Es ist verdammt schwer, den Nachrichten zu folgen, ohne wie zum Beispiel Samira El Ouassil, eine meiner Lieblings Spiegel-Kolumnistinnen, Schreikrämpfe zu bekommen.
Seit Monaten prophezeien Virologen, Mathematiker, Ärztevertreter unisono, was für ein Desaster wir im Winter erleben werden, wenn die Impfquote nicht drastisch erhöht wird, aber sie werden kollektiv von der politischen Klasse ignoriert. Nachdem nun exakt das eintritt, was alle vorausgesagt haben, erklären die Regierenden; damit habe nun wirklich niemand rechnen können.
[….] Reihenweise geben sich Politiker jetzt »überrascht von der Dynamik« der Coronazahlen. Wie kann das sein? [….] Das RKI lag bei dem nun eingetretenen, mit der aktuellen, niedrigen Impfquote berechneten Szenario etwa ein bis zwei Wochen daneben, die gegenwärtige Kurve wurde jedoch exakt vorgezeichnet. Die echte oder gekonnt gespielte Überraschtheit auf politischer Ebene ist dementsprechend von fast imponierender Dreistigkeit, »überrascht von der Dynamik« wurde hierbei zu meiner persönlichen Hassformulierung, die von verschiedenen Akteuren nahezu wortgleich übernommen wurde. Wie kann man bei berechneten Kurven von einer »Dynamik« »überrascht« werden? Der Witz an einer exponentiellen Kurve zum Beispiel ist, dass sie an jeder Stelle exponentiell ist und nicht erst »plötzlich« ganz am Ende. Es gibt wenig Vohersagbareres als exponentielle Kurven (klar: das Amen in der Kirche). Dementsprechend ist es auch eine semantische Albernheit, von explodierenden Zahlen zu sprechen, als seien die Ziffern aus dem Hinterhalt geworfene Blendgranaten. Und rein praktisch: Wie kann man bei exakt derselben Anordnung wie im vorherigen Jahr, bei einer saisonalen Wiederholung mit loseren Kontrollumständen, von einer »Wucht« »überrascht« werden? Auch der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek performt ohne Not die Überraschtheit einer Person, die in den Wald läuft und dort aufgrund der unerwartet vielen Bäume überfordert ist: »Ich glaube, dass wir eine Dynamik momentan erleben, die wirklich nicht vorhersehbar war.« [….] 14. November 2021. Katrin Göring-Eckardt twittert: »Es bleibt tragisch, dass so wenig vorbereitet war für diese Situation.« Eine Kolumnistin in München wirft ihren Laptop schreiend aus dem Fenster. [….](Samita El Ouassil, 18.11.2021)
Ich gebe zu, von dem Ausmaß des Versagens der künftigen Regierung überrascht zu sein. Ich hatte mehr Rationalität und Durchsetzungsvermögen von Olaf Scholz erwartet.
Allerdings ist er noch keineswegs gewählt und wurde vom Souverän dazu verdammt, mit der FDP eine de facto regierungsunfähige Partei ins Boot zu holen, die nicht nur abstrusen Voodoo-Ökonomie-Ansichten anhängt, sondern auch bezüglich der Pandemiebekämpfung hanebüchenen Unsinn schwurbelt.
[…..] „Der Begriff Lockdown macht vielen Menschen Angst“ – @MarcoBuschmann (FDP) spricht sich gegen die Maßnahmen erster Bundesländer aus, die jetzt einen „Lockdown light“ für Ungeimpfte gegen die vierte Welle einführen. [….]
[…] Wir haben Maßnahmen wie Lockdowns, pauschale Schul- und Betriebsschließungen oder Ausgangssperren aus dem Gesetz gestrichen. Diese können nicht mehr angewendet werden. TB [….]
[….] „Die FDP läuft rum und verkauft es als Freiheit, dass man den Leuten möglichst viele Möglichkeiten gibt, sich anzustecken“, kritisierte [Weltärztepräsident Frank Ulrich] Montgomery die Liberalen scharf. „Für mich ist das ein völlig falscher Freiheitsbegriff. Das ist die Freiheit zum Krankwerden und zum Sterben. Aber nicht die Freiheit zum Leben, die wir eigentlich doch wollen.“ [….]
Wenn Olaf Scholz der irrlichternden FDP zu sehr in die Parade fährt, bevor der Koalitionsvertrag geschrieben ist, könnte die Ampel platzen; zumal die Grünen sich kaum durchsetzen können und Habeck sogar schon öffentlich mit dem Abbruch der Verhandlungen drohte. Damit könnte es zu Jamaika und einem Bundeskanzler Laschet kommen. Das hätte insbesondere für die Grünen den Reiz, daß die am Boden liegende CDUCSU nahezu jedes Zugeständnis machen würde.
Dagegen spricht aber die Bundestagsdebatte dieser Woche, die einerseits ein neuer Tiefpunkt der Corona-Politik war, aber andererseits auch von heftigen Beschimpfungen zwischen FDP und Grünen auf der einen, und CDUCSU auf der anderen Seite, geprägt war. Es herrschte so böses Blut, daß man sich kaum vorstellen kann, wie jetzt noch jamaikanisiert werden könnte.
[….] Die Corona-Lage ist frustrierend, gleich in doppelter Hinsicht. Da sind zum einen die desaströsen Infektionszahlen, die keinen Zweifel daran lassen, dass sich die Lage in den Krankenhäusern in den kommenden Wochen noch verschlimmern wird. Und da ist, zweitens, die Bundestagsdebatte am Donnerstag, die zweifeln lässt, ob der Ernst der Lage wirklich von allen verstanden wurde. Wer die Diskussion der Parteien zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes verfolgte, erlebte ein banales politisches Hickhack: Parteien, die sich gegenseitig die Schuld zuschieben wollten, nichtssagende Floskeln. Argumentationsmuster: Wir sind die Guten, ihr seid die Bösen, danke, Applaus. Dieses politische Blabla-Ritual ist schon in normalen Zeiten ermüdend, nun aber ist es eine Frechheit. [….]
Demnach spricht also alles für einen zukünftigen Bundeskanzler Olaf Scholz, der leider mit mauligen Grünen startet, die ihm Schwierigkeiten machen werden, weil sie so schlecht verhandelt haben und dementsprechend unter Druck stehen, sich in der Regierung zu profilieren.
Andererseits bekommt er es mit drastischen Corona-Peeks zu tun, die er nicht richtig bekämpfen kann, weil ihm Lindners Schwurbler die entsprechenden Instrumente schon vorher aus der Hand schlugen und dann auch noch jede vernünftige Finanz- und Wirtschaftspolitik verhindern möchten. Mit hoher Wahrscheinlichkeit wird Olaf Scholz also im Jahr 2022 in sehr schweres Fahrwasser kommen.
Als Oppositionsführer wird es wohl Friedrich Merz sein, der ihm mit maximalem Speichelfluss, laut kläffend in die Waden beißt. Geht es nach dem SPIEGEL-Redakteur Veit Medick, könnte Merz der perfekte Mann für diese Situation und für die CDU sein.
[….] Analysiert man die Lage der CDU nüchtern und lässt bestimmte Klischees außen vor, spricht manches dafür, dass Merz nicht der falsche, sondern vielmehr der richtige Mann sein könnte, um die Partei in der Krise zu übernehmen und womöglich sogar wiederzubeleben. Dafür gibt es zunächst naheliegende Gründe, sein Hintergrund und sein politischer Stil zählen dazu. Merz, 66, war schon einmal Oppositionspolitiker. Er sucht Bühnen, kann reden, und, ja: Er polarisiert, mitunter auch hart am Rande der Seriosität. Gerade deshalb ist Merz einer der ganz wenigen in der Union mit einer Breitenwirkung, die der CDU garantieren dürfte, in den kommenden Jahren erkennbar zu bleiben. Dies ist jenseits der Regierung keine Selbstverständlichkeit, aber in einer Mediendemokratie eben eine notwendige Bedingung, um politisch zu überleben. Wenn Merz auf einen Kanzler Olaf Scholz antwortet, dürfte das jedenfalls mehr Menschen erreichen, als wenn – sagen wir – Helge Braun das tut, von dem viele Deutsche nicht einmal wissen dürften, dass er Politiker ist, geschweige denn, dass er als Kanzleramtschef arbeitet. [….](Veit Medick, DER SPIEGEL No 46/2021, 12.11.2021)
Na wenn sich Medick da nicht irrt.
Merz polarisiert zwar wirklich und generiert mehr Aufmerksamkeit als Laschet oder Braun. Aber sein von seiner absurd übertriebenen Selbstbegeisterung angetriebenes forsches Vorpreschen, lässt seine Fans immer wieder vergessen, daß er nicht nur charakterlich verdorben ist, sondern auch intellektuell schwer angeschlagen ist. Immer wieder platzen abstruse rückwärtsgewandte Altmänner-Vorurteile über Frauen oder Schwule aus ihm heraus. Zudem ist Merz moralisch als Politiker ungeeignet, weil er so viel lügt.
[….] Der ruchlose Herr Merz
Friedrich Merz verzerrt grüne Forderungen und verbreitet Lügen über die Partei. [….]
(Ulrich Schulte, taz, 08.08.2021)
Der Private Equity-Lobbyist ist bekannt für seine diametral falschen ökonomischen Prognosen und fällt in Talkshows mit sagenhaftem Nicht-Wissen auf.
(….) In Wahrheit ist der Jurist ökonomisch so ahnungslos, daß er von richtigen Experten kontinuierlich ausgelacht wird. Grüne, Linke und Sozis führen ihn immer wieder in Talkshows vor, wenn er etwas besonders Idiotisches von sich gibt und seine eklatanten ökonomischen Wissenslücken offenbart.
[…] Doch dann rauscht ein Shitstorm durchs Netz. Wirtschaftspolitiker, Ökonomen und Vertreter des Wahlvolkes sind entsetzt von mangelndem Sachverstand oder einfach empört. Er biete Merz "ein kurzes Briefing in Sachen Geldsystem und Staatsfinanzen" an, "sollte nicht länger als ein Jahr dauern, bis wir Sie so fit haben, dass Sie wieder mitreden können", twittert der Ökonom Maurice Höfgen, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bundestag arbeitet. "Ist schon fast lustig, dass der 'Wirtschaftsexperte Merz' keine Ahnung von wirklich grundlegender Ökonomie zu haben scheint", ein anderer. "Die alte Nummer, den Menschen große Angst vor angeblichen Schulden machen", ärgert sich ein Nutzer. "Ohgottohgott, dieser Mann tritt in meinem Wahlkreis an. @FriedrichMerz, kommen Sie doch mal rüber in die Altstadt, ich leih' Ihnen meinen Bofinger", bietet jemand an. Auf die "Grundzüge der Volkswirtschaftslehre" von Peter Bofinger verweist auch der Linken-Fraktionsvize Fabio De Masi, er twittert ein Bild des Lehrbuchs. "Ist das die neue Wirtschaftskompetenz?", fragt er. Und, an Merz gerichtet: "Wissen Sie eigentlich, was eine Liquiditätsfalle ist? Sie scheinen da was verwechselt zu haben." - "Oh Lord Keynes!" […..]
Die einstigen Wirtschaftsparteien der Union, die so tief gesunken sind, daß sie einen lügenden Blender (Guttenberg), einen hoffnungslos Überforderten, der wegen Lustlosigkeit zurücktrat (Glos) und nun sogar Altmaier zum Wirtschaftsminister machten, sind ökonomisch so verblödet, daß sie noch nicht mal mehr merken wie hanebüchen ihre Aussagen sind und sich selbst für brillant halten. Der klassische Dunning-Kruger-Effekt.
[…..] Genüsslich schiebt die Süddeutsche noch nach, dass Merz schon öfter mit wirtschaftswissenschaftlich zweifelhaften Ratschlägen aufgefallen sei, vor einem Jahr z.B. mit dem Hinweis, man dürfe Fleisch nicht zu teuer machen, weil Lebensmittel eine geringe Preiselastizität haben. Da hätte er nun wirklich einmal überlegen sollen, was er sagt. Wirtschaftspolitiker/innen, die keine Ahnung haben, aber glauben, sie zu haben, haben möglicherweise noch etwas anderes: ein erhöhtes Risiko, dem Dunning-Kruger-Effekt zum Opfer zu fallen. Die anderen lassen sich vielleicht doch eher von Expert/innen beraten. [….]
(Unternehmerisches Versagen, 09.10.2021)
Merz ist das Idol der Parteijugend; Kuban und Amthor liegen ihm zu Füßen. Aber er ist eben nicht nur ein parteipolitischer Serienverlierer, sondern auch etwas doof.
Wenn der Flugzeug-Besitzer etwas prognostiziert, kann man schon mal sicher sein, daß es sicher nicht so kommt.
[….] „#Corona darf nicht mehr unser ganzes Leben diktieren. Ein sehr großer Teil der Bevölkerung ist geimpft, #Inzidenz und Hospitalisierung liegen deutlich unter den Horror-Szenarien von z.B. Herrn #Lauterbach. Wir müssen so schnell wie möglich zum normalen Leben zurückkehren.“ [….]
[….] Ich wusste, dass @_FriedrichMerz hier falsch liegen würde. Aber mir wäre es auch hier lieber gewesen, wenn ich mich geirrt hätte und es würden jetzt weniger Menschen sterben. […..]
Ja, Olaf Scholz wird es schwer haben.
Aber ob ausgerechnet Friedrich Merz intellektuell in der Lage sein wird, ihn parteitaktisch auszumanövrieren, wage ich doch sehr zu bezweifeln.
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