Donnerstag, 20. Oktober 2022

Wieder ein schöner Tag für Wladimir Wladimirowitsch Putin

 

Sicher; militärisch hatte sich der russische Präsident den Angriff vom 24.02.2022 anders vorgestellt. Wie so viele (auch ich), erwartete er mutmaßlich, acht Monate später längst die gesamte Ukraine militärisch zu kontrollieren.

Möglicherweise bereut er sogar, überhaupt einmarschiert zu sein. Aber das weiß inzwischen jedes Kindergartenkind: Als Supermacht irgendwo einzumarschieren, ist relativ leicht. George W. Bush und sein Vater führten dreimal solche Großangriffe durch. Irak 1991, Afghanistan 2001, Irak 2003. Aber der Rückzug ist tausendfach schwieriger. Das hat sich seit Vietnam 1975 nicht verbessert.

Die beiden Bush-Präsidenten genossen aber den Vorteil, abgewählt werden zu können oder nicht mehr zur Wahl antreten zu dürfen, so daß erst die nächsten Präsidenten sich mit den Folgen ihrer Fehlentscheidungen rumplagen mussten. Als Diktator hat Putin nicht so ein Glück und muss die Suppe selbst auslöffeln. Nach über 100.000 Toten und nachdem er das internationale Ansehen Russlands auf ein Niveau unter Fußpilz eingedampft hat, kann der Kreml schlecht sagen „Hoppla, das war nichts, Schwamm drüber“.

Er braucht unbedingt die berühmte „gesichtswahrende Lösung.“ Aber aus verständlichen Gründen, verspürt man in der internationalen Staatengemeinschaft derzeit wenig Elan, dem Kollegen Putin eben diesen Gefallen zu tun.

Es ist unbekannt, ob sich Putin, wenn er abends allein im Bett liegt, in den Schlaf weint – „scheiße, scheiße, scheiße, warum bin ich bloß in die doofe Ukraine einmarschiert?“ – oder, ob er der Realität entrückt, grimmig-zufrieden aufzählt, welche Optionen er noch hat.

Sollte letzteres der Fall sein, wird er nicht auf einen baldigen russischen Sieg mit konventionellen Waffen hoffen, sondern an seinen umfangreichen Giftschrank denken: Gas- und Uranabhängigkeit des Westens, Weizenabhängigkeit der Welt, Sabotage, Atomwaffen, Destabilisierung der NATO-Staaten, Schwächung der Ukraine-Helfernationen, Angstkampagnen, Installation Putin-freundlicherer Regierungen. Putin hat noch einiges im Köcher.

Es läuft recht gut. In den letzten 24 Stunden gab es vier schöne Nachrichten für den Kreml.

1.

Mit dem erbärmlichen und maximal peinlichen Ende der Truss-Regierung nach 45 Tagen im Amt, steht der wichtigste europäische militärische Unterstützer der Ukraine, das Vereinigte Königreich, kopflos und vollständig chaotisiert im Regen.

[….] In Moskau hingegen sorgte der Rücktritt für Häme. Das russische Außenministerium begrüßte den Abgang von Truss. Sie werde wegen ihres »katastrophalen Analphabetismus« in Erinnerung bleiben. »Großbritannien hat noch nie eine solche Schande eines Premierministers erlebt«, sagte die Sprecherin des Außenministeriums, Maria Sacharowa. Truss hatte der Ukraine im Krieg gegen die russischen Invasoren ihre Unterstützung zugesichert. [….]

(SPON, 20.10.2022)

2.

Putins sexuelle Anziehungskraft auf alternde Nazis (Trump, Berlusconi, Orban, Gauland) scheint nach wie vor ungebrochen zu sein. Mit Italien folgt nun ein zweites EU-Land Ungarn auf die russische Seite. Berlusconi prahlt damit, zu den echten Freunden Putins zu gehören und brüstet sich mit ausgetauschten Liebesgaben.

[….]  Der italienische Ex-Regierungschef Silvio Berlusconi steht wegen seiner Freundschaft mit Russlands Präsident Wladimir Putin erneut in der Kritik. In einer am späten Dienstag aufgetauchten Tonaufnahme ist Berlusconi zu hören, wie er über das Wiederaufleben seiner Beziehung zu Putin spricht. "Ich habe meine Verbindung zu Präsident Putin ein bisschen wiederhergestellt", sagt Berlusconi in der von der Nachrichtenagentur "LaPresse" veröffentlichten Aufzeichnung. Putin habe ihm zum Geburtstag "20 Flaschen Wodka und einen sehr liebenswürdigen Brief" geschickt, ist der italienische Ex-Regierungschef weiter zu hören. Er habe "mit Lambrusco-Flaschen und einem ebenso lieblichen Brief geantwortet". Berlusconi war im vergangenen Monat 86 Jahre alt geworden. Laut "LaPresse" stammt die jetzt aufgetauchten Aufnahme von einem Treffen mit Abgeordneten von Berlusconis Partei Forza Italia (FI) aus dieser Woche. Ein Sprecher Berlusconis bestritt jedoch, dass der Ex-Regierungschef seine Beziehung zu Putin erneuert habe. Berlusconi habe lediglich "eine alte Geschichte" über einen "viele Jahre" zurückliegenden Vorfall erzählt. [….]

(STERN, 19.10.2022)

3.

Das größte Glück für Putin dürfte aber die überragende Doofheit von 75 Millionen amerikanischen Wählern sein, die seine Marionette Trump wieder zum Präsidenten machen wollen und schon bei den Midterms in wenigen Tagen dafür sorgen wollen, der Ukraine die finanzielle Unterstützung zu entziehen.

[….] When Minority Leader Kevin McCarthy — the likely speaker of a GOP House next year — suggested this week that he’d pull back on U.S. funding for Ukraine’s battle against Russia, it wasn’t the first signal to the Biden administration that Republican lawmakers are leery of prolonged financial support for Kyiv.  [….]

(Politico, 19.10.2022)

4.

Nachdem Russland Myriaden einfacher Iranischer Angriffsdrohnen aus dem Iran einkaufte, hoffte Präsident Selenskyj auf das erprobte HighTech-Raketenabwehrsystem aus Israel. Aber Jerusalem erteilte eine Absage, weil man sich dort lieber nicht mit Moskau anlegen möchte. Zu stark ist der russische Einfluss in der syrischen und iranischen Nachbarschaft.

[….]  Am Donnerstag werden Israels Premierminister Jair Lapid und der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba miteinander telefonieren. In dem Gespräch wird es darum gehen, ob Israel den Ukrainern seine Raketenabwehrsysteme zur Verfügung stellt. Der »Iron Dome« hat in den Gazakriegen 95 bis 97 Prozent der auf Israel abgefeuerten Raketen gestoppt. Ein Hightech-System. Doch schon jetzt ist klar, wie die Israelis jede Anfrage beantworten werden: Wir würden ja gern, aber sorry, wir können und werden nicht liefern.  Für den jüdischen Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, wird es sich vermutlich wie eine Ohrfeige anfühlen, ausgerechnet vom jüdischen Staat im Stich gelassen zu werden.  […]

(SPON, 19.102022)

Wenn die Militärhilfe aus England für die Ukraine ausbleibt, wenn Rom und Budapest die EU-Sanktionen gegen Russland platzen lassen, kein Geld mehr aus Washington nach Kiew fließt und auch keine Defensivwaffen gegen die Drohnenangriffe auf Ukrainische Zivilisten geleifert werden, sieht es schon besser aus für Putin.

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