Das ist ganz eigenartig. Ohne irgendeinen empirischen Beleg glauben die neoliberalen Hardliner in den verschiedenen Zeitungsredaktionen immer und immer wieder stoisch, mit dem Regierungsantritt ihrer schwarzgelben Helden, zöge Milton Friedman ins Kanzleramt. Nun werde „durchregiert“, die Bürokratie zurechtgestutzt, Kahlschlag bei den faulen Sozialschmarotzern betrieben und es brächen goldene Zeiten für das Unternehmertum an. Der Markt würde sich entfalten und klassisch angebotsorientiert, die gesamte Ökonomie in rasantes Wachstum versetzen, so daß trotz immer niedrigerer Steuersätze mehr Steuereinnahmen generiert würden.
Endlich Schluß mit den Sozi-Phantasien, die immer mehr Steuergelder mit der Gießkanne verteilten, die Staatsquote erhöhten und somit die Wirtschaft ruinierten.
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taz 26.03.25 |
Das erwarteten sie nach Lambsdorffs Wende-Papier und dem Durchstart der schwarzgelben-Kohl-Koalition mit breiter Mehrheit.
Die würgte dann alle Innovationen ab, entwickelte einen verschachtelten und ausufernden Subventionsdschungel und hievte den Steuersatz auf nie gekannte Höhen. 56% betrug der Kohlsche schwarzgelbe Spitzensteuersatz. 7,5% Solidaritätszuschlag wurden ebenfalls von der Schwarzgelb eingeführt.
Rotgrün senkte ab 1998 massiv die Steuern. Von den Kohl-Spitzenzeiten ging es gleich 14 Prozentpunkte abwärts beim Spitzensteuersatz auf 42%.
Die schnöde Realität irritierte die neoliberalen Apologeten der Zeit – Jörges (STERN) und Steingart (SPIEGEL) aber nicht. Heute heißen sie Weidenfeld (Focus/Spiegel), Schäffler (FDP) und Poschardt (SPRINGER).
Sie setzten weiter intensiv auf Schwarzgelb, um den Staat zu entrümpeln. Die neoliberale Kanzlerkandidaten Merkel war nach dem Leipziger Parteitag (2003) die neue Heldin. Mit Paul Kirchhofs kämen der Spitzensteuersatz von 25% und die segensreiche Kopfpauschale, Kapitaldeckung in der Sozial- und Krankenversicherung und Patriotismus – YEAH!
Mit diesen Versprechen wurde Merkel 2005 gewählt und setzte davon rein gar nichts um. Stattdessen kam eine drastische Mehrwertsteuererhöhung von 16 auf 19%.
Doch nichts konnte den Glauben an Schwarzgelbe Wirtschaftskompetenz trüben; nun wurde er auf die „Wunschkoalition“ aus Merkel und Westerwelle ab 2009 projiziert. Das Programm lautete „Steuersenkungen Steuersenkungen Steuersenkungen“ und wurde – wenig überraschend – natürlich nie umgesetzt. Schäuble rückte zum Finanzminister auf und verweigerte fortan jede Arbeit an einer Einkommenssteuerreform. Keine Unternehmesssteuerreform und auch das Mehrwertsteuerchaos blieb unangetastet. Aber dafür würgte Schwarzgelb gemeinsam die wichtigsten Zukunftstechnologie ab, stoppte Windkraft und Photovoltaik. Sie schraubten die Energieabhängigkeit bei Putins Gas von 30 auf über 50%, schafften die Wehrpflicht ab, ruinierten die Bundeswehr und veranstalteten allgemein ein solches Regierungschaos, daß die FDP von 15% auf unter 5% stürzte.
Auch das bewirkte keinerlei Lerneffekt bei den Trickledown-Fans in den Wirtschaftsredaktionen. Eifrig verbreiteten sie weiter die Mär von den finanzpolitisch luschigen Rotgrünen, während FDP und CDU tapfer gegen des ausufernden Staat ankämpften. Dabei sind es die Konservativen, die Gießkannen-artig zig Milliarden Steuergeld an ihre Lobbyfreunde im Energie-, Agrar- und Fossilsektor auskippen, als gäbe es kein Morgen. Pendlerpauschale, Agrardiesel, Herdprämie.
In den 16 Jahren CDU-Regierung 2005-2021 kam es zu einer
vollständigen Verkrustung der wirtschaftlichen Strukturen. In jedem denkbaren
Sektor sieht Deutschland veraltet und abgehängt aus.
Da wieder aufzuräumen, wie es schon Gerd Schröder ab 1998 geschafft hatte, oblag also ab 2021 Scholz.
Konzeptionell und personell hätte das auch mit Rotgrün
funktionieren können – trotz der drastischen außenpolitischen Probleme. Letztendlich
mussten Scholz und Habeck aber an zwei unüberwindbaren Hürden scheitern:
1.) der Urnenpöbel hatte ihnen die zerstörerische Njet-FDP ins Nest gesetzt und
2.) die CDUCSUAFD-Opposition verhinderte erfolgreich eine adäquate Finanzausstattung der Regierung.
Unfassbarerweise setzte die mittlerweile fast einmütig rechte Presse 2024/25 auf genau die Typen, die den Totalschaden angerichtet hatten: Spahn, Klöckner, Dobrindt, Söder – und dazu auch noch der intellektuell sichtlich überforderte Fritze Merz, der in 69 Jahren genau Null Tage Regierungserfahrung sammelte, noch nicht einmal in einem Sauerländischen Dorf Regierungsverantwortung übernommen hatte. Bei Blackrock war er wegen offenkundiger General-Doofheit („Was ist ETF?“) zum Grüßaugust degradiert worden.
Nun zeichnet sich das ab, was zu erwarten war:
Merz kassiert alle seine Wahlversprechen und will offenkundig auf ewig-gestrigen
Spuren die Fossillobby mit riesigen Milliardensummen auf Pump beschenken, um
den Klimawandel zu beschleunigen.
Ein absoluter Wahnsinn.
Ursula Weidenfeld, die neue Gabor Steingart beim SPIEGEL, dachte allerdings bis gestern offenbar wirklich, Merz sei ein ökonomisches Genie, das jetzt auf klar neoliberalen Kurs nach Lehrbuch ginge. Überraschung. Das wird nicht passieren.
[….] Als Reaktion auf den Kurswechsel von CDU-Chef Friedrich Merz bei der Schuldenbremse hat ein Drittel des CDU-Stadtverbandes in Kühlungsborn (Landkreis Rostock) seinen sofortigen Parteiaustritt erklärt. „Unsere Entscheidung basiert auf einer Reihe tiefgreifender politischer Entwicklungen, die wir nicht mehr mittragen können. Die Schuldenbremse ist die DNA der CDU. Durch die aktuelle Grundgesetzänderung wurde diese faktisch aufgehoben“, heißt es in einem Schreiben, das auf der Internetseite des Ortsverbandes veröffentlicht wurde und über das mehrere Medien berichteten. Darin wird zudem Kritik geübt an der Aufnahme der Klimaneutralität bis 2045 in das Grundgesetz sowie an unzureichenden Änderungen in der Migrationspolitik und beim Bürgergeld. [….]
(HHMopo, 26.03.25)
Weidenfeld kann es nicht fassen.
[….] Das, was Friedrich Merz in der letzten Sondersitzung des alten Bundestags als »umfassende Modernisierung unseres Gemeinwesens« angekündigt hat, wird im schlimmsten Fall nichts anderes werden als die Fortsetzung der Wirtschaftspolitik von Robert Habeck. Nur, dass sie sich diesmal nicht im Heizungskeller der Nation versteckt, sondern von der Kommandobrücke des Kanzleramts ausgerufen wird. Habeck in ganz groß quasi: Der Staat reguliert, welches Unternehmen wann welchen Zuschuss für eine spezifische Investition bekommt. [….] Diese Strategie ist schon in den vergangenen Jahren schiefgegangen. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie im zweiten Anlauf gelingt, ist nicht sehr groß. Statt die Leinen zur sozialen Marktwirtschaft zu kappen, sollte die CDU sie dringend ertüchtigen. Noch ist dafür Zeit – und im Bundestag braucht man nicht einmal eine Zweidrittelmehrheit dafür. [….]
(Weidenfeld, SPON, 26.03.2025)
Ein Paradebeispiel für widersinnige Zirkelschlüsse. Habeck war nicht das Problem, sondern die Lösung für Jahrzehntelangen CDU-Reformstau. Immer noch auf CDU zu setzen und dann wieder von der CDU enttäuscht zu werden, ist an sich schon erstaunlich irre.
Aber Weidenfeld scheint zudem auch noch auf dem Stand ihrer Ausbildung in den 1980ern stehengebliebenen zu sein. Hallo? Klimawandel?
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