Sonntag, 22. September 2024

Die Macht der Leihstimme

Es ist für mich die beste Nachricht des Tages: Lindners Katastrophengang kann ihre viel zu guten Ergebnisse von Sachsen (0,9%) und Thüringen (1,1%) nicht halten und sinkt hochverdient endlich unter die Messbarkeitsgrenze. FDP-General Bijan Djir-Sarai bleibt hartnäckig erkenntnisresistent und verspricht, wie in jeder Berliner Runde seit 2021, die Ursachen für die Wählerflucht weiter auf die Spitze zu treiben. Die Wähler hassen die FDP für das Blockieren und Quertreiben in der Ampel, geben ihr deswegen jedes Mal noch weniger Stimmen und die hepatitisgelben Bumsköppe ziehen daraus die Konsequenz, noch mehr zu blockieren und querzutreiben.

Eine Schande, wie eine miese kleine Millionärslobbypartei eine gesamte Bundesregierung ruiniert. Aber wenigstens begehen sie damit auch Seppuku und schießen sich gezielt aus jedem deutschen Parlament.

Die Putin-affinen und Wissenschaft-negierenden Extremossis sind auch in Brandenburg gruselig stark und holten bei der heutigen Landtagswahl bei einer Rekordwahlbeteiligung zusammen 43% der abgegebenen Stimmen.

Aber, wie auch schon bei vorherigen Ossi-Landtagswahlen, bei denen die Nazis stärkste Partei zu werden drohten, gibt es vernünftige Menschen des demokratischen Spektrums, die bereit sind, die stärkste Nicht-AfD-Partei zu wählen, um genau das zu verhindern. Das klappt nicht immer – Schande Thüringen – aber immerhin in Sachsen und Brandenburg. Hier waren es erwartungsgemäß Grüne, Linke und Nichtwähler von 2019, die nun den SPD-Spitzenkandidaten wählten.

Die CDU holte bei den beiden Landtagswahlen vor drei Wochen, im Gegensatz zu den von Linnemann und Merz verbreiteten Lügen, deutlich über die Hälfte ihres Ergebnisses durch Leihstimmen, um die AfD zu verhindern. In Sachsen waren es 52 Prozent der Befragten. Und in Thüringen sogar 55 Prozent.

Auch der Brandenburgische CDU-Spitzenkandidat begriff das nicht, versuchte wie seine Parteioberen, die Nazis rechts zu überholen und landete einen kapitalen Bauchklatscher.

[….] Die CDU, die mit Jan Redmann endlich die SPD-Tradition im Land brechen wollte, bekommt gut 20 Prozentpunkte weniger als die SPD, nachdem die Parteien zwischenzeitlich im Sommer gleichauf lagen. Härter hätte die Abfuhr nicht ausfallen können.  [….]

(SPON, 22.09.2024)

Die Wähler wandern dann – wie immer – gleich zum Original. Die Merzisten und Söderisten sind diesbezüglich genauso erkenntnisresistent, wie Djir-Sarai. Sie pöbeln noch migrantenfeindlicher und machen die AfD immer stärker.

[……]  Die Gesellschaft spalten, mit immer schärferen Aussagen und Zitaten. Wie nah ist die Union damit schon dran an der AfD?

Christina Baum (AfD), Mitglied des Bundestages, 04.09.2021: "Die Schäden dieser Zuwanderung aus fremden Kulturen sind irreversibel. Zitat: Wer halb Kalkutta rettet, aufnimmt, Entschuldigung, wer halb Kalkutta aufnimmt, der rettet nicht Kalkutta, der wird selbst Kalkutta."

Jens Spahn (CDU), stellv. Fraktionsvorsitzender, 27.08.2024:"Wer ganz Kalkutta aufnimmt, halb Kalkutta aufnimmt, der hilft nicht Kalkutta, der wird irgendwann wie Kalkutta. Ich weiß gar nicht, ob man das heute noch sagen kann wie Peter Scholl Latour, aber es beschreibt natürlich das Phänomen, dass wir seit einigen Jahren in Deutschland sehen – das fängt ja schon beim Hauptbahnhof in Hamburg, wo ich gerade angekommen bin – an. Es hat sich was verändert im Land."

Maximilian Krah (AfD) Mitglied des Europäischen Parlaments 15.09.2023: "Selbst wenn man heute in Merseburg umsteigt – von Halle rede ich gar nicht – man die Frage hat, ist das noch unsere Heimat?"

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern, CSU-Vorsitzender, 02.09.2024: "In vielen deutschen Vorstädten fühlt sich der eine oder andere gar nicht mehr daheim, ist nicht mehr ganz sicher, in welchem Land er eigentlich lebt."

Björn Höcke (AfD), Fraktionsvorsitzender Thüringen, 06.11.23: "Mit der Flutung unseres Landes mit kulturfremden Menschen, die niemals ein zu Hause finden können, wollen Sie uns am Ende auch unsere kulturelle Identität nehmen."

Markus Söder (CSU), Ministerpräsident Bayern, CSU-Vorsitzender, 02.09.2024: "Das ist unser Land, meine Damen und Herren. Und unser Land muss von uns geprägt und geführt werden, liebe Freundinnen und Freunde."

Deutschland nicht mehr deutsch genug? Übernimmt die Union gerade Positionen der extremen Rechten? Für den Politikwissenschaftler Thomas Biebricher haben die Aussagen aus CDU und CSU jedenfalls eine neue Qualität.

Prof. Thomas Biebricher, Politikwissenschaftler, Goethe-Universität Frankfurt: "Dass es tatsächlich um die Frage von einer kulturellen Überfremdung geht, also dass gesagt wird, es ist ausdrücklich ein Problem, dass Menschen aus Räumen, die nicht unsere Kultur teilen, sozusagen die unserer Kultur fremd sind, dass die hier sind. Und all das kennt man aus radikal rechten Diskussionen eigentlich."

Rechter Kulturkampf befeuert von CDU und CSU? In der Migrationspolitik stellen Unionspolitiker selbst Europarecht zur Disposition.

Jens Spahn (CDU), stellv. Fraktionsvorsitzender, 27.08.2024: "Wir sollten EU-Recht an dieser Stelle dann auch mal aussetzen und sagen, an unserer Grenze geht es nicht mehr weiter."

Die Partei von Adenauer und Kohl, die eine zentrale Rolle bei der Europäischen Einigung gespielt hat, will wieder Grenzen schließen? [……] 

Lassen sich Wähler von Parteien wie der AfD zurückgewinnen, wenn etablierte Parteien – wie die CDU – in ihren Positionen immer weiter nach rechts rücken? In einer Studie zu dieser Frage haben Wissenschaftler über hundert Wahlen in Europa analysiert. Und die Strategien der etablierten Parteien mit Blick auf extrem rechte Parteien untersucht. Der Politikwissenschaftler Werner Krause ist einer der Studienautoren, mit seinen Kollegen ist er zu einem eindeutigen Ergebnis gelangt.

Werner Krause, Politikwissenschaftler, Universität Potsdam. "Was wir beobachten können, ist, dass diese Verschiebungen nach rechts nicht dazu führen, dass Rechtsaußenparteien in ihrer Wähler:innenunterstützung geschwächt werden. Vielmehr – wenn überhaupt – können wir beobachten, dass im Zweifel sogar der rechte äußere Rand noch weiter gestärkt wird."

Konservative Parteien in anderen europäischen Ländern sind so schon gescheitert. In Frankreich waren Teile der Konservativen zu einem Bündnis mit dem extrem rechten Rassemblement National bereit. Bei den Wahlen landeten sie weit abgeschlagen hinter den radikalen Rechten. In Österreich hat die konservative ÖVP schon gemeinsam mit der extrem rechten FPÖ regiert. Vor den anstehenden Wahlen ist die FPÖ in Umfragen die stärkste Partei. In den Niederlanden hatten sich die Konservativen in der Migrationspolitik stark an den Rechtspopulisten Geert Wilders angenähert – die Wahlen gewonnen hat dann Wilders. Die Union aber ist offenbar überzeugt, dass es in Deutschland anders läuft. [……] 

Carsten Linnemann (CDU), Generalsekretär, 01.09.2024: "Also, wenn ich die Zahlen sehe, dann sehen wir heute eine echte verbliebene Volkspartei (...) Wir sind das Bollwerk."

Die Union als Bollwerk gegen rechts? Weil die AfD ohne die Stärke der CDU noch mehr Wähler hätte? Konnte die CDU der AfD also Stimmen abjagen? Die Wählerwanderungen bestätigen das zumindest nicht. In Sachsen sind von allen Parteien Wählerstimmen zur CDU gewandert, nur nicht von der AfD. Im Gegenteil, die CDU hat hier 44.000 Stimmen an die AfD verloren. In Thüringen sah es ähnlich aus. Dazu kommt, in einer repräsentativen Befragung in der Woche der Wahl stimmt die Mehrheit der CDU-Wählenden der Aussage zu:

Zitat: "Ich wähle nur CDU, damit die AfD nicht zu viel Einfluss bekommt."

In Sachsen waren es 52 Prozent der Befragten. Und in Thüringen sogar 55 Prozent.

Prof. Thomas Biebricher, Politikwissenschaftler, Universität Potsdam: "Dass man also so eine riesig hohe Zahl an Leihstimmen ja mehr oder weniger gekriegt hat, bedeutet natürlich auch im zweiten Schritt, dass man all diese Stimmen mit einem weiteren Radikalisierungskurs natürlich nicht mehr haben wird. Eben weil die Leute ja sagen, wir wählen euch, weil ihr anders seid noch als die AfD. In dem Moment, wo man sich immer stärker an die AfD assimiliert, gibt es keinen Grund mehr, die CDU dafür zu wählen." [……] 

(MONITOR, 19.09.2024)

Nicht nur AfD und BSW sind eine Gefahr für Frieden und Demokratie. Auch FDP und die C-Parteien gießen fleißig Öl ins populistische Feuer. Sie scheuen sich nicht davor, zur Gewalt anzustacheln und insbesondere so gezielt gegen Migranten und Grüne zu hetzen, daß diese immer mehr physisch angegriffen werden.

CSU toxisch

[….] Dieses Dämonisieren und auf eine Weise lächerlich machen, als gehörten die nicht mehr zum legitimen und demokratischen politischen Spektrum, das ist Identitätspolitik, das ist Kulturkampf und das hat schon eine zersetzende Wirkung. [….]

(Melanie Amann, stellvertretende Spiegel-Chefredakteurin, über die CSU)

CDU und CSU sind eine Schande für Deutschland und werden sich noch wundern. Ja, sie werden mutmaßlich die Ampel zerstören und ihren 70-Jährigen Brausekopf ohne jede Regierungserfahrung ins Kanzleramt bringen.

Aber auch Friedrich, der Braune wird dann Regierungspartner brauchen, 600 Milliarden Euro für Infrastruktursanierungen ohne Schuldenbremse und Reichensteuer auftreiben müssen, mit realem Klimawandel konfrontiert sein, eine von 12 Jahren CSU und 4 Jahren FDP völlig kaputtgesparte Bahn, sowie digitale Rückständigkeit und eine von 16 Jahren CDUCSU nahezu irreversibel zerstörte Bundeswehr vorfinden.

Insbesondere werden die migrantophoben Unionshetzer feststellen, dringend auf Migranten angewiesen zu sein.  Und zwar überproportional im Osten der Republik, wo die Bürger weniger qualifiziert sind, so daß sie beispielsweise ihre Gesundheitsversorgung unter keinen Umständen mit „Biodeutschen“ bewerkstelligen können.

Das Problem wird nicht sein, Migranten zu vertreiben, sondern Migranten anzulocken. Aber wieso sollten die noch in die blaunen Landstriche kommen?

Die CDUCSU versündigt sich an Deutschland,  Europa und dem Frieden.

[….] Lasst die Grenzen offen!

Die Bundesregierung hat temporäre Grenzkontrollen eingeführt, die Union will dauerhafte. Damit begeht die deutsche Politik Verrat an Europa – und vergisst ihre historische Verantwortung.  [….]  Die Mütter und Väter des Grundgesetzes proklamierten in der Präambel zudem den Willen des deutschen Volkes, »in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen«. Es waren mit Konrad Adenauer und Helmut Kohl nicht zuletzt zwei CDU-Vorsitzende, die dieses Ziel konsequent umsetzten.

Ihr Nachfolger Friedrich Merz setzt dagegen auf Abschottung. »Wir müssen die Kontrolle über unsere Außengrenzen zurückgewinnen«, sagte er Ende August. Die AfD dürfte das gefreut haben. Ausgrenzung von Menschen mit Migrationsgeschichte ist ihr ureigener Markenkern. Historische Verantwortung kennt sie hingegen nicht. Europas Einigungsprozess lehnt sie ab.  […..]

(Felix Bohr, 19.09.2024)

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