tut das zwei Stunden lang am Telefon. In der Sache aber bewegt er sich keinen Millimeter. [….] Seit mehr als drei Jahren dasselbe. Putin zeigt sich unbeweglich. Einen Waffenstillstand mit der Ukraine hält er „erst nach Erreichen entsprechender Vereinbarungen“ für möglich. Das ist seine Absage ans Schweigen der Waffen, ohne ein klares „Njet“ zu verwenden. Er will dem heimischen Publikum zeigen, dass er standhaft bleibt, dass er sich auch dem Druck Trumps nicht beugt – auch wenn er mit Sätzen wie „Kompromisse, die beiden Seiten passen müssten“ oder „wir sind auf dem richtigen Weg“ vor allem Trump schmeicheln will.  Der Amerikaner wird denn auch später von einem „hervorragenden Gespräch“ berichten und behaupten, Russland und die Ukraine würden „umgehend“ Gespräche über die Waffenruhe und das Ende des Krieges führen. Er ist nicht bereit, Druck auf den Kremlherrscher auszuüben, und lässt sich weiterhin an der Nase herumführen. Trump spielt Putin systematisch in die Hände – und scheint es nicht zu merken. Oder es ist ihm bewusst und vollkommen egal. Und weiter geht’s zum Geschäftlichen. [….]  „Die Position Russlands ist klar“, sagt Putin – so, als erledige er das noch schnell nebenbei, zwischen all den anderen Terminen. „Das Wichtigste für uns ist es, die Grundursachen des Konflikts zu beseitigen.“ Das ist die russische Formulierung für die Unterwerfung der Ukraine. Dafür hat Putin seine von ihm so betitelte „Spezialoperation“ gestartet. Es geht ihm nicht darum, der Ukraine auf Augenhöhe zu begegnen. [….] Die Ziele werde Moskau ohnehin erreichen, heißt es immer wieder aus dem Kreml – ob nun mit Trump oder ohne. Trump aber hört in diesen Worten lediglich Lobhudeleien. Moskau hängt ihm derweil „Nudeln um die Ohren“, wie die Russ*innen sagen, wenn sie jemanden in die Irre führen – und einfach so weitermachen wie bisher. [….]

(Inna Hartwich, 20.05.2025)

So abstoßend Trump menschlich und charakterlich auch ist; für seine Naivität im Umgang mit Putin gelten mildernde Umstände: Er ist nun einmal geistig viel zu zurückgeblieben, um zu verstehen, wie er manipuliert wird.

Aber wie erklären Wadepfuhl und Merz ihren naiven (Irr)-Glauben an Trumps Verhandlungsgeschick? Ist es nicht noch schockierender, so einer globalen Maximalverarsche aufzusitzen, wenn man nicht zu dumm ist, um zu begreifen, was man tut?

[….] Merz ist für die Ukraine ins Risiko gegangen – und vorerst an Trump gescheitert [….] Der Kanzler hat den westlichen Schulterschluss gegen Russland gesucht, um Kiew zu helfen. Doch der US-Präsident lässt ihn hängen. [….] Das für die Ukraine desaströse Ergebnis des Telefonats zwischen Donald Trump und Wladimir Putin ist auch die erste große Niederlage für Friedrich Merz. Der neue Kanzler hatte darauf gesetzt, Trump für Druck auf Putin gewinnen zu können. Zwischenzeitlich sah es so aus, als könnte das gelingen. Nun muss Merz erkennen: In Trumps Welt segeln die Europäer immer in schwerer See. Es gibt keinen sicheren Hafen. [….]

(Daniel Brössler, 20.05.2025)

Zu allem Übel haben sie auch noch mit großer Verve und Pathos die ganze EU auf das Abstellgleis geführt.

[….] Brüssel hatte große Erwartungen an Trumps Telefonat mit Putin. Aber nach dem Gespräch gab der US-Präsident seinen Segen zu: nichts. Jetzt stehen die Europäer da mit all ihren Drohungen.  [….] Die Europäer hatten große Erwartungen in das Telefonat gesetzt, das Trump am Montag mit Putin geführt hat. Sie hatten geglaubt – zumindest gehofft –, dass der Amerikaner dem Russen endlich die Zusage zu einem Waffenstillstand abringt. Und dass Trump, wenn Putin sich weiter windet, seine Zustimmung zu dem harschen Sanktionspaket gibt, das der US-Senator Lindsey Graham geschrieben hat. Da stehen ein paar Klopper drin, die Putin Angst machen könnten – 500 Prozent Strafzoll für alle Länder zum Beispiel, die russisches Öl und Gas kaufen. Ohne Trumps Segen funktioniert das allerdings nicht.

Doch nach dem Gespräch mit Putin, das laut Trump „im Ton und in der Atmosphäre exzellent war“, gab der US-Präsident seinen Segen zu: nichts. [….] In Brüssel klingt das, als habe Trump, allen Absprachen mit seinen europäischen Kollegen zum Trotz, die Brocken hingeworfen. Sollen sich Moskau und Kiew einigen, soll sich Europa um die Ukraine kümmern. [….] (Hubert Wetzel, 20.05.2025)

Jeden Tag ein neues Merzdesaster. Weil er nicht weiter als bis zur Nasenspitze denkt. Der Mann kann es einfach nicht.

Montag, 19. Mai 2025

Kommt der rosa Winkel zurück?

In meinem greisen Alter habe ich keine Kontakte zur queeren Szene mehr; insbesondere weil ich ohnehin nicht mehr ausgehe. In meinen Teen- und Twen-Jahren war ich aber gerne“ Fagstag“, weil es so schön subversiv war, in Schwulendiscos zu gehen. Meine spießigen Mitschüler waren so angenehm entsetzt. Das gefiel mir natürlich. Egal, wo genau man sich privat auf der Kinseyskala verortet; schwules Nachleben hat mehrere enorme Vorteile: Musik und Mode sind viel besser und es gibt keine Aggressionen. Viele andere Männer mögen offensichtlich Mackertum, Ruppigkeit, Drohgebärden, Flexen und mal eine Prügelei.  In der Hinsicht bin ich von Geburt an unterentwickelt; ich mag es friedlich und zivilisiert. An einer Schlägerei habe ich nie teilgenommen und vermisse auch nichts. So wie ich auch keinerlei Drang verspüre, mit einem Porsche oder einer Diamant-besetzten Rolex oder einer 30 Jahre jüngeren Busen-Barbie zu protzen.

Da mein Abi mittlerweile einige Jahrzehnte zurückliegt, sind meine Berührungspunkte zu allen Szenen ohnehin lange abgerissen. Es interessiert mich nicht mehr, was gerade „in“ ist. Mein persönlicher Geschmack wird nicht mehr von aktueller Mode beeinflusst. Wie alle älteren Menschen, blicke ich mal mit Amüsement auf Trends, weil ich Muster und Wiederholungen erkenne. Unterwürfige Weibchen, Tradwifes – deren Wiederkehr hätte ich in den 1980ern sicher nicht antizipiert. Mal finde ich Mode-Erscheinungen aber auch ästhetisch  völlig verirrt. Aufgespritzte Lippen, Medizinball-Busen, Einheitsvollbart, Muskel-Oberkörper, Tattoos, rasierte Genitalien/Achseln, Mützen im Sommer, Nasenringe. Das könnte ich ewig fortführen und damit 95% der Boomer aus der Seele sprechen. Aber natürlich haben die Elterngenerationen der Teens/Twens der 50er, 60er, 70er und 80er Jahre, genauso die Nasen gerümpft. Die Mode der nachfolgenden Generationen zu beurteilen, macht keinen Sinn.

Zumal es „in meinen 80ern“ viele Moden gab, die ich entweder begeistert oder unbewusst mitging, deren Ende ich heute voller Überzeugung begrüße: Allgegenwärtige Zigarettenwerbung, Saufen und Rauchen im TV, FCKW-Sprays. Es ist schon besser, im Auto fahrende Kleinkinder, in vernünftige Kindersitze zu stecken, Katalysatoren, bleifreies Benzin und Airbags zu nutzen.

Sofern es in 50 Jahren noch eine Menschheit gibt, wird sie rückblickend staunen, wie man 2025 so irre sein konnte, in Deutschland für 80 Milliarden Euro pro Jahr fossile Brennstoffe zu kaufen, um sie zu CO2 zu verbrennen, damit sogar Autos zu betreiben und das toxische Abgas legal genau in der Kopfhöhe von Kleinkindern in die Umwelt zu blasen. Sollte sich Homo Sapiens (entgegen meiner Erwartung), doch nicht zu meinen Lebenszeiten von der Oberfläche dieses Planeten sprengen, wird sehr vieles, das wir jetzt für selbstverständlich halten, verschwunden und geächtet sein. Massentierhaltung, Fleischkonsum, Genitalbeschneidung bei Kleinkindern, Waffenproduktion, Religion, Lebenszwang.

In den 1980ern und 1990ern hielt ich die Anliegen der nach wie vor diskriminierten und kriminalisierten Lesben und Schwulen (Transsexuelle waren noch gar nicht im öffentlichen Bewußtsein angekommen) für wichtig und unterstützenswert, erwartete allerdings kontinuierliche Fortschritte. Irgendwann würden CSDs überflüssig, weil niemand mehr auf die Idee käme, das Rad der Zeit zurück zu drehen. So wie 1990 auch niemand mehr Frauen das Wahlrecht entziehen wollte. Oder Kinderarbeit zurückwünschte, oder die Kugelgestalt der Erde in Frage stellte. Oder zum Geozentrismus zurück wollte.

Aber damals hatte ich das Internet, die sozialen Medien und die damit einhergehende partielle radikale Volksverdummung nicht antizipiert.

 Inzwischen kriechen die Flacherdler, Chemtrailer, Impfgegner, INCELs und sonstige Irre nicht nur wieder aus ihren Löchern; nein, sie vernetzen sich und werden zum Machtfaktor. Längst für selbstverständlich gehaltene Errungenschaften, werden wieder abgebaut.  Der mächtigste Mann der Erde wird mit seiner Regierung dafür gefeiert, Klimaschutz abzuschaffen, Windmühlen zu verbieten, Plastikstrohhalme vorzuschreiben und, natürlich, Queere zu diskriminieren und zu verfolgen.

Das fällt; den Tech-Lords sei Dank; überall in Europa auf fruchtbaren Boden.

Transphobie, Homophobie, Antisemitismus und Xenophobie werden unter deutschen Jugendlichen immer beliebter. Mit freundlicher Unterstützung der rechtsextremen AfD-Sudeltruppe, aber auch hetzender Koalitionspolitiker – Merz, Reiche, Weimer, Klöckner – sammelt die (ehemalige NPD) „Heimat“ die widerlichsten Teens ein und hetzt sie auf Homos.

[….] Dirk-Martin Christian, Präsident Verfassungsschutz Sachsen:

"Wir beobachten auch, dass es einen substanziellen Aufwuchs gibt in der rechtsextremistischen Szene, dass immer mehr junge Leute sich diesen Gruppierungen anschließen. Wenn ich von jungen Leuten spreche, dann meine ich wirklich junge Leute, teilweise im Alter von deutlich unter 14 Jahren, die sehr selbstbewusst auftreten, die sich auch in der Öffentlichkeit mit ihrem Gesicht zeigen. Und wir erleben vor allen Dingen auch eine Zunahme der Gewaltbereitschaft bei eben diesen jungen Leuten."

Seit vergangenem Jahr sprießen neue rechtsextreme Gruppen wie Pilze aus dem Boden. Um die Hundert haben wir identifiziert.

Ein Treiber sind laut Verfassungsschutz diverse rechtsextreme Störaktionen gegen CSD-Veranstaltungen von Lesben-, Schwulen- und queeren Verbänden ab Sommer 2024.

Ganz Döbeln hasst den CSD. Ganz Döbeln hasst den CSD.

In kurzer Zeit seien Gruppierungen entstanden, die den Schulterschluss mit " (…) größeren Akteuren der rechtsextremistischen Szene – etwa der Partei "Die Heimat" und deren Jugendorganisation JN – suchen."

Das zeigt sich auch am 1. Mai in Gelsenkirchen. Die Gruppe "Jung und Stark" Seit an Seit mit der JN. Claus Cremer, Mitglied im Vorstand der Heimat, räumt sein Ziel offen ein. [….]

(Kontraste, 08.05.2025)


Eigentlich interessiere ich mich schon lange nicht mehr für CSDs, bekomme „die Saison“ nur mit, weil im Nachbarhaus dann immer Regenbogenflaggen im Fenster hängen. Aber CSDs werden nicht, wie ich einst dachte, mangels Notwendigkeit abgesagt. Weil es niemanden mehr interessiert, wer was im Schlafzimmer tut.

Nein, das Gegenteil ist der Fall. CSDs werden abgesagt, weil die Nazis auf den Straßen so mächtig sind, daß der Merz-Staat die Sicherheit queeren Menschen nicht garantieren kann. (Oder will?) Nazis sind, wie einst Kreuznet, besessen von Homosexualität, können ihre ewiges Faszinosum Analverkehr einfach nicht aus dem Kopf bekommen.

[….] Der Christopher Street Day am Samstag in Gelsenkirchen ist kurz vor dem geplanten Start wegen einer "abstrakten Bedrohungslage" abgesagt worden. [….] Veranstaltet wurde der CSD Gelsenkirchen in diesem Jahr zum ersten Mal vom queeren Jugendzentrum "Together".

"Eine Stunde vor Beginn der Demonstration erreichte uns ein Anruf von der Polizei, dass es eine unkonkrete Anschlagswarnung gäbe", berichtete ein Sprecher gegenüber der Tageszeitung "WAZ". "Die Warnung war für einen CSD in Nordrhein-Westfalen, aber nicht konkret, für welchen Punkt."

"Eure Sicherheit steht über Allem", schrieben die Organisator*innen auf Instagram. "Gerade heute, wo wir den internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter*- und Trans*feindlichkeit mit Euch gemeinsam begehen wollten, trifft uns das in besonderem Maße." Die CSD-Besucher*innen wurden stattdessen ins Jugendzentrum eingeladen. Laut Polizei waren bis zu 600 Teilnehmende für die Demonstration angemeldet. [….] Aufgrund der Gefährdungslage wurde auch eine angemeldete Demonstration zum IDAHOBIT in Mönchengladbach in eine stationäre Kundgebung umgewandelt. "Die Polizei hatte im Vorfeld Kenntnis von verdächtigen Äußerungen in Sozialen Medien erhalten, die sich allgemein gegen die Teilnehmenden der landesweit stattfindenden Kundgebungen richteten", teilte die Polizei Mönchengladbach mit. Aus diesem Grund wurden die Hindenburgstraße und der Bereich um den Sonnenhausplatz abgesperrt. [….]

(Queer.de, 17.05.2025)

Wir gehen in die ganz falsche Richtung. Inzwischen gibt es breite Landstriche in Deutschland, die mehrheitlich für queerfeindliche Gewalt propagierende Nazis votieren.

Sonntag, 18. Mai 2025

Drama-Kanzler

Fritze Merz ist halt nicht die hellste Kerze unter der politischen Zunft. Um aufzufallen und um seine Epigonen anzuheizen, haut er daher immer wieder dramatische Sprüche raus und liebt dramatische Auftritte, wie am berüchtigten 29.01.2025, als Merz sein Versprechen brach, mit den Nazis abstimmte, Michel Friedmann aus der CDU trieb, Holocaustüberlebende schockierte, die Rechtsextremen aufwertete und inhaltlich selbstverständlich gar nichts erreichte.

Die Materie Politik ist zu schwierig für ihn; er schafft es intellektuell nicht, die Folgen seiner dramatischen Sprüche zu antizipieren.

·        Pushbacks verstoßen gegen das EU-Recht? Huch?

·        Steuern massiv senken, ohne Schulden zu machen geht nicht? Ach?

·        Asylanten nehmen gar nicht die Zahnarzttermine weg? Na sowas!

·        Mit der Kürzung des Bürgergeldes um eine Milliarde Euro kann man gar nicht Investitionsbedarf von tausend Milliarden Euro decken? Erstaunlich.

·        Man braucht die Grünen für eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag? Potzblitz!

·        Die Linken müssen zustimmen, um die Tagesordnung zu ändern? Konnte ja niemand ahnen.

·        Der internationale Haftbefehl gegen Bibi ist gar keine Petitesse? Echt nicht?

·        Putin stellt seinen Krieg gar nicht ein, wenn Merz ein paar markige Sprüche ablässt? Wie überraschend!

·        Taurus-Systeme lassen sich gar nicht so einfach, wie eine Steinschleuder bedienen? Merkwürdig.

·        Es gibt gar keine Asylnotlage, weil die Zahlen schon seit einem Jahr kontinuierlich zurückgehen? Eiderdaus!

·        Die EU pariert nicht auf seine Ansage, das Lieferkettengesetz einfach abzuschaffen? Eigenartig.

Es erinnert doch sehr stark an Donald Trumps 'Nobody Knew Health Care Was So Complicated'.

Hinterher steht Merz immer dumm da und muss seine eigenen Worte fressen. Das ist kaum auszuhalten. Und wir sind erst in Woche Zwei.

Die gesamte konservative Presse, die Industrielobbyisten und die ÖRR-Talkshows feiern und lobpreisen ihren Helden-Kanzler dennoch, weil er die verhassten Grünen aus der Regierung schob und man nun wieder ungeniert Zugang zu den Ministerien hat. Endlich Schluß mit der lästigen Nachhaltigkeit. Und er reist ja auch so viel. Unser „Außenkanzler Merz“! Einfach grandios. Das hat schließlich bisher noch kein neuer Kanzler gewagt: Sich nach seiner Wahl, ins Flugzeug zu setzen, um sich den wichtigsten Verbündeten im Osten und Westen vorzustellen. Ein genialer Move. Sogar in Brüssel war Merz. Und sein Außenminister Wadepfuhl gar schon in Israel! Scholz und Baerbock saßen hingegen immer nur auf dem heimischen Sofa.

Wie ich unsere Nius/Döpfner/Strobl-Presselandschaft kenne, könnte dieser Merzeymoon noch lange anhalten. Der lange Sauerländer mit der kessen Lippe ist ein Mann nach ihrem Geschmack. Und falls doch mal auffallen sollte, daß Merz ohne Kleider dasteht und die versprochenen Steuererleichterungen für die Mittelschicht gar nicht kommen, ist wenigstens schon mal sicher, wen dafür die alleinige Schuld trifft: DIE SPD! Merz würde ja auch die Nicht-Millionäre ein paar Steuerpunkte weniger gönnen - „Sobald es die finanziellen Möglichkeiten hergeben“. Vermutlich also nie. Denn Merz sagt den Satz direkt nachdem die Steuerschätzung 81 Milliarden Euro weniger Einnahmen bis 2029 prognostiziert.

[….] Mehr Netto vom Brutto? Unbedingt, aber auch für Lars Klingbeil gelten die Gesetze der Mathematik  [….] Die neue Regierung verspricht den Bürgerinnen und Bürgern sinkende Abgaben. Doch beim Vorhaben selbst legt sie sich Fesseln an. Willkommen im Christian-Lindner-Gefängnis. [….]Die Menschen dürfen irgendwann in den nächsten vier Jahren auf mehr Netto vom Brutto hoffen – allerdings nur, wenn sich der Staat ein solches Geschenk auch finanziell leisten kann. [….] Das eigentlich schmerzhafte am Merz’schen Satz jedoch ist, dass er mit etwas mehr Mut gänzlich verzichtbar wäre. Denn selbstverständlich ist eine Entlastung der breiten Masse auch möglich, ohne die Staatskasse zu plündern – dann nämlich, wenn die Steuersenkungen für Durchschnitts- und Geringverdiener zumindest teils durch Steuererhöhungen an anderer Stelle gegenfinanziert werden. Hier böten sich etwa Firmenerben, Ultrareiche und auch international agierende Tech-Unternehmen mit riesigen Gewinnmargen an.  Doch die Koalition hat sich auf Drängen der Union das Nachdenken über jedwede Steuererhöhung selbst verboten – vermutlich, weil sich der Parteivorsitzende Merz nach seinem Ja zu einer Lockerung der Schuldenbremse nicht noch einmal den Zorn des wirtschaftsliberalen CDU-Flügels zuziehen wollte. [….]

(Claus Hulverscheidt, 16.05.2025)

Verdammter Lars! Falls doch mal jemand genauer auf die CDU-Truppe sieht, hetzt man einfach wieder gegen Migranten. Oder gegen die Grünen.

Samstag, 17. Mai 2025

Israel-Fragen

Das dürfte wohl das einzige sein, das ich dieses Jahr über den ESC lese: Kann die israelische Sängerin Yuval Raphael sich in Europa frei bewegen und in der Schweiz auftreten? 2024 in Malmö musste Eden Golan wegen massiver Todesdrohungen in ihr Hotelzimmer weggesperrt werden und wurde angeblich vom israelischen Geheimdienst geschützt. So viel zur Freiheit in Europa.

Offenbar hofft man in Jerusalem, den grässlichen Bildern, die es letztes Jahr in Schweden gab, zu entgehen, indem man eine Vertreterin aussuchte, die eindeutig selbst ein tragisches Opfer ist.

[….] Mit der Nominierung Raphaels wurde versucht, das alles etwas abzukühlen. Gleichzeitig ist es aber eben auch sie, die den Nahostkonflikt als Person auf die Bühne trägt. Denn sie ist eine Überlebende des Hamas-Massakers vom 7. Oktober 2023. Mit Freunden feierte sie an diesem Tag auf dem Nova-Festival, als aus dem Gazastreifen Raketen nach Israel geschossen wurden und Hunderte Terroristen begannen, auf dem Festival und in den umliegenden Kibbuzim wahllos Menschen zu ermorden und zu entführen. Raphael und ihre Freunde versuchten, erst mit dem Auto zu fliehen, versteckten sich dann aber doch in einem Bunker am Straßenrand, der eigentlich gegen Luftangriffe schützen soll. Dort fanden die Hamas-Terroristen sie. Sie feuerten in die Menge, warfen Granaten in den Bunker. Immer wieder. Raphael überlebte verletzt als eine der wenigen, unter den Leichen versteckt. Noch immer habe sie Schrapnelle in ihrem Körper, erzählt sie in Interviews. Womöglich sollte mit ihrer Teilnahme am ESC den Kritikern die Angriffsfläche genommen werden. Denn jede Kritik an Israel müsste sich dann auch mit dem Angriff der Hamas auseinandersetzen.  [….]

(Nicolas Freund, SZ, 17.05.2025)

Aber abgesehen von Raphaels persönlichem Martyrium; auch wenn sie keinerlei Bezug zum Hamas-Massaker hätte: Es ist die Paradedefinition von Antisemitismus, einer Person, wegen ihres Jüdisch-Seins zu drohen und sie aufgrund ihrer zufälligen Zugehörigkeit zu einem Kollektiv zu verurteilen. Hier verschwimmt alles: Judentum, Israel, Gaza, Netanyahu-Regierung, Ethnie, Religion.

Marcel Reich-Ranicki, 1920 im polnischen Włocławek geboren, hatte einen säkularen polnischen Vater (David Reich) und eine deutsche Mutter (Helene Auerbach). Er besuchte die deutsche Schule in Polen und zog 1929 mit seinen Eltern als kleines Kind nach Berlin. 1938 deportierte man ihn nach Polen, ab 1958 lebte er wieder dauerhaft in Deutschland. Eine Verbindung zu Israel hatte er gar nicht. Reich-Ranicki gehörte aber auch nicht zur jüdischen Religion, weil er immer Atheist war.

„Gott ist eine literarische Erfindung. Es gibt keinen Gott. […] Ich kenne keinen. Hab ihn nie gekannt. Nie in meinen Leben!“

(MRR)

Kein Israeli, kein Angehöriger des Judentums und dennoch zweifellos Jude, obwohl es gar keine „menschlichen Rassen“ gibt. Er gehörte nicht zu der Ethnie, nicht zu der Religion und nicht zu dem Nationalstaat (Israel), empfand sich aber eindeutig als Jude. Die Beispiele Marcel und Teofila Reich-Ranicki zeigen die Perfidie des Antisemitismus: Aufgrund nicht existenter, ausgedachter Zugehörigkeiten, wurden ihre gesamten Familien, ihre Eltern, alle Geschwister, alle Verwandte ermordet.

Yuval Raphael ist genauso wenig für den Gazakrieg und die Netanyahu-Regierung verantwortlich, wie Annalena Baerbock für Adolf Hitler oder ich für Donald Trump.

Menschen, die ihre außerordentlich berechtigte Kritik an Bibis inzwischen offenkundig genozidalen Krieg ausdrücken, indem sie einzelne Israelis und/oder Juden in Berlin, Malmö oder Basel angreifen, gehört meine ganze Verachtung.
Das ist Antisemitismus! Und es ist ebenfalls antisemitisch zu behaupten, man dürfe Israel nicht kritisieren, weil es die klassischen Stereotype aus der Nazizeit bedient: Es gäbe mächtige internationale jüdische Seilschaften, die so etwas verböten.

Selbstverständlich darf man Kritik üben.

(….)   Viele Rechtsextreme, viele Idioten und leider auch zu viele engagierte Linke, blamieren sich, seit die Hamas am 07.Oktober 2023 mehr als 1.400 Israelis massakrierte und rund 250 Menschen als Geiseln verschleppte, mit verstörenden Aussagen.

Möglicherweise gab es schon beim Jom Kippur-Krieg 1973, oder dem Sechstagekrieg von 1967 so abwegige deutsche Meinungen dazu. Aber glücklicherweise gab es damals noch kein Internet, so daß nicht jeder Depp seine irrelevanten Ansichten publizierte.

Ich möchte 20 Axiome zur Nahost-Meinungsäußerung in Deutschland nennen, die ich mir nicht etwa gerade selbst ausdenke, sondern seit Jahrzehnten rauf und runter gebeten werden. Aber offensichtlich dennoch immer weniger gehört werden.

1.   Niemand ist gezwungen sich zu positionieren.

2.   Niemand muss Nahost-Experte sein.

3.   Kritik an Israelischer Politik ist nicht verboten.

4.   Politisches Handlungen der Jerusalemer Regierung zu kritisieren, ist nicht antisemitisch.

5.   Einzelne Menschen jüdischen Glaubens in Deutschland für Netanyahus Handlungen zu beschimpfen, ist antisemitisch.

6.   Die Hamas ist nicht identisch mit den Palästinensern.

7.   Ein nach 1945 geborener Deutscher ist nicht Schuld am Holokaust.

8.   Die Deutschen Bürger sind aber dafür zuständig, den Holocaust nicht zu vergessen und ihn nicht zu wiederholen.

9.   Für die historischen Leiden des jüdischen und des palästinensischen Volkes ist Deutschland sehr stark mitursächlich und sollte deswegen auf internationaler Ebene nicht ausgerechnet am Lautesten kritisieren und den moralischen Zeigefinger schwenken.

10.Hamas-Terror, der zum Beispiel beinhaltet, die deutsche Geisel Shani Louk, nackt zur Schau zu stellen, sie zu vergewaltigen, foltern, köpfen, zu zerstückeln und mit solchen Taten im Netz zu prahlen, ist eben nicht mit den Aktionen Israelischer Soldaten zu vergleichen.

11.Wenn man auf Social Media Israel beschimpft und dafür seinerseits kritisiert wird, bedeutet das nicht „man darf ja gar nichts mehr sagen“.

12.Meinungsfreiheit in Deutschland bedeutet nicht das Recht, seine Meinung immer widerspruchslos kund zu tun.

13.Wenn deutsche Juden nur unter besonderem Schutz in Schulen oder Synagogen gehen können, ist das nicht ihre Schuld, sondern eine elende Schande für die deutsche Gesellschaft.

14.Empathie für die getöteten Kinder im Gaza-Streifen zu empfinden, bedeutet nicht, israelfeindlich zu sein.

15.Empathie für die von der Hamas gefolterten und getöteten Israelis zu empfinden, bedeutet nicht, alle Palästinenser zu hassen.

16.Die internationale Gemeinschaft verlangt nicht von Fritze Meier in der Fußgängerzone von Buxtehude, eine Lösung des Nahostkonfliktes aus dem Ärmel zu schütteln.

17.Nicht jeder Deutsche muss über historisches Fachwissen verfügen.

18.Wer historische Vergleiche bemüht, sollte aber die Fakten kennen.

19.Deutsche Rechtsradikale, die mit ihrem extremen Hass auf Migranten und Muslime Stimmungen machen, sind nicht automatisch Israel-Freunde.

20.Die Kriegsverbrechen Putins rechtfertigen selbstverständlich nicht, 80 Jahre rückwirkend den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion. (….)

(Historisch aufgeladene Zeiten, 04.11.2023)

Selbstverständlich wird auch Kritik geübt. Insbesondere in Israel selbst gibt es seit vielen Jahren massive deutliche öffentliche Kritik an Bibis Vorgehen. In Parteien, in der Presse, in der Zivilgesellschaft, sogar in Geheimdiensten und Armee.

[….] Laut einem Bericht  der »New York Times« haben israelische Militärangehörige intern gewarnt, dass den Palästinensern im Gazastreifen eine Hungersnot droht, falls die Hilfslieferungen nicht binnen weniger Wochen wieder aufgenommen werden. Die Zeitung beruft sich dabei auf drei israelische Armeevertreter, die mit den Bedingungen vor Ort vertraut sind.

Wie es weiter heißt, hätten Offiziere, die die humanitäre Lage in Gaza beobachten, ihre Vorgesetzten in den vergangenen Tagen gewarnt: Wenn die Blockade nicht schnell aufgehoben werde, drohe in vielen Gebieten des Gazastreifens ein Mangel an Nahrungsmitteln, um den täglichen Mindestbedarf zu decken.  [….]

(SPON, 14.05.2025)

Meiner Ansicht nach ist das Vorgehen der Israelischen Armee sogar so eindeutig verbrecherisch – nicht von ungefähr gibt es einen internationalen Haftbefehl gegen den Israelischen Regierungschef – daß es gerade deswegen nicht nur „unnötig“ ist antisemitischen Vorurteile zu bedienen, sondern mit diesen antisemitischen Tönen sogar den Palästinenser schwer geschadet wird, weil es die richtige und gerechte Kritik am „Umgang“ mit ihnen diskreditiert.

Nur zu gerne benutzen daher rechte Bibiphile Kreise (Trump, Merz) das Todschlagargument „Antisemitismus“, um gebotene Kritik nicht inhaltlich beantworten zu müssen.

[….] Der Antisemitismus-Beschluss der Linken ist völlig in Ordnung

Seit dem Parteitag in Chemnitz tobt eine Debatte, ob die Partei sich nun dem Hass auf Juden verschrieben hat.  Mit der Realität hat die Aufregung nichts zu tun.  Man könnte meinen, die Partei von Bodo Ramelow, Gregor Gysi und Heidi Reichinnek hätte mit Blick auf den Nahostkonflikt etwas entsetzlich Dumpfes und Empathieloses beschlossen in der vergangenen Woche. Man könnte das meinen, wenn man die Schärfe der Kritik hört, die der Präsident des Zentralrats der Juden übt, der ansonsten eher maßvoll formulierende Josef Schuster: „Die Linke zeigt, wo sie steht: nicht an der Seite der Juden in Deutschland“, hat er kürzlich gepostet. Und man könnte es meinen, wenn man liest, was im Echo darauf auch Bild getitelt hat: „Getrieben von Israelhass: Skandal-Beschluss der Linken bei Parteitag“. [….] Die Linkspartei als Ganze hat auf ihrem Parteitag, der Ende vergangener Woche in Chemnitz stattfand, nicht Ulrike Eifler gefeiert. Nein, nach der Aufregung hat die Partei eine Deklaration gegen Antisemitismus verabschiedet. Ein symbolischer Akt: Mit knapper Mehrheit beschloss man, sich in Debatten über Nahost künftig an der „Jerusalem Declaration on Antisemitism“ zu orientieren. So heißt ein Papier einiger Wissenschaftler aus dem Jahr 2021. Dessen Kernaussage lautet: Auch im Streiten über Israel flackern antisemitische Ressentiments auf; aber bei Weitem nicht jede Kritik an Israel ist antisemitisch. [….

 (Ronen Steinke, 15.05.2025)

Man sollte es den Rechten nicht zu leicht machen, indem man sich vor berechtigter Empörung über die Myriaden toten Kinder von Gaza zu Antisemitismus hinreißen lässt. Man sollte genau zuhören, bevor man Kritik als „antisemitisch“ abwinkt.

https://taz.de/Antisemitismus-Definition/!6088799/

[….] Im Streit um die Antisemitismus-Definition bekommt die Linkspartei Schützenhilfe von 55 Wissenschaftlern, Historikern und Intellektuellen. Die Linkspartei hatte sich auf ihrem Parteitag in Chemnitz die Jerusalemer Erklärung zum Antisemitismus (JDA) zu eigen gemacht und die von vielen Staaten akzeptierte „IHRA-Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ kritisiert. Diese verwische die Grenze zwischen Antisemitismus und Kritik an Israel.

Der Vorsitzende des Zentralrats der Juden, Joseph Schuster, hatte der Linkspartei daraufhin vorgeworfen, „Hass auf Israel“ zu schüren. Massive Kritik kam von der Union, aber auch von einzelnen Linkspartei-Politikern wie Bodo Ramelow.

Die Erklärung, die der taz vorliegt, unterstützt die Linkspartei und deren Bekenntnis zu der JDA. „Dass die IHRA-Definition von Regierungen angenommen wurde, ist weitgehend Ergebnis politischer Kampagnen von Akteuren im Einklang mit der israelischen Regierung.“ heißt es. Die IHRA-Definition werde „von illiberalen Kräften instrumentalisiert, um bürgerliche Freiheiten und Menschenrechte zu untergraben.“

Die JDA hingegen stelle ein „sorgfältiges Gleichgewicht zwischen dem Kampf gegen Antisemitismus einerseits und der Wahrung der Redefreiheit und anderer demokratischer Freiheiten andererseits her.“ Eine Definition von Antisemitismus dürfe „nicht als Regulierungs- und Disziplinierungsinstrumente dienen – diese Rolle sollte ausschließlich Recht und Gesetz zukommen.“

[….] Die Erklärung der 55 Wissenschaftler, Historiker und Intellektuellen zur Unterstützung der Linkspartei und deren Bekenntnis zu der JDA finden Sie hier.

Die Autoren, die meisten jüdische Intellektuelle, fordern die Linkspartei auf, „selbstbewusst zu dieser Entscheidung zu stehen, die ein tieferes und breiteres Nachdenken in Deutschland darüber anregen sollte, wie Antisemitismus am besten bekämpft werden kann.“ [….]

(Stefan Reinecke, 17.05.2025)

Deutschland darf Netanyahu nicht als Staatsgast empfangen, ohne ihn zu verhaften. Deutschland darf keine Waffen mehr nach Israel liefern, Deutschland darf nicht zu den Verbrechen in Gaza schweigen!

Deutschland darf aber auch keine Judenhass verbreiten. Deutschland darf nicht akzeptieren, wenn Juden in Deutschland attackiert werden.

In seinem neuen Buch „Judenhass“ (Berlin Verlag 2024) dröselt Michel Friedman die Situation auf und erklärt in leicht verständlichen Worten, was judenfeindliche linke Akademiker und Kunstschaffende bedenken sollten.

[….] Die Documenta in Kassel  hat in aller Deutlichkeit gezeigt, dass BDS* auch ein eliminatorisches Prinzip formuliert. Selbst die bekanntesten Wissenschaftler, Künstlerinnen, Musiker sollen nicht mehr auf­treten dürfen, bekommen also ein lebenslanges Berufsverbot, nur weil sie israelische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sind. Selbst wenn sie sich gegen die Regierung auflehnen, ihre Politik also verurteilen und für eine Zweistaatenlösung kämpfen, ändert das nichts an dem Bann. Sie sind Juden und als solche verdächtigt, angeklagt. Verurteilt. Eine Kollektivstrafe, die der Einzelne nicht aufheben kann. Diese autoritäre, größenwahnsinnige Haltung, die auch von vielen Nichtjuden aus unterschiedlichen Gründen als mutig und konsequent angesehen wird, ist Antisemitismus. Boykott ist immer undifferenziert. Wenn also wie bisher israelische Musiker, Wissenschaftlerinnen und Künstler nicht mehr auftreten dürfen, nur weil sie Israelis sind, und dies als gerecht empfunden wird, ist das für mich ein Ausdruck blinder Selbstgerechtigkeit.  [….]

(M. Friedmann, zitiert aus dem SPIEGEL, 27.01.2024)

* Boycott, Divestment and Sanctions ist eine transnationale politische Kampagne, die den Staat Israel wirtschaftlich, kulturell und politisch isolieren will.

Grausam effiziente Natur

Was mich wirklich an vielen Haustierhaltern stört, ist ihre Haltung gegenüber der ultrakomplexen Fauna. Hunde und Katzen sind aber keine Funktions-Accessoires, die man wie einen Staubsauger gebrauchen, oder in die Abstellkammer schieben kann.

Wie ich schon mehrfach betonte, bedeutet ein Tierfreund zu sein, für jemanden wie mich, der in einer kleinen Innenstadt-Wohnung lebt, daß man sich natürlich keinen Hund anschafft, der dann 23 ½ Stunden pro Tag ohne tierische Gesellschaft still im Flur sitzen soll. Tiere sind kein Lifestyle-gadget.


Ich argwöhne generell um die Motive, sich ein Haustier anzuschaffen; insbesondere, wenn es sich um einen Carnivoren handelt. Ein mittelgroßer Hund hat eine CO2-Bilanz wie ein VW-Golf. Damit ist er noch lange keine so klimaschädigende Nachhaltigkeits-Pest wie ein Kind, aber man sollte sich wirklich genau überlegen, ob man dem Planeten das zumuten will.

Es gibt selbstverständlich übergeordnete Gründe, die den Nachhaltigkeitsgedanken übertrumpfen und bei artgerechten Lebensumständen Tierhaltung rechtfertigen: Blindenhunde, Spürhunde, Lawinenhunde, Therapie-Hunde. Bei einer Tante, die ein Einzelhaus mit großem Garten außerhalb Hamburgs hatte, habe ich als Student gelegentlich eingehütet. Da gab es drei große Hunde, die sich mittels einer Klappe frei bewegen konnten. Einer war extrem anhänglich und klebte fast immer am Haus-Menschen, während die anderen beiden viel durch den Garten liefen und patrouillierten. Die Drei waren ein extrem effektiver Schutz, da ihren überlegenen Sinnen absolut nichts entging, das sich dem Grundstück näherte. Als Nicht-Tierhalter fasziniertes es mich, wie sie beispielsweise den Briefträger schon erkannten, bevor der in Sichtweite war. Einer ging ihm dann schwanzwedelnd zur Gartenpforte entgegen, die anderen ignorierten ihn, so daß ich erst annahm, sie hätten ihn vielleicht gar nicht wahrgenommen.  Hatten sie aber schon; nur kannten sie dessen Schritte und er wurde nicht als Bedrohung detektiert. Ich war auch damals schon Vegetarier und gar kein Freund von den Unmengen Fleischpampe, die ich an die Vierbeiner verfüttern musste, aber insbesondere in diesem fremden Haus und der fremden Umgebung spürte ich dieses enorme Sicherheitsgefühl durch die Hunde. Bei merkwürdigen Geräuschen musste ich nur einen Blick auf die Ohren der Tiere werfen. Solange die entspannt rumlagen, war alles sicher und harmlos. Wenn sich aber irgendetwas Ungewöhnliches von außen dem Garten näherte, hatten sie es natürlich vor mir gemerkt und reagiert. Meistens schossen sie dann hinaus, um die Geräuschquelle zu untersuchen, kehrten schnell zurück, wenn es sich als nicht bedrohlich herausstellte. Offensichtlich gab es da Abstufungen. Wenn ein Laubfrosch am Zaun umherhüpfte, konnte man schon mal die Ohren spitzen und besser mal nachsehen, ob das ein freundlicher Frosch ist. Für den Briefträger lohnte es sich nicht aufstehen. Und dann gab es natürlich auch die echten Alarme mit ordentlich Gebell, wenn ein fremder Menschen das Grundstück betrat. Mir erschienen alle drei als sehr kuschelbedürftige, viel zu groß geratene Welpen, die ich mir gar nicht tatsächlich wehrhaft vorstellen konnte. Aber meine Tante erzählte von Spaziergängen im Dunkeln, bei denen alle Hunde frei mitliefen, aber schlagartig zu knurrenden Wachhunden wurden, die eng bei Fuß gingen, wenn sich ihr ein unheimlicher Mann näherte. Bis auf den Nachhaltigkeitsaspekt, geht das sicher OK, so mit Hunden zu leben.

Die in allen deutschen Städten hoffnungslos überfüllten Tierheime zeigen aber, wie lauter gelangweilte verantwortungslose Deppen sich aus purem Egoismus in der Pandemie Hunde und Katzen anschafften, die sie nicht mehr gebrauchen konnten, als der Lockdown vorbei war oder die Tiere zu groß wurden und schließlich an der Raststätte aussetzten, bzw zum Tierheim fuhren. Kristie Noem prahlte sogar damit, ihren ungehorsamen Hund persönlich erschossen zu haben und wurde zur Belohnung für ihre Durchsetzungskraft dafür zur US-Ministerin befördert.

Jeder Hundehalter, mit dem ich in meinem Leben gesprochen habe, schwört selbstverständlich, er würde seinen Liebling niemals aussetzen und außerdem beiße der niemals. Vielleicht glauben sie das auch, während sie das sagen. Aber es stimmt natürlich nicht. Denn 50.000 Hundebisse werden jedes Jahr in Deutschland den Versicherungen gemeldet, mehrere Menschen durch Hunde getötet und alle Tierheime sind überfüllt mit herrenlosen Hunden. Bevor es da Missverständnisse gibt: Ich finde es durchaus gerechtfertigt, sich vor fremden Hunden zu fürchten und sehe es sehr kritisch, daß beispielsweise in Hamburg der Leinenzwang weitgehend ignoriert wird. Aber selbstverständlich sind in allen Fällen nur die idiotischen Halter Schuld, die niemals ein Tier haben dürften.

Eine besondere Abneigung hege ich gegenüber Tierhaltern, die ihren Bello und ihre Mietze penetrant vermenschlichen, damit prahlen, sie als normales Familienmitglied zu behandeln und stolz vorführen, wie die Vierbeiner menschliche Verhaltensweise adaptieren. Das Internet ist voll mit solchen Clips. Ich liebe Bill Maher dafür, daß er als passionierter Single, der mehrere große Hunde auf seinem parkähnlichen Anwesen hält, auf die Frage, welche Kunststücke die könnten, lakonisch antwortete „KEINE! Das sind Hunde und keine Menschen. Die leben hier so wie sie wollen und werden nicht von mir dressiert!“ Die machen Dinge, die Mensch nicht gern sieht, insbesondere nicht im prüden Amerika. Breitbeinig daliegen und sich die eigenen Testikel lecken, ungeniert mit dem Nachbars-Rüden vor aller Augen kopulieren, sich gegenseitig am Anus beschnuppern. Sie verhalten sich „natürlich“. Die Natur fasziniert, ist aber eben gerade nicht zivilisiert und kompatibel zu den menschlichen Vorstellungen von Anstand und Moral.

Homosexualität in der Fauna war die allerlängste Zeit nicht bekannt, weil verschämte Biologen durch ihre menschliche Moralbrille guckten und nicht davon berichteten, wenn sie es in der freien Natur studierten.

Natürliches Familienverhalten ist nicht das, was Theologen, wie Ratzi als „Naturrecht“ verstehen. Natur ist, wenn Raubkater die Babys eines anderen Löwenmännchen totbeißen, weil daraufhin deren Mütter schneller wieder empfängnisbereit sind. Löwen töten die Jungen anderer großer Carnivoren, weil Baby-Leoparden oder Baby-Hyänen Nahrungskonkurrenten werden und sie die knappe Beute lieber für ihren eigenen Nachwuchs aufsparen wollen.

Eine Mäusemutter, die mit ihrem Wurf ausharrt, während eine Schlange in ihren Bau kriecht und merkt, daß sie keinesfalls die Zeit hat, alle Babys rechtzeitig in Sicherheit zu tragen, frisst ihre Jungen kurzerhand selbst auf, weil es unter den Umständen schlicht ökonomischer ist, sich die kostbaren Proteine selbst zuzuführen.

Natur entzieht sich den zivilisierten Moralbetrachtungen.

Unser Kanzler und unsere Wirtschaftsministerin meinen, der Klimaschutz wäre in den letzten Jahren extrem überbetont gewesen und sollte nun zurückgefahren werden.


Deutschland droht die große Hitze. Dürre haben wir bereits. Aber der Urnenpöbel wollte bekanntlich keine Grünen mehr in der Regierung und votierte mit absoluter Mehrheit für AFDPCDUCSU, die allesamt weniger Klimapolitik wollen. Das hat Folgen für die Natur.

[….]  Drama in Oering: Storch frisst drei frisch geschlüpfte Küken [….] Der Storchenvater im Kreis Segeberg schlägt Alarm: Die Brutbedingungen für die Storchenpaare im Kreis Segeberg und im ganzen Norden haben sich dramatisch verschlechtert. „Seit etlichen Wochen hat es keinen bedeutenden Niederschlag gegeben. Es muss dringend regnen, damit Regenwürmer als lebensnotwendige Eiweißquelle für die Fütterung der Jungstörche zur Verfügung stehen. Andernfalls drohen die Jungstörche zu verhungern“, sagt Holger Möckelmann, Gebietsbetreuer im Kreis Segeberg des Storchenschutzes Schleswig-Holstein vom Naturschutzbund (NABU).

In einem Horst in Oering habe der Altstorch wohl wegen der Trockenheit und des Nahrungsmangels keine Chance mehr für seinen Nachwuchs gesehen und die drei geschlüpften Jungstörche aufgefressen. Kronismus nenne sich dieses Verhalten, sagt Möckelmann.

Dass die komplette Brut aufgefressen werde, ist eher selten. Einzelne Storchenküken jedoch werden regelmäßig von den Alttieren getötet. „Durch den Schlupf der Jungstörche im Abstand von jeweils zwei Tagen kommt es unweigerlich vor, dass die ältesten Jungen, bedingt durch die Nahrungsverfügbarkeit, den jüngeren Störchen das Futter wegfressen.“ Diese dann immer schwächer werdenden Küken würden von den Altvögeln dann „aussortiert“, damit die kräftigeren Jungen überleben. „Sie werden entweder getötet und aus dem Nest geworfen oder auch aufgefressen“, sagt Möckelmann. [….]

(Andreas Burgmayer, 15.05.2025)

Die Piepsis machen das ganz richtig. Kronismus ist der natürliche Weg, mit so einer klimatischen Situation umzugehen. Es wäre insofern natürlich und sinnvoll, wenn hungernde Menschen ebenfalls ihre Babys fressen. Aber wir sind eben nicht natürlich, sondern zivilisiert, so daß sich die Methode verbietet.

Donnerstag, 15. Mai 2025

Die Funktionärin

Es gibt so viele verschiedene Klischee-Männer die widerlichsten Art: Der Fußballfan, der Gerüstbauer, der homophobe Vater, der CSU-Politiker, der Gender-feindliche Boomer, der Alt-68er, der Das-haben-wir-schon-immer-so-gemacht-Ordnungsamtler, der Schrebergarten-Aufseher, der Profi-Balkongriller, der Berufsoffizier, der Früher-war-alles-besser-Onkel mit den cringen Ansichten.

Vermutlich sind Frauen noch nicht lange genug in gesellschaftlichen Machtpositionen, um eine ähnlich negativ konnotierte Klischee-Fülle auszubilden. Frauenklischees zeichnen eher Figuren zum Auslachen oder Bedauern: Die dumme Blondine, die Influencerin mit grotesk aufgespritzten Lippen und Brüsten, das Doofchen, das nicht Auto fahren kann. Es gibt aber immerhin ein paar Klischee-Frauen, denen ich auch mit herzlicher Abneigung verbunden bin:
Ganz schlimm sind Berufsmütter, die als Elternsprecherinnen in der Schule rumlungern und den Lehrern auf die Nerven gehen. Und das Übelste überhaupt: minimal gebildete evangelische Karriere-Theologinnen, die das Publikum mit unterirdisch verblödeten Büchern und Kolumnen schockieren.

(….) Evangelische Theologie ist heutzutage ziemlich weiblich, aber das ist wahrlich kein Aushängeschild für den Feminismus. Da sich gebildete und intelligente Menschen beiderlei Geschlechts ohnehin von der Kirche abwenden, bleiben offenbar keine durchschnittlichen Frauen der rapide schrumpfenden Kirche als Pfarrerinnen erhalten, sondern es sind die geistig Schlichtesten, die sich zu Geistlichen entwickeln.

(…..) Frappierend ist insbesondere die Unfähigkeit dieser Kategorie der Plapper-Bischöfinnen über ihren eigenen Tellerrand hinauszublicken.

Genau wie Kollegin Käßmann, nimmt auch Breit-Keßler stets sich selbst und ihr eigenes Leben zum Maßstab.

In ihren Texten erzählt sie aus ihrer Familie, ihrem Alltag, beschreibt was ihr gefällt und überträgt das dann flugs auf alle anderen.

Die ganze bischöfliche Theologie ließe sich auf den Kernsatz: „Seid alle so wie ich, dann wird alles gut!“ reduzieren.  Auch in der heutigen Kolumne geht das so. (….)

(Kirchenaustrittswochende 24.03.2016)

Die frömmelnden Frauen im Norden halten sich ebenfalls streng an dieses Muster.

  Den Begriff Schuld kann man auf viele Arten und Weisen betrachten [….] Ich erinnere mich noch gut an eine Situation, in der ich als Kind einen Freund aus Wut beschuldigt habe, etwas getan zu haben, und er dann eine Strafe von seinen Eltern erhielt, die er eigentlich gar nicht verdient hatte. Ich hatte hinterher Scham-und Schuldgefühle, konnte schlecht schlafen. Als mein Kumpel mir vergab, fühlte ich mich wie von einer Last befreit.  [….] Und vielleicht kann auch der Glaube helfen, wenn man sich sicher ist, dass Gott immer zu einem hält, egal was man gemacht hat.

  (Sabine Tesche, Himmel & Elbe, Februar 2017)

 „Und wo bleibt das Positive?“, wurde der Schriftsteller Erich Kästner seinerzeit  immer wieder gefragt, wenn er seine zeitkritischen Gedichte und Kolumnen veröffentlichte. [….] Witze, die mitunter gerade aufgrund ihrer Arglosigkeit, in der sie daherkommen, umwerfend wirken, uns erheitern und im selben Moment zum Nachdenken bringen. Zu diesen gehört für mich jener: „Was sagt eine Schnecke, die auf dem Rücken einer Schildkröte sitzt? – Hui!“ Das ist nicht nur einer der besten Schneckenwitze, die ich kenne. Er ist darüber hinaus auch tiefsinniger, als er zunächst klingt. Ich sehe zumindest sofort die Schnecke vor mir, der der Fahrwind die Fühler um die Ohren schlenkert. [….]

(Pröbstin Astrid Kleist)

[….] wenn ich in die Kirche gehe, ist für mich der Segen am Schluss des Gottesdienstes immer ein Höhepunkt. Weil er Kraft gibt, vielleicht   Auch beruhigend ist. Ich habe danach immer das Gefühl, unter Gottes Schutz zu stehen – zumindest für den Tag oder den Anfang der Woche [….] Manche empfinden es als Segen, Freunde oder eine nette Familie zu haben. Und das Schönste ist, jeder kann ihn geben: Die Eltern ihrem heiratswilligem Sohn, die Ehefrau ihrem Mann auf den Arbeitsweg, eine Kollegin einer anderen für eine Reise.[….]

(Sabine Tesche, Himmel und Elbe, 2016)

„Ich musste sofort an die Worte meiner Mutter denken: Auch in brenzligen Situationen ruhigbleiben.“ Entscheidend ist zudem ein festes Wertegerüst, ein Glaube oder eine Hoffnung. Kürzlich erzählte mir eine Freundin, sie stecke in Gedanken jede gute Erfahrung in ihrem Leben in einen imaginären „Mutmachkoffer“. Bei Bedarf schöpfe sie aus diesem Fundus, wenn sie verzagt sei und sich selbst Mut zuspreche. Ganz ähnlich ist es mit unserer christlichen Tradition:  Sie ist ein unerschöpflicher Fundus von Mutmachgeschichten.

(Bischöfin Kirsten Fehrs, Februar 2016)

Ich lese gerade begeistert ein Buch über Hummeln. [….] Nicht nur, dass die pummeligpelzigen Tierchen die Gesetze der Erdanziehung überlisten und darin ein Wunder sind. Wie viele Abermillionen von Tomaten, Gurken und Johannisbeeren werden jährlich durch sie bestäubt! Was für einen riesigen Nutzen wir von diesen putzigen Lebewesen haben, war mir bis dahin nicht bewusst.[….]

(Pröbstin Astrid Kleist, Juni 2016)

Die norddeutschen Top-Theologinnen erstaunen nicht nur mit der sagenhaften Banalität ihrer Gedanken, sondern auch mit einer geradezu unheimlichen Unfähigkeit zur Abstraktion. Sie scheinen allesamt überhaupt nicht über ihren eigenen Horizont hinausblicken zu können und sehen die Gesellschaft als glückliches Abziehbild der 1950er Jahre, als der Mann arbeiten ging, die glückliche Hausfrau ihm auf dem Weg ihren Segen wünschte und alle zufrieden in die Kirche gingen.

Andere Lebensentwürfe, die nicht der Bilderbuchfamilie entsprechen kennen sie gar nicht; echte Probleme wie Drogen, Depressionen oder Gewalt kommen ihnen gar nicht in den Sinn. (….)

(Die kleinen Freuden genießen, 18.03.2017)

Denis Scheck 2013

Eins der extremste Beispiel für diese Gattung denkferner Theologinnen ist die mittlerweile 59-Jährige Podcasterin Petra Bahr aus Lüdenscheid; von 2017 bis 2025 Regionalbischöfin für den Sprengel Hannover der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers.

(….) Diese Promi-Theologinnen – dazu gehört insbesondere auch die Ethik-Rätin Petra Bahr mit ihrer einmaligen gedanklichen Schlichtheit – projizieren aber ihre eigene simple Gedankenwelt nicht nur auf alle anderen, sondern sie ignorieren auch hartnäckig die Realität.

Die heutige „Himmel und Elbe“-Ausgabe behandelt das Thema „Rituale“.

Schon das ist eine sagenhaft öde Schwerpunktsetzung. Wer hat schon einmal einen Theologen gehört, der nicht irgendwann anfängt das Mantra von der Wichtigkeit der Rituale aufzusagen?

Das ist nur zu verständlich in einer konfessionsfreien Welt, in der niemand mehr auf die Kirche hört, aber dennoch bei Tod, Geburt und Hochzeit einen Pfaff dabei haben wollen. Das sind die entscheidenden Schnittstellen für die Geldmaschine Kirche, um die Menschen dazu zu bringen zu zahlen.

Ausgerechnet im Dezember, kurz vor Weihnachten, die Rituale zu beschwören ist in etwa so einfallsreich wie Socken, Parfum und Krawatten zu verschenken.

Ich stolpere aber auch deswegen über das Thema, weil ich selbst ganz Ritual-frei lebe und es ausgesprochen unsinnig finde zum Geburtstag oder dem Tod der Mutter oder des Vaters ein Ritual zu absolvieren, um Gefühle auszudrücken.

Im Gegenteil, ich halte Rituale eher für Ablenkungen, die das rationale Denken blockieren und zudem oft mit Zwang vollzogen, so daß die Teilnehmer unangenehm berührt werden. (….)

(Theologische Ödnis, 08.12.2020)

Die Bahrsche erschien schon vor zehn Jahren, ob ihrer massiven Verblödung, auf meinem Radar.

(….) Dr. Bahr, 52, Landessuperintendentin in Hannover, echauffiert sich gar fürchterlich über das weltliche Fasten.

Dabei handele es sich um eine Mode der Einfältigen und Doofen, die irgendwie ihre innere Leere zu füllen trachteten.

 […..] Keine Schokolade, kein Netflix und keine negativen Gedanken. "Sieben Wochen ohne" passen zum Partytalk und an den Rand des Elternabends. Manche Gespräche klingen wie ein Bieterwettbewerb. Fasten zwischen Aschermittwoch und Ostern ist zur Mode geworden, ein selbstauferlegter Rigorismus mit unheiligem Ernst. Es geht nicht mehr nur um Konsum, Kalorien und Komfort. Es geht um Lebenssteigerung, ja Erlösung. Viel ist vom Ich die Rede, das unter der Lebensstil-Adipositas des "Zuviel" ächzt. Die Fastenzeit gehört in dieser Deutung dem abgelenkten, schwachen, faulen, schwerfälligen Geist. Das Ich muss leiden. [….]

(P. Bahr, SZ, 16.03.2017)

Eine typische Evangeliban-Herangehensweise: Eine Beobachtung aus ihrem persönlichen Umfeld wird als empirische Studie angesehen und verallgemeinert. Ich kenne zum Beispiel niemand, der fastet. In meinem Hamburger Umfeld tut das keiner. Daraus würde ich aber nicht ableiten, daß generell niemand auf der Welt fastet.

Anders Frau Bahr, die flugs einen regelrechten Hype durch alle Gesellschaftsschichten ausgemacht haben will.

Nun ist die Frau „Landessuperintendentin“ und bei so einem Superlativ-Ungetüm ist das christliche „Ätsch, ihr Atheisten!“ natürlich nicht weit.

Netflix- und Schokoladen-Fasten ist nämlich nicht nur irgendeine Mode, sondern auch noch eine Schlechte. Das Original-Fasten der Christen sei viel angenehmer und besser. Das wäre weniger brutal und gnadenlos.

[…..]Selbsterlösung ist im Christentum unmöglich. Deshalb sind Bußzeiten Zeiten der Gnade, nicht der selbstverordneten Gnadenlosigkeit. Wer in christlichem Geist fastet, genießt die Ausnahmen von den Regeln: auf Reisen, bei Festen, in Trauer oder am Sonntag. Die säkular-religiösen Fastenregeln sind da viel strenger als jede klösterliche Vorschrift. […..]

(P. Bahr, SZ, 16.03.2017)

Diese Kurve bekommt jede Theologinnen-Kolumne:
Erhobener Zeigefinger, IHR macht es falsch und ich Christin bin viel besser. Ätsch. Besonders ärgerlich ist so ein apodiktischer Satz wie Die säkular-religiösen Fastenregeln sind da viel strenger als jede klösterliche Vorschrift, da es sich dabei um reine Erfindung handelt, die auch noch schwurbelig unsinnig daher kommt.

Das Bahr-Oxymoron „säkular-religiös“ impliziert, daß wir Atheisten und heimlich immer noch an die überlegene Religion anlehnen. Damit verknüpft sie aber auch noch eine völlig aus der Luft gegriffene „Fastenregel“.

Als ob es einen Papst-artigen Ober-Atheisten gäbe, der sich Fastenregeln ausdenke, denen wir nun alle zu folgen hätten.

Blanker Humbug. Es gibt keine Regeln für den temporären Verzicht auf Schokolade und Netflix.

Theologin Bahr versteht grundsätzlich nicht, was Freiheit des Individuums bedeutet, so sehr ist sie in ihr kirchliches Regelwerk verstrickt.

Um ihre eigene erbärmliche Abhängigkeit von einem Märchenbuch voller menschenfeindlicher und absurder Regeln schönzureden, postuliert sie einen phantastischen Popanz: Die Säkularen haben noch viel bösere Regeln als wir!

Whataboutism – die letzte Rettung, wenn einem Ideologen gar kein positives Argument für seinen eigenen Wahn mehr einfällt.

Und hier kommen wir zum Kern der Bahr-Kolumne: Sie schreibt aus einer tiefen Verletzung heraus. Sie führt sich auf wie eine enttäuschte Verkäuferin eines Markenprodukts, die hilflos zusehen muss wie ihre ehemaligen Kunden zu den NoName-Produkten wechseln.

Dabei nimmt sie irrigerweise an, ihre Produkte wären generell unverzichtbar. Wer die Kirchen verlasse, fühle eine innere Leere, sei unausgefüllt, suche nun verzweifelt nach einem anderen Lebenszweck, müsse die hinterlassene Lücke unbedingt irgendwie füllen. Ohne das metaphysische Gerüst kann im Bahr-Oberstübchen niemand existieren und daher wäre er gezwungen sich ein unzureichendes Substitut zu suchen.

So mildern Kirchisten den Trennungsschmerz gegenüber den vielen Hunderttausenden, die jedes Jahr ihren Verein verlassen.

 Aus Bahrs Sicht gehen die nicht, weil sie die Kirche nicht brauchen. Nein, wer die Kirche verlasse, werde von anderen minderwertigen Lehren angezogen.

Theologen betrachten Atheismus immer gern als Alternative zur Religion. Als einen anderen quasi religiösen Player. Das ist selbstverständlich auch blanker Unsinn. Atheismus ist so sehr eine Religion wie Asexualität eine Sexpraktik ist.   Ich bin nicht verzweifelt, weil ich Atheist bin und suche nun händeringend nach Halt.

Bahr begreift es nicht und kann als typische Christin natürlich nicht anders, als auch noch nachzutreten: Ihr seid doof und müsst nun zur Strafe leiden, weil ihr die tolle Kirche verlassen habt, Ätschi!

[…..]  Die wechselseitige Kontrolle der Fastenprogramme in Freundeskreisen hat bisweilen etwas Sektiererisches. "Wie, du fastest nicht?", bekommt zu hören, wer fröhlich zum Weinglas greift. Die Offenheit, mit der über die Fastenprogramme geredet wird, scheint proportional zur artikulierten Kirchenfremdheit zu wachsen. Kaum ist der Mensch der Kirche als vermeintlicher Moral- und Strafanstalt mit großer Geste entkommen, wird die Bestrafungsapp fürs Smartphone zum maßgeschneiderten Strafgericht. […..]  Der Abschied vom Christentum hinterlässt eine diffuse Sehnsucht nach Lebensintensivierung und ein neues Flagellantentum im Namen der gesteigerten Selbstwahrnehmung. Hart und unerbittlich wird der alte zum neuen Menschen perfektioniert, Fasten ist die neue Bußübung. Buße ist ein Wort aus der abgelegten Welt des Christentums, das der Sache nach aber seine beste Zeit noch vor sich hat. Das Christentum stört nämlich die Selbsterlösungshoffnungen, welche die neuen Bußprediger schüren, die sich heute Life-Coaches nennen. Buße meint: weniger bequem, weniger satt, weniger abgelenkt von den zentralen Lebensfragen zu sein. Wer will ich sein, wer könnte ich sein, was ist aus mir geworden? Buße als Übung muss nicht in gedrückter Stimmung passieren, mit Chorälen in Moll und verordneter Traurigkeit. Die Zeit vor Ostern ist kein auf Dauer gestellter Karfreitag, keine Zeit der Angstlust, die sich aus sicherer Distanz in wohligem Schauer dem Bild des gefolterten Christus aussetzt. [….]

(P. Bahr, SZ, 16.03.2017) (…)

 (Einfältige, einfache Evangelibanin, 27.03.2019)   

Was macht man nun mit so einer 59-Jährigen selbstverliebten Frau mit unheilbaren Mitteilungsdrang, die über keinerlei nutzbare Expertise verfügt, aber einfach nicht die Klappe halten will?

Zum Glück kommt für Bahr die Merz-Dobrindt-Regierung gerade richtig. Da spielt Kompetenz keine Rolle.

[…..] Die Entscheidung, die Regionalbischöfin Petra Bahr zur Staatssekretärin im Bundesministerium für Bildung, Familie, Senioren, Frauen und Jugend zu ernennen, ist ein weiterer Beleg dafür, dass die neue Bundesregierung nicht an einer weltanschaulich neutralen Politik interessiert ist, sondern im Gegenteil kirchliche Akteure gezielt aufwertet und damit die Verflechtung von Staat und Religion bedenklich vertieft. Es ist das erste Mal in der Geschichte der Bundesrepublik, dass ein hoher geistlicher Würdenträger ein wichtiges politisches Amt bekleidet.   Nach der heftig kritisierten Entscheidung, mit Wolfram Weimer einen Mann zum Kulturstaatsminister zu ernennen, der Religion als Segen für die Gesellschaft feiert und "radikale Atheisten" für die Schrecken des Zweiten Weltkriegs verantwortlich macht (der hpd berichtete), deutet die Berufung Bahrs zur beamteten Staatssekretärin auf eine religiöse Aufladung zentraler Politikfelder hin, mit der der Katholik Friedrich Merz eine konservative Wende in Deutschland einleiten möchte. […..] Die Personalie Petra Bahr, die im Bildungsministerium als Staatssekretärin fungieren soll, ist besonders brisant. Mit der Petra Bahr, die seit 2017 in Hannover als Regionalbischöfin tätig ist, erhält eine bedeutende Kirchenvertreterin Einfluss auf die Schulpolitik – ein Bereich, in dem Fragen zur Stellung des Religionsunterrichts, zu weltanschaulicher Neutralität und zum Umgang mit Diversität besonders sensibel behandelt werden müssen. Es steht zu befürchten, dass Bahr als Vertreterin der evangelischen Kirche den konfessionellen Religionsunterricht stärken und Versuche blockieren könnte, ihn durch integrative Ethikmodelle zu ersetzen. Das wäre ein klarer Rückschritt für all jene, die sich für ein pluralistisches und inklusives Bildungsverständnis einsetzen – eines, das die weltanschauliche Vielfalt unserer Gesellschaft realistisch abbildet.

Petra Bahr ist in der Vergangenheit wiederholt durch äußerst kirchenfreundliche Äußerungen aufgefallen, für Atheismus hat sie wenig Verständnis. In ihrer 2018 erschienenen Schrift "Wie viel Religion verträgt unsere Gesellschaft?" warnt sie eindringlich vor dem Laizismus, dem sie eine geistige Nähe zum jakobinischen Terror unterstellt – ein fragwürdiger Vergleich, der Kritiker religiösen Einflusses auf politische Belange in eine radikale Ecke rückt. Bahr beklagt zudem, dass der "militante Atheismus" eines Richard Dawkins oder Michael Schmidt-Salomon die Gefahr des Laizismus verkenne. Diese Argumentation stellt die kritische Auseinandersetzung mit religiöser Macht unter Generalverdacht und untergräbt bewusst die Idee einer säkularen Gesellschaft. […..]

(Ralf Nestmeyer, 09.05.2025)

Mittwoch, 14. Mai 2025

Deutsche Trumpisierung

So viel Selbstmitleid muss erlaubt sein. Mit einem US-amerikanischen und einem deutschen Pass, bin ich mit zwei Regierungen hart geschlagen. Trump und Vance, sowie Merz und Dobrindt. Zwar bin ich schon lange Leidenszeiten gewöhnt, aber Angela Merkel, die ich stets hart kritisierte und deren Politik ist für falsch und fatal hielt (und halte), hat mich seelisch nicht so stark abgestoßen. Ich konnte es ertragen, sie in der Tagesschau zu hören, nahm ihre Bilder in Zeitungen achselzuckend wahr. In der Hinsicht war der selbstgefällige Fettnapf-König Kohl schlimmer, aber das war glücklicherweise vor dem Social-Media-Zeitalter, so daß man ihn nicht 24/7 hören und sehen musste.

Söder, Merz, Dobrindt, Bär, Linnemann, Spahn, Trump, Vance, Rubio, RFK, Graham, Johnson, Cruz, MTG, Boebert, Hegseth hingegen, lösen psychosomatische Schäden aus. Wenn ich ihnen länger als ein paar Minuten zuhöre/sehe, setzen bei mir Schwindelanfälle und Kopfschmerzen, sowie schwere Magenverstimmungen ein, deren kein SSRI mehr Herr wird. Dafür braucht es schon Benzodiazipine, aber ich will schließlich nicht in einer Beau Rivage-Badewanne landen; mit dem Zeug muss man vorsichtig sein.

[….] Diese Regierung wird, umrankt von der üblichen Mutprosa, irgendwie so weitermachen wie bisher: In der Migration wird der Kurs noch einmal verschärft, über das hinaus, was die Ampel schon getan hat. Merz hat seine Hauruck- und Grenzen-dicht-Rhetorik etwas heruntergedimmt, man kann ja schlecht MigrantInnen rüde in Nachbarländer zurückweisen und sich gleichzeitig dafür feiern, Europa jetzt richtig voranzubringen.

Merz will ein außenpolitischer Kanzler werden. Sein Weltbild wirkt dafür etwas antiquiert: China taucht als Rivale auf, Trump als Partner, dem der Kanzler mit freundlichen Telefongesprächen den Weg in die westliche Wertewelt heimzuleuchten hofft. Es dauert noch eine Weile, bis Deutschland in der neuen, postwestlichen Weltordnung ankommt. Merz’ Regierungserklärung macht einen Hohlraum sichtbar, diese Regierung der Mitte ist programmatisch leer.  [….]

(Stefan Reinecke, 14.05.2025)

Es hilft ja nichts; als Politjunkie kann ich dem drohenden News-Fatigue nicht durch Vogelstrauß-Methodik entgehen. Und so verfolge ich gruselnd, wie Merzens-Dilettanten-Truppe durch ihre ersten Tage debakuliert.

[….]  Mehr als zwanzig Mal fiel das Wort „Verantwortung“, das es mit dem Zusatz „für Deutschland“ bekanntlich auch in den Titel des Koalitionsvertrags geschafft hat. Wie schwer diese Verantwortung wiegt, bekam Merz gleich zu Beginn seiner Kanzlerschaft zu spüren.   Auf seiner Reise nach Warschau erlebte er, wie schnell sich Misstöne ins hohe Lied der Freundschaft schleichen, wenn die deutsche Migrationswende auf anders gelagerte polnische Interessen stößt. Auch in Brüssel begegnete ihm Skepsis angesichts der deutschen Haltung, Migranten ließen sich an deutschen Grenzen zurückweisen, und das gar europarechtskonform. Der Ruf nach Eurobonds zur gemeinschaftlichen Verteidigungsfinanzierung, die Merz rundweg ablehnt, dürfte ebenfalls nicht verstummen, nur weil der neue Kanzler so gerne den Zusammenhalt in Europa zur Priorität beschwört.  Und dann ist da natürlich noch der Großkonflikt mit Putins neo-imperialistischem Russland. Merz’ Ukraine-Reise zusammen mit seinen Kollegen aus Frankreich, Polen und Großbritannien – mit dem US-Präsidenten am Telefon – war der richtige Auftakt für seine Kanzlerschaft, die einen außenpolitischen Schwerpunkt haben wird; daraus macht er kein Hehl. Dass Moskau sich bislang von diesem Vorstoß allerdings kaum beeindrucken lässt, zeigt deutlich, auf welch unwegsamem Gelände der neue Kanzler außenpolitisch unterwegs sein wird. [….]

(Henrike Roßbach, 14.05.2025)

Am schlimmsten ist es, sich nicht in Ruhe zurücklehnen zu können, um den Absturz der Christdemokratioten zu genießen, sondern man muss dieser Koalition tatsächlich Erfolg wünschen, wenn man sich nicht in naher Zukunft in einer rechtsextremen Autokratie wiederfinden will. Das fällt aber verdammt schwer, wenn man sieht, wie Dobrindt und Co die Vorhaben umsetzen, die man seit Monaten als absoluten Schwachsinn entlarvt hat, aber ganz tief ins sich drin gehofft hatte, die CDUCSUler könnten ja eigentlich nicht wirklich so dumm sein, das wirklich zu versuchen. Sie sind es aber offenkundig doch, wie Dobrindts illegale menschenrechtsantagonistische Pushbackszeigen. Natürlich ist das alles Bullshit, der in der Praxis gar nicht funktionieren kann.

[….] Eklat an der Grenze: Polen verweigert Übernahme von Asylbewerbern aus Deutschland[….] Der Streit um die Abweisung von Asylbewerbern an der Grenze verschärft sich. Schon vergangene Woche hat Polens Ministerpräsident Donald Tusk dem deutschen Kanzler Friedrich Merz beim Antrittsbesuch in Warschau klargemacht, was er vom neuen deutschen Grenzregime hält: nicht viel jedenfalls.

Nun hat sich der polnische Grenzschutz nach SPIEGEL-Informationen am Montagmorgen geweigert, zwei Asylbewerber zurückzunehmen, die von der Bundespolizei zurückgeschickt werden sollten. Die Deutschen verzichteten auf einen weiteren Versuch und leiteten die beiden Afghanen stattdessen in eine Erstaufnahmeeinrichtung weiter.  Damit stellt sich die Frage, ob es sich um einen Einzel- oder Sonderfall handelt. Oder ob Polen – und auch andere Länder wie Österreich und die Schweiz, die das neue deutsche Grenzregime kritisieren – die Praxis von Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) künftig flächendeckend blockieren könnten. Die polnische Regierung steht dabei unter besonderem Druck, weil am 18. Mai im Nachbarland ein neuer Präsident gewählt wird und die Migrationspolitik auch in Polen ein dominierendes Wahlkampfthema ist.

Der Vorfall, der die neue deutsche Grenzpolitik exemplarisch vor die Wand laufen lassen könnte, ereignete sich am Montag um 5.45 Uhr in Guben, Brandenburg. Wie aus einem Bericht der Bundespolizei hervorgeht, hatten Beamte »in unmittelbarer Nähe zur Eisenbahnbrücke«, die dort über die Neiße und die Grenze zu Polen führt, zwei Afghanen im Alter von 20 und 23 Jahren aufgegriffen.  Die beiden Männer hatten keine gültigen Aufenthaltspapiere dabei und gaben an, gerade über die Brücke gekommen zu sein. Kurz danach sagten sie den Polizisten, sie wollten Asyl in Deutschland beantragen. [….] Entsprechend wollten die Bundespolizisten auch die beiden schon eingereisten Afghanen nach Polen zurückschicken, trotz Asylgesuchs. Erfolg hatten sie damit nicht: »Nach schriftlicher Anbietung lehnte der polnische Grenzschutz dies ab«, heißt es in dem Bericht der Bundespolizei. Daraufhin hätten die Beamten die Afghanen zur Erstaufnahmeeinrichtung Eisenhüttenstadt weitergeschickt. [….]

(Jürgen Dahlkamp, 14.05.2025)

Man möchte Dobrindt die Blamage gönnen. Aber man kann und darf sich eben nicht freuen, wenn die EU geschwächt wird, Deutschland in Brüssel gehasst wird und die Weidel-Nazis wieder Grund haben, zu feixen und höhnen.

[….] Die Opposition ist Kanzler Merz nach dessen Regierungserklärung scharf angegangen. [….] Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge hat der neuen schwarz-roten Regierung zunächst Erfolg gewünscht - "denn dieses Land hat das verdient", sagte sie nach der ersten Regierungserklärung von Bundeskanzler Friedrich Merz im Bundestag.  Dann warf sie dem neuen Kanzler allerdings vielfaches Versagen vor. "Die Politik, die Sie in den letzten Jahren gemacht haben, war an vielen Stellen eine Politik, die auch verbrannte Erde hinterlassen hat", sagte Dröge. Merz' Wahlkampf habe an zentralen Stellen auf Falschaussagen beruht. Sie erinnerte an die gemeinsame Abstimmung der Unionsfraktion mit der AfD beim Thema Migration.

Oft habe Merz polarisiert, sagte Dröge. Er habe Stimmung gemacht, "gerade gegen diejenigen Menschen in diesem Land, die gesellschaftliche Minderheiten sind, gegen Arbeitslose, gegen Menschen mit Migrationsgeschichte und gegen Geflüchtete".  An den Kanzler gewandt sagte Dröge: "Ich erwarte von Ihnen, dass Sie Kanzler aller Menschen in diesem Land sind." Sie erwarte von Merz, dass er Brücken baue. "Gerade ein Bundeskanzler muss für alle Menschen da sein, gerade für die Schwächsten in diesem Land. Und daran werden wir Sie messen."

Dröge warf Merz konkret vor, mit schärferen Grenzkontrollen und Zurückweisungen von Asylbewerbern die europäische Kooperation aufzugeben. "Im Kern ist das die Aufkündigung der europäischen Zusammenarbeit in der Asylpolitik." Im Kern sei das eine Politik, "die sagt, Deutschland macht seins und die anderen können mal sehen, wo sie bleiben."

Weder Kanzleramtsminister Thorsten Frei von der CDU noch Vizekanzler Lars Klingbeil von der SPD hätten zudem in der Regierungsbefragung beantworten können, ob Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) plane, "europäisches Recht zu brechen". Dröge warf Dobrindt vor, sich mit den angeordneten Zurückweisungen, "einfach über europäische Verträge hinwegzusetzen".[….]

 (Tagesschau, 14.05.2025)