In Kriegen kommt es oft zu Vergewaltigungen.
Im Mittelalter (und in einigen Kulturen bis heute) nannte man es „Schänden“, weil aufgrund der religiösen Amoral das Vergewaltigungsopfer anschließend die Schande zu ertragen hat und nicht etwa der Täter.
Die Opfer wurden nicht nur durch Sex und Gewalt gedemütigt, sondern wurden noch zusätzlich durch die soziale Ächtung in ihrer eigenen Familie/Gesellschaft psychisch schwer verletzt.
Es ist eigentlich kaum zu fassen, daß Vergewaltigung als Kriegswaffe erst in den 1990er Jahren auf dem Balkan das erste mal systematisch erfasst wurde und tatsächlich erst im 21. Jahrhundert als „Kriegswaffe“ betrachtet wird. Auf dem Balkan gab es neben dem gewalttätigen Effekt, also der möglichst umfassenden Zerstörung und Demütigung des unterlegenen Volkes, zusätzlich noch um den „ethnischen Effekt“. Die muslimischen Bosniaken sollten durch christliche Serben geschwängert werden, um so „die Gene Serbiens“ zu verbreiten und die muslimischen Kinder zu verdrängen.
[….] In einer Diktatur werden Personen, die politisch anderer Meinung als die Herrschenden sind, oft verfolgt. Der Staat will von diesen Menschen keine Kritik hören, will sich von ihnen nicht stören lassen. Deswegen heißt es in Diktaturen immer wieder, dass der Staat von diesen Kritikern "gesäubert" wird. Dieser Begriff der „Säuberung“ ist besonders niederträchtig. Denn damit soll der Eindruck erweckt werden, dass diese Menschen einen Staat beschmutzen oder dass sie selbst Schmutz wären. Solche politischen "Säuberungen" fanden im 20. Jahrhundert in großem Ausmaß statt. [….] dieser menschenverachtenden Politik ist auch die sogenannte "ethnische Säuberung". "Ethnie" ist ein griechisches Wort und bezeichnet eine Gruppe von Menschen, die die gleiche Kultur oder Abstammung verbindet. Wenn eine solche Gruppe verfolgt und vertrieben wird, spricht man von „ethnischer Säuberung“. In den 1990er Jahren gab es brutale Verfolgungen in Bosnien-Herzegowina oder auch im afrikanischen Staat Ruanda, wo bis zu einer Million Menschen starben. [….] Dieses hässliche, menschenverachtende Wort wurde in die Liste der hundert „Unwörter“ des 20. Jahrhunderts aufgenommen. […]
(Gerd Schneider / Christiane Toyka-Seid, bpb 2022)
Ob es sich bei der Vergewaltigung als Kriegswaffe überhaupt um Sexualität, oder nicht weitgehend um Gewalt handelt, ist eine weitere Frage, die ich in letztem Sinne beantworten würde.
(…) Aber eine Vergewaltigung als Machtdemonstration verwundert schon, wenn man die biologischen Voraussetzungen bedenkt. Das Opfer will offenbar nicht, es gibt kein Gleitgel von Beate Uhse und der eigentlich heterosexuelle Vergewaltiger muss offensichtlich blitzartig eine sehr stabile Erektion generieren. Für die meisten Menschen sollte aber doch eine derart gewalttätige Situation, voller Angst und Schmerzen, gerade eben nicht sexuell erregend sein. Also, wie klappte das, über 2.000 Jahre vor der Erfindung des Viagras?
Tatsächlich beruht diese Frage aber auf einem Denkfehler, der Erektion und Analverkehr automatisch mit Sex assoziiert. Darum geht es in diesem Fall aber gar nicht, sondern um Gewalt. (…)
(Menschen sind widerlich, 07.05.2022)
Joshua Beer und Christoph Koopmann, die beiden Korrespondenten der Süddeutschen Zeitung in Kiew, berichten ausführlich über die Massenvergewaltigungen durch russische Soldaten in der Ukraine. Opfer sind neben Frauen und Mädchen, auch Jungs und Männer.
Offenkundig gibt es hier weniger einen ethnischen oder religiösen Hintergrund – schließlich sind Täter, wie Opfer slawische orthodoxe Christen. Die SZ-Autoren beleuchten aber den sexuellen Aspekt.
[…] "Die Vergewaltigung ist häufig - für Täter wie auch Opfer - die erste sexuelle Erfahrung", so Skjelsbæk. Mit furchtbaren Folgen, die vorrangig die Vergewaltigten tragen. Viele Fälle werden gar nicht erst gemeldet, aus Angst vor dem sozialen Stigma, das einer solchen Tat anhaftet. In manchen tief religiösen Kreisen etwa - und nicht nur dort - gelten Vergewaltigte heute noch als mit einem Makel behaftet, als gebrandmarkt. Es liegt an der Gesellschaft, ein solches Stigma nicht zuzulassen. […]
Aus den schon genannten Gründen, halte ich die Darstellung von Inger Skjelsbæk, Professorin am Friedensforschungsinstitut Oslo (Prio), für fragwürdig. Oder zumindest für erklärungsbedürftig. Die geschilderten Kriegsverbrechen sind nicht in erster Linie eine „sexuelle Erfahrung“, sondern eine Erfahrung brutaler Gewalt.
Aber Joshua Beer und Christoph Koopmann weisen auf einen anderen Aspekt der „Kriegswaffe Vergewaltigung“ hin, den ich bisher nicht so klar beschrieben hatte.
Es geht nicht nur darum, den Feind zu strafen, zu quälen, zu „schänden“ und damit zu schwächen oder zu vernichten, sondern es macht auch etwas mit den Angreifern, das für die Kriegsherren wünschenswert ist.
[…] Dass Soldaten im Krieg vergewaltigen, hat vielfältige Gründe. Der wohl offenkundigste ist die Auswirkung der Gewalt, mit der sie im Kampf immer wieder zu tun haben. Je mehr sie diese erleben, erfahren und selbst verüben, desto stärker sinkt in dieser "Gewaltspirale" die Hemmschwelle zur Grausamkeit - so beschreiben es Forschende. Damit fällt auch das Tabu von Folter und Vergewaltigung. Hinzu kommt die praktische Straffreiheit, die die Täter bislang häufig genossen. "Vergewaltigung wirkte legal, weil sie keine Konsequenzen nach sich zog", sagt Inger Skjelsbæk. […] Vergewaltigung erfüllt im Krieg aber noch einen viel pragmatischeren Zweck als das Herabsetzen des Gegners. Auf der Täterseite, sagt Friedensforscherin Skjelsbæk, "schafft sexuelle Gewalt sozialen Zusammenhalt", das Tabuverbrechen schweiße die Soldaten zusammen. Ein Effekt, den die russische Armee in der Ukraine besonders nötig hätte. Vieles deutet auf eine niedrige Kampfmoral hin, bekanntlich kämpfen vor allem junge, womöglich verunsicherte Männer. [….]
So abartig es klingt, so einleuchtend erscheint es mir: Die jungen russischen Soldaten, tausende Kilometer fern der Heimat, die gar keinen Drang verspüren Ukrainer zu töten und dementsprechend demotiviert Krieg führen, werden als Massenvergewaltigungstäter enthusiastischer für das Morden und Krieg führen im Allgemeinen.
Homo Homini Lupus.
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