Meine Oma erkrankte in den 1950er Jahren an einer sehr seltenen Form der Sklerodermie (M34 Systemische Sklerose). Das ist eine wirklich miese Sache, bei der sich Haut und Bindegewebe verhärten und zusammenziehen. Der Mund wird ganz klein, Finger und Zehen werden krumm streif und unbeweglich. Die Krankheit ist immer noch unheilbar. Irgendwann beginnen auch innere Organe (Verdauungstrakt, Lungen, Herz und Nieren) zusammengequetscht zu werden und dann ist die Prognose sehr schlecht. Ich bin nicht mit den heutigen Behandlungsmethoden vertraut, aber meine Oma wurde mit unfassbaren Mengen von Kortison vollgepumpt, bis sie am ganzen Körper angeschwollen war.
Eine Tortur. Entgegen aller Erwartung kam die Krankheit aber irgendwann zum Stehen und sie lebte weitere drei Jahrzehnte. Sie war geschickt darin, ihre entstellten Hände zu verbergen, litt aber keine Schmerzen mehr. Sie aß vorsichtig und wenig, weil sie Verengungen in der Speiseröhre und dem Magen hatte, aber das war alles mit normaler Kost möglich.
In den 1970ern erkrankte Jan, einer ihrer Großneffen im Teenageralter ebenfalls an genau dieser Sklerodermie. Der Vater, ein Cousin meiner Mutter, war verzweifelt, besuchte uns natürlich, um zu erfahren wie meine Oma 20 Jahre zuvor eigentlich genau die Krankheit besiegt hat.
Jan war wenige Jahre älter als ich, hatte noch einen kleinen Bruder, mit dem ich gern spielte. Jans Krankheitsverlauf war allerdings dramatischer. Er wurde immer krummer, die Hände waren nur noch schmale Fäuste und die Organe schrumpften. Er starb nach einer grauenvollen Leidenszeit mit 16 Jahren.Meine Oma wurde damals erneut zu einigen Tests in die Uniklinik gerufen. Zwei Fragen stellten sich; erstens konnten sich die Ärzte nicht erklären, wie es zu ihrer Dekaden andauernden Remission kam. Wie hatte sie das bloß geschafft? Zweitens dachte man nun an genetische Ursachen, nachdem in einer Familie zwei Mal eine so seltene Krankheit aufgetreten war. Wie gefährdet waren eigentlich die anderen Nachkommen meiner Oma?
Wir Kinder mussten alle in die Uniklinik, uns wurde jede Menge Blut abgepumpt und schließlich schnitt man uns ein zweimal zwei Zentimeter großes Stück Haut und Gewebe aus dem Oberarm. Das fand unter Lokalanästhesie statt und ich konnte nicht anders, als direkt drauf zu starren, während ich zerschnitten wurde.
Das Schlimmste widerfuhr aber meiner Mutter: Ihr wurde in einem dramatischen Gespräch - „ihre Kinder könnten bald unter fürchterlichen Qualen sterben und wir müssten dann hilflos wie bei Jan zugucken“ – eine lange Liste mit frühen Anzeichen von Sklerodermie übergeben. Ihr Auftrag lautete, uns mit Argusaugen zu beobachten und bei kleinsten möglichen Sklerodermie-Symptomen sofort ins Krankenhaus zu fahren.
Spoiler-Alert; es gibt bisher keine weiteren Fälle in der Familie. Aber in den folgenden Jahren konnten Eltern und Oma die Befürchtungen natürlich nie ablegen. Ständig löste irgendeine Hautstelle, eine minimale Appetitlosigkeit oder eine leicht steife Bewegung eine Panikreaktion aus: DAS KÖNNTE SKLERODERMIE SEIN! So ging es bei Jan damals auch los.
Heute bewundere ich meine Vorfahren dafür, diese Sorgen von mir fern gehalten zu haben. Ich habe als Kind nie befürchtet, bald sterben zu müssen. Nur die Narbe auf meinem linken Oberarm erinnert noch an das Drama.
Als Kind wußte ich noch nichts von Psychologie. Heute kenne ich die Begriffe „Phobie“ oder „Trigger“ und kann mir vorstellen, welche Streiche einem die eigene Phantasie spielen kann, wenn einem besorge Medizin-Professoren mitteilen ‚eins dieser 27 Symptome könnte bedeuten, daß ihr Kind bald stirbt‘.
Wir leben in Westeuropa nicht mehr in den Zeiten, in denen Frauen üblicherweise sowieso zehn bis 20 Mal schwanger sind. Ein Teil geht schon vor der Geburt verloren, einige sterben währenddessen, noch ein paar an Infektionen als Kleinkinder und von den vier bis sechs erwachsenen Söhnen, verreckt noch einmal die Hälfte im Krieg.
In unseren Breitengraden zu dieser Zeit hat man eher nur ein oder zwei Kinder, von denen man nicht annimmt, daß sie vor einem selbst sterben. Wenn doch einmal die Eltern ihr Kind überleben, gilt das als größtmögliches Unglück. Dementsprechend schlecht können wir mit Bedrohungen unseres physischen Wohls umgehen. Selbst, wenn es nur die theoretische Möglichkeit ist, daß etwas passieren könnte, obwohl alle kerngesund sind, genügt das schon, um einem halben Dutzend Familienmitgliedern Psychopharmaka gegen Angststörungen und Depressionen verschreiben zu müssen.
Das
dürfte die längste Einleitung aller Zeiten gewesen sein.
Die Pandemie, das mutierende Sars-CoV-II, ist auch so eine Angelegenheit, bei der viele junge und gesunde Menschen mit der realen Möglichkeit schwer zu erkranken und zu sterben konfrontiert werden.
Plötzlich wird detailliert über Symptome und erste Anzeichen gesprochen, daß man „es“ auch haben könnte. Wer nicht gerade ein Aluhut auf Spaziergang ist, nimmt zur Kenntnis wie viele Millionen Menschen schon an Covid 19 gestorben sind, liest die Berichte von den hoffnungslos überlasteten Krankenpflegern, weiß welch monatelange Tortur das Corona-Virus selbst für diejenigen bedeuten kann, die anschließend wieder völlig gesund werden. Oder auch nicht, wenn einen Long Covid erwischt.
Ich halte es für Zufall, daß ich gar nicht zur Hypochondrie neige, aber natürlich verfolge auch ich die Berichte über Long Covid mit etwas mehr emotionaler Beteiligung, seit ich selbst von Omikron erwischt wurde, frage mich vier Wochen nach der Infektion bei einem kleinen Niesen, ob das nun einfach nur mal ein Niesen war, weil man nun mal manchmal niest, oder ob es nicht langsam auf Long Covid hindeutet, wenn ich niese.
Nicht nur der Covid-Krankheitsverlauf selbst, sondern auch die Impfung ist nach dem gewaltigen politischen Bohei um das Thema psychologisch aufgeladen. Millionen Menschen sind so irregeleitet, daß sie aus Angst vor der Spritze lieber in Kauf nehmen, von dem Virus getötet zu werden.
Aber auch bei der Mehrheit, den Geimpften, fragt sich die meisten, wie gut oder wie schlecht sie die Impfung vertragen werden. Wird es mich komplett aus den Socken hauen? Schüttelfrost, Fieber? Muss ich mit Grippesymptomen tagelang darniederliegen? Wie viele Antihistamine und Aspirin sollte ich vor der Impfung, insbesondere vor dem legendären Booster einwerfen, um den Pieks zu überstehen?
[…..] Zum Smalltalk gehört in diesen Zeiten auch, sich nach dem Befinden nach der jüngsten Impfspritze zu erkundigen. Man kann dann erstaunliche Geschichten hören, von tagelanger Malaise, von Kribbeln an diversen Körperteilen, von Schmerzen in jenem Arm, in den gar keine Nadel drang. Wen ein leiser Zweifel an diesen Schilderungen beschleicht, der liegt womöglich nicht ganz falsch: Nicht alles, was Geimpfte als Nebenwirkungen wahrnehmen, muss vom Vakzin herrühren. [….]
Wären wir Menschen nicht mit „der Psyche“ behaftet, sondern bloß biologische Maschinen, würden die meisten von uns die Corona-Impfung kaum bemerken. Aber wir sind glücklicherweise keine Roboter, sondern Psychos, die mit Placebo- und Nocebo-Effekten leben.
Eine große im Fachblatt Jama Network Open veröffentlichte Studie von Wissenschaftlern rund um Winfried Rief, Psychologieprofessor der Universität Marburg, berichtete von einem Doppelblind-Impftest an über 23.000 Teilnehmern. 35% der Teilnehmer, die nur das Placebo, also eine Kochsalzlösung gespritzt bekamen, berichteten von den typischen Impf-Nebenwirkungen Kopfschmerzen und starke Müdigkeit, Gelenkschmerzen, Übelkeit, Schüttelfrost und weiteren Beschwerden. Bei denjenigen, die tatsächlich das BioNTech-Vakzin bekommen haben, waren es mit 46% nicht sehr viel mehr, die über diese Beschwerden klagten.
[….] Ungefähr zwei Drittel der Beschwerden nach den Impfungen seien unabhängig vom Wirkstoff aufgetreten, berichten Fachleute um Julia W. Haas von der Harvard Medical School in Boston im Fachmagazin »Jama Network Open«. Das Team hatte Nebenwirkungen von knapp 45.400 Probandinnen und Probanden aus zwölf Studien analysiert. Ungefähr die Hälfte hatte einen Wirkstoff erhalten, die andere ein Placebo. Die Leute wussten nicht, wer in welcher Gruppe war. Einbezogen in die Analyse wurden Daten der Impfstoffe von Biontech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca, die alle auch in Deutschland angewendet werden. Die Fachleute analysierten übliche, vorübergehende Impfreaktionen wie Abgeschlagenheit und Kopfschmerzen, die innerhalb von sieben Tagen nach der Impfung auftraten. Unter den mit Wirkstoff Geimpften traten, wie zu erwarten war, demnach insgesamt häufiger Beschwerden auf als in den Placebogruppen, die Kochsalzlösung bekommen hatten. Allerdings war der Unterschied zwischen Wirkstoff- und Placebogruppen besonders nach der ersten Dosis gering. Die Inhaltsstoffe der Impfungen hatten die Reaktionen der mit Wirkstoff Geimpften demnach meist gar nicht hervorgerufen. 76 Prozent der sogenannten systemischen Nebenwirkungen, wie Kopfschmerzen oder Abgeschlagenheit, die bei den Impfungen mit Wirkstoff dokumentiert worden waren, traten ebenso in den Placebogruppen auf. Anders gesagt: Nur 24 Prozent der Beschwerden, die nach Erstimpfungen dokumentiert wurden, lassen sich ursächlich auf die Wirkstoffe zurückführen. [….]
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