Mein Spiegel-Abonnement bekam ich schon als Teenager von meiner Mutter geschenkt, weil sie zu genervt davon war, daß ich immer IHR Exemplar in Beschlag nahm.
Vor vierzig Jahren war das noch kein bunt-poppiges Magazin mit aufdringlichem Layout, lauter Kurzmeldungen, Farbfotos und Graphiken, sondern ein mehrere hundert Seiten starkes Heft, das außer sehr wenigen schwarz-weiß-Bildern nur aus langen Texten bestand.
Je länger, desto besser, lautete unser Credo. Ich las den SPIEGEL nicht nur, weil er damals die unbestritten wichtigste und alternativlose Informationsquelle war, sondern weil die spezielle Spiegel-Sprache voller Wortwitz, Fachausdrücken und Anspielungen großes Vergnügen bereitete.
Bis ich mein eigenes Abo bekam, lautete eine Weile das Arrangement, daß meine Mutter das erste Zugriffsrecht hat, um den außenpolitischen Teil zu lesen. Dann durfte ich ran und sie bekam die Vormittage, wenn ich in der Schule war.
Durch meine binationalen Eltern, die lange in anderen Teilen der Welt unterwegs waren und lebten, erschien es mir logisch, daß Außenpolitik wichtiger als alles andere ist. Das eine war die große weite Welt, das andere nur das kleine Deutschland. Meine Mutter besuchte jedes Jahr eine Woche das außenpolitische Seminar im „Haus Rissen“, diskutierte dort mit politischen Experten aus allen Ländern und auch in meiner Teenagerwelt dominierten diese Themen.
An erster Stelle die Nachrüstungs-Debatte der frühen 1980er. In den Schulpausen sprachen wir über SALT- und START-Abkommen, opponierten gegen den NATO-Doppelbeschluss, kannten sämtliche Spezifikationen der Pershing-II und SS20-Raketen. Ronald Reagan mit seinem SDI-Weltraum-Raketenprogramm, seinen militärischen Attacken auf kleine Länder, war für uns das Feindbild schlechthin.
Die sandinistische Freiheitsbewegung Nicaraguas hatte Che Guevara als Jugenddidol ersetzt, wir sorgten uns um die ausgebeutete Kaffeebauern Mittelamerikas, trugen Palästinenser-Schals, eruierten das Leben in Kibbuzim, während wir Backgammon spielten.
Riesige Aufmerksamkeit zogen allabendlich auch die Vorgänge in Warschau um Lech Walesa und die Gewerkschaft Solidarność auf sich. Wir waren zwar außerordentlich NATO-kritisch, freuten uns aber auch über die derben Tritte, die dieses kleine aufmüpfige Polen dem Warschauer Pakt versetzte.
In Ungarn herrschte doch ohnehin nur noch „Gulasch-Kommunismus“, der Steinzeit-Kommunist Nicolae Ceaușescu tanzte ebenfalls aus der Reihe, ließ Rumänien trotz des Boykott-Aufrufs aus Moskau an den Olympischen Spielen von 1984 teilnehmen. Das sozialistische Tito-Jugoslawien verstand sich sogar als „blockfrei“.
Die deutsche Politik spiegelte die enorme Bedeutung der Außenpolitik wider. Scheel, Bahr, Brandt, Genscher, Schmidt, Wischnewski waren international bedeutende Figuren. Bahr hatte die neue Ostpolitik eingefädelt, gegen den erbitterten Widerstand aus CDU/CSU Frieden mit den Ländern geschlossen, die Nazi-Deutschland mit Krieg und Massenmord überzog. Scheel hielt seine schützende Hand über Bahr. Brandt war die Symbolfigur der Aussöhnung, erhielt dafür sogar den Friedensnobelpreis. Nach seiner Kanzlerschaft blieb er SPD-Vorsitzender, spielte aber auch international als Präsident der Sozialistischen Internationale von 1976 bis 1992 eine gewaltige Rolle bei der Friedenssicherung.
Die 1977 unter dem Vorsitz Willy Brandts gegründete Nord-Süd-Kommission („Unabhängige Kommission für Internationale Entwicklungsfragen“) bestimmte entscheidend die Entwicklungshilfepolitik.
Staatsminister Hans-Jürgen Wischnewski, „Ben Wisch“, war der Krisendiplomat schlechthin. Er kannte jeden regionalen Politiker des Nahen Ostens und Afrikas persönlich. Nur dank seiner Verbindungen konnte die Landshut 1977 in Mogadischu befreit werden. Ohne den deutschen Vermittler ging gar nichts in der Nahost-Politik.
Die außenpolitische Bedeutung Helmut Schmidts kann gar nicht unterschätzt werden.
(…..) Helmut Schmidts Amtszeit von 1974 bis 1982 dürfte wohl die Unerfreulichste gewesen sein, die ein Bundeskanzler seit 1949 erlebte. Der Ost-West-Konflikt eskalierte, es kam zu drastischer atomarer Aufrüstung, eine schwere Ölkrise legte die Wirtschaft der westlichen Industrien lahm und Deutschland wurde vom RAF-Terror überzogen. In allen Fällen behielt er die Nerven, navigierte mustergültig durch schwerste See und vermochte es nicht nur auf europäischer Ebene, sondern sogar global die Kräfte zu bündeln, Initiativen zu starten und vorbildhaft Standards zu setzen. Schmidt schuf die G7, erfand den Ecu, mit dem die Weichen für den Euro gestellt wurden und brachte mit dem Nato-Doppelbeschluss die gesamte nordatlantische Atomverteidigung unter einen Hut. Zudem erkannte er das Potential Chinas, schuf mit seinen vielen Staatsbesuchen im Reich der Mitte den Grundstein für Deutschlands Export und knüpfte wie zuvor kein anderer deutscher Spitzenpolitiker Kontakte zu islamischen Staaten. Wenig verwunderlich war der geniale globale Denker noch viele Jahre nach seinem Abschied aus dem Amt Vorsitzender des „interaction council“, in dem sich ehemalige Präsidenten und Regierungschefs zusammenfanden, um prophylaktisch künftige Krisen zu analysieren. Jahrelang trafen sich die Allergrößten der Welt unter der Führung des bescheidenen Mannes aus einem kleinen Hamburger Reihenhaus.
[….] Helmut Schmidt made the Council a highly respected organization with his brilliant and visionary leadership as Chairman (1986-1994) and Honorary Chairman (1995-2014). The world was privileged to benefit from the breadth of his knowledge, encompassing economics, geo-strategy, philosophy, history, arts, music and literature. [….] He was Federal Minister of Defense (1969-72) and Federal Minister of Economics and Finance (1972-74). He began his eight-year term as Federal Chancellor in 1974. During his chancellorship, he stressed the goal of political unification of Europe. He was also one of the founders of the Economic Summits, begun in 1975 in order to coordinate the policies of the major western states and was the only statesman who took part in all eight summits from 1975-82. Former honorary chairman of the InterAction Council and of the Deutsche Nationalstiftung. He was co-editor and publisher of the weekly DIE ZEIT. He received honorary doctorate degrees from numerous institutions of higher learning around the world, including Oxford, Harvard, Leuven, Cambridge, Johns Hopkins, the Sorbonne, Keio, Hamburg and Potsdam. [….]
Natürlich war es vollkommen ausgeschlossen, daß ein schlichtes Gemüt von schmaler Bildung wie Nachfolger Helmut Kohl international so eine Rolle spielen könnte. (…..)
Als 1982 Helmut Kohl Kanzler wurde, versprach er die „geistig-moralische Wende“, aber wir fürchteten uns nicht vor seiner Innenpolitik, sondern schämten uns dafür, wie dieser Provinzler, der kein Wort Englisch konnte, im Ausland auftreten würde.
Und es kam schlimmer als befürchtet. Peinlichkeit reihte sich an Peinlichkeit. Selbst seine konservative Parteifreundin Margaret Thatcher äußerte sich entsetzt; wie konnten die Deutschen nur Schmidt gegen so einen wie Kohl austauschen?
Der CDU-Kanzler bemerkte allerdings sehr schnell einen Kernsatz der erfolgreichen Außenpolitik: Sie ist ungeheuer arbeitsaufwändig. Alles ist 1000 mal komplizierter als im Inland, man muss enormes Hintergrundwissen haben und eine nahezu unübersehbare Anzahl Akteure und Partikularinteressen kennen.Helmut Schmidt hatte dazu einen gewaltigen Spezialistenpool etabliert, der ihm morgens riesige Stapel mit Informationen auf den Schreibtisch legte. Er arbeite quasi Tag und Nacht, fraß so viel Akten, daß seine Mitarbeiter ihn mehrfach ohnmächtig vor Überarbeitung auf dem Boden liegend vorfanden. Das wollte Kohl nicht und schaffte sämtliche Zuarbeiter ab. Detailwissen zu erlangen, war ihm viel zu mühsam.
Ein Fehler, den 2009 auch der Rookie Westerwelle beging, als er unvorbereitet Außenminister wurde und dachte, er könne sich „ein paar schöne Tagen im Außenamt“ machen. Und so reihte auch Außenminister Guido wie einst Helmut Kohl Peinlichkeit an Peinlichkeit.
(…..) Auch off-camera ist unser Guido einfach nur eine Fehlbesetzung. Zum Beispiel während der Afrikareise im April 2010:
[…..] Westerwelle steht in einem Besprechungsraum des Ocean Road Hospital von Daressalam und soll ein paar Worte zur Begrüßung sagen. In dem deutschen Kolonialbau hat Robert Koch vor rund hundert Jahren an Malaria geforscht. Es war für lange Zeit das einzige Krebskrankenhaus in Ostafrika. Westerwelle könnte jetzt einiges zur interessanten Geschichte des Hospitals sagen, aber er legt ein fast aufreizendes Desinteresse an den Tag. Er habe über das Krankenhaus gelesen, sagt er und murmelt etwas von Respekt und harter Arbeit. Westerwelle weiß offenbar wenig über das Haus. Es ist heiß und schwül. Er will schnell weg. […] Westerwelle liebt seinen Status, er schätzt es, von Staatschefs und Ministern empfangen zu werden. Leider hat man selten den Eindruck, er interessiere sich für das, was seine Aufgabe ist. […] "Ich will mir nicht ein paar schöne Jahre im Auswärtigen Amt machen und die Welt kennenlernen", hat Westerwelle auf dem Höhepunkt des innenpolitischen Streits um Hartz IV gesagt. Ein paar schöne Jahre, das ist Westerwelles Idee von Außenpolitik. Im Auswärtigen Amt kam das nicht gut an. Die Beamten haben registriert, dass Westerwelle sich selten länger für ein Thema interessiert. Er will nur Dinge wissen, die ihm über das nächste Gespräch, die nächste Pressekonferenz hinweghelfen: Wo sind Streitpunkte, was ist die deutsche Position, die offensichtlichen Fragen eben. Im Amt heißt es, dass er auf dem Flug nach Peking im Januar zum zuständigen Referenten gesagt habe: "Sie haben sieben Minuten Zeit, mir China zu erklären." […..]
China ist für den
Mövenpickparteichef ein unwichtiges Land mit nur 1,3 Milliarden Menschen, einer
gerade mal 6000 Jahren alten Geschichte. (….)
(Tammox 14.04.2010)
Joschka Fischer und Gerhard Schröder waren 1998 auch keine fertigen Außenpolitiker, aber sie hatten sich Jahre lang intensiv vorbereitet, ihre Fremdsprachenkenntnisse verbessert, waren auf Reisen gegangen, hatten Fachbücher verschlungen.
Fischer ist heute ein international gefragter Experte, der eine Gastprofessur für internationale Wirtschaftspolitik an der Woodrow Wilson School der amerikanischen Princeton University zur „Internationale Krisendiplomatie“ innehatte. Er ist Gründungsmitglied und Vorstand des European Council on Foreign Relations und Senior Strategic Counsel der Albright Group, LLC. Die ehemalige Professorin, UN-Botschafterin, US-Außenministerin und internationale Politikexpertin Madeleine Albright mag ohne den Rat ihres Freundes Joschka Fischer nicht auskommen.
Gerhard Schröder entwickelte sich ebenfalls zu einem extrem erfolgreichen Außenpolitiker, der 2001-2003 weltweit die Opposition gegen den Bush-Blair-Kriegswahn organisierte und exakt das Chaos vorhersah, das auch eintraf. Unter Schröder genoss Deutschland vermutlich das beste internationale Ansehen seiner Geschichte.
Das Gespann Fischer/Schröder war die einzige Regierung, die im Nahen Osten gleichermaßen Respekt bei allen Parteien genoss. Sie initiierten einen Ost-West-Dialog mit Paris, Warschau und Moskau, waren die treibenden Kräfte in der EU. Schröder-Deutschland erarbeitete sich so viel Vertrauen, daß der französische Präsident Jacques Chirac und Bundeskanzler Schröder sich sogar gegenseitig bei EU-Gipfeln vertraten. Chirac stimmte für Deutschland ab und Schröder für Frankreich. Gleichzeitig näherten sie sich Russland und der Türkei so weit an, daß echtes Vertrauen herrschte. Nie war Russland auf einem so demokratischen pro-westlichen Weg wie 2001, als Putin im Bundestag auf Deutsch sprach.
Schröders Verbindungen sind ganz im Gegensatz zu dem öffentlichen Hass, der ihm entgegen schlägt, auch heute noch enorm wertvoll, weil er immer wieder beitragen konnte, Geiseln zu befreien und hinter den Kulissen für Entspannung zu sorgen. Das geht nur mit den persönlichen Kontakten, die Schröder hat und daher bin ich auch immer noch der Meinung, daß er nach seinem Ausscheiden aus dem Bundeskanzleramt, gar nicht die offizielle Bitte des russischen Präsidenten ablehnen konnte für ein gemeinsames Energieprojekt zu arbeiten.
Diese Funktion ist heute ein enormer diplomatischer Vorteil für Deutschland. Auch Angela Merkel setzt Schröder gelegentlich als Geheimwaffe ein, wenn sich eine böse Krise zusammenbraut. Sie muss das tun, weil sie sich in bald 16 Jahren kein vergleichbares außenpolitisches Standing erarbeiten konnte.
Das enorme deutsche Ansehen innerhalb der EU wurde ab 2005 von Angela Merkel nahezu vollständig zerstört. Ihre Emissäre erklärten arrogant, man spreche nun wieder deutsch in Brüssel, ihr höchst unangenehmer Finanzminister Schäuble verärgerte mit seiner falschen und brutalen Austeritätspolitik sämtliche Süd-Staaten Europas. Sie kommunizierte weder ihre Energiepolitik (Nordstream/Atomausstieg), noch ihre Flüchtlingspolitik mit den Partnerländern. Die Beziehungen zu Moskau liegen ebenso in Trümmern, wie die zu Ankara.
Merkel gilt als erprobte Gipfel-Politikerin, weil sie über einige durchaus nützliche Eigenschaften verfügt. Sie ist gut vorbereitet, kann unendlich lange tagen, ohne schlafen zu müssen und ist vollständig unempfindlich gegen Beleidigungen.
Sie hat aber keinerlei außenpolitischen Ehrgeiz. In 16 Jahren brachte sie keine einzige Initiative zu Stande, die an sie erinnert. Selbst die Dinge, die sie anspricht, wie das Klima-Thema beim G8-Gipfel in Heiligendamm 2007, lässt sie anschließend wieder fallen. Später schwänzte sie sogar Klimagipfel, um währenddessen lieber bei den CO2-Siffbirnen von der Automobillobby zu kriechen. Es gibt im Merkel-Bundeskanzleramt keine strategische Abteilung mehr, die proaktiv auf Krisen reagiert.
Die gewaltigen Flüchtlingsbewegungen aus Syrien und dem Irak sind seit Jahrzehnten zu beobachten, seit 2010 müssen die Menschen zu Millionen aus Syrien fliehen. ISIS, der islamische Staat wurde 2003 gegründet, im Juni 2014 etablierte er im Osten Syriens das sogenannte „Kalifat“. Merkel sah achselzuckend zu, hob das Thema nie auf Gipfelebene, lieferte Waffen weiterhin in die Nahost-Krisengebiete und war dann 2015 total überrascht, als das Elend in Deutschland anklopfte.
Daß Merkel überhaupt immer wieder gewählt wurde, erklärt sich unter anderem mit dem Bedeutungsverlust der Außenpolitik. Sie interessiert kaum noch und gilt als verdammtes Minenfeld.
Annalena Baerbock hat das begriffen und mogelt sich geschickt durch das explosive Themenfeld. Sie verweist immer wieder auf ihr Studium; ich komme vom Völkerrecht. Das soll Kompetenz simulieren. Vielleicht ist sie sogar kompetent. Man weiß es nur nicht, weil sie sich bisher weigert konkrete Aussagen zu treffen. Zu sämtlichen außenpolitischen Megaproblemen schweigen die Grünen.
Mit Putin kooperieren? Deutsche Auslandseinsätze? Waffenexporte nach Israel? Frontex? Aufnahme von im Mittelmeer aufgelesenen Flüchtlingen? Sanktionen gegen Ungarn und Polen? Anstieg der Verteidigungsausgaben auf 2%? Gemeinsamen europäische Rüstungsprojekten fortsetzen und dann wie geplant Kampfflugzeuge nach Saudi-Arabien exportieren? US-Atomwaffen in Deutschland? Nordstream 2? Zusammenarbeit mit China, um das Klima zu retten oder Beendigung der Zusammenarbeit mit China, um das Abschlachten der Uiguren nicht zu akzeptieren? Bewaffnete Drohnen für die Bundeswehr?
Als SPIEGEL-lesender Teenager interessierte ich mich brennend für die neue Partei „Die Grünen“ und war auch 1998-2003 ganz großer Fan ihrer Bundesminister. 20 Jahre lang boten die Grünen außenpolitische Orientierung. Das ist nun aber vollständig vorbei.
Die grüne Kanzlerkandidatin hält sich von allen schwierigen außenpolitischen Themen fern und hat enorm von ihrem Vorbild Angela Merkel gelernt, wenn es daran geht konkrete Fragen nicht zu beantworten.
Laschet läßt gelegentlich wenigstens aus Versehen seine Meinung durchblitzen. Die SPD stellt den Außenminister, hat ein klares außenpolitisches Programm. Baerbocks Meinung zu erfahren, ist genauso sinnlos wie der Versuch einen Pudding an die Wand zu nageln. Sie schwurbelt wolkig vor sich hin und scheinbar lieben die Wähler das.
[…..] Europaforum des WDR […..] Die Moderatorin stellt Baerbock unangenehme Fragen, immer wieder konfrontiert sie die Grüne mit dem Wahlprogramm der Partei. Sie fragt zum Beispiel, wie Baerbock es denn mit Waffenlieferungen an Israel halte. Im Programm stehe doch, dass sich der Export von Waffen und Rüstungsgütern in Kriegsgebiete verbiete. […..] Baerbock nimmt sich Zeit für ihre Antwort, sie schweift ab, spricht über das Existenzrecht Israels, die Schwäche der EU, die Rolle der USA. Nach etwa drei Minuten hakt die Moderatorin nach, nun spricht Baerbock über die Geschichte der U-Boot-Exporte nach Israel, schließlich stellt die Moderatorin ihre Frage zum dritten Mal, und irgendwann nach einer gefühlten Ewigkeit ist Baerbocks Antwort da. Sie lautet: Das kommt drauf an. Es ist ein Muster, das sich in den außenpolitischen Interviews der grünen Kanzlerkandidatin wiederholt. […..] »In der Außenpolitik enthält das Programm der Grünen viele Widersprüche«, meint Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Andere sprechen von Hintertürchen oder Gummi. Und für den Fall, dass ein Interviewer versucht, sie festzulegen, hat Kanzlerkandidatin Baerbock einen forschen Vielsprech entwickelt, mit dem sie den Gesprächspartner an die Wand redet, die Antwort aber schuldig bleibt. […..] Einen ersten Wirklichkeitstest brachte die Eskalation des Nahostkonflikts. Am Montag, nachdem die Hamas Tausende Raketen auf Israel gefeuert und Israel Häuser in Gaza in Schutt und Asche gelegt hat, betont Baerbock auf einer Pressekonferenz Israels Recht auf Selbstverteidigung und fordert zu einer diplomatischen Initiative auf. »Das langfristige Ziel«, beginnt einer ihrer Sätze, und man rechnet damit, sie werde jetzt über die Zweistaatenlösung sprechen oder eine andere Vision für eine Befriedung dieses Konflikts. Doch stattdessen sagt sie: »Das langfristige Ziel des Ausgleichs, des Dialogs und des Friedens dürfen wir auch weiterhin vor dieser schwierigen Situation nicht aus den Augen verlieren.« Eine diplomatische Floskel, mit der sich Baerbock unangreifbar macht, aber sie sagt nichts. […..] Wenn im Bundestag Auslandseinsätze zur Abstimmung standen, kam aus der Grünenfraktion regelmäßig eine Kakofonie: Zustimmung, Ablehnung, Enthaltung, alles ist möglich. Als es zuletzt um die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes »Atalanta« vor der Küste Somalias ging, stimmten 7 Grüne dafür, 6 dagegen, und 40 enthielten sich. Bei der Verlängerung des Afghanistaneinsatzes im März sah das Ergebnis so aus: 14-mal ja, 32-mal nein und 14 Enthaltungen. […..]
(DER SPIEGEL; 22.05.2021)
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