Montag, 14. Oktober 2024

Die Guten gibt es nicht

Wie ich vorgestern bereits andeutete, war der vorletzte Pressclub zum Thema Pulverfass Nahost, sehr sehenswert.

Sebastian Engelbrecht vom Deutschlandfunk und Kristin Helberg von der ARD, beide zweifellos kenntnisreiche und seriöse Journalisten, vertraten drastisch unterschiedliche Ansichten zum Thema, was Israel darf und sollte und muss.

Für die einfach gestrickten Geister wird die Diskussion schnell ungemütlich, weil man nicht mehr klar definieren kann, wer Aggressor und wer Verteidiger ist.

In einem Weltkriegsfilm ist das immer so schön einfach: Die Deutschen sind (1939-1945) die Angreifer UND vertreten auch eine extrem toxische Ideologie. Das sind die Bösen. Französische Resistance, polnische Partisanen oder Rote Armee, die sich gegen die genozidal-Christliche DesLoVult-Wehrmacht wehren, sind eindeutig die Guten.

Im amerikanischen Bürgerkrieg 1861-1865 steht man an der Seite der Unionsstaaten gegen die zutiefst rassistischen Konföderierten, die für die Sklaverei stritten.

Im Vietnamkrieg 1955-1975 bezieht man gern Position für die auch von China und der Sowjetunion unterstützte Nationale Front für die Befreiung Südvietnams (NLF, „Vietcong“), weil Amerika mit den Südvietnamesen unfassbare Gräueltaten beging und die USA, ganz anders als zehn Jahre zuvor in Europa, absolut nichts in Vietnam verloren hatten.

Das gilt auch für den Koreakrieg 1950-1953, bei dem sich die USA als koloniale Besatzer gerierten.

Alle Europäischen Kolonialstaaten, christliche Conquistadores und päpstlichen Kreuzfahrer waren Kriegsverbrechermächte; jede regionale Befreiungsarmee hatte Recht und Moral auf ihrer Seite.

Aber die Guten bleiben leider nicht immer die Guten. Außerdem gibt es sehr Böse, die sich einer guten Sache annehmen. Auch Demokratien irren ganz fürchterlich bei der Wahl ihrer Alliierten. So unterstützten USA und CIA massiv von 1980-1988 Saddam Husseins Irak, sowie die Taliban und Mujahedin im Afghanistankrieg 1979-1989. In beiden Fällen marschierten sie einige Jahre nach Ende des Krieges selbst dort ein, um genau diejenigen, die sie aufgerüstet hatten, selbst zu bekriegen.

In beiden Fällen scheitere Washington dramatisch bei der Durchsetzung seiner Kriegsziele – ebenso wie schon zuvor in Korea und Vietnam.

Die ganz simpel gestrickten Geister gönnen George W. Bush die Niederlagen, wegen seiner Hybris und seiner Lügen. Aber die Sieger, die im Land blieben, nachdem die US-Truppen verjagt und die Kämpfe beendet waren – IS, das Kalifat, der Iran, die Taliban zum Beispiel – erwiesen sich als „Frieden in der Hölle“.

 In einem Jahrzehnte währenden Konflikt, wie in Israel und Palästina, haben a) beide Seiten so viel Unmoralisches verbrochen, daß man sie nicht mehr mögen mag. Außerdem sind b) beide Seiten so heterogen, daß eine moralische Parteinahmen ohnehin ausgeschlossen sind.

Bibi Netanyahu, Itamar Ben-Gvir, der Minister für öffentliche Sicherheit, Yitzhak Wasserlauf, der Minister für die Peripherie, Kulturminister Amihai Eliyahu, oder der rechtsextremer Finanzminister Bezalel Smotrich sind echte Verbrecher, die ich nur verachten kann. Das gilt auch für die fanatisch-aggressiven ultraorthodoxen Siedler im Westjordanland, die bis heute das Haupthindernis für den Frieden sind.

Aber den vielen säkularen Israelis in Tel Aviv, die jeden Tag gegen Bibi demonstrieren, den friedensbewegten Kibbuzniks, den jungen Festivalbesucher, die am 07.10.2023 von der Hamas abgeschlachtet wurden, gilt meine ganze Sympathie. Ich wünsche mir nichts mehr, als daß sich ihre Version eines liberalen, demokratischen, queerfreundlichen, technologieaffinen und religionsfernen Staates erfüllt.

Selbstverständlich hasse, verachte und verabscheue ich die Hamas-Kommandeure, die sadistisch, vergewaltigend und ultrabrutal möglichst viele Juden umbringen, weil es ihr religiöses Ziel ist. Diese skrupellose Hamas, die ihre Waffenlager in Schulen und Krankenhäuser legt und sich diebisch über viele tote palästinensische Kinder freut, weil sie damit Propaganda machen. Genauso gilt aber meine Sympathie allen friedlichen palästinensischen Händlern, Bauern und Handwerkern, die von Israelischen Siedlern drangsaliert und vertrieben werden; Myriaden Kindern, die in Gaza von israelischen Bomben zerfetzt werden.

Liebe junge queere Aktivisten und liebe US-Studenten, die nun in Israel die Wurzel allen Übels erkannt haben und ihr Herz für Hamas und Hisbollah entdecken:

Ihr seid echte Vollidioten, die als TikTok-Trottel viel zu verblödet und borniert seid, um irgendetwas beurteilen zu können. Hört Euch bitte genau an, was Bill Maher zu dem Thema Chappell Roan zu sagen hat.

Ich jedenfalls kann nicht pauschal Partei ergreifen für ein Volk oder eine Nation.

So leicht kann ich es mir nicht machen.

[…..] Das deutsche Image in der Welt ist davon geprägt, dass unter der adretten Bach-und-Beethoven-Fassade im 20. Jahrhundert die Bereitschaft von Millionen Bürgern schlummerte, ihre Nachbarn industriell ermorden zu lassen. Das ist der Hintergrund, weshalb manche Deutsche jetzt ganz besonders viel daransetzen, in den Besitz von jüdischen Freunden zu kommen. Zumindest von solchen zum Vorzeigen. Es ist auch der Hintergrund dafür, dass manche Deutsche wie zur Beruhigung eines tief sitzenden – und achtenswerten – Selbstmisstrauens die Entscheidung treffen, „an Israels Seite zu stehen“. Ganz gleich, was geschieht – Augen zu. Im Wissenschaftsministerium von Bettina Stark-Watzinger von der FDP erwog man in diesem Sinne sogar, kritischere Meinungen an Universitäten und Hochschulen zu sanktionieren.

Zugleich bildet diese deutsche Historie den Hintergrund dafür, dass – auf der anderen Seite – viele, sehr viele Landsleute ihre Kritik am Staat der Juden besonders lustvoll üben. In einer Intensität, die nach Obsession aussieht. Subtext: Die da unten in ihrem Judenstaat sind auch nicht besser als unsere Großeltern, also können die ruhig mal aufhören, uns hier mit ihrer vermeintlichen moralischen Überlegenheit zu nerven. „Was der Staat Israel heute mit den Palästinensern macht, ist im Prinzip auch nichts anderes als das, was die Nazis im Dritten Reich mit den Juden gemacht haben“: Dieser dummen, falschen Aussage stimmen in Deutschland 43 Prozent der Befragten zu, wie im vergangenen Jahr eine Befragung der Bertelsmann-Stiftung ergab.

Jüdische Deutsche sind keine Regierungsvertreter Israels. Jüdische Deutsche haften auch nicht für Israels Politik. Dennoch, jüdische Deutsche werden jetzt laufend in Haftung genommen, das haben viele von ihnen in diesem vergangenen Jahr so deutlich gespürt wie noch nie in ihrem Leben. Viele Betroffene halten noch mit Argumenten dagegen. Aber manche sind es allmählich auch leid. Von der deutsch-jüdischen Denkerin Hannah Arendt gibt es den Satz: Wer als Jude angegriffen wird, muss sich als Jude verteidigen. Unter dem Druck der Vorurteile scheinen manche diesen Satz heute für sich abzuwandeln. Etwa so: Wer als Botschafter Israels angegriffen wird, muss sich als Botschafter Israels verteidigen. […..] Einsamer geworden ist es in diesem Jahr dann in dem großen Raum zwischen all diesen zunehmend verhärteten Identitäten. Also unter jenen Menschen, die sich weiterhin zumuten, sich nicht „auf eine Seite“ zu stellen – und zu denen auch viele jüdische und arabischstämmige Menschen gehören, die angesichts ihrer Ratlosigkeit eher noch leiser geworden sind als ohnehin schon. Ein politisches Nachdenken, dessen Ergebnis schon vorab feststeht und das auch auf aktuelle Neuigkeiten nur noch in Nuancen reagiert, wäre natürlich gemütlicher. […..] Wie wenig Applaus es für solche Differenzierung gibt, das heißt: wie wenig dies innenpolitisch gewinnbringend ist, zeigt sich am Beispiel der Bundesaußenministerin Annalena Baerbock von den Grünen. Aus der sogenannten israelsolidarischen Ecke wird sie beschimpft, sie lasse Israel angeblich im Regen stehen – weil Deutschland keine Waffen mehr für Gaza-Bombardements liefert. Aus der sogenannten propalästinensischen Ecke wird sie gleichzeitig für das Gegenteil beschimpft: Sie tanze nach Israels Pfeife – weil sie nicht mit Israel bricht. Es sich in keiner Ecke bequem zu machen, ist heute vielleicht schwieriger denn je. Richtig bleibt es trotzdem.   […..]

(Ronen Steinke, 06.10.2024)

Ich gebe zu, solche Worte gern von einem Journalisten zu lesen, der eine israelische Mutter hat. Denn auch, wenn ich erst ein Jahr einen deutschen Pass habe: Für mich wiegt die deutsche Vergangenheit schwer. Ich gehöre der (schrumpfenden) Fraktion derer an, die der deutschen Außenpolitik äußerste Zurückhaltung bei der moralischen Bewertung der israelischen Sicherheitspolitik empfehlen. Natürlich können und dürfen „wir“ Netanyahu kritisieren, aber wir sollten nicht die ersten und lautesten sein. Und es darf nie in eine Rechtfertigungshaltung hineingleiten; „sieh an, die Israelis sind ja auch nicht viel besser als wir damals im WKII.“ Hier handelt es sich um unvergleichbare Dinge. So schwer es auch einzelnen fallen mag; es gilt immer: Israelkritik Ja! Antisemitismus NEIN!

Nur in einem Aspekt bleibt es einfach: Meine Verachtung gilt voll und ganz dem rechtsradikalen Pascha Friedrich Merz, der das ultrakomplizierte Thema Waffenlieferungen auf primitivste Weise parteipolitisch ausnutzt, um Scholz und Baerbock ans Bein zu pinkeln.

Die Sitzungen des Bundessicherheitsrates sind geheim. Niemand kennt die Bedingungen, die Deutschland an Waffenlieferungen knüpfte. Falls es so sein sollte, wie gemunkelt wird, daß Baerbock und Habeck Garantien dafür verlangten, deutsche Waffen nicht bei völkerrechtswidrigen Aktionen einzusetzen, hatten sie völlig Recht, Herr Merz!

[….] Die Bundesregierung will durch die Zusicherungen, die auch in Lieferverträgen etwa mit der Ukraine enthalten sind, dem Risiko entgegenwirken, dass internationale Gerichte oder deutsche Verwaltungsgerichte im Zuge einer einstweiligen Verfügung Rüstungsexporte nach Israel teilweise oder ganz untersagen. Das Verwaltungsgericht Berlin hatte im Juni in einem Beschluss einen entsprechenden Antrag von Palästinensern aus dem Gazastreifen zwar zurückgewiesen. Diese hatten verlangt, grundsätzlich Lieferungen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu untersagen. Das Gericht hatte aber ausgeführt, dass die Bundesregierung die „Haltung des Empfängerlandes zu den einschlägigen Grundsätzen der Übereinkünfte des humanitären Völkerrechts“ berücksichtigen und Ausfuhrgenehmigungen verweigern müsse, wenn „eindeutig das Risiko besteht“, dass Rüstungsgüter verwendet werden, um schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht zu begehen. Es hat sich in seiner Argumentation dabei an entsprechende Entscheidungen des Internationalen Gerichtshofs (IGH) in Den Haag angelehnt, wo Nicaragua die Bundesregierung verklagt hatte.

Menschenrechtsanwälte hatten in der vergangenen Woche bereits neue Klagen angekündigt, nachdem Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) im Bundestag klargestellt hatte, dass die Bundesregierung Waffen geliefert habe und dies weiter tun werde. „Wir haben Entscheidungen getroffen in der Regierung, die auch sicherstellen, dass es demnächst weitere Lieferungen geben wird“, hatte Scholz auf Kritik von Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) entgegnet. Dieser hatte der Bundesregierung vorgeworfen, seit Monaten nicht die nötigen „Exportgenehmigungen für Munition und Ersatzteile von Panzern“ für die Ausfuhr nach Israel zu erteilen.  [….]

(SZ, 14.10.2024)

Der moralisch verkommene Merz darf niemals Bundeskanzler werden.

Für den islamophoben Egomanen scheint das alles nur ein Spiel zu sein, um die Ampel zu ärgern und um selbst Bundeskanzler zu werden.

Der Mann hat sich – wieder einmal – völlig für das höchste Regierungsamt disqualifiziert. Gerade für Deutschland darf es natürlich nicht völlig egal sein, wie die Lage in Israel ist, Herr Merz!

Wenn eine Regierung wiederholt UN-Blauhelme ermordet, darf schon mal die Frage gestellt werden, ob man sie weiterhin bewaffnen sollte, Herr Merz!

[…..] Mindestens viermal haben israelische Soldaten in der vergangenen Woche UN-Blauhelme angegriffen, sie haben Soldaten aus Sri Lanka von einem Wachturm gebombt und sogar UN-Soldaten beschossen, die in einem Bunker Schutz gesucht haben. Wieder ist eine rote Linie überschritten, wieder werden weltweit „Bedenken“ geäußert. So geht das nun seit einem Jahr: Europa und die USA fordern Israel auf, weniger Zivilisten zu töten, mehr humanitäre Hilfe zu leisten und sich an das Völkerrecht zu halten. Wenig ist passiert, Konsequenzen gibt es keine. Die USA brachten am Wochenende das Kunststück fertig, ihren Sondergesandten Amos Hochstein verkünden zu lassen, dass der Beschuss eines Wohnhauses in der Innenstadt von Beirut „völlig inakzeptabel“ sei – während fast zeitgleich ein Journalist des britischen Guardian die Überreste einer in den USA gefertigten Bombe aus den Trümmern zog, die 22 Menschen tötete.

Man muss wenig Mitleid haben mit den Hisbollah-Kämpfern, die Israel ohne Grund angegriffen haben und nun ihren lang ersehnten Märtyrertod finden. Natürlich darf sich Israel dagegen verteidigen. Doch der Angriff gilt mittlerweile ganz Libanon, die Fehler von Gaza scheinen sich zu wiederholen. Sie werden in Israel gemacht, das offenbar ewigen Krieg sucht, anstatt die berechtigte militärische Selbstverteidigung durch ein Konzept für die Zukunft zu ergänzen. […..] Nun muss auch Israel klargemacht werden, dass Deutschland keine weiteren Waffen in ein Land liefern will, das UN-Blauhelme angreift und kein Konzept vorlegt, wie es diesen Krieg auch wieder beenden wird.  […]

(SZ, 13.10.2024)

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