Dienstag, 9. Juli 2019

Bombenstimmung


Der Iran-Irak-Krieg, gelegentlich auch „erster Golfkrieg“ genannt, war unglaublich brutal. Vom 22. September 1980 bis zum 20. August 1988 starben bis zu einer Millionen Menschen in einer der verlustreichsten militärischen Aktionen der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Der Iran wurde dabei derartig zerstört, daß man allein mit 650 Milliarden US-Dollar Schäden an der Infrastruktur rechnete.
Schon damals erschien es aus iranischer Sicht „vernünftig“ sich möglichst schnell eine Atombombe anzuschaffen. Ich erinnere mich, wie wir in der Schule im Politik-Unterricht darüber sprachen.
Der Iran war nämlich in vielerlei Hinsicht isoliert:
Perser unter lauter Arabern. Gottesstaat unter lauter Monarchien. Schiiten unter lauter Sunniten. Und natürlich als alleiniger großer Gegner „des Westens“, während der Irak militärisch von den USA unterstützt wurde.
Der frühere und spätere US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld war von 1977 bis 1985 Sondergesandter der USA im Irak, traf dort immer wieder Saddam Hussein persönlich.
Bei einer derartigen Einkesselung war es absolut naheliegend sich mit A-Bomben abzusichern.

(….) Die grundsätzliche Frage ist: Wieso dürfen eigentlich die ABC-Macht Israel und die ABC-Macht Amerika einem großen und bedeutenden Land wie dem Iran aufoktroyieren niemals zur ABC-Macht zu werden.
Was Jerusalem und Washington ganz selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen; nämlich über ein modernes Atomwaffenarsenal zu verfügen; sollen andere niemals dürfen.
Im Gegenteil; wenn sie nur daran denken sich ansatzweise das anzueignen was Israel und Amerika schon lange haben, ist das ein Beweis für deren Bösartigkeit, ja sogar ein Grund für einen Angriffskrieg.
Dabei erscheint es Kongress-Republikanern und Israelis noch nicht einmal zu lächerlich zu sein seit 15 Jahren dringend davor zu warnen, daß der Iran nun aber wirklich unmittelbar davor stünde eine Atombombe zu bauen; innerhalb von weniger als einem Jahr wäre Teheran so weit.

Jacque Chirac sagte einmal sinngemäß als er noch im Amt war; na und, was würde es schon ausmachen, wenn Teheran wirklich eine Atombombe hätte? Er könne die ja ohnehin nicht einsetzen, da noch bevor die irgendwo einschlüge, Israel von seinen überall verteilten U-Booten aus hundert Atombomben auf den Iran abschießen würde. Der Einsatz einer Atomwaffe gegen Israel bedeute die absolut sichere Auslöschung des gesamten Staates Iran. Und so irre sei niemand, das zu riskieren.

Bei außenpolitischen Konflikten ist der Schlüssel zur Entspannung immer der, sich in die Position des anderen hinein zu versetzen und zu verstehen was er fürchtet, was er erreichen möchte.

In unserer zunehmend manichäisch geprägten Berichterstattung ist das aber geradezu verpönt.
Wer auch nur versucht darüber nachzudenken, was aus Sicht des Kremls bedrohlich wirkt, wird sofort zumindest als „Russlandversteher“ verhöhnt.

Die Sicht des Irans auf seine Nachbarn scheint mir allerdings recht leicht zu deuten zu sein. Er war als rein schiitischer Staat lange Zeit nur von Feinden umzingeln. In diesem Pulverfass mit dem extrem reichen und hochgerüsteten Gegenspieler Saudi-Arabien in Reichweite, spielen Sicherheitsaspekte eine große Rolle. Zu oft ist man schon bombardiert worden, zu grauenvoll waren die Erfahrungen mit dem maßgeblich von den USA angezettelten Irak-Iran-Krieg 1980-1988, bei dem Donald Rumsfeld persönlich nach Bagdad zum Shakehands mit Saddam Hussein reiste, um den Irak so aufzurüsten, daß der Iran eine Million Tote zu beklagen hatte.
Was passiert, wenn einem die USA auf dem Kieker haben – und das ist man als Teil der Washingtoner „Achse des Bösen“ ja offensichtlich  - konnte Teheran 2001 bei seinem direkten östlichen Nachbarn Afghanistan und 2003 bei seinem direkten westlichen Nachbarn Irak erleben: Man wird angegriffen und vom US-Militär viele Jahre lang platt gemacht.
Irak und Afghanistan passierte das, weil sie eben KEINE MASSENVERNICHTUNGSWAFFEN hatten und sich nicht wehren konnten.
Das einzige Land der „Achse des Bösen“, das tatsächlich über Massenvernichtungswaffen, nämlich vermutlich zwei bis fünf Atomsprengköpfe,  verfügt ist Nordkorea und wurde genau deswegen NICHT von den USA angegriffen. Pyönyang ist sicher.

Was liegt also näher für Teheran, als sich möglichst auch die Dinger anzuschaffen – zumal beide Erzfeinde, USA und Israel, Atomwaffen haben und immer wieder bewiesen, daß sie durchaus andere Länder militärisch angreifen. (…..)
(Psychopolitik, 04.03.2015)

Das war der Stand der Dinge vor vier Jahren, als die US-Republikaner gegen den mit Teheran verhandelnden Barack Hussein Obama pesteten.
Obama und den Europäern gelang allerdings ein Wunder.
Der Iran-Atom-Vertrag, der dem Gottesstaat die Perspektive bot von den Sanktionen befreit zu werden, als normales Mitglied in die Weltgemeinschaft zurück zu kehren, wenn er dafür die Atomprogramme aufgibt und das engmaschig von der Internationalen Atomenergie-Organisation (IAEO) überwachen lässt.

Und es geschah ein weiteres Wunder. Der Iran erfüllte buchstabengetreu die Bedingungen, kooperierte ohne irgendwelche Beanstandungen mit der IAEO.
Vertragsbrüchig wurde hingegen der Westen in Gestalt des orangen Lügen-Proleten aus Washington. Ohne Not zerschlug der Wahnsinnige alle Friedensbemühungen und stellte die Uhren wieder auf Krieg.
Teheran reichert nun wieder Uran an – und Washington tobt noch viel mehr.

[…..] Israels Premier Benjamin Netanyahu verurteilte Irans Atompolitik als "sehr, sehr gefährlichen Schritt". […..] Dagegen unterstützten die beiden verbliebenen nichteuropäischen Vertragspartner, China und Russland, die Position Irans:
    Konstantin Kossatschow, Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im russischen Förderationsrat, erklärte nach Angaben der Agentur Interfax, Irans Schritt sei zwar bedauerlich, aber juristisch nachvollziehbar. Schließlich seien es die Vereinigten Staaten gewesen, die aus dem Atomabkommen ausgestiegen seien und auch die EU habe sich bei der Einhaltung ihrer Verpflichtungen schwergetan. "Der Ball liegt auf der amerikanischen Seite", wird er zitiert.
    Ein Sprecher des chinesischen Außenministeriums sagte, China bedauere zwar Irans Schritt. Doch die Schuld an der Eskalation trügen die USA mit ihrem "unilateralen Drangsalieren" Irans. […..]

China und Russland haben natürlich vollkommen Recht. Das wissen auch alle anderen Regierungen außer den unzurechnungsfähigen Gestalten Bolton, Pence, Pompeo und Trump.
Allerdings haben sich die EU-Europäer kollektiv selbst die Testikel ausgerissen, weil sie sich nicht trauen für das Recht und das Richtige einzustehen, sondern lieber vor dem tobenden IQ 45 kuschen.

Dafür steht exemplarisch der vor Gibraltar beschlagnahmte panamaische Öltanker "Grace 1", der zwei Millionen Barrel iranisches Rohöl an Bord haben soll und diese angeblich nach Syrien bringen will.
Die USA haben allen EU-Staaten mit schweren Sanktionen gedroht, wenn sie iranisches Öl nach Syrien exportieren sollten.
Bekanntlich ist der Iran aber nicht Mitglied der EU und wird ohnehin von den USA maximal sanktioniert.
Rechtlich gesehen kann die EU nicht Drittstaaten ihre eigenen Sanktionen aufzwingen.
Es ist völlig absurd, daß Europa sich zu Trumps Polizei-Hiwi auf See macht, aber Gibraltar gehört zu England und London kann es sich durch den Brexit am Allerwenigsten leisten den Zorn Trumps auf sich zu ziehen. Insbesondere nachdem die für IQ45 so peinlichen Darroch-Depeschen durchgestochen wurden.
Also kriecht London devot vor Washington und hält ohne Rechtsgrundlage einen panamaischen Tanker fest.
Damit tut Europa genau das, was es gar nicht will – den Konflikt mit dem Iran eskalieren lassen. Wider besseres Wissen, aus Angst vor Washingtons Rache.

Iran wird also weiter anreichern, die Zahl der Zentrifugen erhöhen, Abschusssysteme testen.

Trump zeigt die Heuchelei der USA besser als alle anderen Präsidenten: Die Schurkenstaaten, die Atombomben haben, werden von ihm bewundert und sogar mit Liebesbriefen versehen.
Trump turtelt immer wieder öffentlich mit dem Atombombenbesitzer Kim Jong Un, begeistert sich für die Atommächte Russland und Israel.
Der Iran hingegen, der sich vertragstreu daran hielt keine Atombomben zu entwickeln, wird existenziell aus Washington bedroht.
Teheran wäre verrückt, wenn es sich nicht an Nordkorea ein Beispiel nehmen würde. Solche Leute werden von Trump hofiert und ins Weiße Haus eingeladen. Nicht trotz, sondern weil sie Atombomben haben.

Was also tun?
Da gibt es kaum eine Antwort, solange die radikal Bornierten im Oval Office sitzen.
Trump und Pence wissen es nämlich selbst nicht. Sie sind viel zu dumm, um über die Konsequenzen des von ihnen angerichteten Chaos‘ nachzudenken.
Jetzt haben sie den Schlamassel.

[….]  Was will der US-Präsident im Iran eigentlich erreichen? Einen „besseren“ Nuklearvertrag? Die Selbstabdankung des Regimes mittels der Unterwerfung unter die amerikanischen Maximalforderungen? Oder einen durch Krieg und militärische Besetzung des Landes erzwungenen Regimewechsel?
Vermutlich wissen Präsident und seine Berater das selbst nicht so genau – jenseits ihrer Wunschvorstellungen, die nicht erreichbar sind – denn nichts von alledem wird es geben.
Die unter Präsident Obama geschlossene Nuklearvereinbarung aufzukündigen, obwohl sie bis dahin vom Iran eingehalten worden war, dies war ein vorrangiges Wahlkampfversprechen Trumps gewesen. Aber nun, wie weiter?
Eine der wenigen berechenbaren Konstanten in Trumps Politik ist die Tatsache, dass der Präsident konsequent auf die Zustimmung seiner Kernwählerschaft achtet. Und diese will definitiv keinen neuen, noch größeren Krieg im Mittleren Osten. Maximalen Druck ja, Krieg nein, scheint auch Trumps Maxime zu sein. [….]  Aus maximalem Druck kann sehr schnell eine heiße militärische Konfrontation werden. [….] Die Handlungsfreiheit der USA im Nahen Osten hat sich aber seit 2003 erheblich verringert. Irans regionale Position ist heute wegen des Kriegs im Irak wesentlich stärker als damals. Das Land würde im Ernstfall materiell und diplomatisch auch durch Russland und China unterstützt, wäre also mitnichten isoliert.
[….] Für Trump allerdings könnte sich sehr schnell im iranischen Irrgarten, den er mit seiner Aufkündigung der Nuklearvereinbarung ohne Not betreten hat, die wenig ansprechende Alternative auftun, zwischen völligem Gesichtsverlust und militärischer Konfrontation wählen zu müssen.  [….]

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