In meiner Social Media-Blase finde ich naturgemäß wenig Sympathie für Markus Söder und sein Festhalten an Hobby-Nazi als seinem Regierungsstellvertreter.
Ich registriere Söder/Aiwanger-Begeisterung bei den Faschisten des äußersten rechten Randes; natürlich ist der extremistische Hetzer David Berger begeistert, nachdem sich der bayerische Ministerpräsident mit Antisemiten gemein gemacht hat und so klar gegen fast alle jüdischen Organisationen Deutschlands agitiert.
So weit, so wenig überraschend. Aber wie sehen das eigentlich „normale Konservative“, die noch nicht in verschwörungstheoretische Abgründe diffundiert sind und nicht heimlich zur Erbauung „Mein Kampf“ lesen? Dazu lieferte der gestrige Leitartikel der konservativen FUNKE-Blätter (Hamburger Abendblatt, Berliner Morgenpost, etc) einen Einblick.
Christian Unger, politischer Korrespondent bei Funke jubilierte:
„SÖDERS SCHLAUER SCHACHZUG!“
und freute sich an dem langen Gesichtern bei den Ampelanern, welche er sich hämisch vorstellte.
[….] Söders Reaktion auf die Causa Aiwanger ist richtig. Was wir aus der Debatte für den Umgang mit Populisten und Radikalen lernen können.
Der Aufschrei von links wird groß sein: Ministerpräsident Markus Söder lässt Radikalinski und Vize-Regierungschef Hubert Aiwanger im Amt. [….] Manche Anschuldigungen gegen Aiwanger waren überzogen. Und sie halfen Aiwanger, in ihnen eine „Kampagne“ zu wähnen. Die „Nazi“-Keule machte es Aiwanger leicht. Söder hat das Spiel nicht mitgespielt.
Radikalisierung ist ein Prozess. Vieles kann extreme Ansichten fördern: Lebenskrisen, Brüche in der Biografie, wie eine Trennung der Eltern, Arbeitslosigkeit oder Probleme in der Schule, Drogen und falsche Freunde. Ob ein Mensch Extremist ist, lässt sich nicht aus einer Seite Flugblatt lesen. [….]
Offenbar ist das jetzt bei den Konservativen eine anerkannte Argumentation: Wenn sich „die anderen“ richtig ärgern, haben die unseren es gut gemacht.
Recht erbärmlich auch die Verniedlichung der Aiwanger-Taten: Hitlergruß, Hitler-Frisur, Hitler-Schnauzer, Horst-Wessel-Lied grölen, „Mein Kampf“ auswendig lernen, Hitlers reden imitieren, "Schwarzbraun ist die Negersau" auf seine Ordner schreiben, Lehrer mit Säure attackieren oder zutiefst menschenverachtende antisemitische Pamphlete verfassen – für Unger ist klar: Das kann schon mal vorkommen, wenn sich die Eltern trennen oder man Probleme in der Schule hat.
Dazu etwas Täter/Opfer-Umkehr – viele Vorwürfe von links waren überzogen – und schon ist Aiwanger freigesprochen.
Regelrecht begeistert frohlockt Unger aber über einen anderen genialen Söder-Schachzug.
[….] Am klügsten in dieser Strategie von Söder ist ein Nebenaspekt: Söder verdonnert Aiwanger zu Treffen und Gesprächen mit jüdischen Gemeinden in Bayern. Söder straft Aiwanger nicht mit Höchststrafe ab, drängt ihn nicht mit einem Rauswurf aus dem Amt – und damit aus der Debatte. Im Gegenteil: Aiwanger muss Sozialarbeit leisten und im Gespräch mit Jüdinnen und Juden in Bayern seine Haltung zum Antisemitismus kritisch hinterfragen lassen. [….]
Das ist sekundärer Antisemitismus in Reinkultur: Laut Unger haben also die Juden die Verantwortung für Antisemitismus und sind seiner Ansicht nach auch dafür zuständig, Antisemiten zu bekehren.
Ein Ungeheuerlichkeit!
Antisemitismus ist bekanntlich auch dort virulent, wo es gar keine Juden gibt. Ostdeutsche Jugendliche hassen Juden, obwohl sie noch nie einen Juden gesehen haben. Antisemitismus ist UNSER Problem und kann nicht an jüdische Organisationen outgesourced werden, nachdem konservative Regierungsmitglieder sich mit Judenfeindlichkeit im ganz rechten Lager profiliert haben.
Christian Unger begreift aber offenbar gar nicht, wie perfide er denkt.
Das müssen ihm leider erst die von ihm angesprochenen Antisemitismus-Zuständigen erklären: Sie wollen nicht mit Aiwanger reden.
Verständlicherweise!
Hätten Unger und Söder einen Funken Anstand, wäre ihnen das klar.
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