Natürlich erregen solche extremen Hochburgen Aufmerksamkeit.
Wenn irgendwo, wie in Karlsdorf, mehr als 72% die Nazis wählen, fragt man sich, was bei denen eigentlich schief gelaufen sein kann. Ist da irgendwas im Wasser? Heiraten dort nur Geschwister untereinander?
[…..] Rund 20 Kilometer südöstlich von Jena liegt das Dörfchen Karlsdorf. Dort wohnen 84 Wahlberechtigte, 62 sind zur Wahl gegangen und 44 davon haben mit der Zweitstimme die AfD gewählt. Damit erreicht die Partei ein Ergebnis von 72,1 Prozent - das höchste in ganz Thüringen. Die anderen Parteien hatten keine Chance, nur ein Mensch in diesem Dorf hat sein Kreuz bei der SPD gesetzt, noch fünf bei der CDU. […..]
Es ist wie vor einem halben Jahrhundert, als Dresden aufgrund seiner topographischen Lage kein Westfernsehen über Antenne empfangen konnte und DDR-intern als „Tal der Ahnungslosen“ galt.
Die Menschen in Karlsdorf sind verblödet; abgeschnitten von Information und Fakten. Aber sie wollen es auch nicht anders.
Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen.
Immanuel Kant
Fakten stören die Nazi-Narrative. In Karlsdorf schmort man lieber im eigenen rechten Saft.
[….] Das Handy zeigt es an: „Kein Netz“. Nicht bei der Bushaltestelle, nicht auf dem Hügel hinter dem Ort, nicht beim Hof gegenüber vom Bürgermeisterhaus. In Karlsdorf gibt es keinen Empfang. Und vielleicht erzählt die Geschichte über das Funkloch viel darüber, wie die Menschen hier denken, wie sie leben. Und wie sie leben wollen. [….] Es habe schon Debatten im Dorf gegeben, erzählt eine Schülerin an diesem Vormittag hinter dem Gartentor ihres Elternhauses. Darüber, dass ein Funkmast in der Region aufgestellt werden soll. Aber die Leute im Ort hätten das nicht gewollt. Könne ja Besucher anziehen, hätten viele gesagt. „Die Dörfer wollen lieber unter sich bleiben“, sagt die Schülerin. „Viele leben schon seit Generationen hier.
Das mit dem Funkmast erzählen so auch andere in Karlsdorf. Manche erwähnen noch, dass die „Strahlung“ des Mastes von einigen nicht gewünscht gewesen sei. […..]
Illusionen sind hier völlig fehl im Platze. Pittoreske Fachwerkdörfer in Ossistan taugen nicht als Idyllen, in denen die Welt noch in Ordnung ist. Im Gegenteil; wer geistig noch in Ordnung war, hat sich längst in urbanere Gegenden abgesetzt. Zurück bleibt der ganz doofe Rest, dem das Nazi-Krakeele des Bernd Höcke gefällt.
Prof. Dr. Markus Ogorek, Staatsrechtslehrer und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre der Universität zu Köln, ordnet ein:
[…..] Vor knapp einem Jahr steht Björn Höcke auf einer Bühne in Erfurt. Viele hören dem thüringischen AfD-Landesvorsitzenden, für den der Gegenprotest auf der anderen Seite des Platzes längst Routine scheint, an diesem Tag zu. »Liebe Freunde«, beginnt Höcke, »es ist nicht einfach, bei einer Demonstration ein Bild zu setzen. Aber ich möchte ein Bild zeichnen von einem Haus, ich nenne es das Haus Deutschland.« Im Laufe der Jahre sei es von mehreren »Hausgemeinschaften« in guter Koexistenz bewohnt worden. Die aktuelle Bundesregierung aber richte das Gebäude als »wild gewordener Hausmeister« mithilfe von »Taugenichtsen« und »Mietnomaden« zugrunde – eine offensichtliche Anspielung auf Einwanderer. »Deutschland schafft sich nicht ab«, schließt der AfD-Landeschef, »Deutschland wird gemordet.«
Der Auftritt ist in gewisser Weise ein Höcke-Klassiker. Er steigert sich in eine wütende Rede hinein und verliert sich dabei in pseudo-philosophischen Ausführungen. Immer wieder kritisiert er staatliche Entscheidungsträger nicht nur scharf, sondern dämonisiert sie regelrecht. Dabei hetzt er gegen ganze Bevölkerungsgruppen und pauschalisiert in extremer Weise. Zugleich macht er deutlich, wen er tatsächlich als dem Staatsvolk zugehörig ansieht – und dass viele Menschen für ihn nicht dazugehören, obwohl sie den deutschen Pass besitzen.
Wer so spricht, den wird man bei nüchterner Betrachtung als Extremist bezeichnen müssen. Der thüringische Verfassungsschutz hat den AfD-Landesverband auf Grundlage eines nicht öffentlichen Gutachtens als »gesichert extremistisch« eingestuft. Dennoch ist die AfD in Thüringen unter Höckes Führung bei der Landtagswahl am vergangenen Sonntag stärkste Partei geworden. Macht das auch seine Wähler zu Verfassungsfeinden? Die schmerzhafte Antwort lautet: in Teilen ja. Die Nachwahlumfragen haben am vergangenen Sonntag ergeben, dass die Mehrheit der AfD-Wähler der Partei nicht mehr aus »Protest«, sondern inhaltlicher Überzeugung die Stimme schenkte. […..]
In Karlsdorf steht niemand im Verdacht, sich akademische Bildung angeeignet zu haben.
[…..] Andreas Bauer, der gerade in seinem Garten steht, ist bereit, vor der Kamera zu sprechen. In seinen Augen ist die Migration das große Problem. Auf dem Dorf sei das nicht so, "aber wenn ich sehe, wie Jena und Gera überflutet werden. Es gerät alles außer Kontrolle. Und das ist das, was uns so Angst macht", sagt er. Die Wahlergebnisse seien das Resultat der gesamten Regierung. Bauer beschäftigen dabei vor allem bundespolitische Themen. Das "Theater" um das Heizungsgesetz von Robert Habeck gehe gar nicht. Nur AfD-Spitzenkandidat Björn Höcke strahle Enthusiasmus aus. "Der gibt mir wieder Hoffnung", sagt Bauer. […..]
Die Karlsdorfer sind für die Demokratie verloren.
Ja, selbstverständlich könnte man es besser wissen. Die Lügen, die Hetze, die Untauglichkeit der AfD, sind hinreichend belegt. Das, wovor sich die AfDioten so fürchten, existiert nicht. Aber in dem Punkt ist das kleine Karlsdorf, wie das große Amerika: Man bedient sich bei Fake News, Gerüchten und Geraune. Die Karlsdorfer fühlen sich von Syrern und Afghanen überflutet. Daß es genau NULL Migranten in Karlsdorf gibt, stört sie nicht in ihrer irren Argumentation.
[….] Man sieht keine Syrer in Karlsdorf, und wahrscheinlich war ein Afghane noch nicht einmal in der Nähe des Ortskerns, dort, wo sie bunte Blumen an die Holzhaltestelle gemalt haben. Und doch führen die Gespräche an diesem Tag im Hügelland irgendwann immer dorthin. Zur Asylfrage. Zu den Ausländern. Manchmal deuten es Anwohner nur an, dass es ihnen zu weit gehe mit der Aufnahme von Geflüchteten, so wie der junge Mann, der an diesem Tag freihat und im Garten arbeitet. Manchmal dauert es etwas, bis Vorurteile sich Bahn brechen, so wie bei der Frau am Hoftor, die sagt: „Schrecklich, was aus Deutschland geworden ist.“ […..]
Und, wie sollte es anders sein; die Ampel, respektive die Grünen sind an allem Schuld.
[….] Die Ampel-Parteien, aber auch die CDU, und für manche sogar die Linkspartei, gelten als „etabliert“, als abgehoben. Die Karlsdorfer machen die Scholz-Regierung verantwortlich für alles, was aus ihrer Sicht schiefläuft. Die Waffenlieferungen an die Ukraine nennt manch einer im Ort „Kriegstreiberei“, als wäre es die ukrainische Armee, die Russland überfallen hat – und nicht umgekehrt. Und dann die grüne „Verbotspartei“, mit den ganzen neuen Gesetzen im Kampf gegen den Klimawandel. […..]
Mit dem Pack in die Ossi-Dörfern lohnt sich keine Diskussion. Sie sind unbelehrbar verblödet und müssen nun endlich die Konsequenzen spüren, indem sie von Transferleistungen aus dem Westen und migrantischen Arbeitskräften abgeschnitten werden. Denn die Partei, die den ostdeutschen Lebensverhältnissen und der Wirtschaft am meisten schaden würde, ist eindeutig die AfD.
Die Karlsdorfer können es nicht wissen, weil sie dumm, wie Bohnenstroh sind. Aber wenn ihr geliebter Führer Höcke übernimmt, wird es richtig bergab gehen.
Die Doofen und die Tumben in den rechten Ossi-Dörfern werden in der Globalisierung nicht allein überleben. Es gibt nichts in Karlsdorf, wovon man leben könnte. Man scharrt sich stattdessen um die Nazis und den Pfaff.
Und was predigt so ein Ossi-Pfaff? Nazi-Zeug.
[…..] Pfarrer Achijah Zorn ist gerade in Vertretung für Karlsdorf zuständig. […..] Fragt man ihn nach einem Statement zur Situation im Dorf, sagt er gleich, dass er auch für "Tichys Einblick" schreibe und seine Antworten daher eher aus dem "liberal-konservativen Umfeld" kommen würden. Andere Medien ordnen "Tichys Einblick" dem neurechten Spektrum zu. "Die Bürger in Karlsdorf sind politisch gut informiert und hoch interessiert", sagt der Pfarrer. "Gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk herrscht eine gesunde Distanz. Menschen im Osten erkennen durch ihre DDR-Sozialisation schneller staatsmediale Einseitigkeiten", ergänzt er. Er als Westdeutscher erlebe die Stimmung im Osten aber als erfrischend: "Das Thema Frieden spielt eine viel größere Rolle als im Westen."
Auch aus seiner Sicht liefern vor allem bundespolitische Themen den Gesprächsstoff. Die Bewohner seien genervt von Robert Habeck und Anton Hofreiter, aber auch von der Corona-Politik. Nach seiner Einschätzung gibt es im Dorf genügend Möglichkeiten, mit den unterschiedlichsten Menschen in Kontakt zu kommen. In Karlsdorf "ist bestimmt auch genügend besprochen worden, dass es mittlerweile zwei neue alternative Parteien gegenüber den Altparteien gibt." […..]
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