Freitag, 11. März 2022

Mächtige und Meinungen

 Demokratie ist natürlich großer Mist, weil Idioten genau so viel zu sagen haben, wie kompetente rationale Bildungsbürger. Wirklich korrupte Gangster-Politiker wie Berlusconi, Strauß, Kohl oder Koch wurden jeweils vielfach im Amt bestätigt, weil der Urnenpöbel nicht in der Lage ist, seine eigene Manipulation zu durchschauen. Demokratie wird sogar zunehmend schlechter, weil die Wähler im Internet-Zeitalter durch Social-Media-Algorithmen bequem zu manipulieren sind. So erlebte der Rechtsradikalismus überall in Europa und den USA einen Aufschwung. Höchst unseriöse gefährliche Lügner wurden demokratisch in Regierungsverantwortung gewählt. Aber schon Adolf Hitler kam demokratisch an die Macht.

Mit Hilfe der professionellen Hetzmaschinen Facebook, Instagram, Telegram Twitter, TikTok und Youtube können auch heute noch antidemokratische Rassisten in Russland, Brasilien, den USA, Polen, Ungarn, Slowenien, Österreich und England an die Macht kommen. Am 16.04.2017 bekam Recep Tayyip Erdoğan spielend einfach bei seinem, ihn selbst ermächtigenden Verfassungsreferendum demokratisch 51,5% der Stimmen. Mit demokratischen Methoden kann man also Demokratie abschaffen.

Aber wie sollte man das Staatswesen besser organisieren?

    "Demokratie ist die schlechteste aller Regierungsformen - abgesehen von all den anderen Formen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind."

- Winston Churchill

("No one pretends that democracy is perfect or all-wise. Indeed, it has been said that] democracy is the worst form of government except all those other forms that have been tried from time to time." - Rede vor dem Unterhaus am 11. November 1947 Sitzungsprotokoll column 207)

Sanktionen, Boykotte und Wirtschaftsembargos sind ebenfalls großer Mist. Sie wirken meist nicht in der gewünschten Richtung, lassen diejenigen, die es treffen soll, unberührt und haben schreckliche Nebenwirkungen.

Mit Schaudern erinnere ich mich an die dramatischen Sanktionen, die insbesondere die amerikanische Lügenadministration des GWB gegen den Irak durchgesetzt wurden. Saddam Hussein sollte gezwungen werden, seine Massenvernichtungswaffen abzuschaffen. Immer wieder beteuerte er, gar keine Massenvernichtungswaffen zu besitzen, die er abgeben könnte. Aber kein westlicher Staat glaubte ihm und kam auf die Idee, stattdessen von den demokratischen Regierungen in London und Washington nach Strich und Faden belogen zu werden.

Katrin Kamin, leitende Forscherin zu den Themen Internationale Politische Ökonomie, Handelskonflikte und Geoökonomie am Institut für Weltwirtschaft in Kiel sieht Sanktionen skeptisch. Aber letztlich hält sie es wie Churchill bezüglich der Demokratie: Sanktionen sind immerhin besser als alle anderen Möglichkeiten.

[…] Jahr für Jahr versuchen Staaten, mit Strafen auf andere Staaten einzuwirken - und dies immer häufiger. Die Wirkung ist fraglich. Trotzdem: Es ist ein Fortschritt, Konflikte so auszutragen. […] Was in dieser Krise nun erneut deutlich wird: Die Welt wandelt sich von einer regelbasierten zu einer stärker machtbasierten internationalen Ordnung. Dies zeigt sich insbesondere darin, dass Staaten zunehmend auf geoökonomische Instrumente wie Sanktionen zurückgreifen. Die Anzahl der verhängten Sanktionen (sowohl bilateral als auch multilateral) ist von etwa 20 im Jahr 1950 auf etwa 250 im Jahr 2019 gestiegen. […]  Allerdings ist die Wirksamkeit von Sanktionen zur Erreichung politischer Ziele umstritten. […] Zum einen, weil Studien nahelegen, dass nur ein Drittel der Sanktionen auch das gesteckte Ziel erreichen. Zum anderen, weil Sanktionen vielfältige Effekte haben, insbesondere auch für Unbeteiligte. So hat das Sanktionsregime gegen den Irak in den 1990er-Jahren mit seinen dramatischen humanitären Auswirkungen auf das irakische Volk verdeutlicht: Die Kosten solcher breiten Sanktionen werden häufig von der breiten Bevölkerung getragen  […]

(Prof. K. Kamin, 11.03.2022

Die demokratischen Staaten des Westens verhängten so brutale Sanktionen gegen Bagdad, daß durch Nahrungs- und Medikamentenmangel bis zu einer Million Menschen starben. Vielfach werden die damaligen Sanktionen als eine Form des Genozids bezeichnet. Ein Genozid, der freilich nie untersucht und aufgeklärt wurde, weil die mächtigen EU- und nordamerikanischen Staaten kein Interesse daran haben, als Schuldige dazustehen.

[….]  Richard Garfield, Professor für öffentliches Gesundheitswesen an der Columbia University, gelangte in seinen Untersuchungen zu dem Schluss, dass die Zunahme der Kindersterblichkeit zwischen 1991 und 2002 zum Tod von 345.000 bis 530.000 irakischen Kindern geführt hat. … Zu noch erschreckenderen Zahlen kam Tim Dyson, Professor für Bevölkerungswissenschaften an der London School of Economics, in einer Studie von 2006. Er schätzt, dass zwischen 1990 und 2003 etwa 660.000 bis 880.000 irakische Kinder unter fünf Jahren aufgrund des Zusammenbruchs der irakischen Ökonomie gestorben sind. … Die Hauptverantwortung für die Härte und Dauer des Embargos tragen die verschiedenen US-amerikanischen und britischen Regierungen. [….]

(Heise, 06.08.2020)

Sanktionen ohne Grund, denn Präsident Hussein hatte keine WMDs, die er wie gefordert hätte abgeben können, um das Sterben der irakischen Kinder zu stoppen. Die Erkenntnisse sind nicht neu, sondern wurden schon vor 20 Jahren seriös berichtet. Es kümmerte uns nur nie, weil die Kinder etwas weiter weg starben und in der Regel dunkle Haare hatten. Da kann man auch geächtete Uran-Munition einsetzen; es sterben ja bloß muslimische Kinder an Krebs und nicht die netteren Blonden wie in der Ukraine – so offenbar die Moral des Westens.

[….] Die Zahlen und Fakten, die verschiedene UN-Organisationen wie die Weltgesundheitsorganisation (WHO) oder UNICEF zur humanitären Lage des Landes am Golf präsentieren, sprechen eine erschütternde Sprache. Als direkte Folge der Sanktionen sterben durchschnittlich 250 Menschen täglich (UNICEF, 1998). Inzwischen zählt der Irak zu den fünf ärmsten Ländern der Welt, während er vor 1980 zu den am besten entwickelten Ländern des Nahen Ostens gehörte. Jedes achte irakische Kind stirbt, bevor es das fünfte Lebensjahr erreicht, zum größten Teil an Diar-
rhö oder Atemwegserkrankungen. Rund 960 000 Kinder (32 Prozent) sind chronisch unterernährt. Der Irak hat weltweit eine der höchsten Kinderkrebsraten. Irakische Ärzte machen dafür die Geschosse mit abgereichertem Uran (300 Tonnen) verantwortlich. In Basra, einer Stadt im Süden des Landes, in der während des 2. Golfkrieges besonders viel Uranmunition abgeworfen wurde, sind drei Prozent der neugeborenen Kinder schwerstmissgebildet. Bisher konnte die WHO keine Studien zur Ursachenaufklärung durchführen, weil sowohl die USA als auch Großbritannien die Erlaubnis dazu verweigerten. Rund zwei Drittel der irakischen Bevölkerung leben allein von den monatlichen Nahrungsmittelrationen: neun Kilo Mehl, drei Kilo Reis, zwei Kilo Zucker, ein Pfund Linsen, ein halbes Pfund Bohnen und 1,25 Kilo Öl.
Berührend und schockierend zugleich ist die Konfrontation mit den vielen leukämiekranken Kindern im Al-Mansour-Hospital in Bagdad.
Immer wieder erzählt der Hämatologe Dr. Murtada Hassan fast gleiche Krankengeschichten über die kleinen Patienten: Der fünfjährige Atal leidet an einer akuten myeloischen Leukämie – Behandlung nicht möglich, da zurzeit keine Chemotherapeutika verfügbar sind. Abbas ist 12 Jahre alt und vor zwei Jahren erstmals an akuter lymphoplastischer Leukämie erkrankt. Damals erhielt er eine Chemotherapie. Vor sechs Wochen ist ein Rezidiv aufgetreten – keine Chemotherapie möglich, da keine Asparaginase vorhanden. Der sechsjährige Ibrahim mit akuter lymphoplastischer Leukämie befindet sich im Terminalstadium. Hamsa ist erst eineinhalb Jahre alt – Hämophilie, kein Faktor 8 vorhanden. „Es ist furchtbar, entscheiden zu müssen, wer weiterlebt und wer stirbt, wenn uns die Medikamente wieder ausgehen“, sagt Hassan. „Immer wieder gibt es infolge der Sanktionen Lieferengpässe und Verzögerungen.“ [….]

(Ärzteblatt, März 2003)

Am Ende griffen die USA mit ihrer Koalition der Willigen dennoch an und töteten weitere eine Million Iraker. Chirac, Putin und Schröder stemmten sich massiv gegen den Irak-Krieg, konnten die bellizistischen Konservativen in Washington aber genauso wenig umstimmen, wie Merkel und die CDUCSU.

Es sollte die Strafe für 9/11 sein. Daß Saddam damit nichts zu tun hatte, spielte keine Rolle, da die wahren Täter fast ausnahmslos wie Osama bin Laden Saudi-Araber waren. Die Saudis sind aber a) furchtbar reich, sitzen b) auf furchtbar viel Öl und sind c) furchtbar eng mit der Bush-Familie befreundet. Gegen Saudi Arabien unternimmt niemand im Westen etwas, obwohl dort ein brutales maximal undemokratisches Scharia-Regime herrscht, welches seit 2015 damit beschäftigt ist einen Völkermord an den Jemeniten zu verüben.

[….] Mehr als 370.000 Menschen wurden im Jemen-Konflikt bereits getötet, Millionen mussten flüchten. Die Vereinten Nationen stufen den Krieg und seine Folgen als schlimmste humanitäre Krise der Welt ein.   [….]

(Tagesschau, 22.01.2022)

370.000 Tote, für die Joachim Gauck nicht eine Sekunde überlegte, zu frieren.

Die Saudische Regierung unter ihrem de facto-Regierungschef Kronprinz Mohammed bin Salman al-Saud (MBS) mag nicht gern, wenn man schlecht über sie redet.  König und Premierminister und Hüter der Heiligen Stätten Salman ibn Abd al-Aziz Al Saud ist 86 Jahre alt und senil, also kann sein 36-Jähriger Neffe MBS tun was er will.

Der saudi-arabisch-US-amerikanische Kolumnist der Washington Post Jamal Ahmad Khashoggi hatte kritisch über die saudische Regierung berichtet. Also ließ ihn Regierungschef MBS am 2. Oktober 2018 von in den USA ausgebildeten Killern in Istanbul zerstückeln.

An die 200 Menschen pro Jahr lässt das MBS-Regime allerdings auch öffentlich zur Belustigung der Massen hinrichten. Ein Spaß für die ganze Familie.

Gar nicht gern sehen es die Tausenden saudischen Prinzen, wenn aufmüpfige Bürger einfach so frei ihre Meinung sagen. Eine Meinung, die womöglich sogar das Königshaus oder gar die islamisch-wahabitische Religion kritisiert, kann da schnell mal zur finalen Steinigung führen.

Der Blogger Raif Badawi trieb es besonders weit und bekannte in seinem Blog Atheist zu sein. So geht es ja nun nicht in Riad! Aber Badawi hatte Glück und verschwand nur für zehn Jahre in einem Folterknast, aus dem er erstaunlicherweise sogar lebend heraus kam. Da kann er sich nun wirklich nicht mehr beschwere

[….] Saudiarabischer Blogger Badawi nach zehn Jahren freigelassen

Raif Badawi setzt sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung ein. [….] Badawi war 2012 festgenommen und 2014 wegen "Beleidigung des Islams" zu zehn Jahren Haft und tausend Peitschenhieben verurteilt worden. Seine Verurteilung hatte heftige internationale Proteste ausgelöst. Badawi hatte sich für das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Frauenrechte eingesetzt und wiederholt die Religionspolizei für ihre harte Durchsetzung der in Saudi-Arabien vorherrschenden strengen Auslegung des Islam kritisiert. [….] Badawis Frau Haidar lebt mit ihren drei Kindern im kanadischen Québec und hat die kanadische Staatsangehörigkeit angenommen. [….]

(ZEIT, 11.03.2022)

Ich bestreite selbstverständlich nicht, daß man, daß wir, daß „der Westens“ im Zuge des Angriffs auf die Ukraine Russland sanktionieren müssen. Natürlich führt kein Weg daran vorbei, einem Angriffskrieger drastisch zu verstehen zu geben, daß die Weltgemeinschaft so ein Verhalten nicht akzeptiert. Putin droht Journalisten, die frei ihre Meinung sagen, bis zu 15 Jahren Gefängnis an. Dagegen wehren wir uns immer!

Es sei denn natürlich, das Land ist so mächtig wie die USA oder China. Dann können wir eben nichts unternehmen, sprechen die Millionen Toten im Irak oder die Uiguren im Gulag einfach nicht an.

Da kehren wir die lästigen Fälle Julian Assange und Edward Snowden lieber unter den Teppich, weil es Washington ist, das die beiden Whistleblower hart dafür bestrafen will, die Wahrheit über US-amerikanisches Regierungshandeln auszuplaudern. Bis heute traut sich die Bundesregierung nicht Snowden in Deutschland Asyl zu gewähren.

Aber bei Russland muss es wirklich sein. Katrin Kamin hat Recht; Sanktionen sind besser als nichts und besser als selbst in den Krieg einzutreten.

Und wir müssen Gas und Erdöl auch nicht für immer in Russland einkaufen. Lass‘ doch mal bei MBS in Riad anrufen. Von den netten Saudis nehmen wir gern Erdöl und Erdgas. Dann sind wir ethisch wieder auf der richtigen Seite. 


 

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