Meine Ansichten zu den letzten US-Präsidenten waren immer stringent und so auch in diesem Blog präsentiert.
Ich bin großer Bill Clinton-Fan, halte ihn für sagenhaft intelligent und talentiert. Fast schade, daß er sein großes Können nicht an einer großen Krise zeigen konnte. Er hätte unbedingt eine dritte Amtszeit bekommen sollen.
GWB war in jeder Hinsicht eine Katastrophe und hätte eigentlich der schlimmste US-Präsident meines Lebens sein müssen. Niemand konnte bei seinem Ausscheiden im Januar 2009 ahnen, daß man ihn nur ein knappes Jahrzehnt später schon im milden Licht betrachten und zurückwünschen würde.
Obama war mir immer sympathisch. Ich mag seine Familie, ihn als Typ, seine Bildung, seine brillanten Reden. Durchsetzungsfähig war er aber nicht. Die ersten Jahre hat er weitgehend verdaddelt und erlag der totalen Fehleinschätzung, er könne mit der GOP zusammenarbeiten. Außenpolitisch enttäuschte der Drohnenkrieger ebenfalls, konnte zwar die antiamerikanische Stimmung abbauen, aber kein wirklich neues Kapitel aufschlagen. Erst in den letzten anderthalb Amtsjahren wurde er mutig. Viel zu spät.
Trump ist menschlich und politisch das größte Scheusal, das ich je beobachtete und diesmal lege ich mich wieder fest: Einen schlimmeren US-Präsidenten werde ich nicht erleben.
Bei der Wahl von 2020 ging es nur darum Trump abzuwählen. Jeder Demokrat war um Längen besser und ich hätte auch jeden gewählt, der NICHT Trump ist.
Meine persönlichen Favoriten waren nicht unbedingt deckungsgleich
mit denjenigen, denen ich die besten
Chancen einräumte.
Für Joe Biden sprach seine enorme Bekanntheit und daß er anders als beispielsweise
Hillary Clinton keine Abwehrreflexe auslöste. Weiß, Mann, hetero und sehr
gläubig half ebenfalls dabei ehemalige Trump-Wähler anzusprechen.
Ich hätte lieber beispielsweise eine hochgebildete lesbische schwarze Atheistin wie Lori Lightfoot gehabt, aber dann hätte Trump womöglich gewonnen.
Biden konnte aber weder bei Wahlkampfreden, noch bei den Duellen überzeugen. Er ist kein brillanter, eloquenter Redner, programmatisch erschien er mir viel zu vorsichtig, er galt als der Konsensonkel, der nach 127 Jahren als US-Senator mit allen Republikanern konnte, so daß ich befürchtete, er würde die Fehler aus der Obama-Zeit wiederholen und glauben, man könne mit dieser GOP zusammenarbeiten.
Insbesondere machte mir sein Alter Sorgen. Nicht nur, weil er mit 78 Jahren der älteste je gewählte US-Präsident sein würde, sondern weil er ein besonders alt und tatterig wirkenden Endsiebziger ist. Manche Mitt-80er wirken erheblich frischer. Zudem ist Nancy Pelosi, die mächtigste Person im Kongress, schon 81 Jahre alt. Sollten diese beiden Geronten den nach Trump notwendigen Aufbruch verkörpern? Würden sie die jungen Amerikaner an die Wahlurnen locken?
Wie wir inzwischen wissen, war es taktisch richtig von den Demokraten, nicht auf einen jungen Progressiven als Gegenentwurf zum weißen alten Rassisten Trump zu setzen. Biden gewann die Wahl deutlich und ich fand mich damit ab.
Vielleicht käme es gar nicht so sehr darauf an, wer eigentlich im Oval Office säße. Je klappriger und müder Biden ist, desto mehr müßte Kamala Harris übernehmen. Umso besser. Der gesamte US-Regierungsapparat war durch Trumps unfähige Lobbyisten vollständig lahmgelegt. Auch, wenn Biden nicht mein Wunschkandidat war, so würden doch die Demokraten Tausende Stellen neu besetzen und könnten viel ändern.
Während der Transition wurde ich allerdings positiv von Kabinettsnominierungen überrascht.
Es kamen zwar die erwarteten, wenig aufregenden, aber hochkompetenten, erfahrenen Experten Antony Blinken, Merrick Garland, Janet Yellen und Ron Klain in die vier allerwichtigsten Positionen.
Aber daneben setzte Biden viel mehr auf Diversität als es Obama getan hatte und holte frische Leute in seine Mannschaft:
Verteidigungsminister Lloyd Austin, Innenministerin Deb Haaland, Gesundheitsminister Xavier Becerra, UN-Botschafterin Linda Thomas-Greenfield, Chefwirtschaftsberaterin Cecilia Rouse, Chefhandelsbeauftragte Katherine Tai, Verkehrsminister Pete Buttigieg und meine neue Lieblings-Administrative Jen Psaki, deren Pressekonferenzen eine einzige Freude sind. Alle extrem kompetent und motiviert. Frauen, Schwule, Junge, Schwarze, Asiaten, Latinos, Native Americans – kurzum all die Menschen, die Trump nicht haben wollte.
Die größte Überraschung ist aber Joe Biden selbst.
Ich hatte angenommen, er wollte sich seinen Lebenstraum erfüllen, US-Präsident zu werden, würde das Amt an sich genießen und die junge neue Truppe machen lassen, während er sich dem Volk als freundlicher First Grandpa zeigt und seiner Mission nachgeht, die Nation zu heilen und zu einen.
Stattdessen scheint sein Alter sich als großer Vorteil zu erweisen.
Er weiß, daß er nicht unendlich Zeit hat und hat aus den Obama-Jahren tatsächlich die Lehre gezogen, daß mit den Republikanern grundsätzlich nicht zusammen gearbeitet werden kann, weil sie inzwischen allesamt zutiefst bösartig, destruktiv und egoistisch handeln. Die GOP-Abgeordneten von heute sind QTrump-Kultanhänger, radikal verblödet und hassen die Mehrheit der Amerikaner wie die Pest. Sie sind kriminell und verfassungsfeindlich.
Bidens Überparteilichkeits-Angebote aus dem Wahlkampf waren
wohl eher taktischer Natur. Als Präsident kümmert er sich nicht um die Opposition, nicht
um die sozialen Medien, absolviert keine sonnigen Foto-Termine, gibt kaum
Interviews, inszeniert sich nicht, sondern tut etwas, das man von Trump gar
nicht kannte:
Joe Biden arbeitet hart, sitzt im Oval Office und treibt die Dinge mit nicht für möglich gehaltener Energie voran.
Man kommt gar nicht aus dem Staunen heraus, welches Tempo er vorlegt. Offenbar war das übliche „I have a plan for…“ aus dem Wahlkampf nicht nur das übliche hohle Gerede, sondern er hatte zusammen mit der Demokratischen Partei wirklich sehr konkrete Pläne für alle großen Politikfelder. #46 versteht offensichtlich wie eilig es ist und machte sich sofort daran die Umsetzung seiner Pläne in Gang zu setzen, brachte seine besten Leute in Gang.
Die USA verändern sich gerade viel schneller als ich es für möglich gehalten hätte.
[…..] 4,6 Millionen Impfspritzen an einem Tag in den USA
Das Impfprogramm in den USA kommt weiter rasant voran. Am Samstag seien mehr als 4,6 Millionen Impfungen verabreicht worden, das sei "ein neuer Rekord", schrieb Cyrus Shahpar, der im Weißen Haus für die Corona-Daten zuständig ist, auf Twitter. Der Corona-Koordinator des Weißen Hauses, Jeff Zients, hatte mitgeteilt, zuletzt seien USA-weit pro Tag im Schnitt drei Millionen Impfdosen verabreicht worden. Nach Angaben der US-Gesundheitsbehörde CDC wurden landesweit bisher mehr als 183 Millionen Impfdosen gespritzt. Gut 45 Prozent der Erwachsenen im Land haben demnach mindestens eine Impfdosis bekommen, 27 Prozent der Erwachsenen sind voll geimpft. [….]
Joe Biden konnte erst am 21.01.2021 mit seiner Arbeit beginnen und musste eine vollständig neue Struktur aufbauen.
Die deutsche Supertaskforce Spahn/Scheuer ist schon Jahre im Amt, konnte sich seit 13 Monaten auf den Impfbeginn vorbereiten.
Mit dem Vorsprung schafften sie es 5,9% der Bevölkerung, genau 4.910.308 Personen bis zum 09.04.2021 zu impfen.
Biden impft bei Wal Mart, in Sportstadien, bei der Arbeit, auf der Straße. Eingesetzt werden Dentisten, Veterinäre und jeder Pensionierte, der eine Spritze halten kann. Der 78-Jährige hat es geschafft am Tag so viele Menschen zu impfen, wie in Deutschland in vier Monaten gepiekst wurden.
Aber so geht es auf jedem Politikfeld. Biden ist so aktiv und durchsetzungsstark, daß seine Partei-internen Kritiker vom progressiven Flügel voll des Lobes sind und der SPIEGEL ihn jetzt schon mit FDR vergleicht, weil kein US-Präsident seit dem zweiten Weltkrieg so entschlossen Reformen angepackt hätte.
[…] Der Traumstart von »Sleepy Joe«
[…] Demnächst wird Biden 100 Tage im Amt sein, und schon jetzt lässt sich sagen, dass er in dieser kurzen Zeit mehr geleistet hat als manche seiner Vorgänger im Laufe einer ganzen Amtszeit. »Uncle Joe«, wie Biden bei den Demokraten in einer seltsamen Mischung aus Häme und Zuneigung genannt wird, hat in wenigen Wochen die Weichen gestellt für ein Amerika, das nicht nur die Pandemie abschüttelt – sondern auch die Ära des Neoliberalismus, die Anfang der Achtzigerjahre unter Ronald Reagan ihren Anfang genommen hatte. […][Bidens] »American Rescue Plan« umfasst gigantische 1,9 Billionen Dollar, die Hälfte des deutschen Bruttoinlandsproduktes. Jeder Amerikaner, der weniger als 75.000 Dollar im Jahr verdient, erhält einen Scheck über 1400 Dollar. Gleichzeitig werden die Zuwendungen für Familien so weit aufgestockt, dass rechnerisch die Kinderarmut nahezu halbiert wird. Kostenlose Kitaplätze sollen folgen. Darüber hinaus hat Biden ein Infrastrukturprogramm angekündigt, das noch einmal zwei Billionen Dollar umfasst. Die Demokraten wollen 20.000 Meilen Straßen erneuern und 10.000 Brücken renovieren. Außerdem soll das Land 500.000 neue Ladestationen für Elektroautos bekommen. […] Dem Präsidenten ist klar, dass die Wirtschaft erst wieder richtig anspringt, wenn das Virus seinen Schrecken verloren hat, weswegen er neben Impfstoff auch auf massive Staatsausgaben setzt. […] Allein im laufenden Jahr wird der Präsident rund 2,3 Billionen Dollar Schulden machen, das sind mehr als zehn Prozent der US-Wirtschaftsleistung. Es ist eine gewaltige Summe, und in normalen Zeiten würden die Republikaner dagegen Sturm laufen. Dass der Staat nicht über seine Verhältnisse leben darf, gehörte über Jahrzehnte zum republikanischen Katechismus, aber auch hier hat Trump alte Gewissheiten zertrümmert: Im letzten Jahr seiner Präsidentschaft betrug die Nettoneuverschuldung gut 15 Prozent. Im Vergleich dazu pflegt Biden eine geradezu schwäbische Haushaltsführung: Zumindest sein Infrastrukturprogramm will der Präsident nicht auf Pump finanzieren, sondern auch über eine Steuererhöhung für Amerikaner mit einem Jahreseinkommen von mehr als 400.000 Dollar. […]
(René Pfister, DER SPIEGEL, 10.04.2021)
Nach zweieinhalb Monaten im Amt ist es wahrlich zu früh Bilanzen zu ziehen.
Aber offensichtlich hatte ich bezüglich der Bidenschen Tatkraft falsche Erwartungen und werde gerade in jeder Hinsicht positiv überrascht.
Seine Zustimmungswerte sind nach so kurzer Zeit stabil und liegen weit über denen Trumps. Wenn es so weiter geht, wird es sehr schwer für die QTrumplicans bei den Midterms im Herbst 2022.
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