Auf die Frage nach dem höchsten Gut der deutschen Gesellschaft bekommt man verschiedene Antworten. Je nachdem, wen man fragt. Der Mammon? Wirtschaftliche Interessen? Fun? Macht?
Einige Antworten wären aber definitiv falsch: „Das menschliche Leben“, „Familie“ oder „die Würde des Menschen“. Diese „Werte“ ordnen wir nämlich ohne mit der Wimper zu zucken, pekuniären Aspekten unter.
Man könnte durchaus die Anzahl der Verkehrstoten drastisch reduzieren – durch Tempolimits.
Man könnte durchaus die Anzahl der MRSA-Toten drastisch reduzieren – durch Investitionen in die Krankenhaushygiene.
Man könnte durchaus die Anzahl der Drogentoten drastisch reduzieren – durch Entkriminalisierung.
Man könnte durchaus die Anzahl der Covid-Todesfälle drastisch reduzieren – durch strengere Kontaktbestimmungen.
Man könnte durchaus die Anzahl der Ertrunkenen im
Mittelmeer drastisch reduzieren – durch Aufnahme der Fliehenden in Deutschland.
Man könnte durchaus die Anzahl der täglich verhungernden Kinder drastisch reduzieren – indem wir unsere Entwicklungshilfeausgaben aufstocken.
Aber dafür ist uns das menschliche Leben an sich nicht relevant genug.
Wir leisten uns stattdessen einen Bundesverkehrsminister der Porschepartei, dem der Fahrspaß der Autobahnraser wichtiger ist, als das Leben von 3.000 todgefahrenen Menschen.
[……] Bei 4,5 % aller Sterbefälle des Jahres 2022 (47 912 Verstorbene) lag eine sogenannte äußere Ursache und damit eine nicht-natürliche Todesursache vor. Dies war eine Steigerung um 10,9 % gegenüber dem Vorjahr (2021: 43 200 Verstorbene). Den höchsten Anstieg in dieser Gruppe der Todesursachen hatten Stürze mit +11,7 % auf 20 311 Verstorbene im Jahr 2022. Auch Transportmittelunfälle, dazu zählen insbesondere Straßenverkehrsunfälle, nahmen um 8,0 % auf 3 141 Fälle zu. Durch einen Suizid beendeten 10 119 Menschen ihr Leben, fast drei Viertel (74 % oder 7504 Verstorbene) davon waren Männer und etwas mehr als ein Viertel (26 % oder 2 615 Verstorbene) waren Frauen. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Zahl der Suizide um 9,8 % (2021: 9 215 Fälle), allerdings lag der Anteil der Suizide an allen Todesursachen wie schon in den Vorjahren konstant bei etwa 1 %. [….]
(Statistisches Bundesamt, PM Nr. 441 vom 15.11.2023)
Man kann das so machen. Man kann sich als Gesellschaft darauf einigen, daß einem der kollektive Spaß bei Formel1-Rennen, Oktoberfest, Fußballausschreitungen und Silvesterböllerei wichtiger ist, als Menschenleben. Dann haben eben einige wenige das Pech, ihr Leben für den Spaß der Masse lassen zu müssen.
Aber es wäre wünschenswert, sich ehrlich zu machen und nicht an anderer Stelle – wie bei den Themen Sterbehilfe, §219a, §218, oder Patientenverfügung – pathetisch überhöht, den Schutz menschlichen Lebens als ultima ratio aufzubauschen.
Tatsächlich ist das Leben an sich unschützbar, da wir alle sterben. Allein in Deutschland sterben jedes Jahr knapp eine Million Menschen.
Sterben ist die natürlichste Sache der Welt. Die meisten gezeugten Embryonen killt Gott selbst noch vor der Geburt. Mehr als 80% der befruchteten menschlichen Eizellen sterben schon im Mutterleib.
Das Leben ist eine durch Geschlechtsverkehr übertragene Krankheit, die zu 100% tödlich endet.
Oder wie der Amerikaner sagt:
„Life sucks – and then you die“
Wir sterben also alle und zwar auf jeden Fall. Wir können lediglich Einfluss auf die Art des Sterbens nehmen.
Der Staat sollte sich nicht lächerlich machen, indem er so tut, als ließe sich das Sterben vermeiden.
Er sollte aber dafür sorgen, seine Bürger selbstbestimmt und unbeeinflusst über ihren eigenen Tod urteilen zu lassen.
Es ist völlig in Ordnung, sich mit einem Kopfschuss selbst zu töten. Aber es ist absolut Tabu, jemand anderen mit einem Kopfschuss zu töten.
Man darf sich zu Tode saufen. Man darf aber nicht volltrunken Auto fahren, weil man unbeteiligte Dritte tötet, die sich nicht totsaufen wollten.
Ein erwachsener mündiger Bürger muss legal Koks und Heroin konsumieren dürfen, weil er über sein eigenes Leben selbstbestimmt entscheiden darf. So wie er auch noch gefährlichere Dinge – Extremsportarten, Bergsteigen, Reiten, Boxen, Fallschirmspringen – praktizieren darf.
Er darf aber keinen Dritten zu solchen Aktivitäten zwingen.
Die Volksvertreter müssen entsprechend sinnvolle Regeln definieren. Wie viel Kollateralschaden menschlichen Lebens ist gesellschaftlich akzeptabel, damit alle noch ihren Spaß haben? Wie viel Aufwand müssen wir als Kollektiv tatsächlich treiben, um frühzeitige Tode zu vermeiden? Dabei plädiere ich dafür, prinzipiell jedes Leben als gleichwertig anzusehen. Konservative differenzieren dabei.
(…..) Ganz offensichtlich sind menschliche Leben gerade Konservativen und Christen kaum etwas wert.
Sonst wären sie nicht diejenigen, die am stärksten für Waffenexporte in Krisengebiete lobbyieren.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, hätten wir bundesweit Tempo 30, weil es damit unter Garantie Tausende Verkehrstote weniger gäbe.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, hätten wir andere Drogengesetze, die Süchtige nicht mehr zu Beschaffungskriminalität zwingen und sie an gestreckten und gepanschten Suchtmitteln krepieren ließen.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, hätten wir längst etwas unternommen, um die über 200 rechtsradikalen Morde zu verhindern.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, hätten wir keine Frontex-Pushbacks.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, wäre die Bundesmarine im Einsatz, um den Tod der (seit 2014) 27.000 Flüchtlinge im Mittelmeer zu verhindern.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, hätten wir keine 400.000-600.000 Infektionen mit dem Krankenhauskeim MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) und 20.000 MRSA-Todesfälle im Jahr in Deutschland. Es ist bloß eine Frage der Hygiene und der Kosten. So konnten die Niederlande MRSA besiegen. In Deutschland ist uns das zu teuer, also nehmen die Damen und Herren Lebensschützer 20.000 vermeidbare Tote achselzuckend hin.
Würde man jedes menschliche Leben schützen wollen, würden wir genug Geld investieren, um den Menschen in Pflegeheimen genug zu trinken zu geben, um nicht an Exsikkose zu sterben.
Diese Liste ließe sich fortsetzen. Es ist offensichtlich; auch das menschliche Leben von deutschen hellhäutigen Christen, ist uns in vielen Fällen vollkommen egal. (….)
Offenkundig haben wir als deutsche Gesellschaft einen modus vivendi entwickelt, der eine Menge Tote, die man retten könnte, gern akzeptiert, weil uns der Rettungs-Aufwand zu groß wäre. Das ist im Einzelfall aber gar nicht trivial zu entscheiden. Wir versuchen mit großem Aufwand einen in Seenot geratenen Segler zu retten, setzen hunderte Polizisten ein, um verlorenen gegangene Wanderer aufzuspüren, lassen Hubschrauber aufsteigen, wenn ein Bergsteiger im Hochgebirge abstürzt.
Aber wieviel muss sich eine Gesellschaft die Rettung einzelner kosten lassen, wenn sie sich offenkundig ganz allein für ein großes Risiko entscheiden, indem zum Beispiel unerfahrene Hobbysegler bei schwerer See immer wieder starten. Wenn Extremskifahrer gezielt nach gesperrten supergefährlichen Pisten suchen?
Müsste man nicht für solche selbstverschuldeten Risiken Grenzwerte definieren?
Bei dritten mal starten die DGzRS nicht mehr zur Suche nach derselben Yacht? Wenn ein Klettermaxe schon fünfmal aus einer verschütteten Höhle ausgegraben wurde, lässt man ihn zukünftig dort verrecken?
Offenkundig akzeptieren wir gut 3.000 Straßenverkehrstote und führen nicht deutschlandweit Tempo 30 ein, weil Porsche-Lindis Fahrspaß ein höheres Gut ist.
Aber wenn es 10.000 Tote oder 100.000 Tote auf der Autobahn werden?
Böllern ist nicht beliebt, 60% der Deutschen wollen ein Verbot.
Aber der Spaß der Minderheit und der Reibach, den Lidl und Kaufland beim Verkauf von Kanonenschlägen machen, ist uns als Gesellschaft wichtiger. Wir akzeptieren zum Jahresende zwei oder drei Totgeböllerte und ein Dutzend abgesprengte Finger. Dafür kommt kein Knallerverbot.
Aber wie könnte man eine Grenze definieren? 100 durch Böller-getötete Kinder? 1.000? Ab wann sagen wir Stopp?
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