Wir kennen alle diese lustigen Sprüche:
Traue keiner Umfrage, die Du nicht selbst gefälscht hast.
Prognosen sind schwer; insbesondere wenn sie die Zukunft betreffen.
Fast jeder erliegt der Versuchung, sich der unendlichen Flut der Umfragedaten zu bedienen, um irgendwie eine Mehrheit oder zumindest steigende Zustimmung zur eigenen Meinung zu finden.
Keine Talkshow, kein politischer Journalist und schon gar kein Politiker, der nicht intensiv herunterbeten, was eine Mehrheit der Wähler, der CDU-Anhänger, der Erstwähler, der Kirchenmitglieder usw, denkt.
Das ist doppelt heikel, denn auf diese Weise kann man immer eine Majorität konstruieren.
Sehr beliebt sind auch Vergleiche mit früheren Ergebnissen.
Das kennt man aus den Wahlabenden, wenn alle Parteien Zugewinne verbuchen –
zumindest im Vergleich zu einer willkürlichen Referenzgröße. Der letzten
Landtagswahl, den letzten Umfragen, der Europawahl, den Umfragen noch vor vier Wochen, den Erwartungen.
Jeder will gewonnen haben und zur Mehrheit gehören.
Dahinter verbirgt sich einerseits ein Machtanspruch; denn in einer Demokratie
braucht es Mehrheiten, um Macht auszuüben. Insofern ist es legitim zur
Durchsetzung seiner Ansichten Mehrheiten zu organisieren.
Im politischen Diskurs wird aber irrtümlicherweise auch angenommen, die Mehrheit habe Recht, entscheide sich richtig.
Leider ist das Unsinn. Mehrheiten können sich fürchterlich irren.
In Sachfragen, aber auch in Personal-Vorlieben.
Seit Hitler 1941 war kein Politiker so beliebt von Karl-Theodor von und zu Guttenberg im Jahr 2010. Spielend überholte er die Kanzlerin, bekam die höchsten Zustimmungswerte. Bis zu 90% mochten ihn. Grüne und Linke schwärmten von dem feschen bayerischen Multimillionär, obwohl völlig offensichtlich war, daß er log und Sachpolitik betrieb. Es war ein Massenwahn. Rückblickend bin ich durchaus stolz, ihm in diesem Blog nie auf den Leim gegangen zu sein und ihn kontinuierlich scharf kritisiert zu haben.
Der 800 Millionen Euro schwere fränkische Adelige hatte zwar in zwei Ministerämtern rein gar nichts erreicht, aber selbst nachdem seine Megalügen und Plagiate aufflogen, lobpreisten ihn 75% der Deutschen, verlangten, er solle Minister bleiben, wollten ihn am liebsten per Akklamation zum Kanzler machen.
[…..] Deutsche halten weiter zu Guttenberg. Die Plagiatsaffäre hat dem Ansehen von Verteidigungsminister Guttenberg bislang kaum geschadet. Einer Umfrage zufolge schätzen drei Viertel der Bürger seine Arbeit. […..]
Dieser Massenirrtum zeigt auch wieso plebiszitäre Elemente so eine schlechte Idee sind. Damit wird die Entscheidung an die Dümmsten delegiert. Es ist wie eine Diktatur der Inkompetenz.
Die Ächtung der Todesstrafe ist eine zivile und
demokratische Errungenschaft.
Sie könnte schnell enden, wenn es dazu eine Volksbefragung gäbe; die Boulevard-
und sozialen Medien ein paar Wochen Zeit hätten einige besonders grausige Kindersex-Morde
auszumalen und die Täter zu Bestien hochschreiben.
Mehrheitsmeinungen als Totschlagargument zu missbrauchen ist sehr heikel. Auch ich bin nicht frei davon, wenn ich zum Beispiel aus Ärger über kirchenfreundliche und menschenfeindliche Entscheidungen Roter und Grüner Abgeordneter im Bundestag auf Umfragemehrheiten hinweise, die ebenfalls für Sterbehilfe oder der Verbot von Kinderbeschneidung plädieren.
In dem Fall ist es eine polit-strategische Frage an die SPD und die Grünen, wieso sie eigentlich so eisern eine kirchliche Forderung erfüllen, während sie doch demoskopisch so viel gewinnen könnten, indem sie sich gegen die Kleriker-Lobby stellten und für ein Recht auf assistierten Suizid einsetzte.
Dabei verwende ich ein rein willkürliches Argument. Ich bin extrem von „Mein Ende gehört mir“ überzeugt; halte es für zutiefst inhuman, abscheulich und sadistisch, nicht nur anders urteilende höchste deutsche Gerichte zu ignorieren, sondern jedes Jahr wieder Tausende Deutsche zu bestialischen Schmerzen und einen grausam hinausgezögerten Tod in der Unselbstständigkeit zu verurteilen.
Würde zufällig eine große Mehrheit der Deutschen Sterbehilfe ablehnen und die extrem sadistische Position der Kirchen teilen, bleibe ich dennoch von meiner Minderheitenmeinung überzeugt und würde von „der Politik“ fordern, sich gerade eben nicht nach der Majorität zu richten.
Man ist daher auch weder ein guter, noch ein qualifizierter
Regierungschef, wenn man einmal eine Mehrheit erzielt hat und wieder gewählt
wurde.
Kohl, Koch, Berlusconi, Merkel, Strauß, Stoiber, Seehofer, Söder.
Riesige Mehrheiten waren sich über Jahrhunderte völlig einig, daß Frauen minderwertig sind, Schwule kriminell sind, daß Juden Brunnen vergiften. Noch vor 20 Jahren gab es keine Mehrheit für die „Ehe für alle“.
Große Mehrheiten lehnen die Legalisierung von Drogen ab.
Es gab lange Zeit Einigkeit darüber, daß man Kinder schlagen müsse, daß Frauen keine Hosen tragen dürften und „der Franzose unser Erbfeind“ ist.
Was „die Mehrheit denkt“, ist also oft schlicht und ergreifend grundfalsch.
Die Mehrheit kann Recht haben und sich für einen guten Regenten entscheiden.
Die Mehrheit der US-Wähler war vernünftig, als sie trotz geringer Begeisterung für Joe Biden mit 81 Millionen zu 74 Millionen Stimmen Trump in den Ruhestand schickte. Die Mehrheit entschied rational und richtig, als sie Oktober 2020 Jacinda Ardern einen Erdrutschsieg verpasste.
Gleichzeitig schickten Mehrheiten auch die zutiefst korrupten und destruktiven Mitch McConnell und Lindsey Graham in den US-Senat.
Der Umfrage-Rutsch zu Gunsten der Grünen, der die Baerbock-Partei auf 28% katapultiert und die Scholz-Partei auf 13% schrumpfen lässt, bedeutet also noch lange nicht, daß Baerbock eine bessere Kanzlerin als Olaf Scholz wäre.
[….] Die Nominierungen von Annalena Baerbock und Armin Laschet als Kanzlerkandidaten sorgen laut Forsa-Umfrage für extreme politische Erschütterungen. [….] Bei einer Bundestagswahl würden die Parteien aktuell folgende Ergebnisse einfahren: CDU/CSU 21 Prozent (Bundestagswahl 2017: 32,9 %), SPD 13 Prozent (20,5%), FDP 12 Prozent (10,7%), Grüne 28 Prozent (8,9 %), Linke 7 Prozent (9,2%), AfD 11 Prozent (12,6%). Acht Prozent würden sich für eine der sonstigen Parteien entscheiden (5,2%). [….]
Die Zahlen des SPD-Mannes Güllner zeigen nur, wie stimmungsanfällig das Wahlvolk ist, indem es diejenigen, die vorbildlich seriös regieren, die SPD-Bundesminister, abstraft und diejenigen, die gar nichts tun und nur in Hinterzimmern Personalien ausklüngeln, in den Himmel hebt.
Anderseits gefällt mir natürlich der Teil der Umfrage, in dem die Grünen acht Prozentpunkte vor der CDUCSU liegen. Das könnte lustig werden für Laschet.
Falls die CDU aber zu deprimiert ist, kann sie auch die ebenfalls heute erschienenen INSA-Zahlen verweisen. Das konservative Institut stellt genau das Gegenteil fest: Hier liegen CDUCSU meilenweit vor den Grünen.CDUCSU: 28%, Grüne 21 %, SPD: 16%, FDP: 11%, Linke 7%, AfD: 12%
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