Montag, 31. Oktober 2022

Ab in den Himmel.

 

Die alte Weisheit, nach der im Krieg zuerst die Wahrheit stirbt, trifft auch auf den Ukrainekrieg 2022 zu.

Aber was bedeutet das schon im postfaktischen Zeitalter? Boris Johnson war schon vor seiner politischen Laufbahn als Journalist, von 1999 bis 2005 war er Herausgeber der konservativen Zeitschrift The Spectator, bekannt dafür zu lügen und frei erfundene Geschichten zu drucken. Sogar noch 2015/2016 dachte ich, fortwährend zu lügen und das auch noch so plump, daß er permanent der Lüge überführt wurde, müsste Donald Trump so schwer schaden, um die Wahl zu verlieren. Inzwischen haben die konservativen Populisten alle gelernt, wie effektiv und einfach man Wahlkampf machen kann, wenn man die Fakten ignoriert und stattdessen, das sagt, was den größten Effekt erzielt.

Johnson und Trump, Netanjahu und Bolsonaro, Erdoğan und Putin logen, bzw lügen als amtierende Regierungschefs so selbstverständlich, daß die internationale Gemeinschaft auch hochoffizielle Regierungsdokumente dieser Herren nicht mehr ernst nimmt.

Wie also soll man akkurate Berichte über den Frontverlauf in der Ukraine, über die Truppenmotivation, über Verluste und eingesetzte Waffen erfahren? Angreifer und Verteidiger beschönigen die eigenen Verluste und übertreiben die Zahl der gefallenen Gegner. Ich meine, auch bei westlichen Journalisten zu beobachten, daß die Zahlen der russischen Gefallenen umso größer sind, je mehr der Autor Putin verachtet. Schließlich kann man die Toten nicht wie Stimmzettel der US-Präsidentschaftswahl 2020 in Arizona genau nachzählen. Als Ausweg bleibt seriösen Betrachtern nur, einzuschätzen, wie plausibel verschiedene Zahlen sind.

Allgemein gilt die Zustimmung zu Präsident Wolodimir Selenskij als überwältigend. Mindestens 80% der Ukrainer unterstützen demnach den Kurs ihrer Regierung, sich mit allen Mitteln zu wehren und lieber Myriaden Tote in Kauf zu nehmen, bevor man russische Provinz wird. 80% halte ich für gut möglich. Bei einem Angriff von außen, versammeln sich die Bürger immer hinter ihrer eigenen Führung.

Aber um ganz ehrlich zu sein, wissen wir natürlich nicht, wie groß Selenskijs Ansehen innerhalb der Ukraine ist, weil keine repräsentativen Umfragen durchgeführt werden können und auf der Straße befragte Ukrainer aus verständlichen Gründen nicht ihrem Präsidenten vor der Auslandspresse in den Rücken fallen möchten.

Wie viele Russen, wie viele Ukrainer und wie viele Gemischte (in der Ostukraine hat fast jeder russische UND Ukrainische Verwandte) im Krieg niedergemetzelt wurden, wissen wir auch nicht genau. Wir kennen nur nicht überprüfbare Ukrainische Zahlen über russische Verluste.

[….]     Soldaten: 71.820 (+620 zum Vortag)

    Flugzeuge: 275 (+1)

    Hubschrauber: 253 (+1)

    Panzer: 2686 (+14)

    Gepanzerte Kampffahrzeuge: 5485 (+32)

    Artilleriesysteme: 1728 (+4)

    Luftabwehrsysteme: 197 (+0)

    Mehrfachraketenwerfersysteme: 383 (+0)

    Autos und andere Fahrzeuge: 4128 (+8)

    Schiffe: 16 (+0)

    Unbemannte Kampfdrohnen: 1413 (+1)

Der Kreml selbst macht nur sehr wenig Angaben zu eigenen Verlusten.  [….]

(Frankfurter Rundschau, 31.10.2022)

Der Tagesspiegel orakelt diese Woche gar, Russland verliere jeden Tag bis zu 1.000 Soldaten. Hinzu kommen 400.000 Covid19-Tote, die Russland bisher zu beklagen hat.

Für einen Präsidenten, der angeblich an Großrussland glaubt und sein Land wieder zur unangefochtenen Supermacht dopen will, sind das keine schönen Zahlen.

Aber zum Glück steht Putin sein bester und frommster Freund Patriarch Kyrill bei. Der Papst der 150 Millionen russisch-orthodoxen Christen unterstützt den Krieg voll und ganz, weil Christen traditionell eher das ungeborene und jenseitige Leben interessiert.

Und natürlich, weil der Angriff auf die Ukrainer notwendig ist, um die Schwulerei des Westens zu bekämpfen.

(….) Ich finde den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine schlecht und falsch. Wladimir Putin und viele Russen, finden diesen Krieg immerhin richtig, einige sogar gut und richtig.

Zu der Fraktion gehört Patriarch Kyrill I., (bürgerlich Wladimir Gundjajew), der Herr über 150 Millionen russisch-orthodoxe Christen. Quasi der Papst der Rus.

Kyrill mag vor allem Reichtum, teure Uhren, Juwelen und seine Privilegien. Deswegen liebt und unterstützt er seinen Namensvetter Wladimir Putin. Die beiden Wladimirs sind ein Herz und eine Seele. Und den Krieg gegen die Ukraine finden beide Wladimirs einfach geil. Während sich der kleinere, jüngere und glattrasierte Wladimir darum bemüht, rational zu erscheinen und Gründe für den Krieg vorgibt, macht es sich der fünf Jahre ältere Wladimir mit dem Rauschebart und dem besonders albernen psychedelischen Hut einfacher: Er hasst einfach alle Ukrainer, nennt es eine „heilige Pflicht“ der Russen, sich freiwillig als Soldaten gegen die Ukraine zu melden, weil Selenskyjs Landsleute bekanntlich alle Schwuchteln wären und die armen frommen (heterosexuellen!) Russen homopervertieren wollten. Eine völlig einleuchtende Darstellung also, die erklärt, weshalb Kyrill I. den Krieg gut und richtig findet.  (….

(Kriegsansichten, 28.02.2022)

Nun sind also 70.000 oder 80.000 russische Soldaten zwar mausetot, ABER immerhin nicht schwul! Für den frommen Kyrill schon ein Sieg.

Und selbst, wenn sie jemals rumgeschwult hätten, wären sie nun durch ihren heldenhaften Soldatentot entschwult, also von ihren Sünden reingewaschen.

[….] Patriarch: Gefallenen Soldaten werden Sünden erlassen

Russlands orthodoxe Kirche verspricht Soldaten die Vergebung all ihrer Sünden, wenn sie im Krieg ihr Leben opfern. Patriarch Kyrill verglich in einem Gottesdienst am Sonntag das Sterben „bei der Erfüllung der militärischen Pflichten“ damit, dass Gott seinen eigenen Sohn Jesus geopfert habe. [….] Kyrill betonte zugleich, die Kirche wisse, dass diejenigen, die bei der Erfüllung ihrer militärischen Pflichten sterben, sich für andere aufopfern. „Und deshalb glauben wir, dass dieses Opfer alle Sünden abwäscht, die ein Mensch begangen hat“, so der Patriarch. [….]

(ORF, 26.09.2022)

Deo Gracias! Muss das eine Freude und Erleichterung für die Eltern, Geschwister, Ehepartner, Kinder der toten Russen sein: Hurra, sie sind von Sünden reingewaschen, ähnlich wie Jesus!

Sonntag, 30. Oktober 2022

Wider die Forderungs-Ökonomie

 

Wenn man sich an die Social-Media-Öffentlichkeit wendet, schlägt man automatisch eher die lauteren Töne an. Feine Ironie und abwägende Zwischentöne gehören in ausführliche Feuilletonartikel, in Bücher oder in private Gespräche.

In der Welt der Twitterbotschaften und drastischen Memes, der Aufmerksamkeitssucht; werden besonnene und nachdenkliche Stimmen entweder nicht gehört oder als „schwach“ missinterpretiert.

Bei Demonstrationen geht es darum Effekte zu erzielen, laut, bunt und auffällig zu sein. Megaphon statt Kamingespräch. Das ist richtig so und gehört in einer Demokratie zur Meinungsbildung. Mit Warten, devoten Bitten und Hoffen erreicht man nichts. Der transsexuellen Oberstleutnantin Anastasia Biefang halten selbst Wohlgesonnene vor, sie solle doch etwas weniger provokant auftreten, um die Toleranz ihrer konservativen vorgesetzten Generäle nicht zu überfordern.

Als ob es bei Frauen-, Homo-, Abtreibungs-, Trans-, Arbeiter-, Kinder-, oder PeopleofColor-Rechten jemals funktioniert hätte, höflich und servil zu bitten, bis sich die in der konservativen Führung von selbst etwas ändert.

Wahlkämpfende Parteipolitiker müssen ebenfalls die lauten Töne beherrschen, wissen, wie sie Aufmerksamkeit für ihre Anliegen generieren. Sie unterliegen ganz ähnlichen medialen Spielregeln, wie andere Lobbyisten, Aktivisten, Werber, Influencer.

Politiker unseres demokratisches Systems müssen aber auch über eine andere Seite verfügen, die charakterlich das diametrale Gegenteil des grölenden Bierzelt-Redners darstellt: Detailkenntnis, Kompromissbereitschaft, Diplomatie, Verhandlungsgeschick.

Unglücklicherweise bringt man es im social-Media-Zeitalter schon mit Schrillheit und Lautstärke allein zu politischen Ämtern, wie Boris Johnson, Liz Truss und Donald Trump zeigten. Damit lässt sich aber nicht regieren. Solche Typen scheitern in der Regierungspraxis und hinterlassen einen Scherbenhaufen, wenn sie abgehen.

Wir erleben das drastisch am Negativ-Beispiel der FDP, die reine Blockade betreibt, aber unfähig ist, eigene Vorschläge zu machen, oder in Koalitionsrunden konstruktiv mitzugestalten.

So berechtigt es sein kann, zur politischen Willensbildung Atomwaffendepots zu blockieren, Nazi-Bundeskanzler zur ohrfeigen, „Kein Blut für Öl“ zu skandieren oder Straßenkreuzungen zu besetzen, so wenig taugen diese Methoden für einen Kanzler einer Koalitionsregierung, der politische Mehrheiten in Kommunen, Ländern, beim Bund, auf-EU-Ebene und global organisieren muss.

Als Bürger, als Politiker und als SPD-Mitglied registriert Olaf Scholz die vielen lauten Forderungen selbstverständlich sehr genau.

(….)  Frackinggas aus den USA kaufen? Will ich nicht.

Waffenkomponenten an das Scharia-Regime in Riad schicken? Will ich nicht.

Bei antihumanistischen Golfmonarchen um Erdgas betteln? Will ich nicht.

Einen kleinen Anteil von Hamburgs kleinsten Terminal an eine Chinesische Reederei verkaufen? Will ich nicht.

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben? Will ich nicht.

Explodierende Heizkosten, weil weit weg ein fernes Land ein anderes fernes Land bekriegt? Will ich nicht.

Ewig im Stau stehen, weil überall Baustellen sind, wenn Abwassersiele saniert werden? Will ich nicht.

Mehr Kohlekraftwerke, mit viel mehr CO2-Emissionen? Will ich nicht.

Acht Windräder zerstören, damit man in Garzweiler mehr Braunkohle fördern kann? Will ich nicht.   (….)

(Ampel-Bashing, 27.10.2022)

Als Bundeskanzler hingegen kann Scholz nicht die Forderungen erfüllen, nach denen am lautesten geschrien wird.

Er findet es vermutlich auch nicht schön, daß deutsche Firmen für 90 Milliarden Euro Direktinvestitionen in China machen, Waren im Wert von 142 Milliarden Euro aus dem Reich der Mitte beziehen und technisch völlig abhängig von Diktator Xi sind. Europas größter Autobauer Volkswagen betreibt 30 Werke mit 90.000 Mitarbeitern in China. Rund drei Millionen (von insgesamt 8,9 Millionen) jährlich produzierten VWs werden in China verkauft.

Sicher wäre Scholz gern weniger von China abhängig. Würde gern mit der Faust auf den Tisch schlagen und sagen, daß sich Deutschland die Verbrechen an die Uiguren nicht weiter gefallen lässt und sich auf die Seite des bedrohten Taiwans stellt. Aber die Verbindungen lassen sich nicht kappen.

[….] Während die beiden anderen großen Absatzmärkte, Europa und die USA, weiter einbrechen, haben die Autoverkäufe in diesem Jahr in China branchenweit um 15 Prozent zugelegt. Sprich: Die Volksrepublik ist mal wieder der einzige Hoffnungsschimmer in der ansonsten gefährlich schwachen Weltkonjunktur. Wer dort keine Geschäfte macht, ist zum Schrumpfen verdammt.

Selbst China-kritische Arbeitnehmervertreter räumen ein, dass die Milliardengewinne aus der Volksrepublik auch Jobs in Deutschland sichern. Denn in China verkaufte Autos werden teils daheim entwickelt. Die hohen Stückzahlen steigern den Gewinn pro Auto. Die Geschäfte mit der Volksrepublik, so Brandstätter, »machen uns auf dem Weltmarkt wettbewerbsfähiger«.

Nur was, wenn dieser Wachstumsmotor eines Tages ausfällt, weil es zu einer geopolitischen Eskalation kommt? Aus seinen Plänen einer »Wiedervereinigung« mit dem unabhängigen, von den USA protegierten Inselstaat Taiwan macht Xi keinen Hehl. [….] Eine gewaltsame Annexion wäre fatal für die gesamte Weltwirtschaft. Taiwan gilt als Zentrum der globalen Mikrochipindustrie. Kappt China die weltweite Versorgung mit Halbleitern, droht der Autoproduktion hierzulande der Stillstand. Ein Horrorszenario. Alle Beteiligten in der Taiwan-Frage seien »um Deeskalation bemüht«, glaubt VW-Manager Brandstätter, »niemand will eine militärische Auseinandersetzung riskieren«.  [….]

(DER SPIEGEL Nr.44/2022, s.72)

So wie die HHLA viele Beteiligungen an Terminals andere Häfen hält, haben sich chinesische Firmen längst in allen wichtigen Häfen Europas festgesetzt.

Nach vierzig Jahren intensiver chinesisch-Hamburgischer Container- Handelsbeziehungen – Shanghai bildet eine Städtepartnerschaft mit Hamburg – kann man nicht mitten in der schwersten Inflation und Rezession seit 70 Jahren aufwachen und alle Verbindungen zu China kappen.

Olaf Scholz ist Kanzler in der Realwelt und kann nicht, wie in einer Idealvorstellung immer nur das Richtige tun.  Denn es gibt oft nur falsche und vielleicht etwas weniger falsche Lösungen. Und selbst die Entscheidungen, die jetzt die meisten Bürger unterstützen, können womöglich auf längere Sicht besonders fatal sein. Industrielles Wachstum, das uns jetzt reich und glücklich macht, war vor 1950 Jahren der Traum jedes Demokraten.

2022 wissen wir, daß dieses Wachstum auf Kosten der dritten Welt, der Umwelt und des Klimas stattfindet. Ein paar Jahrzehnte waren die Folgen nicht in Nordeuropa zu bemerken. Das ist jetzt ganz anders. Das Wasser steht und buchstäblich bis zum Hals. Übermorgen beginnt der November und die Deutschen sitzen bei 24°C im T-Shirt draußen und grillen.

Scholz steht nicht nur unter wirtschaftlichen und diplomatischen Zwängen, sondern muss auch innerhalb der Regierung balancieren, weil er auf die Stimmen und das Wohlverhalten der FDP angewiesen ist, die aber rein destruktiv agiert und dem Land schweren Schaden zufügt. Neuwahlen kommen angesichts der hochkritischen internationalen Lage nicht in Frage. Es gibt keine alternative Mehrheit, da sich die CDU-Opposition vollkommen aus der seriösen Sphäre verabschiedet hat, auf
AfD-Niveau Hetze betreibt, in jeder Hinsicht VERURSACHERIN der Megaprobleme Bundeswehr/China/Russlandabhängigkeit/Windenergie war und zudem nun noch abenteuerliche „Märchen“ zur Klimapolitik verbreitet.

Merz und Söder sind nicht regierungsfähig. Sie befinden sich ausschließlich im unseriösen Maximalforderungsmodus und sind offensichtlich unfähig zu konstruktiver Politik.

[….] Das »Team« von Friedrich Merz twitterte diese Woche diese bemerkenswerten Sätze: »Die Klimaziele in Deutschland und Europa werden wir mit Vermeidung und Verboten nicht erreichen. Also müssen wir uns den Technologien zuwenden, die CO₂ wieder aus der Atmosphäre herausholen. Wir sind die Partei, die an Motivation und Innovation denkt.«

Das ist auf so vielen Ebenen falsch, dass es einen kopfschüttelnd zurücklässt. Fangen wir mit »Motivation und Innovation« an, was ja zunächst an Steinmeiers »Ingenieurinnen und Entwickler« erinnert.


 Es mangelt in Deutschland ganz sicher nicht an Motivation und Innovation, es mangelt an einer korrekten Bepreisung von umwelt- und klimaschädlichen Geschäftsmodellen, gegen die sich die Union seit vielen Jahren im Dienste der Kohlebranche, der Energieversorger und der Automobilindustrie gestemmt hat. Außerdem gibt es noch von etwas anderem zu viel, nicht zu wenig: Subventionen für klima- und umweltschädliches Wirtschaften nämlich. Im Jahr 2018 beliefen sich nur die umweltschädlichen Subventionen des Bundes dem Umweltbundesamt (nicht Greenpeace) zufolge auf über 65 Milliarden Euro . Das ist das Erbe von vier unionsgeführten Bundesregierungen. Wir finanzieren die Katastrophe mit Steuergeldern permanent, und zwar seit Jahren mit immer mehr Geld pro Jahr (2012 waren es noch 57 Milliarden ). Gegen die Gesamtsumme sind, über 16 Jahre Merkel summiert, alle »Rettungspakete« ein Witz.

Noch viel schlimmer ist aber die Behauptung, mit »Vermeidung und Verboten« würden Deutschland und Europa ihre Klimaziele nicht erreichen. Richtig ist das Gegenteil: Ohne Vermeidung und Verbote werden Deutschland und Europa ihre Klimaziele nicht erreichen. Weil Merz (oder das »Team Merz«) das weiß, man aber offenbar glaubt, mit Wahrheit keine Punkte machen zu können, wird ein Luftschloss gebaut: »Technologien, die CO₂ wieder aus der Atmosphäre herausholen«.  Das ist eine atemberaubende Unverschämtheit. Es gibt »Technologien, die CO₂ wieder aus der Atmosphäre herausholen«. Es handelt sich, so heißt es in einem aktuellen Bericht der Internationalen Energieagentur IEA  um »die teuerste Methode, Kohlenstoff aufzufangen«. Sie ist deshalb auch nahezu nirgendwo implementiert. Die 18 Anlagen für »Direct Air Capture«  (DAC), die derzeit weltweit operieren, holen derzeit zusammen ein Hundertstel einer Megatonne CO₂ aus der Atmosphäre. Zum Vergleich: Allein Deutschland emittiert im Moment 678 Megatonnen CO₂ pro Jahr.  [….]

(Prof. Christian Stöcker, SPON, 30.10.2022)

Der gestrige Merz-Gastauftritt auf dem CSU-Parteitag war „a new low“ – nur Beschimpfungen der Ampel, kein Funken Selbstkritik und erst Recht nicht die geringste Idee davon, was man besser als die Ampel tun könnte.

Schlimm. Dagegen ist Olaf Scholz eine Wohltat der Rationalität, Markus Söder lediglich ein schlechter Satiriker.

Samstag, 29. Oktober 2022

Der SPIEGEL verrennt sich mal wieder

 

Natürlich habe ich schon immer ein SPIEGEL-Print-Abo und werde es auch behalten. Deswegen gefällt mir aber noch lange nicht jeder Artikel in des Periodikums.

Es gibt tatsächlich diese sogenannten „Spiegel-Kampagnen“, bei denen sich die Chefredaktion offenbar einen Politiker des linken Parteienspektrums aussucht und über Jahre mit einer Kaskade negativer Artikel überzieht.

Nach dem Fall der Mauer traf es Manfred Stolpe und Gregor Gysi besonders hart. Ich hatte immer das Gefühl, es handele sich um eine persönliche Vendetta; ausgetragen von Funk, Kilz, Kaden und insbesondere Stefan Aust. Keine Woche, ohne daß erneut irgendeine IM-Geschichte ausgebreitet wurde.

Zu der Zeit, noch ohne Internetanschluss, las ich den Spiegel buchstäblich von der ersten bis zur letzten Seite. Jedes Wort. Bei der erwarteten Anti-Stolpe-Tirade konnte ich schon mitsingen, weil das so oft wiederholt wurde. Nun bin ich generell kein Fan von Kirchenfunktionären, aber angesichts dieses Sperrfeuers aus Hamburg, freute ich mich ganz besonders, wenn er wieder mal die absolute Mehrheit in Brandenburg holte.

Die nächste echte Zerstörungskampagne lief um 2002 durch den erzkonservativen Gabor Steingart, 2001 bis 2007 Leiter des Hauptstadtbüros des Spiegel in Berlin an, der es sich zusammen mit STERN-Kolumnist Hans-Ulrich Jörges offenbar zur Lebensaufgabe gemacht hatte, die rotgrüne Schröder-Regierung zu stürzen. Nachdem zu Steingarts großer Enttäuschung Stoiber im Herbst 2002 die Bundestagswahl verlor, schoss er sich insbesondere auf Vizekanzler Fischer ein und erklärte jeden Montag auf’s Neue, wieso endlich Merkel und Westerwelle die Regierung übernehmen müssten. Die große Liebe für Angela Merkel und die CDU brach zwar nie in der SPIEGEL-Redaktion aus, aber sie wurde nie auch nur annähernd so hart wie Stolpe, Schröder oder Fischer angefasst.

Seit etwa zwei Jahren gibt es ein neues Hassobjekt: Olaf Scholz. Insbesondere im Laufe des Jahres 2021 wurde er voller Verachtung, als Charisma-freier Sonderling lächerlich gemacht, der es niemals schaffen würde auch nur die kleinste Chance auf das Kanzleramt zu erhalten. Als aber ausgerechnet dieser so niedergeschriebene Scholz im Dezember 2021 plötzlich Kanzler war, wollte man an der Ericusspitze 1 offenbar ungern zugeben, ein volles Jahr drastische Fehlprognosen ventiliert zu haben.

In den vergangenen elf Monaten erschien dementsprechend kein Spiegel-Artikel, in dem Olaf Scholz nicht mit deutlich wahrnehmbaren negativen Untertönen beschrieben wurde. Unglücklicherweise (für den Spiegel) verstehen sich die Ampelaner auf persönlicher Ebene sehr gut, so daß Grüne und Gelbe keine persönliche schmutzige Wäsche weitertratschen.

In den Koalitionsverhandlungen hatte man vereinbart, die Treffen reihum von Scholz, Habeck und Lindner leiten zu lassen. Nachdem alle einmal dran waren, baten FDP und Grüne den künftigen Kanzler einhellig darum, er möge doch bitte alle weiteren Verhandlungsrunden leiten. Sehr schnell erkannten also die damals eifersüchtig um Posten buhlenden Parteien, wie fair und sachlich und perfekt informiert, Scholz hinter den Kulissen agiert.

Als linker Sozialdemokrat ärgere ich mich natürlich, wenn der Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland nichts besseres zu tun hat, als zu Lindners Prunk-Porsche-Hochzeit auf der Reichen-Insel Sylt einzufliegen.

Scholz ist aber bekannt dafür, sich im diametralen Gegensatz zu Linder, wirklich gar nichts aus Statussymbolen und Reichtum zu machen. Scholz hielt sich immer fern von Yellow Press und roten Teppichen. Er wird also kaum nach Sylt geflogen sein, weil es ihm so einen Spaß machte, Lindners Porsche zu betrachten und Lindners Champagner zu trinken. Er flog klugerweise dahin, weil er Lindners Ego kennt und weiß, wie sehr es gestreichelt werden muss, um den Koalitionsfrieden zu wahren. Das hake ich als „Regierungskunst“ ab. Er braucht die FDP und mit diesem Ehrenbesuch stimmte er Lobbylindner mild, ohne dafür politische Kapital zu verschwenden.

Die Auseinandersetzungen um das AKW Lingen und die partiell hysterischen heuchlerischen Stellungnahmen zur Cosco-Beteiligung am Terminal Tollerort, machen den SPIEGEL offenkundig sehr glücklich.

In der aktuellen Ausgabe ziehen die Hamburger richtig vom Leder gegen den Kanzler.

Spaß macht es mir wirklich nicht, das zu lesen. Aber ich will mich keinesfalls in eine Blase zurück ziehen, in der jeder meiner Meinung ist. Das ist nämlich das moderne Grundübel der Welt. Also lese ich, wie Melanie Amann, Markus Becker, Christoph Giesen, Nils Klawitter, Martin Knobbe, Marina Kormbaki, Maximilian Popp und Britta Sandberg Olaf Scholz hassen. Sie müssen ihn schließlich nicht lieben.

Etwas störend sind aber die Stellen, an denen sie bei der Verklärung ihrer geliebten Angela Merkel, den Boden der Tatsachen ganz verlassen.

[….] In Brüssel sieht es nicht besser aus, im Gegenteil. Dort wird jeder neue Regierungschef an seinem Vorgänger gemessen, also wird Scholz mit Angela Merkel verglichen – und dieser Tage sind die Erinnerungen an alte Zeiten besonders rosig eingefärbt. Merkel, so schwärmen Diplomaten in Brüssel, habe enorm viel Zeit in Gespräche mit kleineren EU-Ländern investiert. Das Ergebnis sei ein »360-Grad-Blick« auf die europäischen Partner gewesen, der Scholz leider abgehe, zumindest bislang. Unter Merkel sei es außerdem unvorstellbar gewesen, dass Deutschland mal eben ein 200 Milliarden Euro schweres Paket zur Abfederung der Energiekrise geschnürt hätte, ohne die wichtigsten EU-Partner vorzuwarnen, insbesondere Frankreich – so geschehen unter Scholz. […..]

(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)

Der reine Hohn! Merkel war es, die durch ihre grausame Austeritätspolitik die anderen EU-Partner so verprellte, daß die Beziehungen schweren Schaden nahm. Merkels Regierung war es, die die Griechen zwang, Piräus an die Chinesen zu verkaufen. Merkel und Schäuble setzten brutal Haushaltsdisziplin in Südeuropa durch, während sie in Deutschland des Gegenteil taten – nämlich Konjunkturprogramme gegen die Krise. Berlin wurde für diese Rücksichtslosigkeit gegenüber der kleineren Ländern so sehr gehasst, daß Merkel in Spanien, Italien, Griechenland mit SS-Uniform dargestellt wurde. Selbst das Weiße Haus mischte sich ein und Obama verlangte nachdrücklich, Deutschland dürfe sein brutales Machtmittel des Exportüberschusses nicht behalten.

[….] Kleinere, wirtschaftlich schwächere EU-Länder fühlten sich kalt erwischt, gar bedroht von der Wucht des 200-Milliarden-Pakets. Der Vorwurf: Deutschland subventioniere sich und nur sich raus aus der Krise. Berlin handele egoistisch und protektionistisch, hieß es schon zu Beginn des jüngsten Brüsseler Gipfels. […..]

(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)

Kauder und Schäuble hetzten gegen Tsipras und Varoufakis, Kauder verstieg sich dazu in äußerster deutscher Arroganz zu erklären, man spräche wieder deutsch in Brüssel.

[….] Anders als langjährige EU-Regierungschefs beherrscht der deutsche Sozialdemokrat auch noch nicht die Kunst, nationale Belange europäisch zu verbrämen, deutsche Interessen zur Schicksalsfrage der ganzen EU hochzustilisieren. Macron ist da ganz groß drin, Scholz legt wenig Wert auf die Verkaufe seiner Konzepte, er glaubt an die Kraft von Argumenten und Fakten. Und läuft damit immer wieder ins Leere. […..]

(DER SPIEGEL 44/2022, 29.10.2022)

Merkel war es, die mit ihren nationalen Alleingängen in der Atompolitik (Ausstieg 2011) und Flüchtlingspolitik 2015 die anderen Europäer extrem verärgerte, weil sie rein gar nichts vorher abgesprochen hatte und alle vor vollendete Tatsachen stellte.

Dadurch wurde Martin Schulz als „Mr. Europa“ überhaupt 2017 SPD-Kanzlerkandidat, weil die Sozialdemokraten die deutschen Alleingänge und die arrogante Haltung des Kanzleramts gegenüber anderen Europäern ändern wollten.

Freitag, 28. Oktober 2022

Klare Ansage – Teil III

 

Anders als in den lästigen Demokratien, in denen man wählen und Kompromisse finden muss, mit deren Regierung man hadert und deren Abgabenpolitik man moniert, gibt es glücklicherweise auch absolutistische Staatsformen, in denen nicht umständlich die Gewalten geteilt und Minderheiten berücksichtigt werden. Da hat nur der Mann an der Spitze das Sagen. Das ist auch in sich logisch, da er unfehlbar ist. Und zwar garantiert ein Mann! Die Schwanzlosen müssen draußen bleiben.

Willkommen im Vatikanstaat, dem sich 24 Millionen Deutsche freiwillig unterwerfen und neun Prozent ihres Einkommens als Mitgliedsbeitrag jeden Monat abdrücken.

Niemand eruiert, ob Franziskus eigentlich berechtigt ist, irgendetwas zu entscheiden. Der Papst kann alles, darf alles und weiß alles!

So muss es sein, denn vor 152 Jahren erfand der radikal antisemitische Rekordpapst Pio Nono das Dogma der Unfehlbarkeit.

[….] Zehn Jahre später erliess er den «Syllabus errorum», eine Liste mit der Verurteilung von achtzig Irrtümern der modernen Zeit. Der letzte Papst-König auf dem Stuhl Petri, von seinen glühenden Verehrern Vizegott genannt, sowohl launenhaft, unberechenbar und theologisch unbedarft wie auch fromm, selbstlos und charmant, trieb die Dogmatisierung der päpstlichen Unfehlbarkeit forsch voran. [….] [….]  535 Kardinäle und Bischöfe stimmten dem Dogma zu. Nur zwei votierten dagegen. [….]

(NZZ, Josef Hochstrasser, 16.07.2020)

Und so verdanken wir den Stellvertretern Gottes auf Erden, den Vize-Allmächtigen und Allwissenden, sehr wichtige Erkenntnisse. Daß die Erde eine Scheibe ist. Und falls sie doch eine Kugel sein sollte, ist das Universum geozentrisch. Die Erdkugel, vor 6.000 Jahren von Gott persönlich in sieben Tagen geschaffen, ruht im Mittelpunkt des Alls, während die Sonne drumherum kreist.

"Wenn du eine Frau siehst, denke, es sei der Teufel! Sie ist eine Art Hölle!"
(Papst Pius II., 1405-1464)

"Es ist die Pflicht eines jeden Katholiken, Ketzer zu verfolgen."
(Papst Gregor IX., 1170-1241, organisierte die Inquisition)

Der Christenheit zur Schmach verleihst du öffentliche Ämter an Juden . . . Der Herr wird dich zermalmen!
(Papst Innozenz III. an den Grafen von Toulouse)

Der Jude ist wie ein Feuer im Busen, wie eine Maus im Sack, wie eine Schlange am Hals.
(Papst Innozenz III.)

'Ich liebe Deutschland jetzt noch mehr.'

(Papst Pius XII, nach der Besetzung der Tschechoslowakei durch deutsche Einheiten)

Ich wünsche dem Führer nichts sehnlicher als einen Sieg.

(Papst Pius XII.)

Wir haben Deutschland, wo Wir Jahre Unseres Lebens verbringen durften, immer geliebt, und Wir lieben es jetzt noch viel mehr. Wir freuen uns der Größe, des Aufschwungs und des Wohlstandes Deutschlands, und es wäre falsch zu behaupten, daß Wir nicht ein blühendes, großes und starkes Deutschland wollen.
(Papst Pius XII. am 25.4.1939)   

Bestimmte sexuelle Verhaltensweisen können Krebs hervorrufen.

(Papst Johannes Paul II vor Gynäkologen, 1999 (sic!!))

Wer sich der Masturbation schuldig macht, darf nicht in den Klerus aufgenommen werden oder muß, wenn er bereits ein Kleriker ist, in den Stand der Laien zurückversetzt werden.

(Papst Leo IX)

Darf eine Frau, wenn sie weiß, daß ihr Mann sein Glied mit einer »englischen Kapuze« umgibt, sich für den Koitus zur Verfügung stellen? - Nein, sie würde an einem abscheulichen Verbrechen mitschuldig sein und eine Todsünde begehen.

(Der Papst und Kardinalskollegium, Mitte des 19. Jahrhunderts)

Was nicht der Wahrheit oder Sittennorm entspricht, hat kein Recht auf Existenz.

(Papst Pius XII, 1954)

Päpste sind als Vizegötter glücklicherweise auch qualifiziert, alles zu be- und verurteilen.

Insbesondere über Sex und Frauen wissen sie alles. All ihre Hirten recherchieren eifrig zum Thema.

[….] Haft für Priester wegen Kinderpornografie

Wegen des Besitzes von mehr als 6.000 kinderpornografischen Bildern hat das Amtsgericht Osnabrück einen früheren katholischen Pfarrer zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren auf Bewährung verurteilt.  Der 58 Jahre alte Geistliche muss außerdem in monatlichen Raten insgesamt 10.000 Euro an den Kinderschutzbund Osnabrück zahlen, sich von einer Männerberatungsstelle betreuen lassen sowie seine ambulante Psychotherapie fortsetzen. Das am Mittwoch gesprochene Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bei dem früheren Pfarrer einer Osnabrücker Kirchengemeinde waren im vergangenen November die Dateien mit Abbildungen von sexuellem Missbrauch an Kindern auf diversen Geräten gefunden worden. Der Angeklagte habe seine Tat bedauert, sagte die Richterin. Ein Grund, sich die Bilder aus dem Internet herunterzuladen, sei berufliche Überforderung gewesen. [….]

(ORF, 26.10.2022)

 Und auch die Bischöfe erforschen die Sexualmoral in der Praxis.

[….] In Frankreich tritt ein Bischof zurück. Was ist erschütternder: Dass er junge Männer in der Beichte zum Striptease vor dem Tabernakel angestiftet hat oder die Lügen, die der Vatikan und die anderen Bischöfe über die Sache verbreiten?  Die Reputation der katholischen Kirche hat über den Enthüllungen über sexualisierte Gewalt in den vergangenen Jahren offenkundig noch nicht genügend Schaden genommen. Andernfalls hätte der Vatikan im Verein mit der Französischen Bischofskonferenz es wohl kaum gewagt, 2019 die Öffentlichkeit über die Hintergründe des Amtsverzichts eines Bischofs namens Santier nicht nur im Unklaren zu lassen, sondern mit Vorsatz zu täuschen.  Dass die Wirklichkeit – es geht um Striptease-Beichten – die Phantasie wieder einmal in den Schatten stellt, ist noch am wenigsten der Rede wert. Viel erschütternder ist die Erkenntnis, dass sich im Umgang mit Missbrauchstätern in Soutane unter Papst Franziskus nichts, aber auch gar nichts geändert hat. Es wird verschleiert, vertuscht und gelogen, als gäbe es kein Morgen. Dasselbe gilt für den Umgang mit anderen Formen des Machtmissbrauchs. Die Kluft zwischen dem, was etwa die beiden päpstlichen Gesandten im vergangenen Jahr über Leben und Wirken des Kölner Kardinals Woelki erfahren haben, und dem, was der Papst und sein Kardinalstaatssekretär Piero Parolin mit diesem Wissen machen, wird mit jedem Tag größer, an dem sie ihn gewähren lassen.  [….]

(FAZ, 24.10.2022)

Pornographie-Experte Jorge Bergoglio klärt daher auf. Schluss mit der Masturbation vorm Bildschirm. Denn das schwäche Geist und das Herz! Außerdem käme so Satan zu uns!

[…]  Papst Franziskus hat angehende und junge Priester vor Pornografie im Internet gewarnt. „Es ist ein Laster, das so viele Menschen haben, so viele Laien, aber auch Priester und Nonnen. Der Teufel kommt von dort. Das sagte der Papst im Gespräch mit in Rom studierenden Seminaristen und Priestern am Montag, wie der Vatikan am Mittwoch bekannt gab. Dabei spreche er nicht nur von krimineller Pornografie, etwa Kindesmissbrauch; er meine die „einigermaßen ‚normale‘ Pornografie“, stellte Franziskus klar.  „Das reine Herz, welches jeden Tag Jesus empfängt, kann diese pornografischen Informationen nicht empfangen“, es schwäche das Herz.  [….]

(ORF, 27.10.2022)

Donnerstag, 27. Oktober 2022

Klare Ansage Teil II

 

Der deutsche Michl sehnt sich nach Bundeskanzlern mit Autorität. Nach Führung. Nach klaren Ansagen. Ärgert sich über innerparteilichen Streit, über Diskussionen in der Regierung, unterschiedliche MeinungenHickhack, Hin und Her. Es soll endlich einer durchgreifen.

Außer natürlich, es greift tatsächlich einer durch. Wie Olaf Scholz beim AKW Lingen und dem Cosco-Einstieg beim Terminal Tollerort. Dann sind alle empört und listen auf, wie viele dagegen waren, eine andere Meinung kundtaten. Wieso kann er das eigentlich allein entscheiden, empören sich die Kolumnisten.

Die demokratische Balance aus Parteiprogramm, Koalition, Kompromiss, Parlament und Regierung wird allgemein nicht mehr verstanden.

Daher sind Autokratien auf dem Vormarsch. Diktatorische Typen, die sich nicht um die Zukunft scheren, haben es so viel einfacher. Sie müssen nicht um Vernunft werben, komplizierte Kompromisse erklären, schwere Notwendigkeiten ankündigen.

Sie versprechen einfach irgendwas, das gerade gut ankommt, scheren sich dabei aber nicht um die Umsetzung oder den Wahrheitsgehalt, weil sie ohnehin fast immer lügen.  Die Masse wählt gern Berlusconi, Meloni, Johnson und Trump, weil sie nicht mehr konstruktiv eingefangen, sondern destruktiv aufgehetzt werden. Das ist für den populistischen politischen Anbieter sehr viel ökonomischer. Andere gemeinsam zu hassen, ist so viel einfacher, als sich mit der lästigen Realität auseinander zu setzen und Lösungen zu erarbeiten.

Die US-Republikaner haben beste Chancen am 08.11.2022 die Mehrheit im House zu bekommen, indem sie einfach geschlossen jeden von den Demokraten eingebrachten Vorschlag ablehnen und beim Wahlkampf abendfüllend schimpfen, wie scheiße alle Gesetze der Demokraten sind.

Der US-amerikanische Verkehrsminister Buttigieg erlebt, wie jeder einzelne republikanische Abgeordnete vehement sein Infrastrukturgesetz ablehnte, keinen einzigen Gegenvorschlag machte, aber anschließend in seinem Wahlkreis rumprotzte, er/sie hätte das Geld organsiert.

[….] He says it's "frustrating" to see congressional Republicans take stances that seem more about a problem than a solution.

"Can anybody name the top five things that they've suggested to fight inflation? Can anyone name three? How about one?" Buttigieg asked. He highlighted that Republicans voted no on the Inflation Reduction Act and provided no solutions to curb the problem.

"I would have loved nothing more than to have a debate between the Democratic Inflation Reduction Act and the Republican Inflation Reduction Act on the [floor of the House and Senate] and argued over which one was better. But there was only one, and it was ours. And, luckily, it passed."  […]

(Christopher Wiggins, 25.10.2022)

Harte Sacharbeit wird einem in den USA nicht gedankt, sondern die vollkommen fanatischen Kult-Jünger der Trumpsekte, hieven die gefährlichsten Antiamerikaner in die Ämter.

Die „Linken“, die konkrete Vorschläge machen, werden dafür kritisiert, die Ampelminister für alles zerrissen, was nicht perfekt läuft. Die Merz-CDU, die rein gar keine Alternativen anbietet, immer nur „NEIN“ schreit, steht in Umfragen deutlich besser da, als die SPD. Auch in Deutschland siegt Destruktion über Konstruktion.

An dieser Stelle oute ich mich als SPD-Parteigänger, gebe zu, Sozialdemokraten grundsätzlich mehr zu mögen, als Christdemokraten.

Daher beschäftige ich mich seit einigen Tagen mit der Frage, ob mir irgendetwas einfällt, das in den letzten fünf Jahren von FDP, AfD, CDU oder CDU gefordert, oder gar umgesetzt wurde, das nicht total idiotisch ist.

Mir ist aber nichts eingefallen; so sehr ich mir auch den Kopf zerbreche.

Sicher, in der Ampel gibt es mit der FDP gesellschaftspolitische Gemeinsamkeiten. Aber bei Antidiskriminierungsregelungen, der Cannabis-Legalisierung oder dem veränderten Volksverhetzungsgesetz, mal ganz abgesehen von einheitlichen Coronaregelungen, versagt FDP-Justizminister Buschmann auf ganzer Linie. Er ist einfach unfähig und schafft selbst diese innerhalb der Ampel unstrittigen Dinge nicht umzusetzen. Nun muss Karl Lauterbach einspringen.

Wenn ich sehr wohlwollend auf die FDP blicke und angestrengt überlege, welchen positiven Einfluss sie auf die Regierungspolitik haben KÖNNTE, fallen mir zwei Themen ein:

Sie sind doch so für „Entfesselung“ der Wirtschaft. Wir werden von irrwitziger Bürokratie gelähmt, Genehmigungen dauern viel zu lange, sind zu kompliziert. Dafür hätte sie auch die richtigen Ministerien. Lindner und Buschmann könnten doch entbürokratisieren und mal deutliche Verschlankungen vorschlagen. Sie könnte sich mit ihrer Bildungsministerin dafür einsetzen, das Zuständigkeitswirrwarr bei Schulen und Unis zu vereinfachen. Aber sie tun NICHTS.

Der zweite Aspekt ist die Mittelstandsförderung. Auch als Sozi bin ich dringend dafür, kleinen und mittleren Unternehmern zu helfen. 200 Milliarden Doppelwumms haut Olaf Scholz dafür raus. Da hätte doch die FDP im Kabinett wunderbar etwas hineinverhandeln können, das kleinen Betrieben hilft. Aber auch hier: Totalausfall.

Die FDP beschränkt sich wie ihre geistigen Brüder bei CDUAfDCSU darauf zu verhindern. NJET zu Bürgerversicherung. NJET zum Tempolimit. NJET zu Steuerreformen. NJET zur Vermögenssteuer.

Sie wollen nur die anderen kritisieren und ihre reichen Spender beschützen. Genau wie die Tories. Genau wie die US-Republikaner.

[….]  Kontakte mit Porsche

Wissing-Ministerium will Lobbyisten vor Transparenz bewahren.

Welche Gespräche führte der Autobauer Porsche mit dem Bundesverkehrsministerium? Das Haus von Volker Wissing will Kalendereinträge und andere Dokumente geheim halten – mit einer eigentümlichen Begründung: Bei Bekanntwerden der Kontakte könnten Lobbyakteure in Zukunft abgeschreckt werden. [….]

(Abgeordnetenwatch, 21.10.2022)

Ampel-Bashing

Als Meckerpott von der Seitenlinie, ist es leicht, den handelnden Politikern zuzurufen, was sie alles falsch machen und was man nicht will.

Frackinggas aus den USA kaufen? Will ich nicht.

Waffenkomponenten an das Scharia-Regime in Riad schicken? Will ich nicht.

Bei antihumanistischen Golfmonarchen um Erdgas betteln? Will ich nicht.

Einen kleinen Anteil von Hamburgs kleinsten Terminal an eine Chinesische Reederei verkaufen? Will ich nicht.

100 Milliarden Euro für die Bundeswehr ausgeben? Will ich nicht.

Explodierende Heizkosten, weil weit weg ein fernes Land ein anderes fernes Land bekriegt? Will ich nicht.

Ewig im Stau stehen, weil überall Baustellen sind, wenn Abwassersiele saniert werden? Will ich nicht.

Mehr Kohlekraftwerke, mit viel mehr CO2-Emissionen? Will ich nicht.

Acht Windräder zerstören, damit man in Garzweiler mehr Braunkohle fördern kann? Will ich nicht.

Nie war es so einfach, Parteien den Stinkefinger hinzuhalten.

Nie gab es mehr Häme beim erhobenen „ihr habt aber früher etwas ganz anderes versprochen“-Zeigefinger!

Das ist etwas ermüdend. Natürlich waren die Wahlprogramme von 2021 nicht an eine Kriegswirtschaft angepasst. Es gibt nicht genügend Kristallkugeln, um jede Eventualität zu planen.

Ich behaupte, die Wähler hätten es niemals goutiert, wenn Grüne oder FDP vor fünf Jahren jeden Tag über die vage Möglichkeit einer Pandemie, eines Lockdowns, einem plötzlichen Ende der russischen Gaslieferungen oder die Sabotageanfälligkeit der kritischen Infrastruktur geredet hätten. Man wäre empört über die theoretischen Diskussionen gewesen, hätte sich beklagt, weil die Parteien sich nicht mit den aktuellen Problemen beschäftigen. Ich könnte mich abendfüllend darüber echauffieren, daß es ausgerechnet eine GRÜNE Landesregierung ist, die das Dorf Lützerat wegbaggern lässt und dafür Windkraftanlagen einreißt.

Aber man muss schon so ehrlich sein, daß die letzte Bundesregierung mit grünen Ministern 1998-2005 massiv den Ausbau der erneuerbaren Energien förderte und wir heute längst unabhängig von russischem Gas wären, wenn die verblödeten Wähler das nicht 2005 gestoppt hätten und 16 Jahre kontinuierlich die CDU ins Kanzleramt geschickt hätten, die systematisch wieder auf fossile Brennstoffe umsteuerte und die Windkraft sabotierte. Die Grünen waren es nicht, die 16 Jahre im Kanzleramt saßen, sich bei Foto-Ops mit Putin die Klinke in die Hand gaben, den Stromtrassenausbau blockierten, die Solaranlagenförderung strichen.

Ja natürlich sitzen SPD und Grünen jetzt in einer extrem unkomfortablen Situation, in der es nur noch miese und sehr miese Lösungen gibt. Und selbst die sind oft nicht durchsetzbar, weil die Wähler 2021 FDP und AFD so stark machten, daß es keine linke Regierung geben kann. SPD und Grüne würden nicht nur sehr gern eine gerechtere Bürgerversicherung einführen, Vermögenssteuern erheben, den Spitzensteuersatz später und höher greifen lassen, die Mietpreisbremse drastisch verschärfen, ein Tempolimit durchsetzen, sondern haben dafür auch intensiv geworben. Der Wähler hat dem einen Riegel vorgeschoben. Ja, es geht verdammt ungerecht zu in Deutschland, Privatpatienten werden bevorzugt und die Mieten steigen rasant. Das hätte man alles 2021 abstellen können, aber der Urnenpöbel sagte NEIN und wollte lieber die FDP dabei haben, die das alles verhindert.

Das ist nicht die Schuld von Scholz, Baerbock, Klingbeil und Habeck.

Der Bundeskanzler sitzt doch nicht morgens im Kanzleramt und überlegt sich, wie er Deutschland schaden kann und möglichst viele Wähler ärgert. Bis ihm einfällt, AU JA, ich verkaufe den größten deutschen Hafen an die bösen Chinesen!

An dieser heute so viel getwitterten Darstellung so ziemlich alles falsch. Die Fakten sehen anders aus. Offenbar wägt hier einer die negativen Auswirkungen einer erteilten und einer verweigerten Genehmigung ab. Wir müssen keine Abhängigkeit von China befürchten, weil diese schon längst besteht.  Ohne Russland wird es verdammt schwer für die extrem globalisierte exportorientierte deutsche Wirtschaft. Ohne China hingegen, steht hier alles still. Einen zürnenden Xi können wir uns nicht leisten im Jahr 2022. Das Kind ist im Brunnen.

Ein kleines Wort an diejenigen in der Presse, die nun von ganz oben herab beurteilen, wie falsch Scholz angeblich liegt: Scholz verkauft nicht den Hafen. Es geht nicht um den Hafen und nicht um kritische Infrastruktur. Es geht um kein Bundeseigentum oder gar Scholz-Privatbesitz. Die Hamburger Hafen und Logistik AG (HHLA) und ihre Chefin Angela Titzrath wollten den Deal und schlossen ihn vor über einem Jahr im September 2021 ab. Ein Geschäft zwischen zwei privaten Firmen, gegen das allerdings ein Veto des Bundeskabinetts eingelegt werden könnte. Die Scholz-Regierung kam erst drei Monate später, am 08.12.2021 ins Amt. Die zuständigen Minister Scheuer (CSU) und Altmaier (CDU), sowie die Kanzlerin Merkel (CDU) hatten keine Einwände. Und volle 13 Monate kümmerte sich kein einziger Journalist und Twitter-Terrorist, die jetzt so unheimlich genau Bescheid wissen, um das Thema. Niemand schrieb über kritische Hafen-Infrastruktur, bemängelte irgendetwas daran, daß HHLA und Cosco seit 30 Jahren eng in Hamburg zusammenarbeiten. Alle schliefen gemütlich und interessierten sich nicht die Bohne für ein Thema, das nun innerhalb von Stunden die Medien beherrscht und als Scholz-Generalbashing verwendet wird.

Es wäre ganz erfrischend von den jetzt so lauten Scholz-Kritikern zu hören, daß sie sich im Gegensatz zu ihm, die letzten Jahre keine Sekunde um die Eigentümerstruktur des Betreibers des kleinsten Hamburger Containerterminals Tollerort kümmerten. Es war all den Kommentatoren und Eiferern bestenfalls egal. Eher zu vermuten ist allerdings, daß niemand etwas darüber wußte.

Hinterher ist man immer klüger.

Dienstag, 25. Oktober 2022

Hamburger Verhältnisse.

 

Die deutschen Bundestagsparteien geben auf Landesebene ein sehr heterogenes Bild ab. Die BW-Grünen sind nicht wie die Berliner Grünen. Die bayerische FDP kann man als notfalls regierungsfähig betrachten. Die Saar-FDP hingegen ist eine intrigante Versammlung korrupter Spinner. Die SPD in Niedersachsen ist eine echte Macht, während sie nebenan in Sachsen-Anhalt irrelevant dahin vegetiert.

In Hamburg präsentieren sich die Landesparteien besonders übersichtlich. Seit 2011 fährt die bärenstarke SPD Ergebnisse ein, für die man im Osten vier Bundesländer benötigt. (Ausnahme MeckPomm). Hamburg hat das mit Abstand höchste ProKopf-Einkommen aller Bundesländer, kam Dank der weisen Führung des habilitierten Medizinier-Bürgermeisters Tschentscher besser als alle anderen durch die Pandemie.

[….] Wie Hamburg seine Schulen besser durch die Pandemie gelotst hat.  Die Hansestadt hat einen guten Überblick, welche Schülerinnen und Schüler durch die Coronapandemie in Rückstand geraten sind. Welche Rolle Vorschulklassen, Daten und die Vergleichbarkeit von Lehrtätigkeit bei der Aufholjagd spielen. [….]

(SPIEGEL 42/2022, 14.10.2022) 

Da die Hamburger SPD besonders gut ist, erscheint der Kontrast zur abenteuerlich schlechten Christoph-Ploß-CDU eklatant. Der Hamburger CDU-Landesverband agiert ungeniert rechtspopulistisch.

Auch die Hamburger FDP blinkt AfD-freundlich, stimmte meistens zusammen mit den Braunen ab und landete daher bei den letzten Landtagswahlen am 23.02.2020 bei 4,9%.

Zusammen mit Baden-Württemberg und dem Saarland, stellt Hamburg auch eine außerordentlich rechte Grüne Landespartei. In Saarbrücken kommt das gar nicht gut an: Die Grünen flogen am 27.03.2022 mit 4,995% aus dem Landtag, während die SPD die absolute Mehrheit einfuhr. Das umgekehrte Bild südöstlich in Stuttgart. Dort wurde Winfried Kretschmann schon dreimal zum Ministerpräsidenten gewählt. Kein grüner Landesverband ist so erfolgreich. Eine Mischvariante trifft man an der Elbe. 2019 wurden die Grünen bei der Kommunalwahl stärkste Partei. Sie fahren fast so gute Ergebnisse wie in BW ein, agieren aber unprofessionell und chaotisch wie im Saarland.

Sie sehnen sich zurück in eine Koalition mit der CDU, wie es sie bis 2010 gab und wie sie auch die schwäbischen Grünen trotz linker Mehrheit im Parlament bevorzugen. Allerdings stellen sie sich bei ihren Versuchen selten dümmlich an. Gegen die grüne Justizsenatorin wird ermittelt, weil ihr Mann, der ehemalige Grüne Fraktionschef in Hamburg-Mitte, dreist in die Kasse griff und sie zudem versuchte, Grüne Abgeordnete in Hamburg-Mitte zu erpressen. Die Grüne Totalausfällin des Senats blamiert die Partei seither kontinuierlich immer wieder. Ein halbes Dutzend grüne Abgeordnete in Hamburg-Mitte konnten es nicht mehr ertragen und traten aus Protest zur SPD über. Mehrheit futsch. Die Grüne Mehrheit in Hamburg-Eimsbüttel versuchte immer wieder gemeinsam mit der CDU den SPD-Bezirkschef zu stürzen, agierte dabei aber derartig dilettantisch, daß sie jedes Mal scheiterte, weil einige Grüne über so viel Anstand verfügten, sich der eigenen Parteiführung zu widersetzen. Der Sozi ist dreieinhalb Jahre nach der Kommunalwahl, die eine deutliche Grüne Mehrheit erbrachte, immer noch im Amt, weil die Eimsbüttler Grünen völlig unfähig sind.

Im Bezirk Hamburg-Wandsbek (mit 440.000 Einwohnern allein größer als Bochum oder Wuppertal) vollzieht sich gerade ein drittes Mal das bekannte Grüne Desaster. Nachdem mehrere Grüne Abgeordnete entnervt von dem Chaos ihrer eigenen Partei ihr Mandat abgaben, wollten die Nachrücker erst gar nicht Mitglied der Grünen Fraktion werden. Auch in Wandsbek ist die Mehrheit nun futsch. Die SPD verhandelt mit CDU, FDP und Linken über die Bildung einer neuen Bezirks-Koalition. Die Grünen sind nicht regierungsfähig.

Allerdings sind neben CDU, FDP und Grünen auch die Linken in Hamburg unwählbar.

(….)  Wie überall, befinden sich auch die Hamburger LINKEN in Lyse. Ein Jammer. Unter Dora Heyenn war die Partei eine wirkliche Alternative, deren Beiträge man genau verfolgte und die man sich in die Regierung wünschte – wenn nicht ein ultrastarker Scholz 2011 die absolute Mehrheit geholt hätte.  Sie war von 2008 bis März 2015 Vorsitzende der Hamburger Linksfraktion. Leider setzte dann aber schon der Wahnsinn ihrer Partei ein, die Sektierer mobbten sie weg und Heyenn trat am 1. Januar 2018 der SPD-Fraktion bei.

Mittlerweile mutierten die Linken von der Alster zur Lachnummer. Bis vor wenigen Tagen waren Keyvan Taheri und Zaklin Nastic Landesparteivorsitzende, die ihren eigenen Vorstand mit Rassismusvorwürfen überzogen und den Streit in der Öffentlichkeit ausbreiteten. Am Wochenende wurden neue Vorsitzende gewählt. Das ging so:

[….] Die Linke steckt nicht nur bundesweit in einer tiefen Krise, sondern steht auch in Hamburg vor allem vor inneren Herausforderungen. [….] Sabine Ritter (54) [….] setzte sich gegen zwei Gegenkandidatinnen durch, von denen die eine für den negativen Höhepunkt des Wochenendes sorgte. Das umstrittene Parteimitglied Bijan Tavassoli hatte erklärt, kein Mann mehr zu sein, sondern eine Frau, und folglich für den weiblichen Landesvorsitzendenplatz kandidiert. Tavassoli war allerdings selbst gar nicht anwesend, laut eigener Aussage wegen einer Corona- und wahrscheinlichen Affenpocken-Infektion. Stattdessen trug ein Mann mit Kapuzenpullover und Maske die Bewerbungsrede stellvertretend vor und las einen abstrusen Text ab. Darin forderte Tavassoli unter anderem ein Verbot aller Bücher von „Harry Potter“-Schöpferin J. K. Rowling, die Legalisierung von Crystal Meth und beleidigte diverse Parteimitglieder. Nachdem das Tagungspräsidium erfolglos verbal intervenierte, kam es zu Handgreiflichkeiten, als der Tavassoli-Vertreter vom Rednerpult entfernt wurde. Für finales Kopfschütteln sorgte Tavassoli, als er später über eine Parteikollegin mitteilen ließ, dass die vorgetragene Rede gar nicht von ihm stamme. [….]

(HH Mopo, 12.09.2022)

Es passt ins Bild, Hamburg ist bei Weitem nicht der einzige Landesverband in Auflösung. Saarland, Rheinland-Pfalz, NRW und Hessen sind bereits kollabiert.  (….)

(Linker Exodus Teil II, 13.09.2022)

Zaklin Nastic, die einzige Hamburger Linken-Abgeordnete im Bundestag, präsentiert sich zu allem Unglück auch noch als querfrontlerische Wagenknecht-Schwurblerin, die ausdrücklich Sahra Sarrazins aktuellsten Unsinn, nach dem die Grünen die gefährlichste Partei des Bundestags wären – und nicht etwa die putineske AfD – unterstützt. Der neue Hamburger Landesvorstand der Linken sieht sich nicht in der Lage, die eigene Aluhütin zurecht zu weisen.

[…] Die Grünen seien „die heuchlerischste, abgehobenste, inkompetenteste und derzeit auch die gefährlichste Partei, die wir im Bundestag haben“, sagte Wagenknecht vor Kurzem in einem Video. […]. Nastic pflichtete ihr auf Twitter bei, nannte die AfD die „abscheulichste“ Partei im Parlament, die „gefährlichste“ wären aber die Grünen. […] Die Grünen würden den rechten AfDlern mit ihrer Politik einen „Nährboden“ bereiten. Eine These, die viele Linke so sicher nicht teilen. Doch es bleibt auffällig still, keiner der Fraktionsabgeordneten will sich zu dem heiklen Thema äußern. […] Um die Mittagszeit schreibt Hamburgs Linken-Landessprecher Thomas Iwan, dass Wagenknecht ihre Kritik bewusst so rechtsoffen formuliert habe, um dort anschlussfähig zu sein und die Gefahren der Faschisten in den Parlamenten verharmlose. „Das kann man machen. Aber wenn man den antifaschistischen Grundkonsens unserer Partei nicht mittragen möchte, dann ist man bei der Linken falsch“, so Iwan. […] Der Grünen-Verkehrssenator Anjes Tjarks kommentiert: „Nicht gerade harte Kritik für den Unfug“.  [….]

(Mopo, 25.10.2022)

Als einzige Entschuldigung sollte man vielleicht gelten lassen, daß die Selbstkastrierung der Linken kein Hamburger Spezifikum ist. Fast alle Landesverbände beginnen sich aufzulösen, weil sie die Nazi-Schwurbelfreundliche Bundesspitze entweder nicht mehr akzeptieren, oder aber im Gegenteil, wie Wagenknechts NRW-Heimatverband, von der Bundesspitze sogar mehr AfD-Nähe verlangen.

[….] Wegen des Dauerstreits in der Linkspartei hat ein Großteil des Landesvorstands in Nordrhein-Westfalen (NRW) seinen Rückzug angekündigt und schwere Vorwürfe gegen die Bundesspitze erhoben. Man werde bei der Vorstandswahl in einer Woche nicht mehr kandidieren, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung von 13 Vorstandsmitgliedern. Insgesamt gehören dem Gremium 22 Mitglieder an.  [….]

(SPON, 22.10.22)