Hatte ich das mit dem Fischladen erzählt?
In der Nachbarschaft herrscht große Aufregung, weil der letzte gute Fischladen, der schon seit der Steinzeit existiert, geschlossen hat. Wieder wegen Personalmangels. Der Inhaber hat nur noch fünf, statt der mindestens acht Mitarbeiter, die er eigentlich braucht. Neue lassen sich nicht finden. Niemand will mehr im Fischgeschäft racken.
Ich kaufe immer schon gezielt bei kleinen inhabergeführten Läden, kann aber in diesem Fall keine persönlichen Erfahrungen beitragen, weil ich grundsätzlich nichts esse, das im Wasser lebt. Weniger aus ideologischer Überzeugung, sondern einfach, weil ich den Geschmack und Geruch nichts ausstehen kann.
Insofern ist es auch nicht überraschend, daß ich volles Verständnis dafür habe, nicht in einem Fischladen arbeiten zu wollen. Ich bedauere aber immer den Verlust solcher kleinen Läden und wollte schon in die allgemeine Jammerei unserer Stadtteil/Nachbarschaftsgruppe auf Facebook einstimmen, aber dort hieß es „RotGrün macht einfach alles kaputt!“
Die Ampel habe den Fischladen zerstört. Ein Interview mit dem Inhaber erschien. Er selbst wäscht seine Hände in Unschuld und macht ebenfalls die Ampel verantwortlich. Durch das Bürgergeld wolle niemand mehr arbeiten und die viel zu üppigen 12,41 Euro Mindestlohn könne kein Unternehmer erwirtschaften.
Außerdem misstraut er seinen eigenen Leuten so sehr, daß er sie nicht vorher von der Schließung informierte. Er hielt die für potentiell faule Säcke, die dann womöglich gar nicht mehr zur Arbeit gekommen wären. Erst am letzten Tag sagte er ihnen, sie wären nun arbeitslos; er schließe jetzt.
Stattdessen pöbelt er im Blackrock-Merz-Stil gegen das mit 563 Euro viel zu hohe Bürgergeld.
Kennt der Mann die Lebensunterhaltskosten in Winterhude? Glaubt er wirklich, seine Leute könnten für unter Mindestlohn bei ihm arbeiten und mit Bürgergeld mache man dolce vita im Luxus an der Hamburger Außenalster?
Die von den Blaunen verbreitete Lüge, nach der man nun derartig viel Bürgergeld bekäme, daß keiner mehr arbeiten wolle, wurde zwar längst debunkt, aber so dummdreist immer wieder von C- und F-Politikern wiederholt, daß sie in den Mainstream einsickerte.
Fast keiner verweigert die Arbeit total und nach der Erhöhung des Bürgergels rutschten weniger Menschen denn je ins Bürgergeld.
Merz, Söder, Lindner, Amthor- sie alle lügen auf Kosten der Ärmsten.
Heute geriet ich beim Einkaufen wieder in eines Diskussion, als ein anderer Kunde die Verkäuferin aufklärte, durch die verrückte Ampel wolle keiner mehr arbeiten, weil niemand mehr arbeiten müsse. Bürgergeld sei doch viel bequemer.
Ich konnte mir nicht verkneifen, einige Zahlen einzuwerfen, aber die Rechten sind wie Trumpisten: Ihre Meinung wird keineswegs erschüttert, wenn Fakten widersprechen.
Die „veröffentlichte Meinung“ trommelt ebenfalls eifrig in der Richtung. So las man heute in der Mopo und vielen anderen Blättern, die alarmistische Meldung, die Sozialausgaben hätten sich verdreifacht. VERDREIFACHT!
In welchem Zeitraum, war aus den Überschriften, die sich auf eine dpa-Meldung bezogen, nicht zu entnehmen. Der deutsche BILD-Leser musste annehmen, die sozialistische Scholz-Regierung wäre verantwortlich.
Dabei bezieht sich die Verdreifachung auf einen völlig willkürlichen Zeitraum von 30 Jahren, in dem sich auch die Wirtschaftsleistung insgesamt verdreifachte.
[….] Beim Blick auf den Bundeshaushalt fällt vor allem ein Posten auf: die Sozialausgaben. 2024 hat allein das Bundesministerium für Arbeit und Soziales mit dem Budget von 175,7 Milliarden Euro einen Anteil von 36,84 Prozent. Das Ministerium von Hubertus Heil (SPD) ist jedoch nicht allein für die Sozialleistungen zuständig. Insgesamt gibt Deutschland 1179 Milliarden Euro, rund 1,2 Billionen, jährlich aus. Damit hat sich das Sozialbudget in den letzten 30 Jahren fast verdreifacht. 1992 waren es noch 448,3 Milliarden Euro. [….] Unter die Sozialausgaben von 1179 Milliarden Euro fallen etwa Ausgaben für die Renten-, Kranken-, Pflege und Unfallversicherung. Zudem gehören etwa die Grundsicherung wie Bürgergeld, Entgeltfortzahlungen durch Arbeitgeber, Pensionen, die betriebliche Altersversorgung oder Riester-Renten darunter. Die Finanzierung übernimmt damit nicht der Staat alleine. Sein Anteil macht etwas mehr als ein Drittel aus. Die Finanzierung läuft zudem zu je einem Drittel über die Arbeitgeber (33,8 Prozent) und die Sozialbeiträge der Versicherten (30,4 Prozent). […..] Angesichts der hohen Sozialausgaben fordern Politiker immer wieder, bei einigen Leistungen zu sparen. Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) hatte vor den Verhandlungen über den Bundeshaushalt Anfang des Jahres ein Moratorium für Sozialausgaben ins Spiel gebracht und damit einen Streit in der Ampel-Regierung ausgelöst. Zuvor hatte etwa Wirtschaftsweise Monika Schnitzer Rentenkürzungen gefordert.
Der Linken-Politiker Matthias Birkwald verweist jedoch darauf, dass die Ausgaben für Renten und Soziales gemessen an ihrem prozentualen Anteil am Bruttoinlandsprodukt in den vergangenen 25 Jahren kaum angestiegen seien. „Und teilweise sind sie sogar gesunken.“ Die Zahlen machten deutlich, dass Arbeitgeberverbände und die „konservativen und marktradikalen Parteien wie Union, FDP und AfD hier zu Unrecht ein Schreckgespenst an die Wand malen“.
Birkwald machte deutlich: „Ich fordere darum alle Sozialstaatspaniker auf, ihren Alarmismus sofort einzustellen.“ […..]
(FR, 04.04.2024)
Ein Argument, das man so gut wie nie in politischen Diskussionen hört, das erst Recht nicht von Lindner und Merz genannt wird, bezieht sich auf die Richtung der Sozialausgaben. Es wird immer so getan, als verschwinde das Geld in den Taschen der Armen, Alten und Arbeitslosen.
Tatsächlich sind große Teile der als „Sozialausgaben“ deklarierten Geldes nichts anderes als Quersubventionen für Unternehmer.
Nicht nur fließen Rente, Pensionen und Bürgergeld in den Konsum und kurbeln im Gegensatz zu Steuergeschenken für die Superreichen, die Nachfrage an.
Das Wohngeld landet auf den Konten der Vermieter und Wohnungskonzerne. Die Kassen der Vermieter werden also staatlich aufgefüllt. Ähnliches lässt sich für die Aufstocker sagen. Da nimmt der Staat den Unternehmern Lohnkosten ab, indem er die Gehälter zahlt.
Die Sozialausgaben eignen sich also hervorragend für Lindner und Merz, um den ahnungslosen Mob gegen Rot und Grün aufzuhetzen.
Aber die reiche CDU/CSU/FDP-Klientel profitiert in Wahrheit massiv von den Sozialausgaben, während ein Bürgergeldempfänger nichts von seinem Wohngeld kaufen kann.
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