Es war teilweise schwierig, den Hunderten Anklagepunkten in verschiedenen Gerichtsverfahren, in verschiedenen Staaten und auf Bundesebene zu folgen. Dazu der Sonderermittler Jack Smith, zahllose Privatklagen, zwei Impeachmentverfahren und aberwitzige Geldstrafen im hohen dreistelligen Millionen-Dollar-Bereich.
Allein 464 Millionen Dollar Geldstrafe wegen Betrugs aus einem New Yorker Zivilprozess und noch mal 83 Millionen Dollar an Jean Carroll.
Daher bildete sich eine internationale neue Klasse des Trump-Prozess-Journalismus heraus, die nur damit beschäftigt war, dem zunehmend verwirrten Publikum aufzudröseln, wann, wo, welche Trump-Prozesstage folgen und welche Strafen wie wahrscheinlich sind.
(….) Es ist der juristische Mega-Blob, der über Donald Trump hereinbricht.
Unzählige verschiedene Ankläger und Richter, in Straf- und Zivil-Prozessen, auf Bundes- und Bundesstaats-Ebene. Ein Unschuldiger würde das Court-Room-Chaos, das ihm schon zig Millionen Dollar Anwaltskosten bescherte, möglichst schnell beenden und nicht so viele Details der peinlichen Anschuldigungen in der Öffentlichkeit diskutiert sehen wollen, während er um ein politisches Amt kandidiert.
Trump macht genau das Gegenteil. Er redet unablässig von den anstehenden Prozessen, bedroht Zeugen, Richter und Staatsanwälte, bricht richterliche Auflagen und versucht die Gerichtstermine möglichst um Jahre aufzuschieben, um das juristischen Kuddelmuddel so lang wie mögliche durch die Medien zu jonglieren. (….)
(Der juristische Alptraum, 14.08.2023)
Wer sollte sich da noch zurechtfinden?
(….) Ja, der Trump-Prozess von New York, bei dem er schneller als allgemein erwartet in einem „clean swipe“, also einstimmig, in allen 34 Anklagepunkten schuldig gesprochen wurde. Von einer Jury aus 12 Menschen, die von Trumps Anwälten mitausgesucht wurde, unter denen sich zwei Juristen befanden und unter anderem ein Geschworener, der angab, seine Nachrichten ausschließlich über Trumps PR-Schleuder „Truth Social“ zu erhalten.
Wie schnell und eindeutig es letztlich ausging, überraschte mich.
Wie das Trump-Universum reagierte, entsprach hingegen zu 100% meinen Erwartungen: Sie drängeln sich noch mehr, um seinen Hintern zu küssen und überschütten ihn mit Geldspenden, weil sie entweder extrem verblödet und manipuliert sind (wie seine Wähler), oder extrem rückgratlose opportunistische Heuchler (wie seine Parteifreunde) sind. Oder beides.
[….] Wie Groupies liefen republikanische Abgeordnete und Senatoren zuletzt vor dem New Yorker Justizgebäude auf, während ihr Anführer drinnen auf der Anklagebank saß. Teil des Fanklubs war Mike Johnson, im Repräsentantenhaus der Sprecher von Trumps Gnaden. Auch sein Erzfeind aus dem Senat eilt nun zu Hilfe, Mitch McConnell, den Trump "alte Krähe" nennt. "Diese Anklage hätte gar nicht erst erhoben werden dürfen", schreibt er auf X. "Ich erwarte, dass die Verurteilung in der Berufung aufgehoben wird." […] In weniger als 24 Stunden nach der Verurteilung kamen in größeren und kleineren Spenden fast 35 Millionen Dollar für Trump zusammen. [….]
Zu dem Thema sind Myriaden Meinungsartikel erschienen; unnötig einen weiteren hinzuzufügen. Ich glaube auch nicht an Einfluß auf die Wähler. Die GOPer wird nur noch radikaler werden. Aber ich halte es mit Peter Burghardt: Man kann Trump nicht nicht den Prozess machen, nur weil er Trump ist und sich im „complete nonsense mode“ befindet.
[….] Der Prozess hat Trump entzaubert, manchmal nickte er ein. Sein Wutausbruch zeigt, dass sein Comeback an die Macht ein Rachefeldzug wäre. Konservative Kommentatoren halten das historische Urteil für politisch und riskant. Aber viel gefährlicher wäre ein Präsident Trump, der über dem Gesetz steht. […..]
(Peter Burghardt, 31.05.2024) (….)
(Impudenz des Monats Mai 2024)
Das Chaos war perfekt, zumal sich der Mann, der Ordnung hätte schaffen können, aus panischer Angst, man könne ihm Parteilichkeit vorwerfen, vollkommen in Luft auflöste: Merrick Brian Garland, von 1997 bis 2021 Richter am United States Court of Appeals for the District of Columbia Circuit, vom 11. März 2021 bis 20. Januar 2025 Justizminister und Generalstaatsanwalt im Kabinett Biden. Das hat ja richtig gut geklappt, Garland. Zum Glück wirft Trump nun niemanden in der demokratischen Partei Instrumentierung der Justiz vor!
Die allermeisten Journalisten waren sich völlig einig; das Spektakel, in dem Trump über Jahre die Justiz lächerlich machte und die USA zum internationalen Gespött werden ließ, sollte aufhören. Viel besser als Prozesse oder der Supreme Court, wäre der US-amerikanische Souverän geeignet, um Trumps Entfernung aus dem politischen System zu legitimieren: Daß so ein überführter Schwerverbrecher nicht erneut gewählt werden könne, war schließlich klar. Also sollten ihn die Republikaner ruhig aufstellen und sich so die verdiente Klatsche beim Wähler einholen. Mit einer vernichtenden Wahlniederlage am 05.11.2024 sei Trumps politisches Ende sauberer und eindeutiger geklärt, als durch alle Prozesse und Sonderermittler zusammen.
Auch das hat bekanntlich richtig gut geklappt, Journalisten!
Auf die Einsicht der Wähler zu setzen, um irre demokratiezerstörende Nazis von der Macht fernzuhalten, ist ein Irrweg! Das funktioniert nicht in der durch rechtspopulistische Algorithmen gesteuerten Social Media Welt. Daher war es auch der absehbare fatale und womöglich gar finale Fehler von CDU, CSU, FW, FDP, BSW und SPD, sich vor einem AfD-Verbotsverfahren in die Hosen zu scheißen, die gesichert rechtsextreme Partei einfach machen zu lassen und mit immer neuen Ausreden die juristische Auseinandersetzung mit Bernd Höckes Nazi-Partei zu vermeiden.
Die Quittung kam am 23.02.2025: Die AfD verdoppelte sich, bekam zehn Millionen Stimmen und zog mit 152 Faschisten in den Bundestag ein. In mehreren ostdeutschen Bundesländern ist sie entweder schon stärkste Partei im Landtag (Thüringen), oder wird es mit Sicherheit bald sein (Sachsen, Sachsen-Anhalt).
Die unabhängige Justiz einfach ihre Arbeit machen zu lassen und die rechtliche Auseinandersetzung mit demokratiefeindlichen Politikern zu unterstützen, statt immer nur abzuwiegeln, erscheint wesentlich erfolgreicher. Siehe Frankreich. Marine Le Pen fünf Jahre aus dem politischen Verkehr zu ziehen, ist nicht nur richtig, sondern verlief auch völlig fair! Es ist ein Zeichen des funktionierenden Systems.
[….] Le Pen hat Europa betrogen, daran gibt es keinen Zweifel
Die Chefin der extremen Rechten ist nun wegen Veruntreuung verurteilt – und unwählbar für fünf Jahre. Ein politisches Urteil? Nein, ein Segen der Gewaltenteilung.
Frankreich ist die Wiege der Gewaltenteilung, was eine der großen Errungenschaften der demokratischen Gemeinschaft ist. Das schon mal als Prämisse. Nun, da Marine Le Pen, die Chefin der extremen Rechten im Land, wegen Veruntreuung europäischer Gelder verurteilt worden ist und wahrscheinlich von der nächsten Wahl fürs höchste Amt im Land ausgeschlossen ist, muss man sich zunächst an den Segen der Gewaltenteilung erinnern. Die Justiz ist im Idealfall total unabhängig von der Politik. Und, auch ganz toll in einer Demokratie: Vor dem Gesetz sind alle Bürger gleich. Wer Regeln bricht, bezahlt dafür.
Die Partei der Le Pens, Vater und Tochter, hat während vieler Jahre die Regeln des Europaparlaments gebrochen – „systematisch“ und „zynisch“, wie es die Richterin im Prozess nannte. Die Lepenisten nahmen das Geld, das für die Entlohnung parlamentarischer Mitarbeiter vorgesehen ist – ausdrücklich nur dafür, für den Dienst an Europa also –, um ihre nationalen Aktivitäten zu finanzieren. Mehr noch: Ohne dieses Geld wäre die Partei pleitegegangen, das sagen sie selbst. Sie haben also nicht nur Europa betrogen, sondern auch Frankreich. In der Sache gibt es keinen Zweifel. [….] Frankreichs Parlament, also die Volksvertretung, hat 2016 unter dem Eindruck großer Betrugsskandale mit Politikern in der Hauptrolle ein Gesetz erlassen, das es zum Ziel hat, Politiker zu mehr Anstand und Ethik in der Ausübung ihres Amtes zu drängen. Weil man von ihnen erwarten dürfe, dass sie sich beispielhaft aufführten. Das gilt auch und, natürlich, gerade für Politiker, die sich um das Präsidentenamt der Republik bewerben – wie Marine Le Pen. Dieses Gesetz, Loi Sapin II, hat das Gericht jetzt angewandt, um den Entzug des passiven Wahlrechts zusätzlich an eine Klausel zu hängen, die exécution provisoire. Sie greift sofort, Marine Le Pen kann demnach die Wirkung ihrer Unwählbarkeit nicht mit einem Rekurs verzögern. [….]
Das getroffene Aufheulen der Nazi-Parteien und rechtsextremen Autokraten der Welt, zeigt was Frankreich richtig macht und woran das marode US-Justizsystem scheiterte.
[….] Die französische Justiz hat eine sensationelle und politisch ebenso folgenreiche wie moralisch wichtige Entscheidung getroffen: Das Pariser Strafgericht hat die Rechtspopulistin Marine Le Pen nicht nur wegen Veruntreuung öffentlicher Gelder verurteilt, sondern sie auch für fünf Jahre für unwählbar erklärt – ab sofort. Marine Le Pen spricht selbst von einer „politischen Guillotine“. Sie werde mit einem solchen Urteil als Politikerin für „tot“ erklärt. Tatsächlich dürfte damit ihre Karriere bis auf Weiteres zu Ende sein, zumindest was ihre Chancen angeht, eines Tages Staatspräsidentin zu werden. Auch wenn nun ihr Thronfolger Jordan Bardella an ihrer Stelle kandidieren dürfte, ändert sich die Ausgangslage für die Wahl von 2027. Denn nun hat ein Gericht offiziell befunden, dass diese Rechtsextremistin, die die anderen bei jeder Gelegenheit der Korruption beschuldigt, einer Wahl in höchste Ämter der Republik nicht würdig ist: weil sie das Gesetz verletzt hat.
Das Gericht disqualifiziert damit eine Kandidatin mit echten Siegeschancen vor einer Wahl, was ihre Sympathisant*innen schockiert. [….] Wie schon in den Prozessen gegen Ex-Präsident Nicolas Sarkozy hat die französische Justiz klargemacht, dass die Politiker nicht über dem Gesetz stehen. Sie werden im Gegenteil besonders streng bestraft, wenn sie selbst nicht beispielhaft sind. [….]