Natürlich sind auch die weinenden, verletzten, blutenden, von Trümmerstaub bedeckten Waisenkinder, die mir in meiner Social-Media-Blase präsentiert werden, Teil einer perfiden Israel-feindlichen, islamistischen Propaganda.
Natürlich ist es in Wahrheit eben nicht so einfach: Gaza-Bewohner=arme Opfer; Israelis=böse Täter.
Die Zusammenhänge sind wesentlich komplexer und man kann durchaus argumentieren, daß die gequälten Kinder von Gaza, eher Opfer der Hamas sind.
Die eindeutig Guten gibt es schon lange nicht mehr.
In Deutschland, in den USA, ist es leicht. CDUCSUAFDPBSW sind schlecht, Grüne, Linke, SPD gut. Republikaner schlecht, Demokraten gut.
Aber im Krieg geht der simple Luxus der Eindeutigkeit verloren. Das liegt unter anderem natürlich an den nicht verifizierbaren Angaben aus Gaza. Dort gibt es keine unabhängigen Journalisten, die durch die Gegend streifen, Interviews führen und sich ein objektives Bild verschaffen. Wir haben nur die Aussagen der Hamas, subjektive Berichte einiger weniger Hilfsorganisationen, die offizielle Sicht der Israelischen Armee und eben die Flut der Horrorbilder von Kinderleichen in Trümmerlandschaften, die selbstverständlich unsere tiefste Empörung triggern, aber nicht professionell eingeordnet sind.
Oft ist das gar nicht möglich; gelegentlich stellt sich heraus, daß die Videoschnipsel aus anderen Gegenden der Welt stammen oder schon Jahre alt sind. Dadurch ist eine vom Bombensplittern zerrissene Kinderleiche nicht weniger tot und das Leid der Angehörigen nicht weniger real.
Aber die Schuldzuweisung funktioniert womöglich nicht so, wie man zunächst glaubt.
95% der Accounts, denen ich auf Facebook und Instagram folge, sind ohnehin politischer Natur. Aber bei den wenigen anderen (Popstars, Sportler, Influencer, Schauspieler) ärgere ich mich extrem über die verpasste Gelegenheit, mit deren Reichweite gegen Trump und Merz Stellung zu beziehen. Viele rühren offenbar aus pekuniären Gründen keine politischen Themen an. Wer Millionen Follower hat, verdient damit viel Geld. Offenkundig siegt meistens die Befürchtung, zahlende Follower zu verlieren, über die Moral.
Es gibt einige superprominente Namen, die politisch Stellung beziehen – Barbra Streisand, Tom Hanks, George Clooney, Taylor Swift, Bette Middler, Susan Sarandon, Meryl Streep. Sie fallen natürlich auf, weil sie so extrem bekannt sind. Aber dadurch entsteht der falsche Eindruck, einer politisch engagierten Showbiz-Klasse. Die allermeisten Promis übertreten hingegen nie die Ebenen und halten sich peinlich fern von allen Kontroversen.
Umso mehr staune ich, daß vergleichsweise viele derjenigen, die nichts zu Trump und Höcke zu sagen haben, die es smart finden, zu behaupten „ich bin die Schweiz“, bei Gaza eine Ausnahme machen, ihre Hasenfüßigkeit vergessen und drastisch Position wider Israel beziehen.
Bilder wirken. Zunehmend auch bei Juden der Diaspora.
[….] Seit dem Überfall der Hamas auf Israel ist ein Jahr vergangen. Die jüdisch-progressive Organisation IfNotNow hat deshalb zu Gedenkveranstaltungen geladen, in New York und parallel in fünf anderen amerikanischen Städten. Gemeinsam mit anderen linken jüdischen Gruppen wollen die Aktivisten der getöteten Zivilisten in Israel und den nach Gaza entführten Geiseln gedenken, aber auch jener Menschen, die in dem dann folgenden Krieg bei israelischen Angriffen in Gaza, im Westjordanland oder im Libanon ums Leben kamen. Eine Sprecherin verliest die Forderungen von IfNotNow: ein Stopp der US-Waffenlieferungen an Israel und ein Deal, der die Waffen zum Schweigen und die verbliebenen Geiseln nach Hause bringen soll. Die Lösung: „Free them all“.
Die jüdische Gemeinschaft in New York ist überdurchschnittlich progressiv und links geprägt. Doch hier verdichtet sich dieser Tage, was sich auch in anderen Landesteilen beobachten lässt: Besonders jüngere Jüdinnen und Juden – wie jene, die sich bei IfNotNow engagieren – fordern das liberal-konservative Establishment ihrer Elterngeneration heraus und dessen traditionelle Unterstützung für den Staat Israel. Während sich die Älteren noch an das hart umkämpfte Israel erinnern, das sich als Heimstätte verfolgter Juden gegen seine arabischen Nachbarstaaten behaupten musste, hat die jüngere Generation ein anderes Bild: das eines hochentwickelten Israels, in dem die extreme Rechte Auftrieb hat und das seine Grenzen auf Kosten der Palästinenser ausdehnt. Eine Umfrage unter amerikanischen Jüdinnen und Juden ergab 2021, dass fast 40 Prozent der Befragten unter 40 Jahren der Aussage zustimmen, Israel sei ein Apartheid-Staat. 30 Prozent der jüngeren Befragten sagten schon damals, Israel begehe einen Völkermord an den Palästinensern. Auch ändert sich die Meinung zu Israel je nach Parteizugehörigkeit. Im März vergangenen Jahres ergab eine Umfrage des Gallup-Instituts erstmals, dass Demokraten eher mit den Palästinensern als mit den Israelis sympathisieren (49 zu 38 Prozent). [….]
Dieser schleichende Meinungsumschwung wird inzwischen zu einem gewaltigen Problem für Kamala Harris. Sie steht in einem unerträglichen Spannungsfeld aus empörten Angriffen von ganz rechts, den Evangelikalen, Katholiken, aber auch traditionellen Demokraten, die ihr vorwerfen, Israel im Stich zu lassen. Auf der anderen Seite stehen die Jungen, die Progressiven, die jede Solidarität mit dem ihrer Meinung nach „Apartheidstaat Israel“ ablehnen und durchaus auch verschwörungstheoretisch über den angeblich zu großen Einfluss von Juden aus Harris‘ Umfeld raunen: Ihr Ehemann ist Jude; genau wie Senatsschef Chuck Schumer, Außenminister Blinken oder der wichtige Senator Bernie Sanders.
Kamala Harris wird als Antisemitin beschimpft, die aber viel zu projüdisch wäre.
All diese paradoxen Attacken beziehen Position und suggerieren, man dürfe nur die eine Seite unterstützten, damit diese siege und Frieden erlangt werden könne.
Dabei gibt es weder eine homogene palästinensische, noch eine homogen Israelische Seite. Beide Gruppen sind auch untereinander zutiefst zerstritten. Es gibt auch keine klaren Frontlinien. Die Siedler haben jede Grenzziehung unmöglich gemacht.
Und ganz sicher gibt es auf beiden Seiten keine Autorität, die bei einem Sieg das friedliche Überleben der Verlierer garantieren könnte. Da ist kein Nelson Mandela vorhanden.
Der Konflikt ließe sich meines Erachtens nur mit einer gewaltigen neutralen UN-Besatzermacht befrieden. 10 Millionen Blauhelme mit unendlichen Ressourcen, die vom Sinai bis Syrien alles kontrollieren. Mit anderen Worten; ein ausgeschlossenes Szenario.
Der Nahost-Konflikt ist toxischer als alle anderen, weil alle drei abrahamitischen Weltreligionen dort ihr Wurzeln haben und kräftig mitmischen.
Friede, Toleranz und Religion schließen sich aber grundsätzlich aus.
Die „Lösung“ des Nahost-Konflikts scheitert aber auch am fehlenden Personal an der Spitze. Keine Mandelas, keine Rabins, keine Sadats weit und breit.
Der Konflikt ist unlösbar. Das Einfrieren, das „handlen“ der Palästina-Frage, wie es Bibi zehn Jahre versuchte, scheiterte ebenso offenkundig, wie die rohe kriegerische Gewalt.
Abstruserweise wird von Kamala Harris aber genau das verlangt: Sie möge doch bitte mal schnell eine „Israel-Strategie“ vorlegen und den Wählern erklären, wie sie für Frieden in Nahost sorgen wolle. Was für eine irrsinnige Paralleldiskussion.
Dabei hatte doch Trumps wichtigster Mann und Schwiegersohn Jared Kushner ganze vier Jahre als offizieller Bevollmächtigter der US-Regierung Zeit, um für Frieden in Nahost zu sorgen. Tatsächlich goss die Trump-Regierung mit der Jerusalem-Entscheidung und dem aberwitzigen Ausstieg aus dem Iran/Atom-Abkommen Benzin ins Feuer. Inzwischen ist der Iran auch offizielle Konfliktpartei und bombardiert Israel direkt.
Biden und Harris und Blinken und Austin können nichts Gutes mehr erreichen. Sie können höchstens noch ein paar ganz schlechte Entwicklungen aufhalten und auch das wird ihnen in den USA schaden.
[….] Es ist die wohl deutlichste Warnung der US-Regierung an Israel seit Kriegsbeginn. In einem geleakten und am Dienstag veröffentlichten Brief an die israelische Führung droht Washington mit einer Einstellung der Waffenlieferungen, ohne die der Verbündete den Krieg nicht mit gleicher Intensität weiterführen könnte. Binnen 30 Tagen soll Israel sein Vorgehen und die humanitäre Situation im Gazastreifen deutlich verändern.
Ungewöhnlich detailliert listet das Schreiben eine umfassende Kritik auf. Die Armee habe 1,7 Millionen Menschen in dem „extrem überfüllten“ Küstengebiet al-Mawasi zusammengedrängt, wo sie tödlichen Infektionskrankheiten ausgesetzt seien. Soldaten hätten fast 90 Prozent der humanitären Missionen zwischen Nord- und Süd-Gaza be- oder verhindert. Das Volumen von Hilfslieferungen sei im September auf den niedrigsten Stand binnen eines Jahres gefallen.
Damit verbunden ist eine Reihe von Forderungen: So soll Israel mindestens 350 Lkw-Ladungen mit Hilfsgütern pro Tag in den Gazastreifen lassen und humanitäre Pausen einhalten, um diese zu verteilen. Die Menschen in al-Mawasi müssten vor dem Einbruch des Winters ins Inland umsiedeln können. Eine Zwangsvertreibung der Bewohner des nördlichen Küstenstreifens soll ausgeschlossen werden. Andernfalls droht eine Prüfung, ob die Militärhilfe noch im Einklang mit US-Gesetzen stehe.
Die israelische Armee ist auf die Waffenlieferungen angewiesen: Die Munition für das Raketenabwehrsystem Iron Dome kommt ebenso aus den USA wie die bunkerbrechenden Bomben, mit denen Hisbollah-Chef Hassan Nasrallah im September in Beirut getötet wurde. [….]
Was für ein Dilemma. Washington kann natürlich nicht einen Israelischen Staat mit den Waffen versorgen, die verwendet werden, um in einer Woche viermal auf UN-Blauhelme zu schießen.
Aber Washington kann auch nicht nicht die Waffen liefern, damit riskieren, daß Israel unterliegt, ohne daß Trump dann Präsident wird.
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