Samstag, 4. Februar 2023

Hass und Angriffsfläche

Zu den wirklich unangenehmen Erfahrungen meiner gestrigen BILD-Lektüre, gehörte auch ein Einblick in den blanken Hass, mit dem SPRINGER die Klima-Aktivisten überzieht.

[….] Die Debatte um die Flugreise ist ein Lehrbeispiel für die völlig verkorkste Klimadebatte. Da ist, zum einen, die Rolle des Springer-Verlags und die Kampagne, die dort seit Monaten gegen die Aktivisten geführt wird. Bild wirft den "Klima-Chaoten" mit immer radikaleren Worten eine Radikalisierung vor, Titelzeile vom Freitag "Ihr habt ja nur noch Klebstoff im Hirn". Zum anderen ist da die alte Debatte, inwiefern individueller Verzicht das Klima retten kann im Vergleich zu einem grundsätzlichen politischen Umsteuern, also: Macht es den großen Unterschied, wenn einzelne Menschen nicht mehr in die Ferien fliegen, solange hierzulande immer noch Braunkohle verstromt wird?  […]

(Süddeutsche Zeitung, 04.02.2023)

Dabei kann niemand, dessen IQ auch nur knapp über Zimmertemperatur liegt, bestreiten, daß die Anliegen der Klima-Aktivisten wichtig, richtig und zudem sehr bescheiden sind.

[….] Letzte Generation: Das klingt schrill und anmaßend, nach eitler Hysterie; da fallen einem die "Heiligen der Letzten Tage" ein, eine Religionsgemeinschaft, die zu den Mormonen zählt. Also wird den Aktivisten entgegengehalten, dass sie apokalyptische Endzeitängste schüren und Sektiererei betreiben. Letzte Generation? Das ist freilich in kürzester Kurzform nichts anderes als das, was seriöse Wissenschaftler auch sagen und was das Bundesverfassungsgericht vor einem guten Jahr in seinem Klimabeschluss gefordert hat: Die systematische Transformation des gesamten Lebens darf nicht erst irgendwann später, sie muss jetzt beginnen.  Der Potsdamer Klimaforscher Hans Joachim Schellhuber klebt sich zwar nicht mit der Hand auf der Straße fest; aber er formuliert Warnungen wie diese: "Ich sage Ihnen, dass wir unsere Kinder in einen globalen Schulbus hineinschieben, der mit 98 Prozent Wahrscheinlichkeit tödlich verunglückt."  [….]

(Heribert Prantl, 21.05.2022)

Sich auf Wahlen, politische Vernunft und Parteien zu verlassen, kann beim Thema Klimaschutz nur als Strategie des Scheiterns bezeichnet werden. Klima-Aktivisten sind also regelrecht gezwungen, andere/neue Wege zu gehen.

Wir, die ältere Generation, die das Desaster angerichtet hat, weil wir drastisch über unsere Verhältnisse leben, sollten jedem einzelnen, der sich vor einer Privatjet-Rollbahn festklebt, dankbar sein.

[….] Nur mit Langweilern und Duckmäusern ist kein kreativer Staat zu machen. Warum Demonstranten wie die in Lützerath daher auch ein Glück sind. [….] Es war und ist deshalb sonderbar, wenn den Klimaaktivisten in Lützerath und sonstwo in den vergangenen Wochen gesagt wurde, sie sollten jetzt die Klappe halten, ihren Klamauk einstellen und sich den politischen Entscheidungen fügen. Klappe halten ist kein demokratisches Motto; und Demonstrationen sind kein Klamauk, sondern ein Grundrecht. Sie können im Übrigen dazu beitragen, dass politische Entscheidungen oder höchstrichterliche Urteile abgelöst werden von neuen Entscheidungen oder anderen Urteilen. Dann sind Proteste und Demonstrationen Teil der Rechtsfortbildung. Aber auch wenn das nicht so ist und es auch keine Aussichten dafür gibt, sind Proteste nicht giftig. [….] "Infallibilität" bezeichnet im Kirchenrecht eine angebliche Unfehlbarkeit. Eine infallible Politik gibt es in der Demokratie nicht. [….]Einzelne Politiker pumpen den zivilen Widerstand zu einem angeblich aggressiven, schwer strafbaren Widerstand auf, indem sie die Klimaaktivisten als terroristische Vereinigung bezeichnen. Das ist ein gefährlicher Fehler, weil solche Kriminalisierung die Radikalisierung befördert. Zur Deeskalation gehört es, den Eifer der Klimaaktivisten zu achten, selbst wenn er als ungebändigter Furor erscheinen mag. Demokratie kann auch solchen Furor brauchen. Aus Joschka Fischer, der einst Mitglied der Gruppe "Revolutionärer Kampf" war, ist ein bemerkenswerter Minister geworden. Mit Langweilern gibt es keine kreative Politik.  [….]

(Heribert Prantl, 20.01.2023)

Daß die 22-jährige Luisa S. und der 24-jährige Yannick S., die beiden Klima-Aktivisten, in den Urlaub nach Südostasien geflogen sind, ist möglicherweise verzeihlich. Die persönliche Klimabilanz wird nicht nur durchs Fliegen versaut. Schlimmer sind Fleischkonsum, große Haustiere und am allermeisten schadet man dem Klima, indem man Kinder bekommt.

Als vegetarischer, kinderloser, haustierloser Nicht-Flieger, stehe ich optimal da.

Ob Yannick und Luisa Kinder haben oder bekommen wollen, weiß ich nicht.  Aber erstens ist ihr Flug zu rechtfertigen, wenn sie durch ihre Protest-Arbeit wirklich zu relevanter Reduktion der Treibhausgase beitragen.

Zweitens gebe ich zu, daß ich als Sozialphobiker und Corona-Vermeider gar nicht fliege. Wenn ich müßte, würde ich lieber Privatjet als Holzklasse und Charter fliegen. Ich nutze keine Privatjet, weil ich mir das nicht leisten kann.

Verlockend ist es aber durchaus.

Bill Maher hat völlig Recht. Die Heuchelei beim Thema Klimaschutz ist gewaltig. Fleisch essende Eltern dürften sich nicht über einen einzelnen Flug zwei Klimaaktivisten echauffieren.

BILD 03.02.23
 Daher werfe ich der 22-jährigen Luisa S. und dem 24-jährigen Yannick S. MORALISCH nicht vor, dieses eine mal einen Langstreckenflug genommen zu haben; zumal sie versichern, nach ihrem Rückflug nie wieder zu fliegen.

Der Flug ist ihnen aber POLITISCH vorzuwerfen, weil sie wissen müssten, von zwei Dritteln der Deutschen und der gesamten konservativen Presse gehasst zu werden.

Haben sie nicht mitbekommen, wie Dobrindt und die halbe CSU von „Klima-RAF“ pöbeln; daß "Klimaterroristen“ Unwort des Jahres 2022 wurde; daß die BILD eine immer aggressivere Kampagne gegen den Klimaschutz fährt?

Mit einem Urlaub in Bali liefern sie eine nur zu willkommene Angriffsfläche. Die andere Seite spielt niemals fair. Den Shitstorm hätten die Klimaschützer antizipieren müssen. Den Flug dennoch anzutreten schadet, ob der zu erwartenden und auch eingetretenen Reaktionen, ihrer Sache.

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