Aus Sicht der CDU (und ich argumentiere sehr ungern aus so einer Perspektive) war es richtig, sich für Laschet als Kanzlerkandidaten zu entscheiden.
Friedrich Merz trägt nicht nur die Last mit sich, daß er sich in ökonomischen Fragen meistens irrt und groteske Fehlprognosen in die Welt setzt, daß er ein erstaunliches Talent an den Tag legt, alle Fettnäpfchen zu treffen und innerparteilich als Serienverlierer dasteht, sondern immer mehr als ewig-gestriger AfD-Opa gegen Schwule und Gendersternchen wettert.
Das kommt bei den picklig-pyknischen bierseligen Verbindungs-Studenten des Phänotyps Kuban an, die sich grämen zu uncool und zu häßlich zu sein, um eine Freundin zu finden, die aus Mitleid mit ihnen schlafen würde. Aber bundesweit gibt es dafür keine Mehrheiten mehr.
[….] Für jemanden der sich darüber entrüstet, dass es eine „Sprachpolizei“ gebe, die die Bevölkerung zum Gendern zwingen will, ist es also völlig unproblematisch, exakt das zu tun, was er der anderen Seite vorwirft - nämlich Zwang. Das ist argumentatives Totalversagen. Der Kampf gegen die eigene Bedeutungslosigkeit hat Friedrich Merz‘ Ego so groß werden lassen, dass er sich selbst im Wahlkampf um die Bundestagswahl nicht klar hinter die Leute aus der eigenen Partei stellen kann. Ein politisches Armutszeugnis. Wer dann noch Maaßen-freundlich am rechten Rand fischt, die eigenen rechtskonservativen Reflexzuckungen so wenig im Griff hat und sprachliche Entwicklungen in Richtung Gerechtigkeit verbieten will - das ist pure Verzweiflung. […..]
(Sonja Thomaser, FR, 23.04.21)
[….] Das Problem ist, dass Merz sich eines ohnehin schon die Gesellschaft spaltenden Themas auf eine Art und Weise bedient, die diesen Spalt noch tiefer treibt. Und das nur, um die eigene Wählerschaft zu mobilisieren. So Vorgehen hat einen Namen: Populismus. Der Merz des Frühjahrs 2021 sollte sich fragen, ob er wirklich da weitermachen will, wo er vor zwei Dekaden mit der leidigen Leitkultur-Debatte durchgestartet war.
Ein Liberaler ruft nach Verbot! [….]
(Sebastian Huld, ntv, 23.04.2021)
Markus Söder beweist nach dem Eingeständnis seiner Niederlage gegen Laschet jeden Tag, daß er den Charaktertest nicht besteht. Immer wieder stichelt er, tritt nach, ist beleidigt, beschädigt die CSUCDU insgesamt.
Söder und Merz wären als CDUCSU-Kandidaten zwar gut für die SPD gewesen, aber hochgefährlich für ihre eigenen Parteien. Armin Laschet geht allerdings so schwer angeschlagen in das Rennen mit Baerbock und Scholz, daß es die Union in den Umfragen regelrecht abstürzt.
Kantar/Emnid und Forsa sahen die Grünen schon bundesweit vor der CDUCSU.
Nun zieht Civey vom SPIEGEL nach.
[…..] Zwischen Baerbock-Euphorie und Laschet-Frust: Eine Woche nach der Kür der Kanzlerkandidaten liegen die Grünen nur noch knapp unter der 30-Prozent-Marke und sind nun klar stärkste Kraft. Die Grünen demonstrierten Geschlossenheit und präsentierten perfekt inszeniert Annalena Baerbock als Kanzlerkandidatin. CDU und CSU verloren sich im Schwesternstreit und einigten sich erst nach erbittertem Machtkampf auf Armin Laschet (CDU) als Spitzenmann – eine Wahl, mit der große Teile der Unionsbasis nicht einverstanden sind. Die Umstände der Kandidatenkür spiegeln sich in der aktuellen Auswertung der SPIEGEL-Sonntagsfrage wider. In der repräsentativen Erhebung des Meinungsforschungsinstituts Civey verliert die Union deutlich und rutscht auf 24 Prozent ab – das sind 6 Prozentpunkte weniger im Vergleich zum Wert eine Woche zuvor. Bündnis 90/Die Grünen ziehen mit einem bemerkenswerten Plus von 5 Prozentpunkten im Vergleich zur Vorwoche an der Union vorbei und kratzen nun sogar an der 30-Prozent-Marke. […..]
Bei all den demoskopischen Daten und den sich daraus ergebenden Koalitionsoptionen, wird bezeichnenderweise kaum jemals erwähnt, daß Grüne und SPD umfangreiche Wahlprogramme vorgelegt haben; die CDU aber keine Idee hat weswegen man sie wählen sollte.
Die Sozis sind wie immer gewissenhaft, detailliert, haben viel gerechnet.
Die Grünen bleiben diesmal etwas vager, haben umständliche Gegenfinanzierungen ausgelassen, wollen lieber nicht sagen, wenn sie belasten wollen. Das stört im Wahlkampf nur.
Die Grünen machen sich aus Erfahrung mit vergangenen Wahlkämpfen einen schlanken Fuß. Sie haben gelernt, daß der SPD-Weg der klaren und ehrlichen Ansagen vom Urnenpöbel gar nicht gemocht wird. Die vagen Merkel-Typen, die nie etwas konkret sagen und zu allem nur wolkig wabernd Allgemeinplätzchen ablassen, schneiden bei Wahlen viel besser ab, weil sie niemand verschrecken.
Daher trauen sich die Grünen auch nicht ihre religiösen, esoterisch durchgeknallten und homöopathischen Anhänger oder schwurbeligen Impfgegner vor den Kopf zu stoßen.
Der Gipfel der grünen Politikverweigerung war die umstrittene Abstimmung am 21.04.2021 zur „Bundesnotbremse“. CDU, CSU und SPD steckten dafür viel Kritik ein, die AfD rotierte auf Hochtouren, um die Aluhutszene fest an sich zu binden, die FDP reichte Verfassungsbeschwerde ein. Sämtliche Ärzte, Fachleute und Virologen befürworteten die Notbremse nicht nur, sondern hielten sie für zu schwach. Die Linke stimmte zusammen mit AfD und FDP dagegen.
Die Grünen aber mit ihrer Abgeordneten Annalena Baerbock zeigten maximale Unverantwortlichkeit, dachten nur an ihre Wahlchancen und nicht etwa an das Wohl des Landes, indem sie sich enthielten. Bloß niemanden auf die Füße treten, bloß nichts sagen, auf das man festgenagelt werden kann, bloß keine Position beziehen.
15 Monate Pandemie und die Grünen haben dazu leider keine Meinung. Sie haben nicht nur keine eigenen Vorschläge, sondern sie können noch nicht mal sagen, ob sie die Groko-Pläne ablehnen oder unterstützen.
Erbärmlicher geht es nun wirklich nicht in einer Krise mit 80.000 Todesopfern und nie dagewesenen finanziellen Verwerfungen für einen Partei, die in fünf Monaten die Bundeskanzlerin stellen will.
Aber wahltaktisch war das offensichtlich völlig richtig. Beim Urnenpöbel kommt das richtig gut an.
Laschet strampelt sich inzwischen ab, um auf seine neue Hauptkonkurrentin einzuschlagen. Immerhin liegt die CDUCSU damit noch gute zehn Prozentpunkte vor der SPD. Das ist insofern erstaunlich, da die Last der Regierung von den SPD-Ministern getragen wird, während das C-Personal durch die Bank vollkommen versagt.
Dreist ist vor Allem, daß es von den C-Parteien immer noch kein einziges Wort eines Wahlprogrammes gibt. Das wird bei den Konservativen zwar immer eher schwammig gehalten, aber bisher war es so, daß man tatsächlich Merkel kannte und wußte, daß sie ohnehin alles irgendwie laufen läßt und garantiert nicht proaktiv und vorrausschauend Probleme angeht.
Deswegen ist Deutschland eben technologisch vielfach abgehängt, hat eine museumsreife Armee, ist nicht in der Lage nach 15 Monaten Pandemie Schulunterricht online zu garantieren, weil wir bei der Digitalisierung 20 Jahre zurück liegen und noch nicht mal ein Smartphone bauen können – mal ganz abgesehen von Großprojekten.
Immerhin wurden unter der gegenwärtigen Kanzlerin allerlei CDU-Essentials abgeräumt. Wehrpflicht weg, Homophobie ad acta gelegt, Schwarze Null obsolet, Atomkraft abgewickelt - Koalitionen mit so ziemlich jedem möglich.
Aber was würde ein CDU-Kanzler anders als Merkel machen? Oder
würde er weiter ziellos mäandern?
Keiner weiß es, weil es kein Programm gibt und niemand in der Union sich traut
irgendwelche Pläne vorzulegen. Man wüßte noch nicht mal wer das eigentlich tun könnte.
Vordenker wie Geißler oder Biedenkopf sind lange abgeschafft. Laschet tritt als weiße Projektionsfläche an und liegt
damit fast gleichauf mit Barbock.
Die SPD wird zwischen ihnen zerrieben und kommt in der Zuspitzung auf zwei potentielle Kanzlerparteien gar nicht vor.
Das ist ein bekanntes Phänomen, das man aus vielen Wahlen aus
Deutschland kennt und mehre Merkmale aufweist:
1. Die Öffentlichkeit ist nicht in der Lage, sich mit mehr als zwei Parteien zu beschäftigen.
2. Politische Inhalte sind offensichtlich nahezu irrelevant.
3. Es wird keine Partei gewählt, die keine Chance hat den Regierungschef zu stellen.
4. Der Wähler bevorzugt die Partei, die wahrscheinlich am stärksten wird, weil er dann auch zu den Siegern gehört. Niemand will zu den Verlierern gehören und wählt daher auch nicht die Partei, die demoskopisch absackt.
5. Trends verstärken Trends. Gute Umfragen generieren noch bessere Umfragen.
6. Bauch vor Kopf. Man wählt den, der auch von der veröffentlichen Meinung als möglicher Sieger präsentiert wird.
7. Die Journalisten konzentrieren sich fast ausschließlich auf die mutmaßlichen Sieger-Parteien.
Als kleinere Partei gegen diese Regeln aus eigener Kraft Medienaufmerksamkeit zu generieren und Trends umzukehren, ist zwar möglich, aber sehr schwer. Dafür braucht es sehr überzeugende Kandidaten und absolut zündende Argumente. Seit Gerhard Schröder gab es aber keinen so guten Wahlkämpfer mehr. Keiner der heute Aktiven kann ihm das Wasser reichen.
Helfen könnte es einer im Wahlkampf nicht trendbegünstigten Partei, wenn der medial zentrale Kandidat ganz drastische Fehler begeht. Martin Schulz schaffte es 2017 sich von 33% ganz allein durch eigene Doofheit auf 20% herunter zu plappern.
Megaskandale (Schill 2004 in Hamburg, Bankenkrise Berlin
2001, Barschel-Skandal 1987, Mappus-Desaster mit EnBW und Fukushima 2011) können
einen deutlichen Trend umkehren. Da haben die Konkurrenzparteien Glück.
Derartig große Skandale sind aber selten.
Die Grünen sind 2021 zu professionell und straff zentralistisch organisiert, so
daß ich keine derartigen Fehlleistungen von ihnen erwarte.
Die CDU andererseits sitzt schon so tief im Sumpf nach den Maskendeals und dem schmutzigen öffentlichen Kampf gegen Söder, daß Laschets Ruf nun ohnehin ruiniert ist. Die Erwartungen an ihn sind kaum noch messbar und können daher auch kaum enttäuscht werden.
So sieht es also nach einem schwarzgrünen Zweikampf aus. Die wechselseitigen Wunschpartner kabbeln sich darum, wer am Ende die Nase vorn haben wird. Das verspricht Spannung und generiert Medienaufmerksamkeit von allein.
Olaf Scholz, der fähigste und seriöseste Kandidat, hat dagegen kaum Chancen, zumal er für eine Programmpartei antritt und leider mit zwei völlig unfähigen Parteichefs leben muss, die in der Öffentlichkeit bestenfalls als Witzfiguren wahrgenommen werden. Frau Esken twittert ganz gern und reagiert auf jeden der durchschnittlich drei bis fünf Kommentare. Ob der Krefelder Endsechziger Norbert Walter-Borjans überhaupt noch lebt, kann ich nicht sagen. Von dem habe ich seit Monaten nichts mehr gehört.
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