Freitag, 28. Juni 2024

Katastrophe und Katharsis?

Es war die womöglich einzige Präsidentschaftskandidatendebatte des Wahljahres.

Beide Kandidaten waren nicht zu Debatten der Vorwahlen erschienen. Beide sind ohnehin die sicheren Nominierten. Biden, weil er als Präsident amtiert und keine Partei im Wahlkampf dem eigenen Regierungschef in den Rücken fällt. Trump, weil er der Messias eines Todeskultes ist, der völlig unabhängig von der Realität, von seinen hochfanatischen Jüngern zur Kandidatur getragen wird.

Der Amtsinhaber schwächelt trotz seiner zweifellos hervorragenden ökonomischen Bilanz hinter dem notorischen Lügner, Betrüger, Vergewaltiger und überführten Kriminellen hinterher. Ein bisher nicht gekanntes Phänomen der US-amerikanischen Wahlkampfgeschichte. Statt wie üblich seinen Amtsbonus auszuspielen, schleppt ausgerechnet „honest Joe“, den fast alle relevanten Amerikaner für einen „decent man“ halten, einen tonnenschweren Amtsmalus mit sich herum.

Dafür gibt es viele Gründe, von denen zwei hervorstechen:

1.   Biden ist mit 81 Jahren nicht nur der mit Abstand älteste Präsidentschaftskandidat aller Zeiten, sondern er wirkt durch seinen steifen Gang, das starre Gesicht und das ständige Verhaspeln eher wie 101.

2.   Trump, die Republikaner und die faschistischen Rechts-Medien gießen eine noch nie dagewesene perfide Schmutzkampagne über Biden aus.

Viele US-Amerikaner wenden sich schaudernd von der „presidential debate“ ab, weil sie beide Kandidaten nicht ausstehen können. Dennoch ist die Show exorbitant wichtig, weil es das einzige Format ist, in dem rechte Blase und linke Blase eine Schnittmenge bilden. Für MAGAmerica ist die Debatten-Performance egal; sie wählen ohnehin Trump, ganz egal, welche skandalösen Dinge aufpoppen.
Auf der anderen politischen Seite, also beispielsweise in meiner Social-Media-Blase, ist es ebenfalls egal, wie die beiden auf die CNN-Fragen antworten, weil ich ohnehin Biden wähle. Und zwar, genau wie die QTrumpliKKKans, ebenfalls wegen Trump: Ich will unter allen Umständen seine Rückkehr ins Weiße Haus verhindern und würde jedem meine Stimme geben, der nicht „Donald Trump“ heißt.

Aber bei der Präsidentschaftswahl 2020 gab es 100 Millionen wahlberechtigte Nichtwähler. 100.000.000 so sagenhaft verblödete US-Amerikaner, daß sie auch bei Trump ante portas, keine Veranlassung spüren, ihre Stimme abzugeben. Oder aber trotz all der Verbrechen des perfiden orangen Rassisten, nicht in der Lage sind, zu entscheiden, wer das kleinere Übel ist. Aus dieser 100 Millionen Köpfe starken Gruppe, befand sich ein Teil ebenfalls in der CNN-Schnittmenge. Menschen, die aus den beiden erst genannten Blasen heraus nicht zu erreichen sind.

Es war die Chance für Joe Biden, den Nicht-Politnerds die Bedenken bezüglich seines Alters zu zerstreuen. Sich energiegeladen zu präsentieren und damit die bösen aus der Trumpwelt gestreuten Gerüchte, zu widerlegen.

Aber ausgerechnet, als es so drauf ankommt, nach so intensiven Vorbereitungen, erwischt Biden einen rabenschwarzen Tag, versagt auf ganzer Linie, haucht, von einer Erkältung geschwächt, kaum verständliche Nuscheleien vor sich hin, verhaspelt sich, verliert den Faden und schafft es kaum jemals, Trump wirkungsvoll zurecht zu weisen. Für die Anhänger Biden war es kaum zu ertragen zuzuhören, während sich bei MAGAmerica diebische Freude ausbreitete.

Van Jones, der unter Obama im Weißen Haus mit Joe Biden gearbeitet hatte und ihn über alle Maßen verehrt, war am Boden zerstört, beinahe den Tränen nah.

[….]  Speaking minutes after Thursday night’s presidential debate, CNN commentator Van Jones called the debate “painful” and suggested the Democratic Party should find a “different way forward.”

“[President Biden] didn’t do well at all,” Jones said. “He loves his country. He’s doing the best that he can, but he had a test — to me — tonight to restore confidence of the country and of the base, and he failed to do that. And I think there’s a lot of people who are going to want to see him consider taking a different course.”

“That was not what we needed from Joe Biden, and it’s personally painful for a lot of people. It’s not just panic, it’s pain, what we saw tonight,” Jones added.

Biden faced off against former President Trump at a CNN-hosted debate in Atlanta. Within the first 30 minutes of the debate, Democrats began to panic over Biden’s stumbling performance. Rambling at times, Biden appeared to have a sore throat and repeatedly lost his train of thought. Trump, meanwhile, made frequent inaccurate claims, but was comparatively forceful and direct in his delivery.

“You kind of have the old man versus the con man,” Jones said. 

A snap CNN poll showed that 67 percent of watchers believed Trump won the debate, leaving only 33 percent who believed Biden won. In contrast, during the 2020 debate, when Trump repeatedly interrupted and talked over Biden and the moderator, 60 percent believed Biden had won.

“Now, we’re still far from our convention, and there is time for this party to figure out a different way forward, if [Biden] will allow us to do that,” Jones added.  [….]

(The Hill, 28.06.2024)

Er hat bei der einen presidential debate über 30 Lügen verbreitet und zwar ganz Trumpig, nicht etwa bei Details etwas geflunkert, sondern drastisch und hanebüchen, die perfidesten Lügen aufgetischt. Aber die Republikaner sind happy; ihr oranges Idol hat den mächtigsten Mann der Erde, den amtierenden Präsidenten der USA, im wahrsten Sinne des Wortes „alt“ aussehen lassen und zwar uralt.

Das, wie immer bei CNN, nicht etwa nach Kompetenz, sondern streng nach Links/Rechts-Schema besetzte Experten-Panel, war sich anschließend in zwei Punkten völlig einig. Erstens, bei den Demokraten bräche nun die blanke Panik aus.

In der Tat, genau wie das Hildbrandsche Bonmot „die SPD scheißt in jede Hose, die man ihr hinhält“ sagt, sind auch die Demokraten eine Partei der Angst und Panik. Ein starker Kandidat nimmt der Partei die Panik. Aber Biden fachte die Panik erst richtig an, wie Joe Ann Reid perfekt in Rachel Maddows‘ MSNBC-Panel darlegte.

Zweitens, das Moderatoren-Duo Jake Tapper und Dana Bash hätte einen „exzellenten Job“ gemacht.

Den ersten Punkt sehe ich ganz genauso, aber bezüglich der Gesprächsleitung, hatte ich offenbar in einem Paralleluniversum gelebt.

Bash und Tapper, die beide hochkompetente, erfahrene, meinungsstarke Experten sind, ließen Trump auch die aberwitzigsten Lügen durchgehen, stellten nicht eine Sache richtig.

Ich kenne nicht die genauen Modalitäten, die zwischen der Trump- und der Biden-Kampagne ausgehandelt wurden. Möglicherweise war factchecking nicht erwünscht.

Aber beide Moderatoren wären intellektuell in der Lage gewesen, in Echtzeit auf die offensichtlichen Lügen Trumps hinzuweisen. Allein, sie taten es nicht.

CNN ließ Daniel Dale factchecken und strahlte seine Analyse auch aus – aber lange nach dem Ende der Debatte, als die Quoten schon wieder im Keller waren und Trump davon keinen Schaden mehr nehmen konnte.

Trump im Glück; besser konnte es für den garstigen Grabscher gar nicht laufen.

[….]  Das ist aber nicht der wahre Grund, weshalb viele bei dieser Debatte die Hände über dem Kopf zusammenschlagen. 90 Minuten lang präsentieren sich da zwei miserable, eigentlich unwählbare Kandidaten: auf der einen Seite ein verurteilter Straftäter und Dauerlügner, auf der anderen Seite ein fahriger Greis, der seine Gedanken nicht klar formulieren kann. Doch nur einer muss die niedrigen Erwartungen übertreffen – Joe Biden. Und der scheitert auf ganzer Linie: In einer CNN-Blitzumfrage erklären 67 Prozent Trump zum Gewinner der Debatte – trotz des Unsinns, den er verzapft, bewusst und unbewusst.

Der Präsident und seine Strategen hatten sich so viel vorgenommen. Sie waren es, die auf diese frühe Debatte gegen Trump gesetzt hatten. Biden wollte den TV-Auftritt vor Millionen Zuschauern nutzen, um zu beweisen, dass er der bessere Kandidat ist und weitere vier Jahre regieren kann. Erreicht haben er und seine Berater das Gegenteil. Biden präsentierte sich in schlechter Form, überfordert und tattrig. Die meisten TV-Kommentatoren, selbst wohlmeinende, sprachen anschließend von einem Desaster. [….]

(Pitzke & Nelles, 28.06.2024)

Wenn der Mann jetzt schon so offensichtlich viel zu alt ist, wie soll das dann erst noch in den weiteren knapp fünf Jahren funktionieren? Wie präsentiert sich ein so uralter 81-Jähriger mit 86?

Ich wurde mehrfach gefragt, wieso die Demokraten bloß so einen schwachen Präsidentschaftskandidaten aufgestellt hätten.

Das Problem ist, daß Jill & Joe Biden gern im Weißen Haus bleiben möchten und da alle Demokraten ihn so lieb haben (offenbar ist er privat tatsächlich ein äußerst angenehmer Mann), traute sich keiner zu sagen 'Danke Joe, aber nun musst Du mal aufhören'.

Die hatten alle die Hosen voll und versuchten es mit Autosuggestion. Sie verbreiteten, der Präsident fremdele lediglich ein bißchen auf großer Bühne, wäre aber bei der täglichen Arbeit fit und frisch.

Dieses mühsam errichtete PR-Kartenhaus war nie stabil, kollabierte am gestrigen Desaster-Donnerstag aber vor den Augen der Welt.

Trumps Team beginnt schon vor einer Präsidentin Kamala Harris zu warnen, die im Falle eines Biden-Sieges mutmaßlich bald übernehmen müsse – wohlwissend, daß die US-Vizepräsidentin noch viel unbeliebter als ihr Chef ist.

Ich zähle mich ebenfalls zu den Leuten, die Biden für einen decent man halten. Ich mag ihn und wünsche ihm alles Gute.

Aber seine Reaktion vom Tag danach, beweist leider erst Recht, wie sich der US-Präsident von der Realität und der Sicht der Wähler entfernt hat:

[….] Bei seinem ersten Auftritt nach dem desaströsen TV-Duell am Vorabend zeigt sich US-Präsident Joe Biden kämpferisch. „Ich würde nicht wieder antreten, wenn ich nicht mit meinem ganzen Herzen und meiner Seele glauben würde, dass ich diesen Job machen kann“, sagte der 81 Jahre alte Demokrat bei einem Wahlkampfauftritt in Raleigh im US-Bundesstaat North Carolina. […..]

(SZ, 28.06.2024)

NEIN, Joe! Gestern lieferte er den ultimativen Beweis, den Job eben nicht mehr zu können. Daß nicht selbst zu erkennen, ist nur ein Beweis mehr für seine Unfähigkeit.

Einzige Lösung: Biden erfindet eine plötzliche Krankheit, wegen der er doch nicht antreten will und die Dems bestimmen auf dem Nominierungsparteitag aus Zeitnot, ohne Primaries, per Akklamation, ein ganz neues Gesicht.

[….] Denn Joe Bidens Auftritt gehörte zweifellos zu den schlechtesten in der Geschichte der amerikanischen Präsidentschaftsdebatten. Biden schaffte es sogar, sich in seinem zweiminütigen Schlussstatement in Details zu verheddern, ohne ein einziges Mal das Gewinnerthema der Demokraten, Abtreibung, zu erwähnen – oder etwa auch die Tatsache, dass er einem erstinstanzlich verurteilten Straftäter gegenüberstand. Bis zu diesem Duell galt es als nahezu undenkbar, dass die Demokraten ihren Präsidentschaftskandidaten noch austauschen. Jetzt erscheint das fast schon zwingend.   [….]

(Boris Herrmann, 28.06.2024)

Es ist der einzig mögliche positives Spin: Biden war derartig schlecht, daß er sogar die lahmen Angsthasen-Demokraten dazu brachte, ihn zu meucheln.

Es wäre ein Treppenwitz der Geschichte, weil das genau das ist, was die Republikaner niemals täten. Sie halten unverrückbar zu dem Kandidaten, den die Top-Historiker als schlechtesten Präsidenten von allen bisherigen 46 erkoren, der hochkriminell, debil, verlogen, rassistisch, sexistisch, bösartig, verfassungsfeindlich agiert. Trump ist in jeder Hinsicht so viel schlechter und unqualifizierter als Biden.
Und dennoch ist Biden so schlecht, daß die Demokraten ihn nun auf das Abstellgleis schieben müssen.

Pete Buttigieg oder Gavin Newsom wären rhetorisch brillante junge Köpfe, die voll in den Themen drin sind und auf großer Bühne immer wieder beweisen, wie sie gegen Republikaner punkten können.

Noch besser wäre (aufgrund ihrer enormen Beliebtheitswerte) nur Michelle Obama. Aber sie will scheinbar wirklich nicht.

[…]  Selbst für Bidens Anhänger war es unmöglich, diese eineinhalb Stunden schönzureden. „Four more years“, riefen zwar ein paar von ihnen vor dem Studio, noch vier Jahre. „Ich denke, wir haben es gut gemacht“, sagte Biden, als er mit seiner Frau Jill anschließend in Atlanta eine Waffel aß. In seiner Partei dagegen brach Panik aus. „Das ist ein echter Albtraum“, zitiert das Politportal The Hill einen Verbündeten Bidens. „Ich sehe dabei zu, wie wir diese Wahl in Zeitlupe verlieren.“ Ein Stratege sprach im selben Medium von „politischem Selbstmord“. Bei Politico sagte ein demokratischer Anwalt und Aktivist, Biden sei erledigt.

Nach Informationen des Magazins würden die Demokraten „das Undenkbare“ in Betracht ziehen, Bidens Rückzug. Für einen bedeutenden Gönner der Demokraten war es „der schlechteste Auftritt der Geschichte“, so übel, dass niemand auf Trumps Lügen achten werde: „Biden muss aussteigen. Keine Frage.“ Biden stehe „vor einem Crescendo von Aufrufen zum Rücktritt“, vermutet ein erfahrener Demokrat in der New York Times. „Joe hatte einen tiefen Brunnen der Zuneigung unter den Demokraten. Er ist versiegt.“ Die meisten Skeptiker bleiben anonym, doch das macht die Stimmung für Biden nicht weniger unangenehm. [….]

(Peter Burghardt, 28.06.2024)

Ja, noch haben die Parteigranden alle die Hosen voll. Keiner traut sich, Joe Biden offen zu attackieren. Zu groß ist die Furcht, als Königsmörder da zu stehen.

Aber es muss sein. Zu allen anderen Zeiten, könnte man sich leisten, loyal zu sein und dadurch eine Wahl zu verlieren. Aber nicht, wenn die Alternative Trump-Apokalypse bedeutet.

Es wird schwer; denn Biden hat 95% der Delegiertenstimmen des Nominierungsparteitages sicher. Wenn er weiter kandidieren will, kann man ihn fast nicht mehr daran hindern. Er müsste schon freiwillig Platz machen.

All hands on deck! Bill Clinton, Barack Obama, all die ganz großen demokratischen  Namen, müssen nun zu Biden gehen, um ihn abzusägen.

[….]  Es gibt tatsächlich kein offizielles Verfahren, mit dem die Partei einen Kandidaten noch stoppen könnte, hat er erst einmal in den Vorwahlen die Mehrheit der Delegierten für den Nominierungsparteitag hinter sich versammelt. Diese Möglichkeit sehen die Parteistatuten nicht vor. Allerdings wird in der New York Times bereits am Morgen nach der Debatte ein mögliches Szenario ausgebreitet. Danach könnten Parteigranden wie Senatsführer Chuck Schumer, die frühere Sprecherin des Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, oder der Kongressabgeordnete James Clyburn, einer der einflussreichsten schwarzen Politiker der Demokraten, diskret im Weißen Haus vorsprechen und den Druck auf Biden erhöhen. Bisher, so betont das Blatt, habe allerdings keiner der drei entsprechende Andeutungen gemacht. Zudem gilt Biden, der seit mehr als einem halben Jahrhundert im Washingtoner Politbetrieb ist, als überaus stolz und stur. […]

(Reymer Klüver, 28.06.2024)

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