Donnerstag, 22. April 2021

Naturprodukte

 Mein Nachbar kam schimpfend von der Ostsee, aus seinem Wohnwagenparadies zurück. Er wollte da zu Saisonbeginn einiges an seinem Geräteschuppen anbauen und freute sich diebisch, den strengen Hamburger Corona-Auflagen zu entkommen. In Hamburg sind die Baumärkte geschlossen, aber wenn man über die Landesgrenze nach Schleswig-Holstein fährt, kann man in Günthers Locker-Land ohne Beschränkungen in den Baumärkten herumprassen.

Das ist ohnehin schon ein geflügeltes Wort in Hamburg, wenn sich jemand ärgert etwas nicht kaufen zu können: ‚Fahr‘ doch über die Grenze nach Rellingen. Fahr‘ doch über die Grenze nach Norderstedt.‘

In diesem Fall wurde nichts aus dem Baumarkt-Fun, weil das Holz entweder ausverkauft oder viel zu teuer war.

Deutsche Häuslebauer stöhnen noch lauter als sonst: Neben der unendlichen Bauauflagen-Flut gehen nun auch noch die Materialpreise durch die Decke.

[….] Während der Holzpreis im vergangenen Jahr derart am Boden war, dass so mancher Waldbauer erwog, die Arbeit in seinem Forst wegen Unrentabilität einzustellen, ist der Markt nun geradezu explodiert. Das liegt nicht nur daran, dass in Deutschland das Bauen mit Holz immer attraktiver wird. Sondern auch am immensen Holzhunger der amerikanischen Baubranche. Dort wird ohnehin deutlich mehr als in Deutschland mit Holz gebaut. Und mit Kanada ist einer der Hauptzulieferer für die US-Amerikaner nahezu ausgefallen – weil dort der kleine, aber gefräßige Bergkiefernkäfer Baumbestände von gigantischem Ausmaß vernichtet hat. Nun hat die USA den europäischen Holzmarkt für sich entdeckt.  [….]  Nun haben sich die Amerikaner auch mit deutschem Holz eingedeckt. „Gutes Holz ist mittlerweile Mangelware.“ [….] Tatsächlich liege der Preis für den Festmeter Rundholz derzeit wieder bei etwa 90 Euro, wie Johann Killer von der Waldbesitzervereinigung Wolfratshausen bestätigt. Zum Vergleich: In der Holzmarktkrise im vergangenen Jahr lag der Preis teilweise bei nur noch 25 Euro. [….]

(Merkur, 15.04.2021)

Holz ist ein Naturprodukt, ein nachwachsender Rohrstoff.

Wenn dies nicht mehr geschieht, weil ein Käfer die Bäume killt, bevor es die menschlichen Kettensägen tun, stiegen logischerweise die Preise.

[….] Der Plagegeist schimmert schwarz, ist kaum größer als ein Reiskorn, und wenn er mit seinem Gastgeber fertig ist, dann ist das an den rostroten Kiefernnadeln zu erkennen. In den Wäldern Nordamerikas hat Dendroctonus ponderosae, besser bekannt als Bergkiefernkäfer, bereits Wälder in einem Umfang zerstört, der das Wort "apokalyptisch" in den Sinn ruft. Allein in der kanadischen Provinz British Columbia hat der Käfer Wald auf einer Fläche von mehr als 180 000 Quadratkilometern niedergemacht. Vier Mal so groß wie die Schweiz. Der Klimawandel bietet dem Baumkiller so gute Lebensbedingungen wie nie zuvor. Bauholz ist auch deshalb so knapp und so teuer wie nie. [….]

(Thorsten Denkler, SZ, 24.03.2021)

Während Deutsche „Wein‘ leiser, Greta“-Aufkleber an ihre SUV-Hecks pappen und die Kanzlerin ohnehin jede Klimaschutzmaßnahmen abblockt, erhitzt sich der Planet immer weiter.

Der Klimawandel macht im Moment nicht nur das Holz teurer, sondern auch Paprika.   Die Bio-Variante kostet im Supermarkt gerade über 10 Euro und ist damit doppelt so teuer wie vor einem Jahr.

[…..] Vor wenigen Wochen gab es in Spanien einen massiven Wintereinbruch. Deshalb lagen die Temperaturen dort deutlich unter dem saisonüblichen Durchschnitt, was dazu führte, dass die Paprikas sehr viel langsamer wuchsen. Eine schlechte Ernte war die Folge. Weil jedoch die Nachfrage in den letzten Wochen konstant hoch blieb, steigt der Preis seit Tagen.  Ein Preisanstieg lässt sich aber nicht nur bei den Paprikas erkennen, sondern auch bei Gurken, Tomaten, Auberginen und Lauchzwiebeln. [….]

(Franken, 22.04.2021)

Als Vegetarier, der fast gar keine Fleisch-Ersatzprodukte konsumiert, sondern gleich auf Obst und Gemüse setzt, freue ich mich natürlich über die ganzjährige Auswahl.

Ich erinnere mich, als Kind bei meiner Oma gab es im Sommer oft Kopfsalat. Das war eben der einzige Salat, den man kannte. Dann schleppte meine Mutter irgendwann Eisbergsalat an. Wir waren begeistert von dem Zeug, weil man den nicht waschen musste und er so knackig war.
Nun hatte man außerdem zwei Salate zur Auswahl.

Im Jahr 2021 führt mein Gemüsemann gar keinen Eisberg-Salat mehr. Viel zu langweilig. Dafür gibt es keine Nachfrage. Der Großhändler bietet 130 Salatsorten kontinuierlich an. In meinem Laden um die Ecke gibt es stets um die 20, 25.    Natürlich habe ich meine besonderen Vorlieben, im Moment zum Beispiel frische Bunde Asia-Salatmix Baby Leafs aus dem Alten Land und französische rosa Wild-Radicchio.

Der Segen ist aber auch ein Fluch, da man den Sinn für das Regionale verliert und natürlich nicht klimafreundlich isst, wenn man Äpfel aus Neuseeland, Spargel aus Chile und Weintrauben aus Südafrika kauft.

Außerdem verliert man das Gespür für das Besondere, wenn es immer alles gibt.

Wenn nur einmal und nur für kurze Zeit im Jahr Erdbeeren oder Spargel oder Clementinen erhältlich sind, bieten sie die viel größere Gaumenfreude.
Es muss auch kein im Februar gestochener Folienspargel, bei dem jede Stange haargenau gleich aussieht. Sie dürfen auch natürlicher und langsamer wachsen, mal krumm oder kurz sein.

Sie sind dann wirklich Naturprodukte, die es dann gibt, wenn Jahreszeit und Wetter es erlauben.    Die Agrarindustrie in Kombination mit subventionierten Energiepreisen und lächerlich billiger Logistik, gaukeln uns vor, man könne jede Frucht immer und überall bekommen. Sie sieht auch immer gleich aus, schmeckt immer gleich.

Das funktioniert aber nur, wenn wir asoziale Bedingungen für die Erntehelfer, die chemische Keule auf den Feldern, abartige Energieverschwendung, aberwitzigen Energieverbrauch, astronomische Subventionen und die Bildung gewaltiger Nahrungsmittelkonzerne hinnehmen.

Eine naturschonenden Landwirtschaft der kurzen Wege und ohne Pestizide, kann nicht wie am Fließband funktionieren.   Sie ist wetterabhängig.

Daher finde ich es ganz schön, wenn größere Effekte wie der Bergkiefernkäfer oder ein Wintereinbruch in Spanien direkt auf die Verbraucherpreise durchschlagen und wir Städter im Supermarkt merken, daß es nicht immer alles geben muss.

Daß wir keine genormten Industrieprodukte wie Stahlnägel oder Plastikbecher beim Obst-Höker kaufen, sondern natürlich gewachsene Pflanzen.

Daß es einige davon vielleicht bald nicht mehr oder nur noch extrem teuer gibt, wenn wir nicht doch langsam mal auf Greta Thunberg hören.

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