Mittwoch, 15. Februar 2023

Im Verkehr

 Es gibt diese rabiaten 18-Jährigen Raser, die das erste mal am Steuer sitzend, den fahrenden Untersatz als Penis-Prothese auffassen, das Gaspedal voll durchtreten und sich dann um einen Baum wickeln.

Meine Mutter fuhr mal einige Jahre einen alten 924er „Hausfrauenporsche“, tuckerte zum Blumenladen, als ein Junge, an seinem 18. Geburtstag, im neuen Golf GTI vom Hof des VW-Händlers auf die Straße und ihr direkt in die Beifahrertür krachte. Der Depp fuhr also mit seinem frischen Führerschein exakt zehn Sekunden unfallfrei und dann konnte Papas Versicherung gleich eine neue Porsche-Tür und eine Lackierung bezahlen.

So war ich sicher nicht. Ich hatte in der Fahrschule Respekt vor den ersten praktischen Stunden. Theorie war ein Witz. Gleich als erstes machte ich die Prüfung. Als Letzter rein, als Erster raus, Null Fehler. Dann musste ich noch ewig die Theoriestunden absitzen. Die praktische Prüfung überstand ich nervös, aber auch fehlerlos. So schwer ist es nun nicht. Bremsen, schalten, Gas geben. Beim Abbiegen blinken, in den Außenspiegel gucken, Schulterblick (wegen des toten Winkels). Ach ja, auch Einparken ist mit einem simplen Trick auch für Anfänger ganz einfach: Statt sich an den Spiegeln zu orientieren, in denen man – die Gesetze der Optik schreiben es vor – alles spiegelverkehrt sieht, drehe man sich im Fahrersitz um und gucke direkt hinten raus, so daß man beim Rücksetzen in Fahrtrichtung guckt. Dann kann nichts passieren.

Ziemlich schnell bekam ich, noch mit 18 Jahren, durch die Hilfe der Familie, ein eigenes Auto. Einen FIAT Panda, „die tolle Kiste“, Frontantrieb, 34 PS, Leergewicht 500 kg, Hubraum 0,7 Liter. Neupreis  DM 8.999,-

Es gab selbstverständlich nicht den geringsten Luxus. Noch nicht mal ein Radio, geschweige denn Airbags, Antiblockier-System. Ich hatte einen Außenspiegel, einen Scheibenwischer und das geilste Auto der Welt.

All das fiel mir gerade wieder ein, als ich mit dem 21-Jährigen Sohn eines Schulfreundes sprach, der Geld für ein Auto gespart hatte und all meine Vorschläge empört abschmetterte. Das wäre alles viel zu unbequem, er wolle ja auch mal auf die Autobahn und da nicht hinter den Lastern feststecken. Ohne modernes Soundsystem ginge es auch nicht und so wurde es dann ein 12 Jahres altes Mercedes-Coupé mit 270 PS und einem Benzinverbrauch von 20 Litern auf 100 km. Was man eben so braucht als stubenhockerischer Großstadtjunge, der Single ist und alle Geschäfte fußläufig erreichen kann.

Aber noch einmal zurück in die 1980er mit meinem Panda. Die ersten zwei Wochen war ich tatsächlich ein bißchen ängstlich, wenn ich allein fuhr. Es war keine konkrete Angst, sondern eher ein vage-mulmiges Gefühl, es könnte „irgendwas“ passieren und dann säße ich allein damit da.

Das verflog sehr schnell und in den nächsten paar Jahren fuhr ich ausgesprochen gern Auto, drängte in Gruppen, mit mehreren Autobesitzern darauf, doch lieber mein sparsames Auto zu nehmen. Obwohl ich einfach nur furchtbar gern selbst am Steuer saß. Wie bei den meisten Autofahrern, wurde auch bei mir, das Fahren an sich, reine Routine. Ich tat es einfach, ohne darüber nachzudenken, ob ich nun gern oder ungern fahre. Ein Auto ist kein Fetisch für mich, sondern ein Mittel zum Zweck. Es soll mich von A nach B bringen. Ich habe noch nie im Leben mein Auto mit der Hand gewaschen oder es gar poliert. Ich weiß nicht, wie man Ölwechsel macht und von den technischen Spezifikationen meines jetzigen Autos, welches ich seit 20 Jahren fahre, kann ich gerade einmal die PS-Zahl nennen und weiß, daß ich „Super bleifrei“ tanken muss. Alles andere interessiert mich nicht. Hauptsache, es ist schwarz. Auch wenn an mehr und mehr Schrammen und Beulen darunterliegende Farben sichtbar werden.

Etwa 30 Jahre ging das so mit meinem Nicht-Verhältnis zum Auto und dem Autofahren.  Irgendwann, nachdem ich über Dekaden keinen Schaden und keine Schramme verursacht hatte, ditschte ich beim Einparken in meiner Tiefgarage an. Sogar mehrfach. Ich war erst schockiert. Wieso kann ich plötzlich nicht mehr einparken? Aber dann erinnerte ich mich an die Fahrschule und das rückwärts gucken. Inzwischen hatte ich nämlich „Rücken“ und gelegentlich einen steifen Hals, so daß ich mich unbewußt eben gar nicht mehr auf dem Fahrersitz rührte und quasi blind nach hinten setzte. Das erscheint zunächst einmal suboptimal. Aber daraus entwickelte sich auch ein Vorteil: Denn wenn das Auto erst einmal eine gewisse kritische Kratzer-Masse überschreitet, sind einem weitere Dellen vollkommen egal. Wenn jetzt ein semimilitanter Autohasser mit seinem Schlüsselbund über das Auto schabt, zucke ich nur kurz mit den Schultern. Außerdem sinkt mit dem Look auch die Einbruchs- und Klau-Gefahr. Wenig wahrscheinlich, daß ein professioneller Autodieb ausgerechnet mein Gefährt knackt, um es nach Osteuropa zu verkaufen.

Es hat sich aber noch etwas verändert. Das Abbiegen. Das funktioniert nun nicht mehr „blinken, Spiegel, Schulterblick“, sondern „blinken, langsamer werden,  Spiegel, stehen bleiben, Schulterblick, noch einmal Außen- und Rückspiegel kontrollieren, vollständig im Sitz umdrehen und intensiv glotzen.“

Der Grund sind liegt an der explosionsartigen Zunahme der zweirädrigen Verkehrsteilnehmer. Hamburg wächst. Das ist Fluch und Segen. Letzteres liegt auf der Hand: Stärkere Wirtschaft, mehr Steuereinnahmen, attraktivere Stadt, höhere Löhne, breiteres Angebot, mehr Kultur.

Der Fluch ergibt sich aus dem Quotienten von gleichbleibender Fläche und immer mehr Bewohnern. Es wird mehr gebaut, weil mehr Menschen, mehr Wohnungen brauchen. Dabei steigt der Platzbedarf nicht linear mit der Zunahme der Hamburger Bevölkerung, sondern viel stärker, weil die Bewohner reicher werden, Single-Haushalte gründen und immer mehr Quadratmeter beanspruchen.

[…..] Ende des Jahres 2021 hat es in Hamburg 1.042.467 Haushalte mit jeweils durchschnittlich 1,8 Personen gegeben. Mehr als jeder zweite (54,4 Prozent) war ein Einpersonenhaushalt. Die Anzahl der Haushalte mit Kindern in der Hansestadt belief sich Ende 2021 auf nur 18,1 Prozent, vor rund 30 Jahren waren es noch 25 Prozent. [….]

(Statistikamt Nord)

Während man zur Zeit meiner Geburt mit knapp 20 Quadratmeter Wohnfläche pro Kopf auskam, beanspruchen die Hamburger heute, pro Kopf gut 40 Quadratmeter Wohnfläche.

[….] Die Menschen in Deutschland wohnen im Schnitt auf immer mehr Raum. Gerade auf dem Land ist die Fläche pro Kopf seit 2015 deutlich gewachsen, [….] Die Wohnfläche pro Kopf habe zwischen 2015 und 2020 am stärksten in ländlichen Regionen mit 3,7 Prozent zugelegt, heißt in der Analyse. Am geringsten war der Zuwachs mit 1,5 Prozent in Großstädten. [….] Auf dem Land war demnach die Wohnfläche pro Kopf mit 51,4 Quadratmetern 2020 am höchsten. In Städten lag sie mit 40,9 Quadratmetern deutlich darunter, dazwischen kamen kleinere Städte und Vororte (47). Zahlen für das Jahr 2021 lagen noch nicht vor. [….] Das Wohnen auf immer mehr Platz ist ein langjähriger Trend in Deutschland. [….] Der große Flächenverbrauch pro Kopf wirkt sich auch ungünstig auf Energieverbrauch und Treibhausgasemissionen aus. Trotz aller Anstrengungen stagnierten die direkten CO2-Emissionen des Gebäudebestands seit 2014 bei rund 120 Millionen Tonnen im Jahr, hieß es in einer Studie der DZ Bank im vergangenen Sommer.  Noch 1995 habe die durchschnittliche Wohnfläche bei 36 Quadratmetern je Einwohner gelegen, die Menschen hatten also gut 20 Prozent weniger Raum als 2020. [….]

(dpa, 09.02.2022)

Hamburgs Gesamtfläche wuchs im letzten halben Jahrhundert um keinen einzigen Quadratmeter. Aber die Bevölkerung nahm zu und jeder einzelne möchte nun doppelt so viel Wohnraum.

Außerdem gibt es viel mehr Lastenfahrräder, E-Scooter, viel mehr Lieferfahrzeuge durch all die Onlinebestellungen, jedes Jahr mehr Fahrräder….

[….] Freie Fahrradstadt Hamburg: Im vergangenen Jahr hat die zentral gelegene Fahrrad-Messstelle an der Alster einen neuen Rekord verzeichnet, wie aus der Antwort auf eine schriftliche Kleine Anfrage der Grünen-Abgeordneten Rosa Domm hervorgeht. Demnach sind an der Alster im Jahr 2020 mit mehr als 2,3 Millionen Fahrrädern so viele Fahrten wie noch nie gezählt worden, teilte die Grünen-Bürgerschaftsfraktion am Mittwoch mit. Das waren demnach 163 000 oder sieben Prozent mehr als 2019.  [….]

(SZ, 17.02.2021)

…und auch noch mehr Autoverkehr. Durch Car-Sharing-Angebote, E-Taxis wie Moia und auch erheblich mehr Privat-Autos.

[….] Die Zahl der in Hamburg angemeldeten Kraftfahrzeuge ist im zweiten Quartal 2022 wieder gestiegen. Damit erweist sich die Hoffnung, der Trend zum Auto sei gebrochen, wohl als falsch. [….] Von April bis Juni 2022 aber stieg die Zahl der in der Hansestadt gemeldeten Pkw nun wieder – auf 807.569 am 1. Juli.   [….]

(HH Abla, 16.08.2022)

Zum Vergleich:

[….] Waren 1950 nur 23.473 Pkw angemeldet, zählte man 1960 schon 175.321 Pkw und 1970 sogar schon 433.079 Autos.  [….]

(HH Abla, 29.02.2020)

2011 waren es 725.845 Fahrzeuge in Hamburg, 2001 nur 693.964.

Zudem werden die Autos auch noch immer größer. Im Jahr 2023 wird SUV gekauft statt Panda.

Da mag sich die CDU über die Verkehrspolitik aufregen, wie sie will, weil die Autofahrer jetzt so viel im Stau stehen, aber frei fließender Verkehr wie 1960 mit 175.000 PKWs sechzig Jahre später mit über 800.000 PKWs, Hunderttausenden weiteren Verkehrsteilnehmern und durch das viele Bauen viel kleineren freien Fläche, ist physikalisch unmöglich.

Deswegen macht mir Autofahren auch wenig Spaß im Jahr 2023. Ich verstehe natürlich, daß auf der viel geringeren Fläche, nun sehr viel mehr Achtung und Rücksichtnahme notwendig ist. Ich bin gern bereit, das zu leisten, vorsichtig zu fahren, mich umzusehen, nicht rücksichtslos zu parken.

Eine reibungsloser Ablauf ist aber leider nicht möglich, wie ich heute gegen 18.00 Uhr auf meiner Tour durch Eppendorf wieder erleben konnte. Aus mir unerfindlichen Gründen treibt sich ein enorm hoher Anteil der Zweirad-Verwender mit hochgradig suizidaler Absicht herum. Sie fahren bevorzugt ohne Licht, mit großen Kopfhörern, um auch sicher taub zu sein, tragen dunkle Tarnkleidung und lieben es, in falscher Richtung durch Einbahnstraßen zu brettern, falschrum in Kreisel zu rasen und urplötzlich quer über die Straße zu schießen.

[….] Das größte Sicherheitsproblem im Radverkehr seien die sogenannten Geisterradler, die die Radwege und manchmal auch Radspuren auf Fahrbahnen in falscher Richtung benutzten. Mit einer dritten Fahrradstaffel will die Polizei noch in diesem Jahr für mehr Sicherheit sorgen. […]

(Welt, 16.02.2021)

Natürlich möchte ich als Autofahrer, der nun einmal mehr PS als ein Radfahrer hat, keinen von ihnen töten und versuche alles, um den pfeilschnellen Todessehnsüchtigen auszuweichen. Aber sie sind, statistisch und polizeilich belegt, leider häufig als kamikazige Lemminge offensichtlich erpicht darauf, ihre Kräfte mit einem 1,7 Tonnen-Boliden zu messen.

[…] Statistik belegt: Fahrradfahrer sind die schlimmeren Verkehrsteilnehmer[…] Insgesamt waren rund 40 Polizisten verschiedener Abteilungen im gesamten Hamburger Stadtgebiet unterwegs und haben eine „Schwerpunkteinsatz“ durchgeführt. Am Dienstag, 10. Mai 2022, startete die großangelegte Kontrolle. In Hamburg-Neustadt, Harvestehude, Wandsbek und Harburg legten sich gegen 07:30 Uhr die Beamten „auf die Lauer“. […]  Dabei fällt eines besonders ins Auge. Die Autofahrer kommen erstaunlich „gut“ weg. Von insgesamt 308 Ordnungswidrigkeitsverfahren fallen nur 39 Stück auf Kraftfahrzeugführer. Der Rest wird hauptsächlich dem Fahrradverkehr gutgeschrieben. […] Ordnungswidrigkeitsverfahren:          Fahrradverkehr

Befahren der falschen Radwegseite, des Gehweges oder Fahren in einer Fußgängerzone        115

Rotlichtmissachtung         104

Verbotswidriges Nutzen eines Mobiltelefons   5

Eine Statistik, die insbesondere den Autofahrer eines bestätigen mag. Radfahrer scheinen die schlimmeren Verkehrsteilnehmer zu sein.  […]

(24Hamburg, 19.05.2022)

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