Heute war ich zu einer Routine-Vorsorge beim Arzt. Genauer gesagt, einer Ärztin, da der mir seit 35 Jahren vertraute Praxisinhaber in Rente gegangen ist. Nun sind da nur noch Ärztinnen. Das passt ins Bild; sind doch inzwischen zwei Drittel der Medizin-Studierenden Frauen.
Es ist allerdings wie bei den Köchen – mögen auch die große Mehrzahl Frauen sein; die Chefärzte und Chefköche sind nahezu ausschließlich Männer.
Die neue Praxisinhaberin ist Iranerin; als Kind nach Deutschlang eingewandert. Auch das passt wunderbar ins Klischee der intellektuellen im Ausland lebenden Iraner. Sie scheinen alle Akademiker zu sein und zwar in Fachgebieten, wie Architektur, Mathematik oder Medizin, die man nicht zwingend nur in Deutschland ausüben kann.
Xenophobie sollte genauso wenig wie Islamophobie einen Platz in unserer Gesellschaft haben.
(….) Pauschalisierungen aufgrund von Rasse oder Religion sind ohnehin absurd, weil der soziokulturelle Hintergrund, die Bildung und Wohlstand eher ein Indikator für Kriminalität sind.
Islamophobe Hetzer, die alle deutschen Probleme mit Kriminalität auf „den Islam“ schieben, kann man ganz leicht mit dem Gegenbeispiel Iran zu fassen bekommen. Es gibt de facto keine Kriminalität oder Integrationsproblematik durch Iraner in Deutschland, obwohl sie weitüberwiegend ebenfalls Muslime sind.
Wieso das so ist, lässt sich leicht erklären. Während in den 1960er Jahren die am schlechtesten gebildeten Türken als Gastarbeiter nach Deutschland kamen, waren es im Zuge der Ayatollah-Revolution von 1979 in erster Linie Intellektuelle und Akademiker, die aus dem Iran nach Deutschland flohen.
Daher sind typische Berufe von Deutsch-Iranern heute auch Architekt oder Chirurg. Natürlich gibt es mit „denen“ keine Probleme, obwohl sie dem Islam angehören. (…)
(Rage Of White Men, 17.02.2018)
Die beiden Corona-Jahre haben es noch einmal überdeutlich klar gemacht: Wir haben in Deutschland ein massives Arbeitskräftemangel-Problem.
Sogar der nicht eben als Migranten-freundlich bekannte Frank Plasberg setzte auf dieses Thema.
[….] Die neue Arbeiter-Losigkeit: Warum gehen Deutschland die Fachkräfte aus? Ob Pflegekraft, Kellnerin oder Handwerker – überall fehlen in Deutschland Fachkräfte. Die Unis sind voll, der Handwerker-Markt ist leer. Und das trotz oft guter Bezahlung. Was tun? Sind Fachkräfte aus dem Ausland die Lösung, die Menschen aus der Ukraine eine Hilfe? […]
Mir behagt das ganze Konzept von Nationen nicht. Ginge es nach mir, würden alle Einreisebeschränkungen fallen. Es ist absurd, daß Menschen enorme Rechte und Privilegien nur aus dem Zufall ihres Geburtsortes ableiten.
Aber ich weiß natürlich, daß meine Position nicht mehrheitsfähig ist, weil die allermeisten Menschen an ihren patriotischen und nationalen Gefühlen festhängen. Ein globales Problem, das sich keineswegs auf Extrempatrioten (USA, Frankreich) beschränkt. Ohne den enormen Patriotismus und das Nationalgefühl der Russen und Ukrainer hätten wir vermutlich einen großen Krieg weniger.
Wer aber nicht aufgrund moralischer und humanitärer Prinzipien Migranten willkommen heißt, könnte sich vielleicht von ökonomischen Überlegungen überzeugen lassen.
Die Einschläge des allgemeinen Personalmangels kommen immer näher.
Olivia Jones macht gerade für die Reeperbahn eine „Seitenwechsel“-Kampagne, weil das weltberühmte Hamburger Nachtleben nach den zwei Coronajahren durch fehlende Mitarbeiter in der Gastronomie nicht wieder anläuft.
Restaurants sind nur halbvoll, weil es keine Kellner gibt.
Ich erhielt gerade die vierte Vattenfall-Mahnung, weil ich bei einem Grundversorgungsvertrag 154,07 Euro im Rückstand bin. Es geht um eine Wohnung im Hamburger Osten, deren Bewohner sich offenbar nicht bei dem Stromversorger angemeldet hat. Daher wendet sich Vattenfall nun an mich, den angeblichen Wohnungseigentümer. Kleines Problem am Rande: Ich habe damit nichts zu tun. Die Wohnung gehört mir nicht! Erst fand ich es noch ganz lustig. Als ich gestern das vierte mal eine halbe Stunde in der Vattenfall-Warteschleife hing, um das aufzuklären, war ich langsam genervt. Schließlich geriet ich doch an einen lebendigen Mitarbeiter, der den Vorgang auch auf seinem Computer fand; ‚ich sehe, Sie sind nicht der Wohnungseigentümer, das wurde zuletzt am 25.03. hier eingetragen.‘
Wieso ich denn weiterhin Rechnungen bekäme, begehrte ich zu wissen. Antwort: Die Vattenfall-Zentrale leidet unter so großem Personalmangel, daß es bei der Bearbeitung der telefonisch aufgenommenen Vorgänge Monate Verzug gibt.
Im Januar habe ich schriftlich meinen Mobiltelefonvertrag zu Willy.tel verlegt. Bis heute ist nichts passiert, weil die Jungs komplett überlastet sind.
Butter-Lindner, das Berliner Delikatessengeschäft mit vielen Filialen in Hamburg, musste im Dezember 2021 wegen Verkäufermangels ausgerechnet die Filiale schließen, in der ich jeden Freitag einkaufte. Eine absurde Angelegenheit an dem extrem belebten Standort unmittelbar in der Umsatz-stärksten Zeit.
[….] Acht Filialen betreibt das Feinkostunternehmen, das zunächst unter dem Namen Butter Lindner mit Molkereiprodukten bekannt wurde, inzwischen in Hamburg. Zumindest in Winterhude müssen die Kunden auf den Service bis auf Weiteres verzichten. Das Unternehmen hat die Filiale am Mühlenkamp geschlossen – unmittelbar vor dem einträglichen Weihnachtsgeschäft. Ein Schild im Schaufenster liefert die Begründung: Es fehlt an Fachkräften. „Dieses Lindner Feinkostgeschäft ist von der angespannten Arbeitsmarktsituation betroffen“, steht da zu lesen. „Unsere engagierte Suche nach qualifizierten Mitarbeitern/innen hat leider einen Engpass nicht vermeiden können. Ohne genügend geeignete Fachkräfte können wir mit unserem umfassenden Feinkostangebot nicht angemessen für Sie da sein.“ Es ist ein Paukenschlag für den Hamburger Einzelhandel, dass ein Geschäft wegen Personalmangels gleich schließen muss. „Es war für uns das letzte Mittel, und die Schließung tut uns sehr weh“, sagt Claudia Mehrl, Sprecherin der Lindner Feinkostläden mit Hauptsitz in Berlin. [….]
Der Laden brummte, aber Mitte März 2022 kam dann das endgültige Aus. Lindner war nicht in der Lage Personal zu finden, schließt nun für immer.
Die Situation in der Gastronomie, im Handwerk, im Verkauf, in der Pflege zeigt, daß Deutschland eben nicht nur auf intellektuelle Inder und Iraner angewiesen ist, sondern inzwischen quer durch alle Branchen durch fehlende Mitarbeiter schwere Verluste eingefahren werden.
Nicht nur sollten wir also bei all dem Horror durch Putins Krieg, großzügig alle Flüchtlinge aus der Ukraine aufnehmen, sondern endlich auch die von Belarus bis Lesbos gestrandeten Flüchtlinge, aus dem Nahen Osten, Afrika und Afghanistan willkommen heißen. Wir brauchen Menschen mit allen Qualifikationsgraden. Auch die Unqualifizierten. Spätestens in der zweiten Generation zahlt es sich aus.
[….] Die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Doris Oberdabernig und Alyssa Schneebaum haben herausgefunden, dass die Nachfahren von Einwanderern in vielen europäischen Ländern, inklusive Deutschland, im Vergleich mit einheimischen Altersgenossen, deren Eltern denselben Bildungsstand hatten, viel besser abschneiden. »Die Bildungslücke zwischen Einheimischen und Einwanderern ist in den beiden letzten Generationen kleiner geworden«, schreiben die Autorinnen. »Setzt sich dieser Prozess in den nächsten Generationen fort, dann werden Personen mit Migrationshintergrund bald einen vergleichbaren Bildungsstand aufweisen wie die einheimische Bevölkerung.« Eine amerikanische Untersuchung von Wirtschaftswissenschaftlern aus Princeton und Stanford kam zu einem ähnlich optimistischen Ergebnis. Die Löhne von Einwanderern aus allen Herkunftsländern stiegen in den letzten 100 Jahren von Generation zu Generation rasch an. Die meisten Beobachter, so schlussfolgern die Autoren, »unterschätzen den langfristigen Erfolg von Immigranten«. [….]
(Prof. Yascha Mounk, Der Spiegel Nr.14, 02.04.2022, s.44)
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