Donnerstag, 26. November 2020

Von Holland lernen

 

Von 100 politischen Entscheidungen verstehe ich 98 nicht!“ entgegnete mir letzte Woche eine über 90 Jahre alte Dame in einer Pflegeeinrichtung.

Klaren Verstandes fügte sie verschmitzt hinzu „ich soll nicht immer so übertreiben hat man mir gesagt, also, von 100 politischen Entscheidungen verstehe ich 97 nicht!“

Es ging um die ihrer Meinung nach nicht konsistenten Corona-Maßnahmen. Wieso darf sich in dem Seniorenheim jeder frei bewegen, der als „Dienstleister“ kommt; also Handwerker, Physiotherapeutin, Lieferanten, Blumenboten, Briefträger, aber sie dürfe nicht einmal in der Woche in ein Restaurant mit exzellenten Hygienekonzept, Plexiglasstellwänden und nur jedem zweiten besetzten Tisch gehen.

Nun geht es aber bei den deutschen Corona-Regeln nicht unbedingt um Einzelfallgerechtigkeit, sondern es werden verschiedene Interessen abgewogen, während man die Quantität aller Kontakte betrachtet und aus pandemischer Sicht Vorgaben erhält wie viel Prozent davon möglichst wegfallen sollten.

Wäre ich über 90 Jahre alt, würde ich mich sicherlich auch auf die Position zurückziehen, vieles nicht mehr zu verstehen und den Luxus genießen es auch nicht mehr verstehen zu müssen.

De facto gibt es schon heute viele Bereiche des Lebens und der Ökonomie, die anderen extrem wichtig erscheinen, aber für mich so irrelevant sind, daß ich gar nicht erst beginne Zeit dafür aufzuwenden.

Manga, Anime, Play Station, Gamen, Zocken, Streamen – darum sollen sich Jüngere kümmern.

Ich verstehe wie unverständlich die meisten politischen Entscheidungen wirken, wenn ein Betroffener eine konkrete Auswirkung im Alltag spürt, die er als Verschlechterung empfindet.

Wenn ich als Autofahrer guten Gewissens (weil ich erstens extrem wenig fahre und zweitens damit pandemisch vorbildlich kontaktlos) sehe, daß ich nicht mehr in die Länden gehen kann, die ich seit Jahrzehnten frequentiere, wo schon meine Mutter und meine Oma einkauften, bin ich sauer.

Wieso macht der blöde Senat den Hamburger Jungfernstieg autofrei, hackt massenhaft Bäume ab, vernichtet jedes Jahr tausende Parkplätze zu Gunsten von Radfahrern?

Das schadet der Autoindustrie, das schadet den Geschäftsleuten in der Innenstadt und das schadet mir, weil ich gezwungen werde meine Routinen zu ändern, ja sogar teilweise gezwungen werde Waren im Internet zu bestellen, obwohl ich das möglichst immer vermeide, um den stationären Handel zu stärken gegen die großen Multikonzerne, die keine Steuern zahlen.

Man könnte also sagen „ich verstehe die politischen Entscheidungen“ des frommen grünen Verkehrssenators Tjarks nicht.

In Wahrheit finde ich die Entscheidung nur falsch und meine, er sollte die verschiedenen Interessen anders abwägen und kreativer entscheiden.

Falsche Entscheidungen sind meist nur Entscheidungen, die aus anderen Gründen getroffen werden. Sie sind eben doch zu verstehen, wenn man darüber nachdenkt, von welchen Lobbyisten ein Entscheider gelenkt wird, welche Interessen er nicht berücksichtigt, bzw welche Absichten er verfolgt.

Tjarks denkt an seine Wahlchancen bei jungen urbanen Typen, möchte die Unterstützung der Radfahrerlobbys, will sich in seiner Partei al derjenige profilieren, der erfolgreich die schadstoffausstoßenden Autos verbannt und denkt eben nicht daran, daß es ältere und gebrechliche Menschen gibt, die nicht Radfahren können oder aus gesundheitlichen Gründen nicht in einen vollen ÖPNV-Bus steigen.

ICH sage, die Tjarks-Verkehrspolitik ist schlecht. Aber ich verstehe sie trotzdem, wenn ich darüber nachdenke was ihn leitet und was ihn nicht interessiert.

 Und so ist es auf allen Ebenen. Kommunal, in den Bundesländern, im Bundeskabinett, in Brüssel oder beim G20.

Es werden zwar jede Menge Entscheidungen verkündet, die demjenigen, der damit leben muss als völlig unverständlich erscheinen, aber in der Regel lässt sich nachvollziehen weshalb welche Interessen berücksichtigt wurden, wer Einfluss nahm und was damit beabsichtigt wurde.

Sehr selten kommt es vor, daß politische Vorgänge gänzlich rätselhaft erscheinen und mir gar nicht klar wird, wer eigentlich davon profitiert.

Einer dieser wenigen Fälle ist der Streit des Bundes, Berlins und Brandenburgs mit dem Hause Hohenzollern.

Der aktuelle Prinz von Preußen überzieht Bund, Länder und Stiftungen seit Jahren mit hunderten von Klagen.

Er will all die Schätze, die seine Familie bis 1918 zusammenraffte, als die Monarchie abgeschafft wurde.

Er ist klagefreudiger als Trump und überzieht ganze Regierungsabteilungen mit immer neuen Rechtsstreitigkeiten.

Dabei geht es auch um die Hohenzollern-Schlösser, die auf dem ehemaligen Gebiet der DDR liegen und unter sowjetischer Besatzung nach 1945 enteignet wurden.

 Die heutige Rechtslage ist aber eindeutig: Ja, die enteigneten Junker dürfen ihre Besitztümer zurückfordern, WENN sie nicht aktiv Hitler und den Nationalsozialismus »er­heb­li­chen Vor­schub ge­leis­tet« haben. Dies Un­wür­dig­keitsklau­sel soll ausschließen, daß Nazis und de­ren Nach­fah­ren Steu­er­mit­tel er­hal­ten.

 Das ist aber im Falle der Preußen eindeutig der Fall.

Ex-Kaiser Wilhelm II war glühender Antisemit und Hitler-Fan; seine erwachsenen Söhne waren aktive überzeugte Nazis, die Hitler durch ihre prominenten Namen einen enormen Propagandaerfolg bereiteten und die Herrschaft des ehemaligen Gefreiten gewissermaßen absegneten. Sie waren „Hitlers nützliche Idioten“, wie es Heribert Prantl ausführlich für die Süddeutsche Zeitung dokumentierte.

Wil­helm II. träum­te im holländischen Exil…

[……]  „von ei­ner Rück­kehr auf den Thron, hier ver­stieg er sich in Fan­ta­si­en über den Mord an Ju­den (»Das Bes­te wäre Gas«), hier be­geis­ter­te er sich für die frü­hen Sie­ge Hit­lers auf dem Schlacht­feld. […..] Wil­helm II. war frei­lich ein un­dank­ba­rer Gast. Als die Wehr­macht 1940 in die Nie­der­lan­de ein­mar­schier­te, ju­bel­te der re­ak­tio­nä­re Na­tio­na­list. Ein An­ge­bot der Bri­ten, sich wie die nie­der­län­di­sche Kö­ni­gin nach Groß­bri­tan­ni­en ab­zu­set­zen, schlug er aus. […..]

(DER SPIEGEL, 21.11.2020, s.48)

Sein Urenkel Georg Friedrich, Prinz von Preußen, kennt keine Hemmungen und will trotzdem ein gewaltiges Multimillionenvermögen vom Steuerzahler haben.

[….]  Die wach­sen­den Be­las­tun­gen der öf­fent­li­chen Haus­hal­te durch die Co­ro­na­kri­se sind ab­seh­bar. Aus­ge­rech­net den un­be­lieb­ten Ho­hen­zol­lern in sol­chen Zei­ten Mil­lio­nen­be­trä­ge zu über­wei­sen dürf­te schwer ver­mit­tel­bar sein.  Und dann ist da noch der aber­wit­zi­ge ju­ris­ti­sche Feld­zug des Kai­ser-Nach­fah­ren ge­gen Me­di­en und His­to­ri­ker. Ih­nen wirft Prinz von Preu­ßen fal­sche Tat­sa­chen­be­haup­tun­gen vor. Über die Zahl der Fäl­le will er heu­te kei­ne Aus­kunft mehr ge­ben, im Fe­bru­ar wa­ren es nach sei­nen An­ga­ben be­reits 120.

Es geht da­bei oft um ne­ben­säch­li­che Fra­gen, etwa ob Prinz von Preu­ßen ein staat­li­ches Ho­hen­zol­lern­mu­se­um ver­langt hat. Hat er näm­lich nicht.   Kaum ein ehemaliges Hohenzollernschloss um Berlin, dessen Bestände nicht betroffen wären.     In­zwi­schen hat sich dar­aus eine Grund­satz­dis­kus­si­on über Wis­sen­schafts- und Pres­se­frei­heit ent­wi­ckelt. Eva Schlo­theu­ber, Vor­sit­zen­de des Ver­bands der His­to­ri­ker und His­to­ri­ke­rin­nen Deutsch­lands, kri­ti­sier­te kürz­lich im Deutsch­land­funk, der Ho­hen­zol­ler wol­le Aus­sa­gen von Wis­sen­schaft­lern un­ter­drü­cken. Dar­auf be­kam sie Post vom An­walt der Fa­mi­lie. Es hand­le sich um ei­nen »völ­lig aus der Luft ge­grif­fe­nen, un­ge­heu­er­li­chen und die Gren­zen je­der Äuße­rungs­frei­heit über­schrei­ten­den Vor­wurf«.   Das »Ge­schichts­fo­rum beim SPD-Par­tei­vor­stand« – ein Gre­mi­um aus Wis­sen­schaft­lern und SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ten – ver­lang­te Diens­tag be­reits vom Bund und den bei­den Län­dern, die Ver­hand­lun­gen mit den Ho­hen­zol­lern »so lan­ge aus­zu­set­zen, bis alle Kla­gen zu­rück­ge­nom­men sind«.   Prinz von Preu­ßen nimmt so­gar Po­li­ti­ker ins Vi­sier, auf de­ren Zu­stim­mung er mög­li­cher­wei­se an­ge­wie­sen sein könn­te. Zur­zeit pro­zes­siert er ge­gen die grü­ne Frak­ti­on im Ber­li­ner Ab­ge­ord­ne­ten­haus und de­ren Ge­schäfts­füh­rer We­se­ner. Der hat­te ge­sagt, der Ho­hen­zol­ler habe ein Mit­spra­che­recht bei der künf­ti­gen Dar­stel­lung preu­ßi­scher Ge­schich­te ge­for­dert – was vom Land­ge­richt Ber­lin vor­läu­fig ver­bo­ten wur­de. Die Grund­la­gen für die­se Be­haup­tung sei­en nicht aus­rei­chend. […..]

(DER SPIEGEL, 45/2020)

Weder Bran­den­burgs Fi­nanz­mi­nis­te­rin Kat­rin Lan­ge (SPD), noch Kul­tur­staats­mi­nis­te­rin Mo­ni­ka Grüt­ters (CDU) aus dem Kanz­ler­amt trauen sich aber zu entscheiden.

Auch die Landespolitiker in Berlin zucken alle verängstigt zurück und kriechen auf Zeit spielend vor den Hohenzollern.

Warum? Das ist tatsächlich eine Entscheidung, die ich gar nicht verstehe.

Wieso haben rotrotgrüne Politiker solche Angst vor den ehemaligen Nazi-Prinzen und lassen sich auf der Nase herumtanzen, statt ihre Gesuche einfach abzulehnen?

Nicht nur Georg-Friedrichs Vorfahren waren Nazis, nein, auch er selbst ist 80 Jahre später nicht bereit einen Funken Reue zu zeigen und führt sich auf, als ob er immer noch regiert. Es ist eine Frechheit.

Ganz so als hätte sein Uropa nicht zufällig einen Weltkrieg mit Abermillionen Toten ausgelöst.

[…..] Die Hohenzollern fordern Entschädigung vom Staat für die Enteignungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Dabei haben sie den Aufstieg der Nazis sehr befördert und begrüßt. Das beweisen bisher kaum beachtete Briefe von 1933. Ihre Forderungen sind unanständig.   […..] Über das Begehren des Hauses Hohenzollern, also des ehemaligen deutschen Kaiserhauses, ihm Wohnrechte im Schloss Cecilienhof in Potsdam oder in anderen schönen, alten Herrscherhäusern zu gewähren, wurde und wird zwischen dem deutschen Staat und der Familie Hohenzollern ernsthaft verhandelt. Der Wohnrechtsstreit gehört zum Großkomplex von Forderungen der Nachfahren des letzten Kaisers; der sann einst nach dem Ersten Weltkrieg im Exil Tag und Nacht darüber nach, wie er wieder zu Thron und Macht kommen könnte - und wurde gleichwohl von der Regierung der jungen Republik mit vielen Millionen alimentiert und mit 59 Eisenbahnwaggons voller Kostbarkeiten und Krimskrams bei Laune gehalten.    Die Nachfahren von Kaiser Wilhelm fordern nun die Rückgabe weiterer Kunstschätze aus staatlichen Museen, sie wollen viele Millionen an Entschädigungszahlungen für nach dem 2. Weltkrieg in der Sowjetischen Besatzungszone enteignete Mobilien. Sie sehen sich als Opfer. Und die brandenburgische Finanzministerin Katrin Lange (SPD) scheint geneigt zu sein, den Forderungen entgegenzukommen. […..]  Die Hohenzollern haben sich an das NS-Regime angebiedert, haben es gepampert und gepriesen.   Der abgedankte Kaiser Wilhelm saß im Schloss Doorn im Exil, schwadronierte dort über die Vernichtung der "Juden und Mücken" und kam 1927 zu dem eigenhändig geschriebenen Fazit: "Ich glaube, das Beste wäre Gas." Seine Kinder kooperierten mit den Nazis. Sein vierter Sohn, August Prinz von Preußen, war schon 1930 in die SA und die NSDAP eingetreten und ein Propagandapferd der Nazis. Der damalige ehemalige Kronprinz Wilhelm empfing Göring und Hitler auf Schloss Cecilienhof, schmiedete mit ihnen Bündnisse, warb für die Hitler-Regierung, posierte mit dem Hakenkreuz, nobilitierte die Nazis.      Georg Friedrich Prinz von Preußen, der heute amtierende "Chef" der Hohenzollernfamilie, will, um die Unwürdigkeitsklausel zu umgehen, den Kronprinzen von damals "differenziert" sehen. […..] Und so sah dieser angebliche Widerstand aus: Alsbald nach der Ernennung Hitlers zum Reichskanzler und der Vereidigung des Hitler-Kabinetts am 30. Januar 1933 - es war dies die Geburtsstunde der NS-Diktatur - schrieb Kronprinz Wilhelm junior an Generalmajor von Bredow: "Jetzt heißt es, die Geschlossenheit dieser Regierung in jeder Beziehung zu unterstützen und Jedem in die Fresse zu hauen, der versucht, in diese Geschlossenheit Unruhe und Misstrauen hineinzutragen. Dieses 'in die Fresse hauen' habe ich bereits verschiedentlich mit der notwendigen Rücksichtslosigkeit in den letzten Tagen besorgt." Der Brief datiert vom 6. März 1933. Es gibt viele weitere Briefe dieser Art. […..]

(Heribert Prantl, SZ vom 26.09.2020)

Auch das Schloss Doorn in Holland, in dem Wilhelm II bis zu seinem Tod 1941 lebte, verlangte Georg Friedrich von Preußen im Jahr 2014 vom Niederländischen Staat zurück.

Dort wurde aber nicht gefackelt und das Ersuchen schlicht mit „Nein“ beantwortet.

[….] Da man sich nicht habe ei­ni­gen kön­nen, sehe sich Evers­hed­s' Auf­trag­ge­ber, Ge­org Fried­rich Prinz von Preu­ßen, Chef des Hau­ses Ho­hen­zol­lern, »lei­der ge­zwun­gen, ei­nen for­mel­len An­spruch auf den Be­sitz von Haus Doorn, das da­zu­ge­hö­ri­ge In­ven­tar und das um­lie­gen­de Gut so­wie zwei da­zu­ge­hö­ren­de Bau­ern­hö­fe zu er­he­ben«. Soll­te Jet Bus­se­maker, Mi­nis­te­rin für Bil­dung, Kul­tur und Wis­sen­schaft, den An­spruch zu­rück­wei­sen, sei die Kanz­lei be­auf­tragt, recht­li­che Schrit­te ein­zu­lei­ten.

Der Brief stammt vom 26. Sep­tem­ber 2014 und be­legt ei­nen bis­lang un­be­kann­ten Vor­gang: Die Ho­hen­zol­lern woll­ten auf Haus Doorn zu­grei­fen, das welt­be­rühm­te Schlöss­chen nahe Ut­recht. [….] Die Mi­nis­te­rin lehn­te das An­sin­nen des Ho­hen­zol­lern-Chefs frei­lich ab. Im Mai 2015 be­schied die So­zi­al­de­mo­kra­tin des­sen An­wäl­ten, die nie­der­län­di­sche Re­gie­rung sehe »kei­nen Grund«, dem An­spruch nach­zu­kom­men. [….]

(DER SPIEGEL, 21.11.2020, s.48)

So geht das.

Ich verstehe die politischen Entscheidungen der grünen, linken, Sozi- und CDU-Ministerialen insgesamt nicht. Wieso lassen sie sich und dem Steuerzahler so frech auf der Nase herumtanzen?

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