Als großer Heribert Prantl-Fan habe ich fast alle seine Bücher im Regal stehen, lese mit Genuss seine politischen Kommentare, habe ihn hunderte Male in diesem Blog zitiert.
Prantl, Kurt Kister, Gustav Seibt, Evelyn Roll, Sonja Zekri, Andrian Kreye, Cerstin Gammelin, Constanze von Bullion und Franziska Augstein sind die Namen, die ich mit dem Begriff „Edelfedern“ assoziiere.
Das sind hochgebildete Leute mit viel Gefühl für die Sprache, die einen erheblichen Mehrwert über die eigentliche Informations-Übermittlung hinaus bieten. Sauber recherchierte Fakten findet man auch im DPA- oder Reuters-Newskanal. Aber die SZ-Edelfedern zaubern daraus einerseits ein Lesevergnügen und regen andererseits die Intelligenz an, weil sie einordnen, vergleichen, verweisen, illustrieren und vertiefen.
Daher zahle ich nicht nur gern für das Süddeutsche Zeitung-Abo, sondern empfehle bei jeder Gelegenheit, es mir gleichzutun, damit diese Form des Spitzenjournalismus nicht ausstirbt.
Es gibt auch in anderen überregionalen Periodika Edelfedern, aber um ehrlich zu sein, liebe ich diejenigen mehr, die an einer ähnlichen Stelle des politischen Koordinatensystems stehen wie ich. Also lieber SZ als WELT.
Hinzu kommen bestimmte Stil-Vorlieben. Die SZ-Autoren schreiben lebendiger und einfallsreicher als die ebenfalls sehr guten FAZ-Leute, die sich aber gern in Monotonie und knochentrockenen Ewig-Texten ergehen.
Über Jahrzehnte liebte ich den ganz spezifischen SPIEGEL-Stil, der in jedem Artikel mit einem neuen Fremdwort spielte, eine wahrnehmbare Sub-Ebene transportierte, so daß der Kenner durchaus verstand, wenn suggeriert wurde, daß ein Politiker fremdging, ohne daß es so deutlich geschrieben wurde, daß der flüchtige Leser damit behelligt wurde. Es gab herrlich konstruierte Einleitungsabsätze und einen unverwechselbaren Humor, den man sich beim Lesen mit einem Filzstift anstrich, um sich die gekonnte Formulierung zu merken.
All das ging aber mit dem Ende der Chefredakteurszeit Böhme verloren. Heute sind SPIEGEL-Texte verwechselbarer. Das liegt aber auch daran, daß ZEIT und SPIEGEL ihr über Jahrzehnte bestehendes Alleinstellungsmerkmal „Topjournalismus und Prägung von Debatten“ verloren haben. Die Tageszeitungen sind besser geworden. Lange war der SPIEGEL das Leitmedium für mich; die Tageszeitungen fungierten als Ergänzung oder regionale Besonderheiten. Inzwischen stellt die Süddeutsche Zeitung meine Hauptinformationsquelle dar und der SPIEGEL kommt am Samstag eben hinzu. Dieses Wochenende übrigens mit sehr empfehlenswerter Titelgeschichte über das Pandemie-Totalversagen der deutschen Politik und Gesellschaft: „Idiotische Lage von nationaler Tragweite“.
Es macht natürlich auch Spaß, die Redaktion durch viele Jahre Leseerfahrungen gut zu kennen und nicht nur einen Artikel zu lesen, sondern dabei auch den bekannten Autor mitzudenken. Es ist eine zusätzliche Qualitäts- und Vergnügens-Ebene mit Erwartungshaltungen an die Journalisten heran zu gehen.
Marc Pitzke, 58, aus NRW, seit 1993 in den USA, ist insofern eine Wohltat, wenn er über die amerikanische Parteipolitik schreibt, weil er mir immer aus der Seele spricht. Es ist eine enorme Verlässlichkeit; genau wie er es beschreibt, sehe ich es auch.
Andere gute Autoren, wie Kurt Kister, der langjährige SZ-Chefredakteur, sind hingegen eher selten deckungsgleich mit meinen parteipolitischen Ansichten, aber so klug, daß ich gerne seinen Gedankengängen folge.
Heribert Prantl, mittlerweile 68 Jahre alt, 1995 bis 2017 SZ-Innenpolitikchef und 2011 bis 2019 Mitglied der Chefredaktion, gebürtiger Oberpfälzer, stammt aus einem tiefgläubigen katholischen Elternhaus. Seine Karriere begann er als Spitzenjurist. Er war zunächst Rechtsanwalt, dann Richter und schließlich bayerischer Staatsanwalt und Sprecher des Regensburger Landgerichts.
Erst dann kam seine journalistische Karriere, die so weit reichte, daß er sich die Jobs quasi aussuchen konnte. Der SPIEGEL wollte ihn mehrfach als Chefredakteur nach Hamburg locken. Prantl blieb aber in München und betätigt sich bis heute als Tausendsassa. Er ist Dozent verschiedener Journalistenschulen, Mitglied des Ethikrates der Hamburger Akademie für Publizistik. Aktiv im Pen-Zentrum, Rotarier, Jura-Honorarprofessor der Universität Bielefeld, Theodor-Herzl-Dozent der Universität Wien und in einem Dutzend weiterer hochgradiger akademischer Institutionen tätig. Es lohnt sich immer hinzuhören, wenn dieser hochintelligente fromme Bayer als im besten Sinne liberaler und sozialer Denker etwas sagt.
Prantl ist aber nicht berechenbar und befindet sich eben nicht in völliger Kongruenz zu meinen Ansichten. Er ist natürlich viel zu klug, um ein gläubiger Anhänger der Papstkirche und ihrer Morallehren zu sein. Aber der Atheismus ist im habituell so fremd, daß ihn der Bedeutungsverlust der Kirchen schmerzt. Er ist, meiner Ansicht nach, so sehr im Katholizismus verwurzelt, daß er letztlich nicht so frei denken kann wie ich. Er wird das sicher anders sehen und hat mehr akademische Ehren als ich zu bieten.
Gelegentlich führt dieser religiöse Hintergrund dazu, daß Prantl sogar Forderungen stellt, die ich geradezu haarsträubend finde. So ist er ein ausgesprochener Anhänger des muslimisch-jüdischen Sonderrechtes, kleinen Kindern gegen ihren Willen Stücke des Penis abzuschneiden. Das ist seine Verbeugung vor der 3000-jährigen Religionsgeschichte; oder wie ich es ausdrücken würde: Ein durch eine Inselverarmung generierter Kotau vor dem systematischen Kindesmissbrauch. Massenhafte Genitalverstümmelung von Kleinkindern halte ich für absolut nicht zu rechtfertigen.
Ähnlich leide ich an Prantl, wenn es um die Corona-Bekämpfung geht. Natürlich ist er kein aluhütiger Schwurbler, der Falschinformationen verbreitet. Aber er ist offenbar so sehr ein (liberaler) Jurist, daß er unabhängig von den fatalen Konsequenzen, keinerlei Einschränkungen in die persönlichen Freiheiten zulassen will. Maskenpflicht, Ausgangssperren oder gar Impfpflicht lassen bei ihm die Alarmglocken schrillen. Offensichtlich diskutiert er darüber auch mit seiner Lebensgefährtin Franziska Augstein, die meiner Ansicht nach sogar noch intelligenter und gebildeter als er ist und unglücklicherweise auch die Coronamaßnahmen so kritisiert, daß sie Applaus von der falschen Seite bekommt.
In der SZ vom Wochenende preist Heribert Prantl in seiner Kolumne „Prantls Blick“ nicht nur die neue EKD-Ratsvorsitzende Annette Kurschus, als brillante Rednerin, sondern verwendet ihren Satz „Hoffnung ist ein rares Gut geworden", als Steilvorlage für eine Suada wider die Wissenschaft.
[….] In der Corona-Krise werden oft apokalyptische Szenarien, Panikmache und Diffamierungen verwendet. Doch sie sind hoffnungslos, weil sie Beziehungen vergiften - und den Willen zur Zukunft brechen. [….]
(Prantl, SZ, 14.11.2021)
Hier sieht man den liberalen Katholiken, der eine kluge Frau und die Evangelen lobt. Und hier taucht gleichzeitig der gnadenlos prinzipientreue Jurist Prantl auf, der sich Breitseiten gegen die von ihm als so störend unjuristisch empfundenen Mahner Drosten und Lauterbach nicht verkneifen kann.
Er liegt hier auf FDP-Linie, folgt der apokalyptischen Kubicki-Linder-Buschmann-Argumentation, die lieber mindestens 100.000 zusätzliche Tote akzeptiert, als an ihren hehren Rechtsgrundsätzen zu rütteln.
[…..] Angst ist ein schlechter Ratgeber. Mit dem Schüren von Angst, der Beschimpfung der Ungeimpften (denen Frank Ulrich Montgomery, der Ehrenpräsident der Bundesärztekammer, "Tyrannei" vorgeworfen hat) macht man nichts besser. Wie steht es mit einer Impfpflicht, jedenfalls für bestimmte Berufsgruppen? Wie steht es mit einer generellen Impfpflicht? Ich habe letztere, aus guten Gründen, wie ich meine, stets abgelehnt - unter anderem deswegen, weil so ein Impfzwang viele Impfzögerer und Impfskeptiker in die Impfverweigerung treiben könnte. Eine Impfpflicht setzt sich ja nicht von selbst um. Wer ihr nicht nachkommt, muss also gezwungen werden. Werden da Bußgelder reichen? Was, wenn nicht? Wie sollen die Zwangsmaßnahmen aussehen, mit denen die dezidiert Unwilligen zum Piks gezwungen werden? Das waren und sind meine Überlegungen. Die Impfung braucht Werbung. Drohung und Beschimpfung sind keine Werbung. Ein Lockdown für die Ungeimpften wird jetzt diskutiert. Ich halte das für grundfalsch und grundgefährlich. Warum? Weil so das Reden von der Freiwilligkeit der Impfung ad absurdum geführt wird. Da würde ja eine Impfpflicht vielleicht weniger Aggressionen hervorrufen - weil sie ehrlicher ist als Gerede von Freiwilligkeit bei gleichzeitigen Repressionen. […..]
Es sind ungeheuerliche Sätze. 98.000 Corona-Tote gibt es schon in Deutschland und es wird fleißig weitergestorben. Alle fünf Minuten ein Toter. Myriadenfaches Elend auf den Intensivstationen, total überlastetes medizinisches Personal.
Aber statt das zu tun, was in anderen Ländern das Sterben aufhielt – nämlich drastische Impfaktionen - setzt Prantl aus juristischer Verbohrtheit lieber auf das Mittel der Überzeugung und Einsicht. Dabei wissen wir nach 11 Monaten BionNTech eins ganz sicher: Covidioten sind eben gerade nicht durch Argumente überzeugbar.
Ich halte es für absolut hanebüchen, in dieser tödlichen
vierten Welle des Wahnsinns auf Freiwilligkeit zu setzen.
Das wird uns weitere Myriaden Tote bescheren.
Aber das muss ich jetzt aushalten.
Ich werde ihn nicht canceln.
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