Samstag, 26. Dezember 2020

Salutogenese, oder wieso ich ungern telefoniere.

 Die Kirchen, also Organisationen, die an übersinnlichen Unsinn glauben und als Katholiken sogar in jedem Bistum Exorzisten bereitstellen, um Menschen mit psychischen Erkrankungen den  Rest zu geben, statt ihnen medizinische-adäquat zu helfen, sind auch Trägerinnen der Telefonseelsorge.

Das ist doppelt bedauerlich.

Erstens bedeutet eine kirchliche Trägerschaft unprofessionelle und arbeitsrechtlich problematische Strukturen.

Zweitens ist die Telefonseelsorge eine sehr gute Sache, weil es tatsächlich viele Menschen in akuten Notlagen gibt, die sich entweder nicht trauen Bekannte einzuweihen, nicht wissen an wen man sich sonst wenden kann oder aber tatsächlich niemanden haben, dem sie sich anvertrauen können.

Das Prinzip einer anonymen Beratung, die jederzeit spontan in Anspruch  genommen werden kann und bei der man einen Zuhörer findet, ist richtig und wichtig.

Es liegt aber in der Natur der Sache, daß wegen existentieller Sorgen dort angerufen wird. Wenn es um Tod, Krankheit, Beziehungsdramen, Verzweiflung geht.

Alles Themen, bei denen ich als Atheist – und damit gehöre ich in Hamburg zu einer großen Mehrheit – mit theologischen Ansichten noch mehr gequält werden.

Kirchliche Meinungen zum Suizid, zur Sexualität, emotionalen Bedürfnissen, zur Sterbehilfe oder beispielsweise auch Familienplanung halte ich für kontraproduktiv und eher das Problem-verschärfend.

Ich habe nie selbst bei der Telefonseelsorge angerufen und will den Mitarbeitern dort nichts unterstellen, aber ich habe extrem unangenehme Erfahrungen mit kirchlichen Seelsorgern gemacht, die sich auf Intensivstationen herumdrücken und ungefragt sterbenden Menschen auf die Pelle rücken und deren Angehörige belästigen.

Die Hamburger Pastorin Kerstin Lammer ist für die Nordkirche Chefin der Sektion  „Seelsorge und gesellschaftlicher Dialog“ und damit auch oberste Leiterin der  landeskirchlichen Seelsorgedienste bei der Polizei und Feuerwehr, in Gefängnissen und in Krankenhäusern.

Mein Zorn ist verraucht, weil ich in den entsprechenden Situationen andere Sorgen hatte, aber a posteriori wünschte ich en brasse gepfefferte Beschwerdebriefe an Leitpastorin Lammert geschrieben zu haben, als mich ihre Abgesandten in Krankenhaus molestierten.

Die Hamburger Morgenpost befragt die Religiotin zur Telefonseelsorge in Zeiten von Corona. Wie immer wird von der Interviewerin Nicola Daumann nicht eine Mikrosekunde die Frage aufgeworfen was eigentlich eine Theologin dazu qualifiziert in einer so säkularen Stadt wie Hamburg all diese Dienste zu leiten.

[…..] Mopo: Wie kommen Menschen gut durch eine Krise?

Pastorin Lammer: Jeder Mensch ist anders. Nach dem Konzept der „Salutogenese“ findet sich aber jemand gut in der Welt zurecht, wenn er früh im Leben die Überzeugung erlangt hat, dass sie gut und verstehbar ist. Für mich als Theologin ist das eine religiöse Überzeugung: Es gibt all das Schlechte, was uns begegnet, aber das Leben – für mich ist es Gott – meint es gut mit uns. So eine Überzeugung kann einen gesund halten, auch wenn einem Schlechtes widerfährt. Ob Menschen genug Zuversicht, Liebe und Hoffnung haben, wird darüber entscheiden, wie sie diese Krise verarbeiten können. […..]

(MoPo, 26.12.20)

Ich weiß gar nicht wo ich anfangen soll.

Das Leben/Gott meint es gut mit, dem der als Pankreaskrebspatient mit höllischen Schmerzen ohne Hoffnung in der Onkologie liegt?

Und der 21-jährige traumatisierte Afghane, der in einer schäbigen Flüchtlingsunterkunft vergewaltigt wird und in seinem Leben zusehen musste wie seine gesamte Familie von den Taliban abgeschlachtet wurde, hat eben Pech bei der „Salutogenese“, weil er als Kind keine positive Lebenseinstellung entwickeln konnte?

Und die erfrierenden, hungernden Kleinkinder, die in schlammigen Pfützen ins Elendslagern auf Moria liegen, oder aber auch einem überfüllten Schlauchboot vor der griechischen Küste Todesängste ausstehen und auch mit hoher Wahrscheinlichkeit tatsächlich umkommen, würden sich „besser in der Welt zurechtfinden“, wenn sie nur früh genug Gott begegnet wären?

Max Beckmann, fressen, kotzen.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen