Donnerstag, 13. März 2025

So langsam dämmert es auch der Mainstreampresse.

Das muss man mir nicht erklären; ich schreibe seit Jahren über die ökonomische und fiskalische Inkompetenz des Friedrich Merz. Zu Recht fokussierte sich RRG seit seiner Politrückkehr 2018 stark auf seine völkisch-rechtsreaktionären Ansichten, aber seine moralische Verwerflichkeit darf nicht darüber hinwegtäuschen, wie unfähig er als Politiker ist.

Obwohl ihm SPD, Grüne, Linke, aber auch beispielsweise Politmagazine, wie PANORAMA immer wieder vorrechneten, wie absurd und untauglich seine finanzpolitische Aussagen sind, wurde Merz hartnäckig nicht nur als wirtschaftskompetent geframt, sondern die meisten Wähler glaubten das zu allem Übel auch noch.

Das „Total-Desaster“ des Friedrich Merz geht also auch auf das Konto der Hauptstadtpresse, die nur allzu gern SPD und Grüne als Schulden-Hallodris darstellten, während mit Merz Ordnung in die Staatsfinanzen einkehre.

Aber so wie sich die Trump-Fans erst jetzt, beim Crash der US-Wirtschaft zu fragen beginnen, ob ihr Idol wirklich so viel von Volkswirtschaft versteht – das Gegenteil war spätestens 2017-2021 bewiesen worden – beginnt das Grübeln über den Sauerländer Groß-Stümper, erst nach der Wahl.

Marc Beise, die konservative Stimme in der Süddeutschen Zeitung, echauffiert sich aber auch, wie bereitwillig seine Zunftskollegen den finanzpolitischen CDU-Zickzack mitmachen.

[….] Ausgerechnet die CDU, die auf ihre stabilitätsorientierte Wirtschaftspolitik im Gefolge Ludwig Erhards stolz ist, verabschiedet sich davon gerade auf Druck von SPD und CSU und plant in einem windigen Manöver insgesamt rund eine Billion Euro neuer Schulden. [….] Verdächtig ist bereits die falsche Etikettierung. Die Rede ist von „Sondervermögen“, wo es in Wirklichkeit um eine gigantische Neuverschuldung geht. Die Redlichkeit geböte es, dass die Handelnden das, was sie vorhaben, auch klar benennen. Aber dass es an Redlichkeit mangelt, zeigt schon die Tatsache, dass CDU/CSU unmittelbar nach der Bundestagswahl genau das Gegenteil dessen vorgeschlagen haben, was sie vorher monate- und jahrelang glasklar versprochen hatten.

Bis zur Wahl haben Friedrich Merz und Markus Söder mantraartig und zu Recht vorgetragen, wie gefährlich eine zu hohe Schuldenlast ist, weil sie den Gestaltungsspielraum künftiger Generationen einschränkt. Sie ist aber auch auf kürzere Sicht riskant. Experten weisen bereits auf die Gefahr steigender Inflation hin, das Geld verliert an Wert. [….] Einfach mal so Hunderte Milliarden Euro neue Schulden zu machen, mit sehr unklaren Vorstellungen, wie das Geld konkret ausgegeben werden soll – das ist dreist. So dreist, dass man eigentlich einen Aufstand aller Experten und unabhängigen Beobachter erwarten müsste. Stattdessen erhielten Klingbeil, Esken, Söder und Merz zunächst erstaunlich viel Unterstützung nach dem Motto: Ist nicht schön, was sie vorhaben. Muss aber sein.    Es muss aber gerade nicht sein. [….]

(SZ, 12.03.2025)

Ob die zukünftige Politik aus Perspektive konservativer Wirtschaftstheorie „schön“ ist, halte ich für irrelevant. Sie muss funktionieren. Die Investitionslücke klafft nach dem Desaster von 16 Jahren CDU-Kanzleramt so astronomisch, daß es völlig unverantwortlich von den schwarzgelben Apologeten der Zukunftsbremse war, mehr Schulden zu verdammen. Schuldenfreiheit nützt zukünftigen Generationen nichts, wenn sie in einer maroden Trümmerlandschaft unter russischer oder chinesischer Fremdherrschaft stehen.

Es folgen aber zwei sehr große Abers:

Das Geld darf nicht gießkannenartig für kontraproduktiven Lobbyismus verprasst werden.

Die Grünen lehnen es heute ab, als billiges Stimmvieh herzuhalten, damit die CDU-Carbon-Lobby nach Herzenslust mit Multimilliarden die Klimazerstörung subventioniert. Mehr CO2-Ausstoß durch Agrardieselverbilligung, mehr CO2-Ausstoß durch billigen Industriestrom. Mehr CO2-Ausstoß durch mehr Pendlerpauschale, mehr CO2-Ausstoß durch Dienstwagenprivileg.

Eine Billion Euro auszugeben, ist nicht leicht, wenn Fähigkeiten und Kapazitäten fehlen. Weder stehen irgendwo brandneue Kampfflugzeuge oder Panzer im Regal, die man nur kaufen müsste, noch gibt es Menschen, die man hunderttausendfach dringend einstellen müsste, um Behörden, Schulen, Bundeswehr oder Pflegeeinrichtungen funktionsfähig zu machen. Natürlich braucht es enorme Investitionen in Digitalisierung und die Abwehr von Cyberkriminalität. Aber auch mit einer Billion Euro in der Hand findet kein Innenminister dazu in Deutschland das technische Knowhow oder Produktionskapazitäten.

Das zweite „Aber“ besteht in der Unsicherheit, ob Merz überhaupt die Grundgesetzänderungen so schnell durchgeprügelt bekommt. Nicht nur, haben die Grünen sehr valide inhaltliche Bedenken; hinzu kommt die sagenhafte taktische Unfähigkeit der Merz-Union, die fortgesetzt der Partei ans Bein pinkelt, deren Zustimmung sie unbedingt braucht. Das Gehirn des Kanzlers in Spe arbeitet für einen Top-Politiker unterkomplex. Er ist nicht fähig, weitere Schritte zu antizipieren, wird von den Konsequenzen und Reaktionen auf seine Sprüche, immer wieder ehrlich überrascht. Merz sieht nichts voraus. Er kann es einfach nicht. 

Sollte er aber schon an der Finanzfrage scheitern und somit im kommenden Bundestag auf die Zustimmung von zwei Parteien angewiesen sein, mit denen er selbst jede Kooperation ausgeschlossen hat, stellt sich die Frage, ob er überhaupt Kanzler wird.  Es ist eine Sackgasse, in die er sich durch seine eigene Blödheit manövriert hat. Möglicherweise muss Linnemann in ein paar Wochen in Kiel anrufen, um zu fragen, ob jemand einspringen kann. Ich sehe schon Söders Freude, wenn er einem Kanzler Günther in einer Koalition dienen soll. Der Kieler Hardcore-Katholik hätte zwar dieselben Finanzprobleme, verfügt aber wenigstens noch über Glaubwürdigkeit, während Merz ein vielfach überführter Großlügner ist. Darauf wies heute die Grüne Fraktionschefin Dröge hin: Man kann Friedrich Merz nicht vertrauen. Auf sein Wort als Bundeskanzler – wenn er es denn jemals wird – wäre kein Verlass. Keine geringe Hypothek.

[…] Die Bundestagssitzung am Donnerstag war ein Lehrstück über politische Kommunikation. Und Friedrich Merz bewies einmal mehr, wie schwer die ihm fällt. Denn inhaltlich hatte er den roten Teppich für die Grünen ausgerollt: Ausgaben für die Ukrainehilfe, für den Zivilschutz und die Nachrichtendienste sollen Teil der Schuldenbremsen-Ausnahmeregelung werden. Beim Sondervermögen sagte Merz 50 Milliarden für den Klima- und Transformationsfonds zu. Lauter grüne Forderungen – erfüllt. „Was wollen Sie noch mehr?“, fragte er dann im typischen Merz-Sound.

Und in der grünen Fraktion ging den einstigen Prügelknaben prompt der Hut hoch. [….] Und für Merz bitte schnell buchen: einen Crashkurs in Diplomatie!  [….]

(Maik Koltermann, 13.03.2025)

Wenn es nur so einfach wäre! Diplomatie lässt sich nicht im Handumdrehen lernen. Schon gar nicht von einem beratungsresistenten Fast-70er.

Mich wundert es, wie sicher sich die meisten Journalisten immer noch sind, daß die Grünen im Bundestag zustimmen werden, alle grünen Landregierungen und Aiwanger zustimmen werden, die SPD-Mitglieder den Koalitionsvertrag abnicken und daß es bei der Kanzlerwahl so gut wie keine Abweichler geben wird.

All das könnte passieren, wenn es sich um einen charismatischen Fachmann, wie Helmut Schmidt handelte, auf dessen Wort auch die Mitglieder anderer Parteien unbedingt vertrauen. Aber die Luftpumpe Friedrich Merz, bar jeder Regierungserfahrung, spielt nicht einmal im selben Universum, wie Schmidt. Die anderen Parteien vertrauen ihm nicht. Das Volk hält ihn mit großer Mehrheit für ungeeignet, Söder hasst ihn, die meisten SPD-Abgeordneten sowieso und auch in der CDU schaudern einige, ob der neuen Schuldenorgie und den mickrigen 28% bei der Bundestagswahl.

[….] Wo soll man anfangen, wenn man die Problemlagen des Friedrich Merz beschreiben will? Mit der prekären Sicherheitslage in Europa? Dem wenig berauschenden Wahlergebnis der Union? Oder den erstarkten politischen Rändern, die im nächsten Bundestag dort eine Sperrminorität haben werden, wo eine Zweidrittelmehrheit nötig ist?

Es ist die Gesamtheit dieser Herausforderungen, die den wahrscheinlichen nächsten Kanzler dazu bewogen hat, identitätsstiftende Positionen seiner Partei aus dem Wahlkampf schneller zu räumen, als Donald Trump „America first“ sagen kann. Gleichzeitig aber hat Merz mit dieser Kehrtwende, die sich am Donnerstag in der Bundestagsdebatte zur Änderung des Grundgesetzes materialisiert hat, ein neues Metaproblem geschaffen. Es prägt seine Kanzlerschaft schon, bevor diese überhaupt nur begonnen hat. [….] während eine Lockerung der Schuldenbremse für wesentlich höhere Verteidigungsausgaben durchaus mit der Weltlage begründet werden kann, gilt das keineswegs für ein 500 Milliarden Euro schweres Sondervermögen für – wie die Junge Union es nennt – „alles außer Tierfutter“. [….]  „Wir wollen nicht Geld ausgeben für nichts und wieder nichts“, hat Merz im Bundestag beteuert. Doch dass im Sondierungspapier von CDU/CSU und SPD allen Ernstes die Subventionierung von Agrardiesel und Restaurantbesuchen auftaucht, die Mütterrente und eine höhere Pendlerpauschale, entlarvt derlei treuherzige Versprechen als hochgradig zweifelhaft.

Das Problem von Friedrich Merz ist nicht seine Kehrtwende im Angesicht einer aus den Fugen geratenden Welt. Es ist diese ans Dreiste grenzende Vorschau auf eine Oldschool-Groko früherer Zeiten, gleich zu Beginn der Regierungsbildung. Doch die Zeiten des „Du willst A, ich B – dann machen wir beides“ sind vorbei. [….]

(Henrike Roßbach, 13.03.2025)

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