Das ist natürlich die Meldung des Tages: Nancy Pelosi hat mal wieder ihre eisernen Kräfte eingesetzt und ihrem Freund Joe Biden die Eier zerquetscht.
Obwohl der streng gläubige Katholik erklärte, nur Gott der Allmächtige könne ihn von einer erneuten Kandidatur abhalten, warf er heute doch hin. Keine kleine Leistung der 84-Jährigen Kalifornierin, denn einen amtierenden Präsidenten nach nur vier Jahren von einer weiteren Kandidatur abzuhalten, ist fast nicht möglich, ohne die Partei zu zerreißen. Zu viele Trümpfe hält er mit seinen Amtsinsignien und seiner weltweiten Bekanntheit in seiner Hand, während alle anderen theoretischen Kandidaten bei der notorisch ungebildeten und desinteressierten US-Bevölkerung erst die unglaublich teure und langwierige „Name Recognition“-Arbeit zu leisten haben.
Große Teile der demokratischen Partei waren schon lange verzweifelt, weil ihnen nicht verborgen blieb, wie unbeliebt Biden gerade bei vielen jungen Wählern ist. Sie mussten einen sehr schwachen TURN OUT am 05.11. befürchten und das würde wiederum Trump nutzen, weil seine fanatischen Anhänger unter allen Umständen wählen. Es gibt in den USA eine homogene relative Mehrheit aus konservativen weißen Christen, die alle republikanisch wählen. Um diesen Block zu übertrumpfen, braucht man die sehr heterogene „Obama-Coalition“, in der sich die unterschiedlichsten Gruppen versammeln: Kämpfer für strengere Waffengesetze, Gewerkschafter, Junge, Aktivisten, People Of Color, Queere, Umweltschützer, Hochgebildete, eingebürgerte Migranten, Feministinnen, Blue Collar Worker.
Sie alle zusammen, sind zwar zahlenmäßig mehr als der homogene rassistische Trump-Block, aber ungleich schwieriger zusammen zu halten. Dafür braucht es einen sehr charismatischen strahlenden Anführer, der so viel Optimismus ausstrahlt, daß alle an seine Wahlchancen glauben.
Trump schoß und schießt immer wieder Arschflugkörper in die Obama-Coalition, um doch ein paar migrantenfeindliche Schwule, ein paar Genervte aus Cuba stammende, einige verwirrte Jugendliche, hier und da einen abgehängten Schwarzen, unter Inflation leidenden Arbeiter im Rust-belt; aus Bidens Wählerpool zu jagen.
Die GOP-Faschisten müssen diese Abtrünnigen gar nicht auf ihre Seite ziehen. Sie brauchen nicht Trump zu wählen. Es genügt, so viel Zweifel zu säen, daß sie am 05.11.2024 nicht zur Wahl gehen. Das die Republikaner extrem bevorzugende Wahlrecht regelt den Rest. Auch 2016 wurde Trump Präsident, obwohl er drei Millionen Stimmen weniger als Hillary Clinton bekam.
[……] Ich hoffe, dass die Wähler ihn aufhalten werden, denn sonst sehen wir einer düsteren, faschistischen Zukunft für Amerika entgegen. Glauben Sie wirklich, dass der Typ, der versucht hat, die letzte Wahl für nichtig zu erklären, eine weitere überhaupt noch zulassen wird? Russische Soldaten schreiben Trumps Namen auf die Bomben, die sie über der Ukraine abwerfen. Weil sie wollen, dass er wieder an die Macht kommt. Er würde seinem Vorbild Putin erlauben, das Land komplett zu zerstören und es in einen Sklavenstaat zu verwandeln. Ich kann mir ja viel vorstellen, aber nichts könnte beängstigender sein als das, was jetzt gerade passiert.
TAZ: Wie könnte man Trump noch mit demokratischen Mitteln stoppen?
Indem ein Teil der Leute, die beim ersten Mal für ihn gestimmt haben, nun gegen ihn stimmt. Das Problem dabei ist das amerikanische Wahlleute-System, das Electoral College. Meine Stimme hier in Kalifornien mit seinen 39 Millionen Einwohnern ist praktisch bedeutungslos. Die Stimme von jemandem in Ohio oder einem der Hinterwäldlerstaaten zählt tausendmal mehr als meine Stimme. Diese Staaten haben sehr viel weniger Einwohner, können aber überproportional viele Wahlleute entsenden. Die schlechtesten Präsidenten, die wir in letzter Zeit hatten – Bush und zuletzt Trump –, hatten keine echte Mehrheit. Die Rechten haben die Schwächen der Verfassung genutzt und sich den Obersten Gerichtshof zu eigen gemacht. Ich sehe keinen Ausweg – es sei denn, es erheben sich alle liberal gesinnten Menschen. Die Frauen haben uns bei den Halbzeitwahlen 2022 gerettet. Das war nach der Entscheidung des Obersten Gerichts, wonach der Staat darüber bestimmen dürfen soll, was eine Frau mit ihrem Körper machen darf.
TAZ: Nach der Niederlage gegen Biden 2020 dachten wir, Trump sei als Politiker erledigt.
Nach dem Bierkellerputsch von 1923 dachten alle, Adolf Hitler sei erledigt. Aber er kam in den dreißiger Jahren zurück und gelangte mit legalen Mitteln ins Amt. Das ist genau das, was hier auch passieren könnte.
TAZ: Was ist schiefgelaufen?
Trump geht mit Rassismus und Hass hausieren. Die USA haben sich in den vergangenen Jahrzehnten radikal verändert. Wir sind nicht länger eine überwiegend weiße, christliche Nation. Das ist für die weißen, christlichen Nationalisten beunruhigend. Deshalb unterstützen sie – egal, was passiert – Trump. Die Evangelikalen stehen hinter ihm. Trotz der Tatsache, dass niemand weniger christlich und evangelikal sein könnte als er. Es geht ihnen um ihre Agenda, die darin besteht, das Liberale zu zerschlagen, den Multikulturalismus zu zerstören und eine Art Apartheidstaat zu errichten, wo eine kleine Minderheit rechtsradikaler, bewaffneter Schläger den Rest von uns kontrolliert. [……]
Wenn auch nur ein Teil der Obama Coalition nicht genügend vom demokratischen Spitzenkandidaten motiviert wird, sich zur Wahl registrieren zu lassen – auch das wird ihnen in allen red states ohnehin extrem schwer gemacht – und für ihn zu stimmen, gewinnt Trump. Ein Riesenproblem, wenn man mit einem nuschelnden, stotternden Tattergreis antritt, der 81 Jahre alt ist, aber wirkt, als wäre er 181.
Daß Biden Lichtjahre besser regiert als Trump und extrem viel erreicht hat, ist bedauerlicherweise für den Großteil des Urnenpöbels irrelevant.
Deswegen musste Biden seine Kandidatur zurück ziehen. Ich würde ihm gern dafür danken, aber erst einmal muss meine Wut darüber verraucht sein, wie starrköpfig er seine Partei erst in diese fürchterliche Lage brachte.
Jetzt noch anzufangen, einen Präsidentschaftskandidaten zu suchen, während die anderen Ihren schon nominiert haben und der auch weltbekannt ist, muss man ebenfalls als hochproblematisch bezeichnen.
Der Nominierungsparteitag findet in der zweiten Augusthälfte statt, am 22.08. ist die Kandidatenkür und bereits Mitte September beginnt das Early Voting.
Nach bisherigen Maßstäben, in dem die Kandidatenkür und der Wahlkampf anderthalb Jahre brauchen, bleibt dem Biden-Nachfolger praktisch gar keine Zeit.
Wie soll sich jemand so schnell bekannt machen?
Das spricht für Kamala Harris, die als einzige bereits weltbekannt ist und daher heute schon eine beträchtliche Unterstützergruppe mit Ultraschwergewichten, wie den Familien Clinton, Obama und Biden hinter sich versammelt.
Vorstellbar wäre zudem, daß sich Biden ab sofort auf das reine Repräsentieren verlegt und Harris die harte Regierungsarbeit überläßt, so daß sie sich einen Amtsbonus erarbeitet.
Es gibt aber auch zwei große Nachteile: Sie ist sehr unbeliebt, gilt als VP ohne eigene Leistungen und außerdem wirkt es wenig demokratisch, wenn die Partei eine Kandidatin zum Abnicken vorgesetzt bekommt.
Daher spricht auch einiges für eine „open convention“ (auch brokered convention oder contested convention) mit vorherigen Blitz-Primaries, so daß die Parteitagsnominierten eine echte Auswahl haben, sich demokratisch zu entscheiden. Nun verweisen alle auf die Democratic National Convention 1968 in Chicago, als der amtierende Präsident Lyndon B. Johnson überraschend nicht mehr antrat, Vizepräsident Hubert H. Humphrey in einem offenen Verfahren nominiert wurde und prompt bei der Präsidentschaftswahl gegen Richard Nixon unterging.
Solche Vergleiche sind meines Erachtens aber nicht zielführend, weil Wahlkämpfe im Internetzeitalter anders laufen und weil die bisherigen Kandidaten beider Parteien schon so lange bekannt und so alt sind, daß ihnen das eher als Nachteil ausgelegt wird.
Ein anderer demokratischer Kandidat hätte den enormen Vorteil einfach NEU zu sein und damit für all die frustrierten Amerikaner attraktiv wird, die keinen Geronten an der Staatsspitze wollen. Bill Maher sagte es schon voraus.
Ja, Bidens Rückzug, jetzt noch, ist sehr riskant.
Aber die Situation ist mit keiner bisherigen Konstellation vergleichbar: Der Gegenkandidat war bereits Präsident, ist uralt, lügt wie gedruckt, wurde 34 fach als Verbrecher verurteilt, zweimal impeached, überlebte gerade ein Attentat und wird religiös verehrt.
Möglicherweise gibt es doch noch genügend US-Amerikaner, denen so ein Kandidat zu irre erscheint und die nun gern den Reset-Knopf drücken, um ein ganz anderes Gesicht ins Oval Office zu bekommen. Es besteht eine neue Chance.
Klar, die Demokraten versauen diese Chance vermutlich, weil sie nun mal Demokraten sind und nun rumjammern, statt eiskalte Entscheidungen zu treffen. Aber mit Biden waren die Chancen unter die Wahrnehmbarkeitsschwelle gerutscht.
[….] Joe Biden hat sich dem Druck seiner Partei und breiter Teile der amerikanischen Öffentlichkeit gebeugt und das Ende seiner politischen Karriere verkündet und sich für Vizepräsidentin Kamala Harris als Nachfolgerin ausgesprochen. Die Demokratische Partei ist damit freilich nicht von ihren Problemen erlöst, sondern sie steht am Beginn einer historisch einmaligen Situation, die ebenso viele Gefahren wie Chancen birgt. Eine neue Kandidatin, ein neuer Kandidat kann die USA elektrisieren und das Land von einer Wahl zwischen zwei unbeliebten Politikern befreien. Der Weg hin zu dieser neuen Führungsfigur kann die Partei jedoch ebenso gut zerreißen und ihre Unfähigkeit zur Fortführung der Regierungsgeschäfte offenbaren. Dann würde sich das Land dem vermeintlich Stärkeren zuwenden – Donald Trump.
Die amerikanische Parteiendemokratie steckt voller Absonderlichkeiten, die erklären, warum Präsident Joe Biden eben nicht so einfach zur Seite geschoben werden konnte. Der Austausch des demokratischen Präsidentschaftskandidaten macht die Partei nämlich nicht zwingend stärker, sondern kann sie genauso gut auch schwächen.
Das Wahlsystem in den USA wird nicht von den Parteien bestimmt, sondern von charismatischen Führungsfiguren, die sich eine Parteiorganisation auf den Leib schneidern. Nicht die Partei entscheidet über einen Kandidaten, sondern der informelle Anführer zwingt die Anhänger und mithin die Partei zur Loyalität. Dieser Prozess wird in den Vorwahlen abgewickelt, die nicht zufällig als Härtetest der Präsidentschaftswahl angesehen werden.
Parteien in den USA sind also Wahlvereine, die sich hinter einem Kandidaten versammeln – weitgehend bedingungslos. Sie nötigen dem Kandidaten kein Wahlprogramm auf und erwarten keinen religiösen, ethnischen oder regionalen Proporz bei der Verteilung von Posten. Es handelt sich um Persönlichkeitsbewegungen, die zwar einer politischen Grundidee folgen, aber ansonsten eine Person mit fast schon übermenschlichen Erwartungen aufladen. [….]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen