Sonntag, 12. Februar 2023

Kuriositätenwahl Berlin

 

Als Wahl-Junkie konsumiere ich alle Hochrechnungen, Prognosen und Umfragen für mein Leben gern. Da ich aber auch Sozialdemokrat bin, liegen mir die Ergebnisse der Abgeordnetenhauswahlen von heute Bleiquader-schwer im Magen:

CDU knapp 28%. SPD und Grüne haargenau gleichauf bei gut 18%, Linke 12%, AfD 9%, FDP unter 5%.

Da kann man nur froh sein, daß sich die Hepatitisgelben durch die ungeheuer peinliche FDP-Blockade in der Bundesampel – Buschmann! Wissing! – selbst aus dem Parlament geschossen haben. Das ZDF sah zunächst die Grünen im Parlament.

Mit Lindners Leuten über 5% müssten die Berliner nach Kenia reisen. Mit der Westberliner Spießer-Flitzpiepe Wegner als Hauptstadt-Bürgermeister!
Wäre ich doch bloß nie Deutscher geworden. Wie peinlich ist das denn?

Zum Glück schrumpften sich die Großfinanzlobbyisten noch auf 4,5%, so daß nun RGG, Schwarz-Rot und Schwarz-Grün rechnerisch möglich sind.

Der Lacher des Abends stammt von Promotions-Schummler Bijan Djir-Sarai, der in der Berliner Runde in völliger Realitätsverleugnung bekundete, seine FDP müsse in der so linken Ampel, in der die Grünen ideologisch blockierten, stärker zur Geltung kommen. Mit dieser grotesken Fehlanalyse kicken sie sich seit einem Jahr selbst aus den Landesparlamenten. Das diametrale Gegenteil ist der Fall: Durch die ständige ideologische FDP-Blockade (Indexmieten, Bürgerversicherung, gerechtere Steuern, Tempolimit, Einwanderungsrecht, 9Euro-Ticket, etc) wird das giftige Gelb so deutlich sichtbar, daß die Wähler schreiend weglaufen. So lange Djir-Sarai, Lindner und Kubicki nicht begreifen, daß sie MIT der Ampel und nicht GEGEN die Ampel regieren sollten, werden sie weiterhin als das betrachtet, was sie sind: Unnötig.

Kurz nach 18.00 Uhr tourte Michael Müller, SPD, Berlins regierender Bürgermeister 2014-2021, und Inkarnation der provinziellen Langweile, durch die TV-Studios. Er erinnerte wieder an die fatalen Auswirkungen von Urwahlen; ging er doch 2014 als klar falsche Personalentscheidung als Nachfolger des charismatischen Wowereit ins Rennen.

War die nicht schon mal etwas, das bisher immer so schön gründlich schief gegangen ist?
Ach ja! Wenn die Parteiführung im Mimimi-Modus ist, kann man ja die Mitglieder zur Urwahl aufrufen. Dann muss niemand in der Parteiführung sein Visier herunternehmen und sich niemand vorwagen. Und wenn es schiefgeht, hat auch niemand Schuld, weil es ja die Basis war. So macht man sich einen schlanken Fuß, wenn man keinen Mumm hat.

Dann also Diktatur der Inkompetenz.

(….) Urwahl des SPD-Parteivorsitzenden 1993: Zur Auswahl standen der kraftstrotzende Macher Schröder, die linke Wieczorek-Zeul und der unfassbar langsame Mann ohne Eigenschaften Scharping. Der Pfälzer Scharping war die Garantie dafür die Bundestagswahl 1994 zu verlieren, weil er nur eine schlechte Kopie des drögen Pfälzers Kohls war; wer auf sowas steht, wählt das Original.

Genauso wählten die SPD-Mitglieder 1993 und entsprechend kam es 1994.

Urwahl 2013 über den GroKo-Vertrag, will man mit Linken und Grünen in die Opposition, oder lieber dem Beispiel früherer Koalitionspartner Merkels folgen und sich an ihrer Seite marginalisieren und massakrieren lassen?

Berliner Urwahl 2014: Soll die Inkarnation der Ödnis, Michael Müller, 51, der fromme Evangele und Mann ohne Eigenschaften neuer Regierender Bürgermeister werden oder wagt man etwas und setzt auf den äußerst quirligen und dynamischen 37-Jährigen Fraktionschef Raed Saleh?

Klar, daß Müller mit fast 60% gewann. (…..)

(Prognosen, 31.08.2016)

Müller wirtschaftete SPD und Stadt ab. Giffey blieb in einem Jahr keine Zeit, das Ruder herum zu reißen; zumal ihre Regierungsmannschaft von Anfang an mit den Mega-Problemen on Top – Ukraineflüchtlinge, Energiekrise, Inflation, Pandemie – zu kämpfen hatte, die außerhalb ihres Einflusses lagen.

 Die Wahlwiederholung stellt sich als echte Giffey-Tragik heraus.

[….] In eineinhalb Jahren Amtszeit hat Giffey Vieles angepackt. Als weithin unstrittige Erfolge gelten die Unterbringung und Erstversorgung von Hunderttausenden ukrainischen Flüchtlingen, die Einführung des 29-Euro-Tickets im Nahverkehr sowie die Erfindung eines Chief Digital Officers namens Ralf Kleindiek, der die Behördenvorgänge in der Hauptstadt vom Fax- ins iPhone-Zeitalter begleiten soll. Selbst die Wirtschaft in Berlin wächst schneller als der Bundesdurchschnitt. Wenn Giffey in den kommenden dreieinhalb Jahren auch noch das Wohnproblem gelöst bekommt, wäre das gar keine schlechte Bilanz - wenn sie denn die Chance bekommt nach der Wahl. Nach dem katastrophalen Wahlergebnis - dem schlechtesten für die Berliner SPD jemals - muss sie erst mal um ihre Karriere zittern. […]

(SZ, 12.02.2023)


Mit 18% Landesregierungschefin zu werden, wäre in der Vorwende-BRD undenkbar. Nun ist das durchaus möglich. Das liegt auch an den Berliner Grünen. Anders als in Baden Württemberg, Hamburg oder Hessen, wo die Grünen eine klare CDU-Präferenz haben, sind die Berliner Grünen wenig Wegner-affin. Mit der Antiklimaschutz-, Antiausländer-Partei CDU, die für Vermieter und Automobillobby steht, zu koalieren, dürfte den Grünen in den strukturlinken Milieus Berlins schwer schaden. Zumal die geborene Bayerin Bettina Jarasch als Umwelt- und Mobilitäts-Senatorin die Inkarnation all dessen ist, was Auto-Narr Kai Wegner wie die Pest hasst.

Mit ihren AfD-Kurs gewann die CDU zwar 28%, schlug aber die Tür zu den möglichen Koalitionspartnern ziemlich lautstark zu.

Klar, aus westdeutscher Sicht ist die Verwaltung Berlins ein einziger Scherbenhaufen. Eine Peinlichkeit für eine internationale Stadt. Deswegen wurde RGR abgestraft. Die Besonderheit bei dieser Wahl war aber, daß die Wahlbeteiligung um gut 10 Prozentpunkte zurück ging. Das heißt, in absoluten Stimmen, haben alle Parteien verloren. Hinzu kommt; über 50% der CDU-Wähler gaben an, nur aus Unzufriedenheit mit RRG für die CDU gestimmt zu haben und keineswegs etwa, weil sie die CDU mögen.

Kai Wegner hat viel verbrannte Erde hinterlassen. Es wird für ihn extrem schwer bis unmöglich, die Grüne oder die SPD als Juniorpartner ins Koalitionsboot zu holen.

Sollte das Endergebnis die Grünen auch nur eine Stimme vor der SPD liegen – und das ist gut möglich; im Moment, 21.45 Uhr, sieht das ZDF die Grünen 0,1 Prozentpunkte vor den Sozis – ist die CDU nahezu chancenlos zu regieren. Denn dann wird die grüne Spitzenkandidatin Jarasch, als Stärkste des GRR-Blocks, die Gelegenheit nutzen, selbst die erste grüne regierende Bürgermeisterin zu werden und damit den zweiten Ministerpräsidentensessel für die Partei zu holen.

Das wäre ein kurioses Ergebnis, denn die klare Wahlgewinnerin CDU – plus zehn Prozentpunkte – kämpfte ausdrücklich gegen grüne Verkehrs- und Wohnungspolitik.

Weitere Twists:

Die CDU hat die dümmste Wählerschaft, macht Politik für die Reichen.

Die Grünen haben die reichsten Wähler, machen aber eher soziale Politik.


Die FDP hat die jüngsten Wähler, die aber ausgerechnet in der Hauptstadt ihre Stimme verschenken.

Regierende Bürgermeisterin wird mutmaßlich die selbst in der Partei reichlich unbeliebte Bettina Jarasch.

[….] Was hätte für die Grünen drin sein können – hätten sie nur die richtige Kandidatin gehabt? Denn Bettina Jarasch war es nicht – davon konnten sich die Menschen in der Hauptstadt einen Wahlkampf lang überzeugen.  Von Beginn an fehlte es ihr an Popularität, hinzu kamen Schwächen besonders in der direkten Auseinandersetzung mit Franziska Giffey und der übrigen Konkurrenz. Zu keinem Zeitpunkt wirkte es, als spräche da die künftige Regierende Bürgermeisterin. [….]

(SPON, 12.02.2023)

Die Grüne als Chefin wäre ein Kuriosum, weil sie von den drei zur Wahl stehenden Spitzenkandidaten mit klarem Abstand, die Unbeliebteste und in den Augen der Wähler Inkompetenteste ist.


Damit die Berliner eine Bürgermeisterin, die sie am wenigstens wollten und die gerade mal 18% holte.

Dit is Berlin.

Aber immerhin besser als CDU-Wegner.

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