Die Woche, die ZEIT, Ganske-Verlagsgruppe, Rowohlt, der SPIEGEL, Studio Hamburg, Jahreszeitenverlag, NDR, Gruner und Jahr, Bauer, Axel Springer, Hoffmann und Campe – Hamburg nennt sich zu Recht „die Medienstadt“ in Deutschland.
Umso peinlicher, daß ausgerechnet Hamburg über keine gute Tageszeitung verfügt. Die Süddeutsche Zeitung hatte einst einen Hamburg-Teil geplant, wie auch die „Berliner Seite“. Zu meinem größten Bedauern fiel der Plan aber dem Sparhammer zum Opfer, als alle Zeitungsverleger vom Internet gebeutelt wurden. Über Jahrzehnte gab es in Hamburg neben der in homöopathischer Auflage erscheinenden „taz Hamburg“ und der kleinen Boulevardzeitung „Hamburger Morgenpost“ (Auflage 24.000) nur drei Springer-Blätter: Die ultrakonservative WELT, das Hetzblatt BILD und das konservative Hamburger Abendblatt, so daß man als Hamburger, der an regionalen Informationen interessiert ist, bedauerlicherweise letzteres abonnieren muss.
Spätestens ab 2012 wurde es unerträglich, als auch Springer sparte, Redakteure feuerte und das „Abla“ seine überregionalen Artikel von WELT und Berliner Morgenpost übernahm. Umso erstaunter (und erfreuter) war ich, als Springer-Großzampano Matthias Döpfner 2014 fast alle Print-Erzeugnisse rauswarf, nur seine geliebte BILD und WELT behielt und unter anderem das Abla für 920 Millionen Euro an die FUNKE-Mediengruppe verkaufte.Der 2013 aus der WAZ-Gruppe (Westdeutsche Allgemeine Zeitung) hervorgegangene Großverlag gilt zwar auch als eher konservativ, läßt aber bei seinen 13 Tageszeitungen und Dutzenden Zeitschriften/Wochenblättern traditionell Pluralismus walten, zwingt keine rechtsideologischen Vorgaben wie Friede Springer auf.
Es konnte also nur besser werden beim Abendblatt. Dachte ich. Immerhin, es wurde nicht schlechter. Die politische Ausrichtung ist immer noch kirchenfreundlich und rechts von der Mitte. Aber es geht niemals in den ultrarechten/völkischen Bereich, wie es bei WELT, BILD, aber auch gelegentlich in der FAZ durchaus vorkommen kann.
Innovationen sind den Essenern in den nunmehr acht Jahren Abla nicht eingefallen, die Auflage bröckelte von rund 200.000 im Jahr 2014 auf inzwischen nur noch 138.000 (2021). Die Abendblatt-Redakteure spielen überregional keine Rolle, werden nicht in den Pressclub oder zu Brennpunkten eingeladen.
Hätte ich eine bessere Alternative, würde ich sofort mein Abonnement kündigen. Aber wäre es immer noch Teil des SPRINGER-Imperiums, hätte ich inzwischen kündigen müssen. Deren „rote Gruppe“ mit der Cash-Cow BILD war immer der letzte Dreck und die „blaue Gruppe“ und die WELT mit ihrem rechts-völkisch abgedrehten Chef Ulf Poschardt, kann man keinesfalls tolerieren, auch wenn sie sich immer mal wieder einen Exoten leistet, der wie Alan Posner gegen die Kirche anschreibt oder wie der Pen-Präsident Denis Yücel die Türkeiberichterstattung prägt.
Die Vorgänge um die Entlassung des übergriffigen BILD-Chefs Julian Reichelt, der das Drecksblatt neben den üblichen Lügen und rechtsvölkischen Inhalten auch noch mit verschwörungstheoretischen Covidiotenmüll flutete, waren insofern erhellend, als wir jetzt wissen, daß sich Friede Springer und ihr Sohn/Liebhaber/Erbe Döpfner eben nicht für das üble Blatt schämen, es aber notgedrungen behalten, weil es so profitabel ist. Nein, sie sind offenbar ganz auf Linie. Matthias Döpfner orakelt gruselige verschwörungstheoretische Dinge in die Welt.
[….] Vor lauter Verschwörungsfantasien findet Döpfner keinen Umgang mit einem System des Machtmissbrauchs. Nach Lektüre des FT-Artikels erscheint auch die Whatsapp-Nachricht an den Schriftsteller Benjamin von Stuckrad-Barre, in der Döpfner Reichelt als letzten aufrechten Journalisten bezeichnet, der gegen einen "neuen DDR-Obrigkeitsstaat" kämpft, in einem passenden Kontext. In seinem Video sagte Döpfner zwar entschuldigend: "Wenn man in einer privaten Unterhaltung aus dem Zusammenhang gerissen etwas zitiert, dann unterschlägt man Polemik, Ironie, Übertreibung". Doch die Nachricht an Stuckrad-Barre war keine Ironie, das zeigt sich spätestens jetzt, sie war offensichtlich so gemeint, wie es da steht. Döpfner wollte an Reichelt festhalten, womöglich weil er ihn als Verbündeten im Kampf gegen eine empfundene linke Übermacht brauchte. Im Artikel der FT wird Döpfner so zitiert, dass er sich und Springer als letzte Bastion der Unabhängigkeit, der Kritik an der Regierung sieht, und dass es eine linke Blase gebe, die sie dafür bestrafen möchte. So passt alles zusammen. […..]
Poschardt, Reichelt und Milliardär Döpfner bewegen sich offenbar schon länger in einer rechten Wahnwelt, in der sie von Impfspritzen-werfenden linksgrünversifften Merkels daran gehindert werden sollen, ihren Machismo auszuleben.
[….] Im Fall „Reichelt, Döpfner und die deutschen Medien“ gibt es etliche homogene Umfelder. Zunächst einmal das von Axel Springer, wo das regierte, was man Bro Culture nennt: ein Patriarchat, bei dem Frauen schmückendes Beiwerk sind und, wie zu lesen ist, nach „Fuckability“ sortiert werden. Und natürlich gibt es ein „Wir gegen die“: Wir von Springer gegen den Rest der Welt, wir haben Recht und können uns alles erlauben – der Rest nicht. Aus dieser Kultur heraus wird dann eine imaginäre Gratiskultur im Internet angeprangert – und anderseits systematisch selbst raubkopiert. [….]
Matthias Döpfner, als reichster und mächtigster Verleger, regiert aber nicht nur die Springer-Gruppe, sondern sitzt auch dem Bundesverband Digitalpublisher und Zeitungsverleger (BDZV) vor. Für alle Verlage, die sich noch an Fakten, Transparenz und Ehrlichkeit orientieren, ist das ein Problem. Döpfner ist eigentlich untragbar, kann aber mit seinen internationalen Kontakten und seinem Milliardenvermögen Türen öffnen. Auf so einen mächtigen Fürsprecher wollen Verlage nicht gern verzichten.
Umso erstaunlicher, daß es die behäbigen Essener sind, die den einzig möglichen Ausweg gehen. Sie sehen das Ansehen der gesamten Branche unter Präsidenten Döpfner als so schwer beschädigt an, daß sie den BDZV verlassen. Gut gemacht!
[….] Die Funke Mediengruppe, das große Verlagshaus aus dem Ruhrgebiet, hatte in den vergangenen Wochen klar Stellung gegen den Axel-Springer-Chef bezogen, der trotz seiner Rolle im Fall des ehemaligen Bild-Chefredakteurs Julian Reichelt weiterhin Präsident des BDZV ist - und damit oberster Repräsentant der deutschen Tageszeitungen. Döpfner war durch mehrere Recherchen schwer belastet worden. Die Londoner Financial Times kam zuletzt zu dem Schluss, er habe aktiv versucht, den Machtmissbrauch von Reichelt zu vertuschen und einen Anwalt damit beauftragt, Betroffene auszuforschen. [….] Kann dieser Mann mit diesen Ansichten noch als oberster Lobbyist die Anliegen der Verleger vertreten? An diese Frage wagte sich bei der Delegiertenversammlung Mitte Februar einzig Funke heran - und wurde dafür heftig kritisiert. Die Palastrevolte scheiterte. [….] Valdo Lehari, Verleger des Reutlinger General-Anzeigers und einer von Döpfners Vizepräsidenten im BDZV, hatte als Sitzungsleiter gar mahnend darauf verwiesen, "dass es gelebte Tradition ist, interne Angelegenheiten der Mitgliedsverlage nicht zum Gegenstand von Verbandsdiskussionen zu machen". Gemeint war: Was Mathias Döpfner bei Springer tut, soll die Verbandsmitglieder gefälligst nicht kümmern. [….]
Die Kriecherei Leharis und der peinliche Rückzieher Dirk Ippens, der das Investigativ-Recherche-Team zum Thema Reichelt in seinem eigenen Verklag stoppte, zeigen, wie ungern eine Krähe der anderen ein Auge aushackt.
Umso beeindruckender, welch kräftiges Rückgrat Julia Beckers Funke-Gruppe an den Tag legt. Sie lässt sich nicht von den alten Männern kaufen.
[….] Vor wenigen Tagen traf dann ein ungewöhnlicher Brief am Jakob-Funke-Platz 1 in Essen ein: Döpfners drei noch verbliebene getreue Stellvertreter machten Funke-Verlegerin Julia Becker ein zweifelhaftes Angebot. Sie selbst könne doch den nunmehr frisch freigewordenen Vize-Posten unter Döpfner einnehmen, schrieben Christian DuMont Schütte (u.a. Kölner Stadt-Anzeiger), Jan Dirk Elstermann (Neue Osnabrücker Zeitung) und Valdo Lehari (Reutlinger General-Anzeiger). Der Brief war Machtspiel und Ausdruck des Spotts zugleich. Funke hatte in einem Strategiepapier Vorschläge für eine Reform des Verbands unterbreitet. Nun, so schrieben die drei Vizepräsidenten unverhohlen hämisch an Becker, "wäre es für Sie die beste Gelegenheit, den Worten nunmehr durch Ihre persönliche Mitwirkung konkrete Taten folgen zu lassen". In Essen reagierte man entsprechend erzürnt. "Der letzte Antrag der Vize-Präsidenten war in seiner gönnerhaften Tonality zu viel", sagt ein Funke-Sprecher auf SZ-Nachfrage.. [….]
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