Montag, 16. September 2024

Kollektive Erkenntnisresistenz

Es gibt jede Menge dieser motzig-trotzigen Typen, die in Straßenumfragen, konservativen Meinungsartikeln und der Social-Media-Welt empört verkünden, sie ließen sich sicher nicht von einem Robert Habeck oder einer Ricarda Lang (zumal die auch noch so dick ist!) vorschreiben, wie sie heizen sollten. Ihr Häuschen hätten schließlich schon die Eltern/Großeltern bewohnt und die hätten auch immer mit Öl geheizt, ohne daß die Welt davon unterging. Was ein ganzes Leben lang richtig war, könne ja wohl nicht auf einmal falsch sein, nur weil woke Grüne das mit ihrem Vorschriftenwahn so wollten.

Auf solche Klagen gibt es nur eine Antwort: DOCH!

Es ist tatsächlich der unverantwortliche Ressourcenverbrauch von Oma und Opa, von Mama und Papa, der die Erderhitzung und damit den Klimawandel und damit auch die extremen Wetterphänomene auslöst.

Anders als der Idiot Friedrich Merz und die CDU und die CSU und die AfD und die FW und die FPÖ und der BSW und die FDP behaupten, geht Österreich JETZT unter.

[….] Am Samstagnachmittag sitzen drei Männer mit ihren Bierflaschen am Donauradweg im niederösterreichischen Tulln in einer Grillstube, während fünf Meter entfernt die Donau knapp unter Straßenhöhe mit rasender Geschwindigkeit braun und gurgelnd durch ihr Bett aus Stein und Beton tobt. Für das Wochenende ist in der Region eine Niederschlagsmenge vorhergesagt, die an wenigen Tagen so viel Wasser bringt wie sonst im ganzen Jahr; Stauseen wurden vorsorglich abgelassen, Wehre geöffnet.

Im Lagesicherheitszentrum der Feuerwehr in Tulln findet längst eine Krisensitzung nach der anderen statt. 50 Kilometer weiter nördlich sind kleinere Flüsse wie die Thaya und der Kamp nach einem Tag Regen bereits über die Ufer getreten, großflächige Überschwemmungen sind eine Frage der Zeit. Aber Christian, Robert und Peter, die ihre Nachnamen nicht in der Zeitung lesen wollen, philosophieren über das Wetter. Es werde ja immer vom dreißigjährlichen oder gar vom hundertjährlichen Hochwasser geredet, das jetzt komme, aber das sei ja nun wirklich alles Unsinn: „Man kann nicht mal das Wetter für drei Tage voraussagen. Und da wollen uns die Grünen erklären, wie es in 30 Jahren ist?“, fragt Christian, der unter einer Wärmelampe im Trockenen sitzt, während auf der Minigolfanlage vor der Tür ein Starkregen niedergeht. „Was ist Klima, was ist Wetter – das ist eine ewige Frage“, sinniert Robert, der sich mit Hochwasser auskenne, sagt er, weil er bei der freiwilligen Feuerwehr ist und schon bei früheren Krisenlagen Sandsäcke geschleppt habe. 2002, erinnert er sich, habe es das letzte echte Hochwasser im niederösterreichischen Tulln gegeben, bis heute könne man am Römerturm die Wasserstandsmarke von damals sehen. „Aber so schlimm wird das nicht mehr.“

So schlimm wird es dann doch. Und noch schlimmer. Österreich ist am Wochenende im Ausnahmezustand. „Dramatische Zuspitzung der Lage“, titeln die Zeitungen. Am Sonntag wird daher nicht nur die 17 000-Einwohner-Gemeinde Tulln, sondern gleich das ganze Bundesland zum Katastrophengebiet erklärt. Die Landesregierung in St. Pölten fordert das Bundesheer an, ein Feuerwehrmann ist bereits im Dienst ums Leben gekommen, entlang von zahlreichen Donauzuflüssen werden ganze Dörfer evakuiert, Zugstrecken gesperrt. Man habe, heißt es, in der Landeshauptstadt St. Pölten schon jetzt den Monat mit dem meisten Niederschlag in der Messgeschichte zu vermelden.   […..]

(Cathrin Kahlweit, 16.09.2024)

Etwas, das früher immer so gemacht wurde, ist deswegen nicht richtig.
Einer meiner Professoren, der eine Vorlesung über angewandte organische Chemie hielt, pflegte zu erzählen, daß er sich als Student immer die Hände mit Benzol abgewaschen hätte. Ein wunderbares Lösungsmittel, das alle klebrigen Rückstände und Gerüche von den Fingern abbekam.

Wir hingegen mussten uns mit Wasser und Seife und ein wenig Ethanol begnügen, obwohl der Alkohol organische Rückstände weit weniger gut ablöst. Das lag aber nicht daran, daß irgendwelche Sesselpuper in uns das Leben schwer machen wollten, sondern weil Benzol krebserregend ist. Solange man das nicht ahnte, hat man es bedenkenlos verwendet. Seit man es weiß, logischerweise nicht mehr.

Man hat im großen Maßstab das 1954 entwickelte Thalidomid als Schlafmittel verschrieben, bevor man wußte, daß dieses unter dem Handelsnamen „Contergan“ berüchtigt gewordene Molekül, massive Missbildungen bei Kindern auslöst.

Das faserige Silkat-Mineral Asbest wurde weltweit als Wundermaterial verbaut: Es dämmt hervorragend, brennt nicht, stabilisiert Beton, widersteht Extremtemperaturen und chemischen Attacken. Daher eignen sich Asbestfasern bestens für Schutzkleidung oder Beschichtung aller erdenklichen Werkstoffe.

Aber seit einem halben Jahrhundert weiß man auch sicher, wie krebserregend Asbestfasern sind und betreibt weltweit einen enormen Aufwand, um asbesthaltige Materialien zu entfernen, obwohl das extrem teuer und lästig ist.

Als Teenager befürchteten wir, ein FCKW-Verbot könnte unserem geliebten extra stark festigenden Haarspray den Garaus machen, obwohl das doch seit Jahrzehnten verwendet wurde und nur so unsere 80er Jahre Trendfrisuren hielten.

Aber es half nichts; der Zusammenhang zwischen der gewaltigen Emission Fluor-Chlor-Kohlenwasserstoff-Treibgase und dem Entstehen von Ozonlöchern, die wiederum dazu führten, daß tödliche Mengen UV-Strahlung auf die Erde geraten, die Hautkrebs auslösen, war nun mal bewiesen. Natürlich wurde gejammert von den betroffenen Firmen. Eine Industrie, die gut verdient, will nichts ändern. Daher wurde auch die Autokatalysator-Pflicht heftig bekämpft, denn dafür mussten die Bleizusätze aus dem Benzin entfernt werden.

Die Grünenthal GmbH in Stolberg stellte auch nicht freiwillig die Produktion ihres Bestseller Contergan ein, mit dem sie so schön verdient hatten.

ABER ES NÜTZT JA NICHTS!

Wenn die Menschheit klüger wird, muss sie auch Konsequenzen daraus ziehen.

Deswegen fahren neue Autos nicht mehr ohne Airbag, wir lassen Kleinkinder nicht mehr unangeschnallt auf dem Fahrersitz hocken und blasen ihnen nicht ununterbrochen Zigarettenrauch in die Nase. Wir nehmen kein Kokain mehr als Geschmackszusatz für Limonade und kein Heroin mehr als Wirkstoff im Kinderhustensaft. Jahrhunderte hindurch wußten Gelehrte und Mediziner die ideale Therapie bei allen Infektionen und organischen Erkrankungen: Aderlass! So viel Blut aus dem Körper ziehen, wie möglich, damit die „bösen Säfte“ nicht mehr den Körper vergiften.

Nachdem die Curies 1898 Radium entdeckten, wurde es schnell populär, weil es so schön leuchtete. Es galt daher als gesund und vitalisierend. Es gab Radiumbäder, Radiumkosmetika. Als nach der Staatsgründung Israels viele Waisenkinder dort eintrafen, die nach den schrecklichen Fluchtbedingungen von Läusen befallen wurden, legte man ihnen radioaktives Erz auf den Kopf, weil davon so wunderbar sauber alle Haare ausfielen. Das machte man aber nicht mehr, nachdem auffiel, wie viele Kinder später Hirntumore bekamen.

Omas Küchentricks sind sagenumwoben; daher gibt es eine ganze Buchgattung „Was Oma noch wußte“ mit lauter mehr oder minder genialen Kniffen.

Aber nur weil die vor längerer Zeit lebten, war nicht automatisch alles besser und richtig.

Bis heute bewundern wird kollektiv „die Trümmerfrauen“, die Deutschland wieder aufbauten. Angesichts des Narrativs von der arbeitsscheuen GenZ, die als nicht belastbar gilt und immer von „Work-live-Balance“ redet, wird gern drauf hingewiesen, was Oma und Opa früher tun mussten. Mit bloßen Händen Trümmer weggeräumt, ohne zu jammern.

Aber wieso sagt bei all der Trümmerfrau-Bewunderung niemand das Naheliegende: Dieselben Idioten-Ommas waren es, die Europa erst in Schutt und Asche gelegt hatten. Deswegen sollten wir lieber nicht, unkritisch alles hinnehmen und autoritäre Parteien wählen, die MAGA-artig eine Rückkehr ins Gestern versprechen und wie Bernd Höcke den starken Hitler-Mann markieren.

Wie Oma und Opa heizten, reisten, bauten, rauchten war eben nicht gut.

Es mag schmerzlich sein, weil wir unsere Großeltern lieben. Aber die haben Mist gebaut.

Der Klimawandel ist real und muss bekämpft werden. Zumindest, wenn wir überleben wollen. Aber vielleicht interessiert die Wähler der Liberalen, Rechten, Konservativen und Rechtspopulisten ihr eigenes Überleben tatsächlich nicht.

[….] In den Fernsehstudios Österreichs sitzen nun Meteorologen und versuchen, den Menschen zu erklären, wie das möglich ist. Zuerst wochenlange Hitze, Rekordtemperaturen. Und jetzt die Sintflut. Seit Tagen schüttet es, ganze Bundesländer stehen unter Wasser. Eine Auswirkung des Klimawandels? „Kurze Antwort: Eindeutig ja“, sagte ein Wetterexperte im ORF.

Österreich steht aber nicht nur knietief im Wasser, sondern auch vor einer Wahl. Am 29. September entscheidet das Land über ein neues Parlament, da schwillt die Debatte an, ob es wahr sein kann, dass ausgerechnet die FPÖ die meisten Stimmen erhält – die Partei, für die nicht der Klimawandel eine Bedrohung darstellt, sondern die Klimapolitik. Die vor „Klimahysterie“ warnt und CO₂-Bepreisung eine „Umerziehungssteuer“ nennt.

Die rechtspopulistischen Kollegen von der AfD in Brandenburg dürften heilfroh sein, dass vor ihrer Landtagswahl am kommenden Sonntag die Wassermassen gerade so einen Bogen gemacht haben um ihr Bundesland. Auch dort steht im Wahlprogramm das Wort „Klimahysterie“ sowie der Satz „Das Klima lässt sich nicht schützen“.  FPÖ und AfD sind in ihren Ländern die einzigen relevanten Parteien, die den wissenschaftlichen Konsens zur Erderwärmung ablehnen. Der lautet grob: Treibhausgase wie Kohlendioxid (CO₂) oder Methan (CH₄) lenken die Wärmestrahlung der Sonne ab und halten sie so länger in der Atmosphäre. Steigt die Konzentration der Gase, führt das zu mehr Wärme. Beim Fördern und Verbrennen von Kohle, Erdgas und Erdöl entweichen CO₂ und CH₄, weshalb der Mensch die aktuelle Erderwärmung verursacht. Studien belegen, dass sich praktisch alle relevanten Klimainstitute der Welt hinter diesen Konsens versammeln. Selbst der amerikanische Erdölkonzern Exxon Mobil hat in den 1970er-Jahren diese Zusammenhänge erforscht.

Doch FPÖ und AfD sagen: Nö! Der Bundesfachausschuss Klima und Energie der AfD stellt den Konsens komplett infrage. Er zweifelt die Messdaten an, die einen erhöhten CO₂-Gehalt und eine erhöhte Erdtemperatur feststellen. Vorhergesagte Auswirkungen wie häufigere und stärkere Extremwetterereignisse seien nicht zu beobachten, schreibt der Ausschuss auf Anfrage der Süddeutschen Zeitung. Sein Fazit: „Ein Notstand, welcher akuten Handlungsbedarf erzeugt, existiert schlicht nicht.“ [….] Christoph Richter, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft (IDZ) in Jena, das seit Jahren zu Rechtspopulismus und Klimawandel forscht, beobachtet eine Radikalisierung. Die AfD habe sich in ihrer Klimapolitik zunehmend extrem aufgestellt und ihre Positionen zu einem Bestandteil ihrer gesamten politischen Agenda gemacht. „Hier greifen ideologische Überzeugungen und strategische Abwägungen ineinander“, sagt Richter. Denn den wissenschaftlichen Befund abzulehnen oder anzuzweifeln, das sende mehrere Signale, die hervorragend ins Portfolio rechtspopulistischer Agenden passen. Etwa nach dem Motto: Die da oben, die korrupte Elite, will das Volk unten klein halten und ausbeuten. Von der angeblichen „Umvolkung“ durch Migration über die vermeintliche Corona-Diktatur geht’s da geradewegs zur erfundenen Klimadiktatur.

Angesprochen auf den Klimakonsens der Wissenschaft, sagte etwa der sächsische AfD-Vorsitzende, Jörg Urban, im Sender Sachsen Fernsehen: „Wir wissen, dass Wissenschaft käuflich ist.“ Und da Forschung größtenteils mit Steuergeld finanziert sei, käme am Ende eben das raus, was die Politik hören wolle. [….]  Die Analyse vieler Experten, dass die größte Bedrohung für Fauna und Flora gerade die schnelle Erderwärmung sei? Egal. Die österreichische Zeitung Standard titelte am Samstag: „Österreicher wählen Klimaleugner, auch wenn sie dabei untergehen“.  […..]

(Thomas Hummel, 16.09.2024)

Wenn diese Leute nicht den bösen Grünen und den „sogenannten“ Wissenschaftlern folgen wollen, können sie ja auch wieder Radiumerz auf die Birne legen, statt sich zu rasieren, Asbest an ihre Zimmerdecke sprühen und abends gemütlich mit ein paar Contergan-Pillen schlafen gehen.

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