Am Wochenende habe ich einige Folgen der US-Serie Tour of Duty (Deutsch: NAM – Dienst in Vietnam) gesehen. Die Serie wurde Ende der 1980er Jahre gedreht und 1989 synchronisiert auf RTL Plus ausgestrahlt.
In 58 Folgen wird der Alltag einer kleinen Kampfeinheit von US-Soldaten im Vietnamkrieg 1967/68 gezeigt.
Damals hatte ich die Story bereits gesehen und war nun, über 30 Jahre später, interessiert daran, das englische Original zu erleben und mit meinem heutigen Wissen über die amerikanische Politik zu beurteilen, wie realistisch die Darstellung war.
Technisch waren sie damals noch nicht auf der Höhe moderner Dramaserien, aber ich staune über die Aktualität der Themensetzung.
Es wird viel mit der US-Außenpolitik gehadert, die Sinnhaftigkeit eines Regime-Chance-Einsatzes hinterfragt. Die Ungleichbehandlung der schwarzen GIs spielt eine riesengroße Rolle. Natürlich gab es kaum schwarze Offiziere, aber umso mehr schwarze Fußsoldaten aus einfachen Verhältnissen, die im Dschungel immer voran gehen mußten, wenn es gefährlich wurde. Die ganz wenigen Frauen werden mit unverhohlen als Sexobjekte angesehen, deren eigentliche Arbeit die alten Offiziere gar nicht ernst nehmen. Die Protagonistinnen in der Serie wehren sich heftig dagegen und wollen unbedingt erreichen, unabhängig von ihrem Geschlecht für ihre Arbeit anerkannt zu werden – wohlwissend, daß sie dann doppelt so gut wie ein Mann sein müssen.
Es kommt sogar ein latent schwuler Soldat vor, der zunächst deswegen erpresst wird, dann aber von einem freundlichen Vorgesetzen verblüffenderweise geschützt wird. Das bedeutet in dem Fall; ab zur psychiatrischen Betreuung und unehrenhafte Entlassung. Der Sergeant möchte, daß es ihm gut geht und der Homo nicht gequält wird. Die Vorstellung, daß ein Schwuler in der Army bleiben könnte, existiert noch nicht.
Immerhin, ein halbes Jahrhundert später gehören Frauen ganz selbstverständlich zur kämpfenden Truppe, werden Offizierinnen. LGBTIs dürfen zumindest offiziell nicht mehr diskriminiert werden, wenn auch Trump und die Republikaner immer noch eine strikt heterosexuelle Truppe wollen.
Es gab also in mancher Hinsicht enorme gesellschaftspolitische Fortschritte, auch in so einer konservativen Umgebung wie dem Militär.
Umso erschreckender ist es, wie festgemeißelt andere Missstände sind.
So bleibt der einfache Soldat, der seinen Kopf hinhält und das höchste Risiko trägt zu sterben, in der Regel ein Angehöriger der Unterschicht. Wer reich und gebildet ist, geht nicht zur Army. Heute gibt es ohnehin keine Wehrpflicht mehr und in den 1960ern konnten sich die Wohlhabenden, wie ein gewisser Donald J. Trump, mit Fake-Attesten und Bestechung leicht freikaufen.
Drogen sind immer noch ein enormes Problem, weil traumatisierten Soldaten keine angemessene soziale und psychologische Betreuung widerfährt. Damals wie jetzt sind Opioide für viele der einzige Ausweg und damit werden sie überflüssigerweise durch eine falsche Drogenpolitik auch noch automatisch kriminalisiert.
Der 1968 in Memphis ermordete Martin Luther King spielt in Tour of Duty eine große Rolle, weil sein Tod den schwarzen Soldaten klar vor Augen führt, wie rassistisch die USA sind. Daß sie außerhalb der Army als normale US-Bürger natürlich nie die gleichen Chancen, wie ihre weißen Freunde haben werden.
Donald Trumps unverhohlener Rassismus und die Begeisterung seiner 74 Millionen Wähler, die immer wiederkehrende Ermordung unschuldiger Schwarzer durch weiße Polizisten, das Erstarken der White Supremacy-Bewegung, zeigt auch 55 Jahre nachdem die Serie spielt, wie ungerecht die amerikanische Zivilgesellschaft ist.
Eine gruselige Parallelität tut sich durch den US-Einsatz in Afghanistan auf. Davon konnten die Produzenten bei CBS 1987 noch nichts wissen.
Nach zehn Jahren in Vietnam zog die US-Armee demoralisiert ab und hatte über 58.000 Tote zu beklagen. Verglichen mit den 1,1 Millionen gefallenen vietnamesischen Soldaten und den fünf Millionen getöteten Zivilisten, kam die USA glimpflich davon. Aber Vietnam gewann den Krieg.
Ganz genauso dümmlich stolperten GWB-Amerika in die Kriege im Irak, Syrien und Afghanistan.
Nach 20 Jahren zieht nun die NATO aus Afghanistan ab. Sie beschloss am 14. April 2021 das Ende der Mission Resolute Support.
Auf US-Seite starben 2.300 GIs und 21.000 wurden verletzt. Die Opferzahlen der Zivilbevölkerung sind um ein Vielfaches höher, gehen in die Hunderttausende.
Auch diesen Krieg verloren die USA. Es wird nicht lange dauern bis die Taliban wieder die vollständige Kontrolle über das Land haben, Frauen in Burkas zwingen, Mädchen aus den Schulen holen und all die Zivilisten, die den westlichen Truppen in irgendeiner Form halfen, massakrieren. Denn Schande, Schande, SCHANDE über die NATO-Staaten, Deutschland und die Bundeswehr: All ihre zivilen Helfer werden entgegen der anderslautenden Versprechungen im Stich gelassen.
[….] Nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan steht die Bundesregierung wegen des Umgangs mit zurückgebliebenen Ortskräften massiv in der Kritik. "Es ist unfassbar undankbar und zutiefst beschämend, wie die Bundesregierung die Ortskräfte im Stich lässt, die um ihr Leben fürchten und ohne die das ganze deutsche Engagement nicht möglich gewesen wäre", sagte die Vizechefin der Grünen im Bundestag, Agnieszka Brugger, am Sonntag der Süddeutschen Zeitung. "Wenn Menschen aus Afghanistan, die für die deutsche Bundeswehr gearbeitet haben, aufgrund dieser Tätigkeit jetzt um ihr Leben fürchten müssen, haben wir die Verantwortung, sie zu schützen", appellierte der katholische Militärbischof Franz-Josef Overbeck. "Es geht jetzt darum, Leben zu schützen", mahnte das "Patenschaftsnetzwerk Afghanische Ortskräfte". Helfer der ausländischen Truppen stehen besonders im Visier der Taliban. […..]
Die westliche Staatengemeinschaft zeigt sich den Menschen, die sie angeblich schützen wollte, von ihrer widerlichsten Seite.
[….] »Wenn die Taliban mich kriegen, bringen die mich sofort um«
Die deutschen Soldaten verlassen ihre Camps, zurück bleiben Hunderte Übersetzer, Köche, Helfer. Etliche stehen auf der Abschussliste der Taliban. Warum lässt Deutschland sie im Stich? [….]
(DER SPIEGEL, 25.06.2021)
Die US-Armee und US-Regierung lassen aber nicht nur wie die entsprechenden deutschen Stellen die afghanischen Zivilisten im Regen stehen – Annegret Kramp-Karrenbauer erschien noch nicht mal zum Empfang der abziehenden deutschen Soldaten – sondern eben auch ihre eigenen Leute.
Die Rückkehrer sind oft so traumatisiert, daß sie sich wie im Vietnamkrieg – auch das wird in der genannten Serie thematisiert – selbst umbringen.
[…..] Jeden Tag nehmen sich 20 US-Kriegsveteranen das Leben. Am Veterans Day feiern die USA ihre ehemaligen Armeeangehörigen wieder als Helden. Was dabei kaum zur Sprache kommt: Tagtäglich bringen sich 20 von ihnen um. [….]
(Rita Schwarzer, NZZ, 11.11.2017)
AKK und ihre Amtskollegen sind offenbar nicht willens, sich um ihre Veteranen zu kümmern.
Thomas Howard Suitt, Professor an der Brown University ist Autor einer Studie zu Suiziden im Auftrag des Pentagons.
In den letzten 20 Jahren, also seit 9/11, starben rund 7.000 US-Soldaten bei Kampfeinsätzen in letztendlich verlorenen Kriegen.
Sehr viel mehr, nämlich 30.177 US-Soldaten nahmen sich in demselben Zeitraum selbst das Leben. Damit ist die Suizidrate erheblich höher als in der Normalbevölkerung.
Die Gründe sind bekannt: Das Grauen des Krieges, posttraumatische Belastungsstörungen, ausbleibende medizinische und psychologische Betreuung nach den Einsätzen, sowie hartnäckige Vorurteile der Bevölkerung.
Die gewaltigen Suizidzahlen sind lange bekannt und überraschen niemand. Genau das ist wohl ein weiterer Grund dafür, daß sich jedes Jahr tausende US-Soldaten und Veteranen selbst umbringen: Ihnen schlägt totales Desinteresse entgegen.
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