Ich fand immer, „der Westen“ berücksichtigt viel zu wenig, welch ungeheuer bestialischen Vernichtungsfeldzug die Deutschen in den 1940ern dort anrichteten. Die Sowjetunion hatte mit 25-27 Millionen Toten die mit Abstand meisten Opfer des zweiten Weltkrieges zu beklagen. Die Rote Armee war es, die Ausschwitz und Berlin befreite. Ich fand es immer ungerecht, von welcher hohen moralischen Warte aus, Glasnost und Perestroika kleingeredet wurden, hielt es für einen schweren Fehler Barack Obamas, Russland als „Mittlere Macht“ zu verhöhnen und war stets verärgert über die EU, die schwere Missetaten der USA (Nichtanerkennung internationaler Institutionen, illegale Drohnenangriffe, Guantanamo, Abu Ghraib, Baghram, Handys befreundeter Regierungen abhören, auf Lügen beruhende Angriffskriege, Todesstrafe, Folter) achselzuckend akzeptierten, aber beispielsweise die Abschaffung der Todesstrafe in Putins Russland nicht würdigten.
Es war absolut richtig von Gerhard Schröder, im Jahr 2003 auf Moskau und Paris zu setzen, aber Abstand von den Kriegsverbrechern in Washington zu nehmen. Und ja, ich gehörte zu denjenigen, die vor einem Vierteljahrhundert sehr positiv beeindruckt vom jungen Wladimir Putin waren, der im Bundestag auf Deutsch sprach und seine Hand zur Versöhnung ausstreckte. Schröder hatte außerdem im Jahr 2005 vollkommen Recht mit der Einschätzung, er könne aus deutschem Interesse gar nicht ablehnen, als er von Moskau gebeten wurde in die Gazprom- und Nordstream-Aufsichtsräte zu kommen.
Das beschreibt aber alles die Vergangenheit. Man könnte trefflich drüber streiten, ab wann sich Putin veränderte, ob der Westen dazu beitrug, indem er Russlands geopolitische Interessen ignorierte. Ich glaube, viele, die jetzt behaupten, sie hätten Putin immer durchschaut, ihm nie getraut, lügen sich in die eigene Tasche.
Aber die Krim-Annektierung von 2014 schuf eine neue Realität.
Die Aufgabe von rechtlichen und demokratischen Prinzipien im Putin-Russland ist Realität. Die perfide Hatz auf LGBTIQs ist Realität. Die tödlichen „Unfälle“, die Regimekritiker erleiden, sind Realität. Man, der Westen, wir, ich, hätte gewarnt sein müssen, mit wem wir es inzwischen zu tun haben.
Selbst als größter Russland-Fan, kann man aber nach dem 24.02.2022 Wladimir Putins Verbrecherregime nicht mehr schönreden.
Für die Ukraine habe ich, anders als grundsätzlich für Russland, keine besonderen persönlichen Sympathien. Aber das ist völlig irrelevant. Man kann bei diesem ultrabrutalen Angriffs- und Vernichtungskrieges des großen Russlands auf die kleine Ukraine, nicht nicht Partei für das Opfer ergreifen.
Das wäre moralisch katastrophal, würde geopolitisch Länder wie China ermutigen, sich ebenfalls kleinere Nachbarn (Taiwan!) einzuverleiben und schließlich ganz konkret auch die Nato, letztlich uns in Deutschland bedrohen.
Niemand unterstellt Olaf Scholz, leichtfertig wie Kohl oder Schröder oder Chirac kumpelige Männerfreundschaften einzugehen.
Umso wichtiger und wertvoller ist es in dieser Megakrise zu wissen, wie gut er mit dem Präsidenten der Ukraine kann.
[…..] Russlands unerbittlicher Angriffskrieg hat die europäische Sicherheitsarchitektur nachhaltig erschüttert. Die Ukraine kämpft um ihr Überleben, für ihr Recht auf Selbstbestimmung und Freiheit. Und Deutschland ist nach den USA dabei ihr wichtigster Unterstützer. Dass sich Scholz und Selenskyj (beziehungsweise Olaf und Wolodymyr, wie sie jetzt sagen) näherkommen, kann nur Vorteile haben. Denn der russische Präsident ist noch lange nicht am Ende. Je enger die Allianzen und Verbindungen werden, desto besser ist es.
Denn während die etwa 2000 Vertreter aus Politik, Wirtschaft und von internationalen Organisationen in der Berliner Messe über den Wiederaufbau der Ukraine nachdenken und Selenskyj im Bundestag spricht, lässt Putin die Region Charkiw bombardieren. Seit Wochen versucht die russische Armee, mit Drohnen und Raketen die Strom- und Energiezufuhr im ganzen Land zu zerstören. Es kommt bereits zu heftigen Engpässen. Selenskyj ist überzeugt, dass die Russen das Ziel haben, die Stromversorgung des ganzen Landes zu zerstören, was katastrophale Folgen hätte.
Auch deswegen sind langfristige staatliche Hilfszusagen, die beim G7-Treffen Thema sein werden, so wichtig. Aber eben auch Wiederaufbau-Konferenzen wie jetzt in Berlin. Im Mittelpunkt stehen die Vernetzung der wichtigsten Akteure, Garantien und Absicherungen, für alle, die helfen und investieren wollen in einem Land, in dem kein Frieden in Sicht ist. […..]
(Gudrun Büscher, Funke, 11.06.2024)
Putin lässt die gesamte Ukraine zerstören, hat inzwischen mehrere Hunderttausend Tote zu verantworten.
[….] Der Russland-Ukraine Krieg hat laut Zählungen des UN-Hochkommissariats für Menschenrechte (OHCHR) bis zum 31. Mai 2024 mindestens 11.126 Todesopfer in der ukrainischen Zivilbevölkerung gefordert, darunter alleine im März 2022 insgesamt 4.307 Personen. Zudem wurden aufgrund des Ukraine-Krieges bisher mindestens 21.863 verletzte Zivilist:innen vom OHCHR erfasst.
Zahlen bilden nur kleinen Teil der Opfer ab
Bei den Angaben handelt es sich um durch die UN bestätigte zivile Opfer. Das OHCHR geht davon aus, dass die tatsächliche Anzahl an Verletzten und Toten in der ukrainischen Zivilbevölkerung wesentlich höher ist. Das liegt daran, dass der Eingang von Informationen aus einigen Orten, an denen intensive Feindseligkeiten stattgefunden haben, sich verzögert und viele Berichte noch nicht bestätigt wurden. [….]
(
Wenn in dieser Situation der Präsident nach Berlin kommt, um vor dem Deutschen Parlament zu sprechen, muss jeder, der auch nur über einen rudimentären Funken Restanstand verfügt, gebannt zuhören.
Das gilt aber nicht für die Putinzäpfen vom BSW und der AfD, die just vom Wähler so gestärkt wurden, daß sie nun völlig ungeniert und offen die Position des Aggressors übernehmen.
[…..] Der AfD und der Wagenknecht-Partei reicht ein erfolgreiches Wahlergebnis, um niedrigste Instinkte zu präsentieren. Das AfD-Duo Weidel und Chrupalla nennt Wolodimir Selenskij einen Kriegs- und Bettelpräsidenten – eine nur schwer zu unterbietende Perfidie, für die man aus einem einzigen Grund dankbar sein muss: Die AfD offenbart sich – hoffentlich auch für ihre Wählerklientel – als echtes Sicherheitsrisiko für Deutschland. Diese Partei, die sich von Russland finanzieren lässt und selbst von Frankreichs Rechtsextremen als Gefahr wahrgenommen wird, betreibt eine Schuldumkehr beim Kriegsopfer Ukraine, verhöhnt Zehntausende Tote, spielt mit der Stabilität und der Bündnisverortung Deutschlands – kurzum: Die AfD gefährdet das Land.
Wie hilfreich, dass Sahra Wagenknecht mit ihrer Ich-Partei im selben Aufwasch klarmacht, was die Friedensfloskeln auf ihren Wahlplakaten zu bedeuten haben. Ihr Primitiv-Pazifismus erschöpfte sich ebenfalls im Parlamentsboykott gegen Selenskij. Wagenknecht erschien mit ihrer BSW-Truppe einfach nicht im Plenarsaal, weil auch sie über einen sensationellen niedrigen Instinkt für Botschaften aus der Tabubruch-Zone verfügt.
Es sind diese Offenbarungsmomente, die alle Überlegungen von einer taktischen Kooperation der demokratischen Parteien mit dem Wagenknecht-Bündnis ad absurdum führen. […..]
(Stefan Kornelius, 11.06.2024)
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